Seit dem 11. August 2025 sind die Nuntiatur-Berichte des Nuntius Pacelli im Internet nicht mehr zugänglich. Wir selbst hatten sie gerade erst in den ersten Augusttagen entdeckt und hatten uns in den letzten drei Blogartikeln umfangreich auf sie bezogen (der erste: Stgr2025). Wir möchten sie auch noch weiter auswerten.
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Abb. 1: Die Feier der Goldenen Hochzeit des Prinzen Leopold und der Prinzessin Gisela von Bayern am 20. April 1923 zelebriert von Nuntius Pacelli - Links der Neffe des Prinzen, Kronprinz Rupprecht, rechts von Pacelli der Sohn des Prinzen Leopold, Prinz Georg von Bayern als Priester - Gemalt von Hermann Eißfeldt 1923 (Stammtafel: hdbg) |
An ihrer Herausgabe wird seit 2010 gearbeitet (Münster2010). Was aber anstelle derselben aktuell öffentlich (noch) zugänglich ist, sind die Tagebücher des Münchener Kardinals Faulhaber (1869-1952) (Wiki). Auch sie sind herausgegeben worden - wie die Nuntiaturberichte des Nuntius Pacelli - von dem Kirchenhistoriker an der Universität Münster Professor Hubert Wolf (UniMünster). Er gehört zu jenen Katholiken in Deutschland, die dem Papst in Rom so allerhand Schwierigkeiten bereiten und zum Beispiel die Aufhebung des Zölibats für katholische Priester fordern. Er wird deshalb dafür kritisiert, daß er "Protestantismus" in die katholische Kirche hinein tragen würde. Wie kann er nur! Er muß ein sehr schlechter Mensch sein. An der Herausgabe der Tagebücher des Kardinals Faulhaber arbeitet er mit seinen Mitarbeitern seit 2014 (Münster2014).*) Ein Überblick über die neuen Erkenntnisse aus den Tagebüchern von Seiten der Herausgeber findet sich auch (ProjektFaulhaber).
Das Ehepaar Ludendorff und der Kardinal Faulhaber haben sich immer einmal wieder aufeinander bezogen. Somit dürften sich die Lebenserinnerungen der Ludendorffs wie ein Spiegelbild zu den Tagebücher des Kardinals Faulhaber lesen. Die wesentlichsten Inhalte sollen im folgenden einander gegenüber gestellt werden, wobei allerdings wichtige Auszüge aus den Erinnerungen der Ludendorffs erst später ergänzt werden sollen. In den Dokumenten spiegelt sich ein ständiges Ringen zwischen den klerikalen Kräften in Bayern und Deutschland mit den antiklerikalen Kräften, deren Hauptvertreter zwischen 1923 und 1937 Erich Ludendorff war.
Überblick: 1923 betreiben die klerikalen Kräfte in Bayern Wittelsbacher Separatismus, lassen dann aber den Hitler-Putsch scheitern, weil die völkischen Kräfte ihnen nicht klerikal genug sind, sondern sogar dezidiert antiklerikal. Dadurch ziehen sie für ein Jahr lang den stärksten Haß vieler Volksteile innerhalb von München und Bayern auf sich. Da Hitler sich aber danach auf die klerikale Seite schlägt, kommt es zur Spaltung der völkischen Kräfte. Ludendorff ist in ihnen zunehmend isoliert. Er wendet sich auch ab 1926 ganz vom Christentum ab, womit er sich noch mehr isoliert. Mit dem Beginn der Präsidialdiktatur ab 1930 und mit dem aus dem Ausland finanzierten Aufstieg Hitlers bekommen die klerikalen Kräfte wieder ordentlich Oberwasser. Faulhaber gibt 1932 1000 Mark in die schwarze Kasse der Münchener Polizei, damit diese weiterhin umfangreich antiklerikale Bücher und Schriften beschlagnahmt, insbesondere aus dem Haus Ludendorff. Ab 1935 wendet sich erneut das Blatt, das "Neuheidentum", deren promineteste Vertreter Alfred Rosenberg und Ludendorff sind, bekommt in Deutschland immer mehr Oberwasser. Aber der Nuntius Pacelli hat längst durch Reisen nach Frankreich und die USA die Grundlagen gelegt dafür, daß Kardinal Spellman während des Zweiten Weltkrieges grünes Licht geben kann für die Zerschlagung des protestantischen Preußen durch die Sowjetunion und für seine Katholisierung durch die Westverschiebung Polens. Damit trat endlich jene Zerschlagung und Bolschewisierung Preußens ein, die die klerikalen Kräfte schon für 1923 erwartet hatten.
1922 - Faulhaber zündelt mit Rechtsputsch - und fürchtet ihn
Vom 27. bis 30. August 1922 fand der Deutsche Katholikentag in München statt unter Vorsitz von Konrad Adenauer. Schon zu dieser Zeit rechneten viele - auch Faulhaber - mit einem "Rechtsputsch" in München. Faulhaber lehnt aber von vornherein jede Verantwortung für einen solchen ab, falls ein solcher mit dem Katholikentag zeitlich zusammen fallen sollte. Faulhaber schreibt:
Fürst Löwenstein (...). Die monarchistische Taste dürfte gar nicht angeschlagen werden: Als Lerchenfeld vom angestammten Königshaus sprach, ging ein Sturm durch die Halle - der Kronprinz blieb von den Studentenkommersen weg, obwohl er vorher zugesagt hatte, um keine Ovation hervorzurufen. Mit meinem Satz „Gottesrecht bricht Staatsrecht“ redete man auf katholische Offiziere ein, denn in jenen Tagen kriselte es sehr bedenklich für einen Rechtsputsch und ich dankte Gott als der Katholikentag vorüber war, ohne daß eine Explosion gekommen war. In meiner letzten Rede mußte ich deshalb die Verantwortung ablehnen, wenn ein Putsch zeitlich mit dem Katholikentag zusammenfallen sollte.
Genau diese "monarchistische Taste" hatte Faulhaber also selbst in seiner Eröffnungsansprache angeschlagen, um dann aber diesbezüglich in seiner Abschlußrede für einen Rechtsputsch jede Verantwortung abzulehnen. Eine offenbar sehr widersprüchliche Haltung. Von Seiten der Herausgeber wird darüber geschrieben (ProjektFaulhaber):
Mit seiner in Teilen hochpolitischen Eröffnungsansprache, in der er die Revolution vom November 1918, die auf dem Weg zur Republik von Weimar nicht hinweggedacht werden konnte, als „Meineid und Hochverrat“ bezeichnete, provozierte der Erzbischof den Eklat, den er wenig später beklagte.
Faulhaber zündelt also einerseits mit dem Rechtsputsch, fürchtet sich aber zugleich vor ihm, will zumindest nicht für ihn verantwortlich gemacht werden. Leise, leise also heißt das Motto. Wenn es zum Rechtsputsch kommt, will die katholische Kirche nicht diejenige sein, die dafür verantwortlich gemacht wird. Zumal Faulhaber auch in Gegensatz geriet zu Adenauer, der die Weimarer Demokratie in Schutz nahm.
1923 - Februar - Steht Kronprinz Rupprecht unter jesuitischem Einfluß?
Zwischen 1923 und 1929 ist der Graf Soden (Josef Graf von Soden-Fraunhofen) (1883-1972) (Wiki) Kabinettschef des Kronprinzen Rupprecht von Bayern. Am 18. Februar 1923 überbringt er dem Kardinal Faulhaber zwei Briefe, die der Kronprinz Rupprecht von katholischen Priestern erhalten hat (1):
Graf Soden: Bringt Grüße vom Kronprinzen und zwei Briefe von Geistlichen: Der eine will gerne Güter bewirtschaften mit Schwestern und davon den Arbeitern abgeben an Lebensmitteln - ohne Antwort; ...
... die Anfrage, den Münchener Arbeitern und ihrer Ernährungslage zu helfen, bleibt also offenbar "ohne Antwort". Sie stand nicht im Vordergrund der Anliegen des Kardinals Faulhaber. Und weiter (1):
... der andere, Franz Xaver Fuchs aus Bubach, Diözese Regensburg, fragt ihn ...
- also den Kronprinzen Rupprecht -
... aus, ob es wahr sei: „Mir wurden die Religionen eingebläut, darum habe ich keine“ - so habe ihm ein Kapuzinerpater gesagt, das könne nur Pater Coelestin gewesen sein, zu dem allein der Kronprinz sich einmal so geäußert hätte - „mit Unrecht Schwaighofer“.
Hier ist angesprochen der Pater Coelestin Schwaighofer (1863-1934) (2). Er war der Beichtvater von König Ludwig des III. von Bayern (1845-1921), des Kaisers Karl I. von Österreich (1887-1922), sowie seiner Ehefrau Kaiserin Zita von Österreich-Ungarn (1892-1989) (Wiki). Die Kaiserin Zita stammte aus Italien. Sie hat 1917 Separatsfriedensverhandlungen mit Frankreich begonnen, und zwar über ihre beiden Brüder, die belgische Offiziere waren. Es war das ohne Wissen des Deutschen Reiches geschehen. Als Clemenceau diese im Frühjahr 1918 bekannt gemacht hat, ist sie in Österreich im Frühjahr 1918 in stärksten Mißkredit geraten (Stichwort "Sixtus-Affäre"). Wir lesen (Wiki):
Die deutschnationale Mundpropaganda in Österreich bezeichnete Zita nun als „italienische Verräterin“ und Karl als einen „den hohen Frauen welscher Abkunft ausgelieferten Pantoffelhelden“. Der vom Kaiser 1917 enthobene Generalstabschef Conrad kritisierte später in seinen Memoiren den in Österreich-Ungarn eingerissenen „Defätismus“ und schrieb:„Besonders gefährlich aber waren diesbezüglich die Machenschaften, die Kaiserin Zita Hand in Hand mit ihrem Bruder Sixtus betrieb und in die sich der schwache Kaiser hineinreißen ließ, wobei es ihm nicht erspart blieb, in eine schiefe Stellung zu Deutschland zu geraten. Ein Schulbeispiel, wohin es führt wenn Frauenhände, wenn auch von den besten Absichten geleitet, sich in ernste politische oder militärische Angelegenheiten mengen.“
Welche Rolle hier der Beichtvater gespielt hat, ist vermutlich nie bekannt geworden. Sagen wir so: Die Kaiserin hätte auf ihr Handeln sicherlich verzichtet, wenn er ihr abgeraten hätte. Wir lesen weiterhin (Wiki):
2009 initiierte der Bischof von Le Mans, Yves Le Saux, das Seligsprechungsverfahren für Zita. Die katholische Kirche verehrt sie als Ehrwürdige Dienerin Gottes.
Das kann eigentlich nur heißen, daß sie im Einklang mit ihrem Beichtvater gehandelt hat. Was in dem Faulhaber-Tagebuch die Worte "mit Unrecht Schwaighofer" heißen, wird nicht ganz klar. Vielleicht gibt Faulhaber damit seine Meinung kund, daß ein Beichtvater solche Dinge nicht weiter erzählt haben könne, Schwaighofer würde hier also zu Unrecht verdächtigt. Weiter wird der Inhalt des Briefes des Franz Xaver Fuchs an den Kronprinzen Rupprecht folgendermaßen wieder gegeben (1):
2) Ob es wahr sei, daß er ...
- also wiederum der Kronprinz Rupprecht -
... an einer Tafel geäußert: „Jetzt kommen die Juden und Pfaffen dran.“ 3) Außer anderen Dingen „auf sinnlichem Gebiet“ (Unsichere Lesart. Weitere Lesart: „seinen Gebieten“), ob der Erbprinz in Ettal die Sterbesakramente aus Unglauben verweigert habe - jetzt schrieb er „ergebenst“, später wieder „alleruntertänigst“ - ich schicke Auszug an den Bischof von Regensburg.
Als Erbprinz wird hier von Seiten der Herausgeber allzu vorschnell der zweite Sohn des Kronprinzen Rupprecht identifiziert. Es war dies Albrecht von Bayern (1905-1996) (Wiki). Aber warum sollte dieser bis zum Jahr 1923 irgendwann einmal Sterbesakramente verweigert haben? Lag er irgendwann einmal "im Sterben" in jenen Jahren? Das finden wir nirgendwo erwähnt. Könnte es sich nicht eher um den Erstgeborenen Luitpold von Bayern (1901-27. August 1914) handeln, der 1914 mit 13 Jahren an Polio gestorben ist (Wiki)? Mit 13 Jahren könnte man schon einmal die Sterbesakramente verweigern, zum Beispiel wenn man bis dahin schlechte Erfahrungen mit Priestern gesammelt hat. Oder wenn sich der eigene Vater kritisch gegenüber der Religion geäußert haben sollte. Zwar ist Luitpold offenbar nicht in Ettal bei Garmisch-Partenkirchen, sondern in Berchtesgaden gestorben (Geni). Aber bei Gerüchten wie diesen kann so etwas ja leicht verwechselt werden.
Ein ziemlich aufmüpfiger, verwegener Geistlicher also, dieser Franz Xaver Fuchs aus Bubach. Er stellt dem künftigen König von Bayern doch allerhand inquisitorische Fragen. Als Geistlicher glaubt man womöglich gerne einmal, ein Recht auf so etwas zu haben. Andererseits könnte ein solcher Brief durchaus auch dazu gedient haben, ein etwaiges noch vorhandenes oder künftiges Schwanken in der katholischen Linientreue des Kronprinzen Rupprecht vorsorglich auszuschließen. Der Brief macht auch deutlich, daß Kronprinz Rupprecht manchen Anlaß gehabt haben könnte, womöglich noch bestehende Zweifel an seiner katholischen Linientreue tunlichst künftig auszuschließen und sich weiter um Vertrauen zwischen sich und der Kirche zu bemühen - zum Beispiel um deren politische Unterstützung nicht zu verlieren. Die Weiterleitung dieses Briefes an den Bischof von Regensburg sollte wohl dazu dienen, daß es nicht zu weiteren, solchen "zweifelnden" Briefen käme. Faulhaber äußert in keiner Weise, daß er diesen Bedenken des Geistlichen irgendeine reale Bedeutung zuschreibt. Faulhaber scheint sich der Linientreue des Kronprinzen längst völlig sicher zu sein. Er schreibt weiter:
Graf Soden beklagt sich, daß er persönlich verdächtigt würde, „der Kronprinz stehe unter jesuitischem Einfluß“, Ludendorff sei die Quelle - leider sei der Rektor Pfeilschifter ein Anhänger von Ludendorff.
Der jesuitische Einfluß auf den Kronprinzen Rupprecht, so lautet also der Verdacht, ginge über den Grafen Soden. Worauf sich dieser Verdacht gründet, ist vorderhand nicht gleich erkennbar. Vielleicht unter anderem auf dem Umstand, daß der Graf Soden das Wilhelmsgymnasium in München besucht hat, das - von Jesuiten gegründet - bis heute "von der tiefen Religiosität der Jesuiten geprägt" ist (Wilhelmgymn)**).
Hier geht es also um Zweifel innerhalb der katholischen Kirche aus ganz anderer Richtung dahingehend, ob der Kronprinz Rupprecht der geeignete Mann sei, um die Monarchie in Bayern wieder aufzurichten. Sogar Katholiken wie der hier erwähnte katholische Theologe, Kirchenhistoriker und Rektor der Universität München Professor Georg Pfeilschifter (1870-1936) (Wiki), unterstellen, daß dieser jesuitische Einfluß über den Grafen Soden ausgeübt wird und sehen diesen Umstand kritisch.***) Man beachte, daß dieser Verdacht nach diesem Tagebucheintrag mit keinem Wort zurück gewiesen wird oder als lächerlich hingestellt wird. Es gibt in jedem Fall ein "Murren" innerhalb der katholischen Kirche selbst, auf das Kronprinz Rupprecht den Kardinal Faulhaber aufmerksam macht - womöglich damit dieser dann nicht allzu überrascht ist, wenn er von diesem Murren von anderer Seite aus erfährt. Und womöglich, um gegen dieses Murren innerhalb der Kirche ihm gegenüber vorzugehen. Der hier erwähnte Pfeilschifter übrigens (Wiki) ...
... gab 1918 eine dreibändige Sammlung der Feldpostbriefe katholischer Soldaten heraus. Eine Zusammenfassung erschien sogar in französischer Sprache.
Er hat dann 1925 die Vorläufer-Organisation der heutigen Goethe-Institute mitgegründet, nämlich die "Deutsche Akademie". Sie sollte (Wiki) ...
... "durch die Nation und mit der Nation (...) einem freien deutschen Volkstum helfen, in zäher und zielbewußter Arbeit seinen Platz an der Sonne wieder zu erringen."
Einer von vielen Katholiken in Bayern also, die vom völkischen Geist der Zeit "angefressen" waren, und deshalb jesuitischen und ultramontanen Bestrebungen innerhalb der katholischen Kirche äußerst kritisch gegenüber standen.
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Abb. 2: "Ludendorff hat alles auf sich bezogen" - Deutscher Tag in Nürnberg (Wiki), 2. September 1923 - "General Ludendorff schreitet die Front der Hakenkreuzler ab." (Fotograf: Georg Pahl) |
Es ging also in der Übergabe dieser Briefe darum, die "eigenen Reihen" unter den Katholiken zu schließen und sie auf einheitliche Linie zu bringen. Kronprinz Rupprecht möchte das Vertrauen vergrößern, daß zwischen ihm und der katholischen Kirche besteht, indem er diese Briefe weiter leitet. Dieses Vertrauen ist ihm wichtig. Er steht ihm nicht gleichgültig gegenüber. Es war das ja auch zu jener Zeit, in der die Feier der Goldenen Hochzeit seines Onkels, des Prinzen Leopold von Bayern, zusammen mit dem Nuntius Pacelli vorbereitet worden ist. Pacelli war dem Kronprinzen schon zu diesem Zeitpunkt wichtiger als der Kardinal Faulhaber, denn Pacelli wurde gefragt, die Feier zu zelebrieren, nicht Faulhaber (s. Abb. 1). Das Bündnis mit der Kirche dürfte dem Kronprinzen auch deshalb so wichtig sein, weil er in Bayern starke Gegner seiner Pläne hat. Dies ist vor allem der General Ludendorff.
1923 - September - Pacelli - "Bayern wird sich vom Deutschen Reich trennen"
Am 10. September 1923 hat Faulhaber ein Gespräch mit dem Nunitus Pacelli. Er schreibt danach in sein Tagebuch:
Nuntius: (...) Konkordat (...). Kahr war bei ihm und sprach nur vom König, und es sei allgemein bekannt, wenn Stresemann abgewirtschaftet hat und eine linke Regierung kommt, dann wird Bayern sich trennen. Rupprecht habe gegen Ludendorff ohne Namen zu nennen Stellung genommen: Es gebe Leute, die eine führende Rolle spielen wollen. Soll auch später nach Adelholzen kommen.
Faulhaber zog sich Zeit seines Lebens gerne in das Schwesternheim (Wiki) der "Barmherzigen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul" nach Bad Adelholzen bei Traunstein bei den Adelholzener Alpenquellen (Wiki) zurück. Einem ehelosen Priester werden ja "Barmherzige Schwestern" mitunter ganz gut tun. Für Adelholzen war also offenbar auch der Kronprinz Rupprecht angekündigt (oder von Kahr?).
Hier werden also klar die klerikal-Wittelsbacher Zielsetzungen in diesem Herbst 1923 benannt: Bayern wird sich von Berlin "trennen", sobald es zu einem Linksruck in der Berliner Regierung kommt. Dann wird es zusammen mit Österreich eine "Donaumonarchie" begründen. So sollte es später immer wieder empört auf den Straßen Münchens benannt werden (siehe unten).
1923 - September - "Ludendorff hat alles auf sich bezogen"
Am 22. September 1923 hat Faulhaber ein erneutes Gespräch mit dem Grafen Soden, dem Kabinettschef des Kronprinzen Rupprecht. Dieser berichtet über die Rede des Kronprinzen Rupprecht von Bayern vor dem Offiziersverein in München (hier genannt Tuefo):
Tuefo, 22.9.23. Im Auftrag seines Herrn Gruß. Die Rede hat geistigen Eindruck gemacht und wurde verstanden. Der Anlaß: Der Tag in Nürnberg gut gelaufen, wieder einmal weiß-blau und schwarz-weiß-rot - aber Ludendorff hat alles auf sich bezogen.
Es ist vom "Deutschen Tag" in Nürnberg die Rede. Ludendorff hat den "Weiß-Blauen" zu sehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gestanden. Drei Jahre später sollte Ludendorff über den für das Jahr 1926 geplanten "Deutschen Tag" in Nürnberg - diesmal unter der Schirmherrschaft des Kronprinzen Rupprecht - schreiben (in "Deutsche Wochenschau" vom 1. August 1926) (zit. n. Stgr2015):
Es gab einmal einen "Deutschen Tag" in Nürnberg, der war am 2. September 1923. (...) Kronprinz Rupprecht war nicht erschienen, der Tag war ihm zu völkisch. General Ludendorff und Hitler standen im Mittelpunkt der Feier; vor allem wurde Ludendorff stürmisch begrüßt und gefeiert. Das war zugleich das Signal für Rupprecht, gegen ihn Stellung zu nehmen, wie das wenige Tage darauf im N. D. O. in München erfolgte.
N. D. O. steht für Nationalverband Deutscher Offiziere. Auch Ludendorff empfand es also so, daß er auf dem "Deutschen Tag" in Nürnberg sehr stark im Mittelpunkt stand (s. Stgr2015). Der Graf Soden äußerte weiterhin über Ludendorff laut des Tagebuches von Faulhaber:
Eine Äußerung von ihm
- also Ludendorff:
Wir marschieren nach Berlin und machen linksum gegen Frankreich. Die drei Kampfverbände: Nationalsozialisten (aber mit Hitler nichts anzufangen), Reichsflagge (ihr geistiger Führer Heiß, Nürnberg, werde sich auch dem König gegenüber unterwerfen, glaubt man), Oberland ist bereits freiwillig dagewesen. Gedacht ist nach Artikel 48 der Verfassung ein /Unsichere Lesart. Weitere Lesart: an Staatskommissar, also legaler Anfang. Held war beim König und sagte: Es ist noch nicht die Stunde, aber wir müssen alles vorbereiten und Sie müssen hinter den Kulissen mitarbeiten. Seitdem tut das der König mehr wie früher. Das große Hindernis die Personenfrage, die Eifersucht: Ob Kahr oder Knilling. - Zwischen diesen beiden heute mittag eine Aussprache vor dem König. Eine andere wichtige Aussprache: Ludendorff.Hat sich beim König ungerufen melden lassen und wird heute erscheinen, und der König wird ihm ein klares Wort sagen. Respondeo (Lateinisch „Ich antworte“): Wenn Bayern wieder wie nach dem Dreißigjährigen Krieg Deutschland rette, dann muß es unter Führung von Bayern sein!
Rupprecht wird also durch den Vorsitzenden der Bayerischen Volkspartei Heinrich Held (1868-1938) (Wiki), der von 1924 bis 1933 als bayerischer Ministerpräsident amtieren sollte, zu mehr Mitarbeit aufgefordert "hinter den Kulissen". Und Rupprecht geht auf diese Aufforderung ein. Es wird hier deutlich, daß dieser Held geradezu mehr zu sagen gehabt haben könnte als Rupprecht selbst. Es wird deutlich, daß Rupprecht eher der "Geschobene" ist und weniger der "Schiebende". An anderer Stelle erscheint es eher umgekehrt, so daß die eigentlich Schiebenden noch andere gewesen sein werden. Faulhaber übernimmt in diesem Tagebuch-Eintrag auch seinerseits die Bezeichnung "König" für Rupprecht.
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Abb. 3:"Ludendorff hat alles auf sich bezogen" - "Deutscher Tag, 2. Sept. 1923" - Erich Ludendorff neben dem Prinzen Ludwig von Bayern (Herkunft: Ebay, 4/2016) |
Und Faulhaber äußert sich im letzten zitierten Satz mehr als eindeutig. Er gibt in diesem nicht mehr nur die Meinungen und Berichte anderer wieder, sondern sehr klar seine eigene Meinung. Und das ist ein ziemlich krasser Satz, daß Deutschland im Dreißigjährigen Krieg von Bayern "gerettet" worden sei. Katholischer kann man sich gar nicht äußern als es hier zum Ausdruck kommt. Soll wohl der Massenmord von Magdeburg im Dreißigjährigen Krieg eine "Rettung Deutschlands" gewesen sein? Wovon? Doch nur vor dem Protestantismus. Aber welcher deutsche Protestant hätte jemals vom Protestantismus gerettet werden wollen? Was für ein krasser Satz also.
1923 - September - Will der Kronprinz Rupprecht in Frankreich "Eindruck machen"?
Nach dem Tagebuch Faulhabers berichtet ihm der bayerische Diplomat Alfred Graf Oberndorf am 23. September 1923 über die Stimmung in Frankreich:
Er hat eine Nummer in Temps mit boshaften Bemerkungen über die Rede des Kronprinzen - also nicht einmal das Abschütteln des Ludendorff hat dort Eindruck gemacht. Stresemann hat die Rede des Kronprinzen zweimal zitiert, offenbar um ihn zu ehren.
Hier hört man mehr oder weniger deutlich die Hoffnung auf Frankreich durch. Man will "Eindruck" gegenüber Frankreich machen, indem man sich Ludendorffs entledigt. Solche Worte, öffentlich bekannt geworden, hätten womöglich die Empörung im November 1923 über Faulhaber und die ihm unterstellte separatistische, klerikale Politik mit Hilfe der Wittelsbacher wohl noch leicht steigern können.
1923 - November - "Nieder mit Kahr, nieder mit Faulhaber!"
Längere Aufzeichnungen von Faulhaber gibt es dann zu den Tagen rund um den 9. November 1923. Von der gleichen Stimmung sind dann auch noch viele Tagebuch-Einträge des Jahres 1924 geprägt. Sie machen dem Nachlebenden - womögich erstmals - mehr als deutlich, mit welcher kraß antiklerikalen Stimmung Faulhaber - zusammen mit Pacelli, dem Kronprinz Rupprecht, von Kahr - während der Novembertage 1923 in München konfrontiert war. Er und sein Umfeld hatten in dieser Zeit mehrfach große Sorge um sein Leben.
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Abb. 3: Kronprinz Rupprecht und Kardinal Faulhaber 1921 (ProjFaulhaber) |
Selbst das Milchmädchen wollte keine Milch mehr an Faulhaber liefern, so sehr fürchtete es die Anti-Faulhaber-Stimmung ihrer Mitmenschen in München (!!!) (2):
Persönliches zum Hitlerputsch, 9. November 1923.8. November, abends 20.00 Uhr war eine Vertrauenskundgebung für Kahr im Bürgerbräukeller. Ich war bei den ausgewiesenen Pfälzern im Hotel Wagner, wo gegen 21.30 Uhr Expräsident Nortz mir mitteilte, Kahr sei von der Hitlergarde gefangen, Regierung gestürzt. Auf dem Heimweg war es noch ziemlich ruhig auf den Straßen.9. November. 1.00 Uhr kommt Stadtrat Rauch zu mir und teilte mit: Kahr Ministerpräsident (Was, Kahr? Gegen den richtet sich ja das Ganze, - Ja. Er habe zu Regierungsrat Sommer geäußert: Ich konnte nicht anders, ich bin gezwungen worden), Ludendorff Führer der Nationalarmee, Hitler Reichskanzler .... Er meint, ob man nicht Rupprecht morgen Früh vor die Truppe stellen soll - das scheint mir unmöglich. Er will aber zu Soden gehen, der inzwischen selber verhaftet wurde. Knilling sei bei der Verhaftung zusammengebrochen.7.30 Uhr (?) Dr. Brem - die Lage hat sich gedreht. 23.30 sei ein Funkspruch ergangen: Kahr, Lossow, Seisser hätten sich von Hitler losgesagt und rufen Reichswehr und Landespolizei auf, gegen ihn und für ihre rechtmäßige Regierung. Jetzt wäre wohl der Augenblick für Rupprecht einzutreten, wenn sie Herren der Lage bleiben. Er ersucht mich, wegzugehen.8.00 Uhr Dr. Ludwig Müller: Er habe Telefonat bekommen, die bürgerlichen Zeitungen dürften nicht erscheinen bei Todesstrafe. Er kam die Nacht natürlich nicht aus den Kleidern. Dringend bittet er mich, wegzugehen, es seien zum Teil die gleichen Elemente wie 1918. Das Stadtbild vormittags noch ziemlich ruhig, aber Nachmittag großes Gedränge auf den Straßen.Circa 10.00 Uhr Abgeordneter Mattes von Amberg - kommt wohl im Auftrag der Bayerischen Volkspartei, wenigstens sagt er: Wir waren heute Nacht im Frauenbund, Held ist nach Regensburg „verkrümmt“, - beschwört mich, fortzugehen, die kommenden Ereignisse seien unberechenbar. Auch wegen seiner zwei Schwestern in Indien im Kloster, von der französischen Oberin sehr mißhandelt - soll an den Bischof schreiben (ich würde seine Person bestätigen).Ammann junior. Bringt einen Brief von seiner Mutter: „Da beim Endkampf zwischen Kahr, Lossow, Knilling einerseits und Hitler, Ludendorff andererseits Überraschungen nicht ausgeschlossen sind,“ die Bitte, ich möge mich zurückziehen. Giehrl schreibt darunter, daß er ganz dieser Meinung sei und am liebsten persönlich gekommen wäre. Der junge Ammann fügt dazu, „auch uns, der Jugend, müssen sie sich erhalten“.Generalvikar Buchberger - war im Auto von Au zurückgekommen, unterwegs gar keine Controlle, auch nicht auf der Isarbrücke, wo sich die beiden Heere gegenüberstehen. Auch er bittet dringlich, nicht im Hause zu bleiben.Nachmittags 15.00 Uhr Baron Stengel (unbekannt - ich glaubte bei der Anfrage, er komme im Auftrag des Kronprinzen): Ob ich nicht vermitteln könne zwischen den beiden, die alle das Gleiche wollten - respondeo: Die wollen nicht das Gleiche, Kahr ist die rechtmäßige Regierung, die anderen sind Revolutionäre, er meint, es müßten eben alle von ihrer Stelle zurücktreten, was nicht einzusehen ist. Außerdem: Er hätte einen Handelsvertrag mit Amerika über die Schweiz und will mir lange und breit auseinandersetzen - er meint offenbar, ich gebe Geld dazu - „Also dann können Sie nichts tun“.Abends 18.30 Uhr zu Fuß ins Mutterhaus. Unterwegs bei den Anschlägen von Kahr stehen geblieben. Da fallen schon die Ausdrücke: Der Hund und andere Namen für Kahr. Die Anschläge zum Teil wieder abgerissen. Die Nacht war ziemlich ruhig. Zwar Schreien und Johlen vor der Chirurgischen Klinik und sonst in der Stadt, aber kein Schießen mehr.Samstag, 10. November, gehe ich früh 8.00 Uhr wieder zurück, weil 9.00 Uhr Ordinariatssitzung ist.14.30 Uhr mit Ministerialrat Sterner im Auto nach Töging zur Kirchenkonsekration. - In der Theatinerstraße berittene Landespolizei mit Lanzen und dahinter zwei Schutzmänner zu Fuß, um die Pfeifenden abzufangen.Sonntag, 11. November, abends 20.00 Uhr zurück im Auto (Rubenbauer hatte mich auf Anruf von Pfaffenbüchler im Bahnhof erwartet) - die zur Bewachung der Promenadestraße befohlenen Schutzmänner kommen eine Stunde später sich entschuldigen, „sie hätten gerade in einer anderen Straße zu tun gehabt“ - die Straßen im Osten der Stadt sehr leer, in der Maximilians- und Maffeistraße steht Reichswehr im Sturmhelm. - Ein Schutzmann versichert in der Maffeistraße dem Ministerialrat Sterner, es sei alles ruhig, es sei kein Streik - also fahren wir weiter. Die Promenadestraße aber plötzlich belebt, unser Wagen wird sofort umringt von etwa dreißig Männern - sie lassen mich aber schweigend durch, auch als ich noch einmal zum Wagen zurück ging - erst als ich im Hause war, ging das Pfeifen und Schreien los und nun erfahren wir: Gestern in der Universität Versammlung gegen mich, dann Zug durch die Stadt und die Schreie: Nieder mit Kahr, nieder mit Faulhaber, - abends hätte ein Student bei der Katzenmusik eine Rede gegen mich gehalten (in Wirklichkeit hat er nur gerufen „nieder mit Faulhaber“), - aber bald leert sich die Promenadestraße. - Sekretär Wehner hat zu viel Angst, im Hause zu bleiben und geht noch heim.Montag, 12. November. Früh 6.00 Uhr im Auto ins Mutterhaus - es ist noch dunkel - und dort den Vormittag geschlafen. Zucker trotzdem 0,4 und unregelmäßiger Puls.14. November, Mittwoch. Weil Besuchstag, 5.30 Uhr zu Fuß vom Mutterhaus zurück.Lurz schreibt lateinisch: Große Drohungen ausgestoßen, weil ich im Preysing-Palais mit Komissar Kahr und Prinz Rupprecht über die Donaumonarchie verhandelt hätte. Ich soll weggehen. 9.00 Uhr kommt Baronin Gebsattel: Die vaterländischen Verbände (mit vielen preußischen Generälen) verbreiten ein Flugblatt: Wer hat sein Wort gebrochen? Kahr. Beweis, um 1.00 Uhr nachts hat er Pöhner zugesichert, 3.00 Uhr war er bei Kardinal Faulhaber, 5.00 Uhr wurde Pöhner verhaftet - so wird gelogen. Gestern kam eine Schwester von den Guthirten an die Pforte: Sie hätte von der Frau eines Landespolizisten gehört, ich sei verhaftet. Herr Einweck, Schneider, schickte zwei Schwestern von der Löwengrube herüber, ich soll mich ja verwahren, er hätte so schreckliche Drohungen gehört.12.00 Uhr Press-Müller erkundigt sich nach weiteren Vorkommnissen. Es ist gut, daß der antikatholische Charakter der Bewegung rechtzeitig an den Tag kam. „Nieder mit den Pfaffen und Juden“ heißt auf einmal jetzt die Parole. 14. November wird vom Milchlieferanten mitgeteilt, die ganze Stadt schimpfe so und er könne keine Milch mehr liefern, wir hätten ja auch keine Karten, höchstens ein Viertel Liter, aber die Leute dürften es nicht wissen.Pater Heribert erzählt mir: Er war ausgegangen, um an seinem Habit die Stimmung zu probieren. Im Odeon habe einer eine Rede gehalten: Die erste Kugel für Kahr, die zweite Kugel für Faulhaber. Dann sei er zum Palais gegangen und habe lange warten müssen bis sie aufmachten. Inzwischen schreit einer: Da droben ist der Oberlump, und ein anderer: Der hat die Blutschuld von allen Toten. Also gerade wie beim Heiligen Vater für Duisburg.
Um zu verstehen, was mit dem letzten Satz gemeint ist, muß man länger recherchieren. Duisburg litt seit dem 8. März 1921 schwer unter der Ruhrbesetzung durch die Franzosen. Am 30. Juni 1923 hat es auf einer Rheinbrücke in Duisburg während der Überfahrt eines belgischen Militärzuges eine Explosion gegeben, bei der acht Menschen sofort starben und vier weitere später an den Verletzungen (Wiki). Die Belgier waren empört machten deutsche Attentäter und die Vermittlungsversuche des Papstes im Rheinland für das "Bombenattentat" verantwortlich, während deutsche Stellen von der Explosion eines Gasbehälters ausgingen. Am 9. Juli 1923 hatte Faulhaber über den Vermittlungsbrief des Papstes in seinem Tagebuch geschrieben:
Baron Cramer-Klett - kommt von Rom zurück. (...) Ein französischer Prälat hätte gesagt: „Der Brief des Papstes ist das Schriftstück eines Verrückten.“ Der belgische Gesandte hätte gesagt: Der Heilige Vater sei für das Blut an der Duisburger Brücke verantwortlich. Es sei unerhört, wie sich die Franzosen über diesen Brief aufgeführt hätten.
Zugleich hätte der Papst Faulhaber dafür gelobt, daß er sich nicht in die Politik einmischen würde. Faulhaber will hier also sagen, daß die katholische Kirche leicht für Dinge verantwortlich gemacht würde, auch wenn sie sich eher neutral verhalten will. Stresemann hatte dann im übrigen am 26. September 1923 den Abbruch des passiven Widerstandes an der Ruhr verkündet, womit Frankreich als "Sieger" da stand.****) Zurück zu Faulhabers Erlebnissen am 14. November 1923 in München:
Im Keller ein paar Fenster eingeworfen. Natürlich Schmähbriefe.Einer von den Vaterländischen schreit: Jetzt wird mir's aber dumm, jetzt wollen sie die Donaumonarchie aufrichten, jetzt mache ich nicht mehr mit.Freyberg erklärte Rauch beim Besuch: Er (Rauch) sei mit Kahr verwechselt worden, als er nachts bei mir war, und daher das Gerücht.Siehe die Zuschriften voll Teilnahme, die Erklärung des Aktionskomitées. Milchmädchen kündigt die Milch, weil so viel geschimpft wird.Unter den Briefen, die mich warnten nicht auszugehen, war auch einer von Lurz: Er erzählt mir 4.2.24 auf dem Philisterabend, Kreichgauer habe in den vaterländischen Kampfverbänden solche Reden gehört, daß er sich verpflichtet fühlte, mich zu warnen.
Ob man das aus anderen Quellen so gut erfahren könnte, wie stark antiklerikal die Stimmung in München war rund um den 9. November 1923? Der Nuntius Pacelli berichtet ähnliches, allerdings faßt er sich dabei kürzer. Dieselbe Stimmung wird auch sehr ausführlich in den Lebenserinnerungen von Mathilde Ludendorff geschildert, in dieser natürlich sozusagen "von der Gegenseite" her. Das mag womöglich künftig an dieser Stelle noch ergänzt werden.
1924 - Faulhaber bekommt Herzbeschwerden wegen des Wahlsieges der Völkischen
Faulhaber bricht seinen Urlaub ab, um auf die Verteidigungs- bzw. Anklagerede Ludendorffs im Hochverrats-Prozeß zu reagieren (ProjektFaulhaber, s.a. Kath2025 oder IFZMünch). Wir lesen dazu zusammenfassend:
Bis in das Frühjahr 1924 hinein wirft der gescheiterte Hitler-Ludendorff-Putsch vom 8./9. November 1923 seine Schatten. Ende Februar beginnt in München in der Infanterieschule der Hitler-Prozeß. Kardinal Faulhaber, der sich Mitte März nach Bad Adelholzen zurückgezogen hatte, ist schon nach wenigen Tagen gezwungen, seinen Erholungsurlaub beim Orden der Barmherzigen Schwestern zu unterbrechen, um durch eine Erklärung auf persönliche Angriffe des Generals a.D. und Putschisten Erich Ludendorff vor Gericht zu reagieren. Den 1. April, den Tag der Urteilsverkündung gegen Hitler, Ludendorff und ihre Mitverschwörer, erlebt Faulhaber in Spannung, weil Demonstrationen von Völkischen und Nationalsozialisten, die ihn weiterhin mitverantwortlich für das Scheitern des November-Putsches machen, vor dem Erzbischöflichen Palais angemeldet sind. Wenige Tage später, am 6. April, finden in Bayern Landtagswahlen statt. Das unerhörte Ergebnis der Völkischen, die landesweit 17 Prozent und in München gar 34 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten, überrascht den Erzbischof nicht, seien diese im Wahlkampf doch mit amerikanischer Reklame und der Stoßkraft des Neuen aufgetreten. Mit Herzbeschwerden erlebt Faulhaber die Siegesfeiern des völkisch-nationalen Blocks am nächsten Tag. Putschgerüchte, die im November zum ersten Jahrestag des gescheiterten Staatsstreichs in München kursieren, nennt er Gespensterfurcht. Mit Erleichterung und Freude registriert der Erzbischof schließlich den Zusammenbruch der völkischen Großmaultruppe bei den Wahlen vom 7. Dezember.
Am 29. März 1924 kommt es zum Abschluß des Bayerischen Konkordats (Wiki). Es wird dann im Januar 1925 ratifiziert - und zwar einerseits vom Nuntius Pacelli, andererseits vom bayerischen Ministerpräsidenten Heinrich Held (s. Abb. 4).
Am 7. April 1924 schreibt Faulhaber etwa in sein Tagebuch:
Die Straße so aufgeregt nach dem „Sieg“ der Völkischen, daß ich nicht vor die Türe gehe und darüber wieder Herzbeschwerden bekomme.
Am 8. November 1924 schreibt er:
Samstag, 8. November. München nervös in der Erinnerung an die Ereignisse des vorigen Jahres - man redet viel von einem Putsch, der Rupprecht als König ausrufen soll - alles Gespensterfurcht. Ludendorff redet große Worte: Es sei ihnen ein Gottesdienst für die Gefallenen verweigert worden - was er sich wohl unter einem Gottesdienst für die Gefallenen denkt.
Am 7. Dezember 1924 schreibt er:
Sonntag, 7. Dezember. Wahltag für Reichstag und Gemeinde, aber ohne die Aufregung (...), weil die Völkischen (...) diesmal in heilloser Spaltung sind. Herr Pöhner ist am 2. Dezember ausgetreten und hat in letzter Stunde noch einmal dem Kriegsführer Ludendorff die Führerqualität abgesprochen. (...) Nachts, 22.30 Uhr, als die Resultate der Wahl und der Zusammenbruch der völkischen Großmaulgruppe bekannt wurden, fragt eine Frauenstimme am Telefon, ob und wann morgen der Herr Kardinal das Hochamt hielte. Nach den verschiedenen Drohungen könnte man mißtrauisch werden.
Man hört erneut die Sorge Faulhabers heraus bezüglich von Anschlägen auf seine Person.
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Abb. 4: Austausch der Ratifikationsurkunden des Bayerischen Konkordats zwischen Nuntius Pacelli und dem bayerischen Ministerpräsidenten Heinrich Held am 24. Januar 1925 (s. pdf) - Schräg links hinter Pacelli steht der damalige bayerische Justizminister Franz Gürtner (Wiki), der 1936/1937 als Reichsjustizminister die Sittlichkeitsprozesse gegen katholische Ordensangehörige und Priester hat führen lassen (GAj2011) |
Die hier erwähnte Spaltung innerhalb der völkischen Partei hatte sich unter anderem daraus ergeben, daß die Nationalsozialisten nicht mehr - so wie Ludendorff und die völkischen Parteien Norddeutschlands - gegen die katholische Kirche kämpfen wollten (Stgr2010, Stgr2014, Stgr2018).
1925 schloß Erich Ludendorff die wenigen Wehrverbände und Vereinigungen, die noch zu ihm hielten, zum Tannenbergbund zusammen. 1926 heirateten Erich und Mathilde Ludendorff. Erich Ludendorff trat aus der evangelischen Kirche aus. 1927 gab er sein berühmtes Buch gegen die Freimaurerei heraus, 1929 das Buch "Die Jesuitenmacht und ihr Ende". 1930 kam es zu dem plötzlichen, großen Wahlsieg der NSDAP in der Reichstagswahl und Ludendorff sollte im November 1931 an einen "Mitkämpfer" schreiben: "Möchte unser gemeinsamer Kampf die Deutschen vor ihrem grimmigsten Feinde, dem Nationalsozialismus bewahren". Er sah Hitler im Dienst "Roms" stehen und gab 1931 seine Schrift heraus "Hitlers Verrat der Deutschen an den Römischen Papst" (Arch).
1930 - "Ludendorff kann nicht verantworten, was er schreibt"
In dieser Zeit kam es zu den verschiedensten Annäherungen zwischen der katholischen Kirche und der NSDAP. Am 26. März 1930 notiert Faulhaber über ein Gespräch mit dem Theologiestudenten Josef Gigl, der zugleich Mitglied der NSDAP war:
Adolf Hitler hätte ihm gesagt, Ludendorff könne nicht verantworten, was er schreibe.
Die katholische Kirche sah immer mehr die Möglichkeit sich hinter dem Rücken der Präsidialdemokratie und schließlich Adolfs Hitlers zu verschanzen, um unter anderem die Angriffe Ludendorffs auf sich loszuwerden. Auch dieses Zitat wird sich auf Schriften des Ehepaares Ludendorff gegen die katholische Kirche und das Christentum beziehen.
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Abb. 5: Angeklagt wegen Religionsvergehens - Schrift von Mathilde Ludendorff aus dem Jahr 1930 |
Es ist das dasselbe Jahr, in dem Mathilde Ludendorff wegen der Rezension eines priesterkritischen Buchs (Stgr2012) - und offenbar auf Anregung des erzbischöflichen Ordinariats in München - angeklagt wurde wegen Religionsvergehens. Sie brachte in dieser Sache eine eigene Schrift heraus, in die Kardinal Faulhaber nicht sehr gern wird hinein gesehen haben (Abb. 5).
1932 - Antikatholische Bücher "verbieten" und "beschlagnahmen"
Am 7. Januar 1932 heißt es in seinem Tagebuch über eine Besprechung über katholische Presseaktivitäten nur kurz:
Ludendorff: [ ... ] Bücher [ ... ] verbieten. Tannenberg-Studentenbund. Hier Versammlungen.
Am 6. Februar 1932 scheint er nach einem Gespräch mit dem Münchener Polizeipräsidenten Dr. Julius Koch sehr aufzuatmen und notierte über dasselbe:
Hat 1923 Ludendorff verhaften müssen. Die erste Begegnung. Hat im Saal allen Mitgefangenen die Hand gegeben. Volkswarte von 40 000 auf 26 000 herunter. Kurier habe nur 1 800. Hier werden kaum 100 Stück verkauft, sobald man etwas unternimmt, bekommt er Auftrieb. Seinen Laden an einem Tag dreimal ausräumen lassen und dann gedroht, es würde überhaupt geschlossen.
Damit dürfte die Ludendorff-Buchhandlung in München gemeint sein. Schon die abfällige Sprache macht deutlich, welche Gefühle hier im Spiel sind. Faulhaber notiert weiter über das, was ihm der Polizeipräsident berichtet hat:
Er läßt jeden Tag beobachten. Ludendorff ist hier durch von Rechts bis Links. Er sei nicht normal und besonders die Frau Mathilde. In den letzten Zeiten große Laster von Flugblättern und Broschüren beschlagnahmt und er empfand, daß sehr wohl ein Geschäftsmann.Noch mehr von den Bibelforschern ganze Waggons und zwar in ganz Bayern. Man soll ihm Broschüren zuschicken. Das Gehalt seiner Beamten sei gut, weil nicht gekürzt, aber für die schwarze Kasse der Direktion eine Beihilfe willkommen (1 000 M. übergeben).Man soll die Flugblätter einfach an ihn persönlich oder an die Direktion, Politische Abteilung schicken. Er verbiete nicht, weil gerichtlich zu langsam und zu unsicher, dagegen auf dem Wege der Verwaltung einfach Beschlagnahme - natürlich dürfe dann nicht der Kurier doch große Auszüge bringen. Mayer (vermutlich der Jesuitenpater Rupert Mayer) bringe die Polizei in furchtbare Verlegenheit. Je stiller es sei, desto besser.Also setze ich die für 29. Februar angesetzten Versammlungen ab.Er kann für ganz Bayern beschlagnahmen lassen.
Hier kommt klerikale Politik in Reinform zum Ausdruck. Da ist ein Katholik gegenüber dem Kardinal Faulhaber aber stolz, wie er mit den Kirchengegnern umspringt. Sie haben es ja offenbar nicht anders verdient. Faulhaber ist ganz begeistert: "Er kann für ganz Bayern beschlagnahmen lassen" - - - und gibt ihm prompt tausend Mark für die schwarze Kasse der Polizei. Wie irre ist das denn?!???!
Das ist Austrofaschismus in Reinform. So wünschte sich die katholische Kirche den ihr ergebenen Staat und natürlich auch das Dritte Reich. Daß sie genau so mit allen Kirchengegnern umspringen würden und kurzen Prozeß machen würden. Keine Gerichtsverfahren - einfach beschlagnahmen lassen alle kritischen Schriften, die der Kirche unerwünscht sind. Denn wenn man den Ludendorff öffentlich bekämpft, erhält er nur noch weiter Auftrieb.
Was steht alles in diesen - wenigen - Worten.
Innerhalb weniger Jahre haben sich jeweils viele Wandlungen vollzogen in dieser Zeit. Während die katholische Kirche vor und nach der Machtübernahme Adolf Hitlers noch kräftig im Aufschwung war, bekam sie das Erstarken des "Neuheidentums" innerhalb des Dritten Reiches ab dem Jahr 1935 immer stärker zu spüren. Viele Deutsche waren damals vom Kirchenkampf innerhalb der evangelischen Kirche abgestoßen und sind ab 1935 in wachsenden Zahlen sowohl aus der evangelischen wie der katholischen Kirche ausgetreten. Damit diese nicht direkt der Ludendorff-Bewegung in die Arme laufen würden, wurde von Jakob Wilhelm Hauer mit Unterstützung der SS die "Deutsche Glaubensbewegung" geschaffen, in der alle Nichtchristen gesammelt wurden - abgesehen von Erich und Mathilde Ludendorff.
Mit dieser "Glaubensbewegung" und mit Alfred Rosenberg ist Faulhaber in den nächsten Jahren noch häufiger beschäftigt als mit dem Haus Ludendorff. Es macht womöglich Sinn, seine Tagebücher nach diesen Suchworten zu durchsuchen. Am 21. Juli 1934 schreibt er:
Prälat Grabmann - (...) In der Universität sei alles durcheinander. Wenn sie Vortrag halten würden gegen Deutsche Glaubensbewegung, würde man ihre Vorlesungen stören.
Und am 23. November 1934:
Rechtssyndikus von Heeg, Traunstein. (...) Er: Hitler sei ja nicht katholisch, seine Umgebung feindlich. Respondeo: Ich bin der Auffassung, Hitler ist im Grund seines Herzens katholisch, aber natürlich das Buch von Rosenberg.
Solche positiven Stellungnahmen Faulhabers gegenüber Hitler finden sich sehr viele in diesen Jahren in den Tagebüchern.
1935 - "Der Kampf gegen die Kirche wird immer schärfer"
Am 4. April 1935 notiert Faulhaber in seinem Tagebuch, was ihm der alte, deutsche Vatikan-Diplomat Bogdan von Hutten-Czapski sagt:
Von Papen habe er nie etwas gehalten. Sein Stern im Sinken, aber Ludendorffs Stern im Steigen. Ich: Wenn er dadurch von der Religionsphilosophie abgelenkt wird, ist es gut.
Auch hier ist mit wenigen Worten sehr viel gesagt. Es ist fast eine witzige Bemerkung. Gegen einen "politischen" Ludendorff, gegen einen "militärischen" Ludendorff scheint Faulhaber gar nicht so viel zu haben. Aber wehe, wenn er an die Stelle der christlichen Religion eine neue Weltanschauung, eine neue Philosophie setzen will, "Neuheidentum" vertritt. Gut, wenn er von diesem Vorhaben abgelenkt werden sollte. So Faulhaber. Am 9. April 1935 notiert Faulhaber:
Ludendorff siebzig Jahre, in Tutzing gratuliert die Wehrmacht Blomberg, Fritsch, Adam. Der Führer hatte für Staatsgebäude Beflaggung angeordnet, kam aber nicht persönlich. Glückwünsche überhaupt wenig, als ob es nur die Wehrmacht gewesen wäre. Abends spricht Beck vom Reichswehr[ ... ] „Der Gott der Schlachten“ führte ihn zu großen Siegen. Er hätte nichts als gesiegt, aber die Oberste Heeresleitung und die parlamentarische Vertretung hatte nicht den Weitblick wie er.
Am 24. April 1935 hatte Faulhaber ein Gespräch mit Cesare Orsenigo, der in Rom war und zwar nicht mit dem Papst, aber mit Pacelli gesprochen habe über die "Katholische Aktion", und dem er gesagt habe "Wir werden tun, was der Heilige Vater befiehlt. Aber zu bedenken, daß ... mit einem Schwerthieb." Die hier schwer lesbare Stelle könnte vielleicht heißen: "daß das nicht geschieht". Nun referiert Faulhaber über das Gespräch mit ihm:
Was ist in diesen Wochen passiert? Der Kampf gegen die Kirche wird immer schärfer. Ludendorff zum Geburtstag überaus gefeiert. Hitler hat kein Telegramm geschickt und war nicht persönlich dort, wartete in München mit dem Marschallstab. Aber Blomberg hat es gemacht. Psychologisch. Hitler hat keinen Hindenburg und braucht doch für den Kriegsfall eine höhere Stelle. Ebenso will Blomberg die Verantwortung nicht tragen.
Der Kardinal Faulhaber denkt hier also den Kriegsfall schon sehr selbstverständlich mit. Die damaligen "Friedensschalmeien" Hitlers scheinen ihn also nicht besonders beeindruckt zu haben. Und ganz klar sieht auch Faulhaber dasselbe, was Mathilde Ludendorff sah: Die Wehrmacht will Ludendorff vor ihren Karren spannen, um selbst keine Verantwortung übernehmen zu müssen (Stgr2012, a).
Am 16. Juni 1935 kommt der Rechtsanwalt Alfred Etscheid zu Faulhaber. Er ist Vertreter der katholischen Kirche in den Devisenschieber-Prozessen, die damals großes Aufsehen erregt haben, und die die katholische Kirche sehr schlecht dastehen ließen:
Es handelt sich um die Devisenprozesse. Stehen noch 60 bevor, in dieser Woche die Borromäerinnen sehr schlimm, er hat drei Generalvicare zu vertreten: Generalvicar Hildesheim, Sachsen und eventuell Breslau. Einer frei geworden gegen Caution. War in Rom, 19. März beim Heiligen Vater (der ihm sagte: Auch die nicht betroffenen Orden müssen solidarisch handeln). Hat mit Schacht persönlich gesprochen: Aufgrund des Unterwerfungsverfahrens die entzogenen Summen und dazu die gleiche Summe in Devisen als Buße. Er selber schätzt zuerst auf 12 Millionen, Schacht ließ berechnen und kam auf 2,5 Millionen. (...) Ich erkläre: Das deutsche Volk wegen dieser Sache dermaßen aufgepeitscht und erregt, daß es eine friedliche stille Reglung nicht hinnehmen wird. Am wenigsten die Blätter wie Schwarzes Korps, Durchbruch und Nordland und ähnliche und die scheinen eine große Macht gegenüber der Regierung: Also müßte die Regierung eine Erklärung bereit halten, und wenigstens übergangsweise noch einige Prozesse, die leichtere Fälle sind ... Er meint: Das Volk habe es satt und man möge sich halt die Leiden vorstellen. Ich: Das ist wahr, keine Beichte ... Ich erkläre Ja aus folgenden Gründen: 1) Eine legale Sache. Unterwerfungsverfahren. Mit Schacht alles vorbesprochen. Das gleiche auch sonst angewendet. 2) Der Führer muß natürlich gefragt werden und seine Zustimmung geben. Wenn er Nein sagt, gehen die weiteren Prozesse ihren Weg, ist nichts zu machen.
1936 - Hitler taktiert gegenüber der katholischen Kirche
Am 10. August 1936 notiert Faulhaber:
Generalvicarstellvertreter Neuhäusler: (...) Der Prozeß gegen Ludendorff wegen Gotteslästerung?
Es müßte noch einmal genauer recherchiert werden, worauf sich das bezieht oder bezogen haben könnte. Vielleicht auf Schriften wie Ludendorffs "Das große Entsetzen - Die Bibel nicht Gottes Wort!"
Am 4. November 1936 ist Faulhaber auf dem Obersalzberg. Es macht sich danach Notizen über ein sehr kontroverses Gespräch mit Hitler. In diesem kommt auch Ludendorff vor. Hitler erklärt, er habe sich von Ludendorff getrennt, weil seine Frau eine neue Religion haben wolle. Faulhaber beschwert sich, daß die "Deutsche Glaubensbewegung" gegen die Kirche und die christliche Religion hetzen würde. Hitler weist immer wieder darauf hin, daß er viele staatliche Untersuchungen gegen die Klöster (durch Reichsjustizminister Franz Gürtner) nieder geschlagen habe (womit er sich übrigens auch mitschuldig an katholischer Pädokriminalität gemacht hat) (GAj2011). Faulhaber referiert, was er Hitler dann vorträgt:
Drei Hindernisse: 1) Die Glaubensbewegung von Stuttgart. Er: Mit der haben wir nichts zu tun. Ich: Doch sie dürfen Versammlungen halten, Flugblätter verteilen, wir nicht. Eine furchtbare Sprache in den Versammlungen gegen das Christentum, gegen die Person Christi, die uns heilig ist. Im Theater „Der König reitet“.
Das bezieht sich auf die Uraufführung des Theaterstücks "Der König reitet" im Prinzregententheater in München am 22. Oktober 1936. Es handelt sich um ein Stück von Hildegunde Fritzi Anders (1904-1944) (Wiki). Mit dem "König" ist der "Bamberger Reiter" gemeint. Offenbar kommen in ihm Vertreter der Kirche nicht besonders sympathisch zur Darstellung. Faulhaber weiter:
Die Entchristlichung des öffentlichen Lebens. Entweder sie nicht oder wir auch. Wenn die Verständigung kommt: Werde ich das alles fällen, das wird den Frieden nicht stören. Wir haben mit dieser Bewegung nichts zu tun.
Hitler redet sich hier ganz klar heraus. Er wird selbst nicht geglaubt haben, was er hier sagt. Hitler sage, so Faulhaber ...
... Immer wieder: Entweder wir siegen mit der Kirche oder ohne die Kirche ...
Das ist im Grunde deutlich genug. Es ist so halb und halb eine Drohung. Hitler hat sich nicht zu jeder Zeit so aufbegehrend gegenüber der Kirche geäußert. Faulhaber erwidert:
Keine Kleinigkeit, wenn die Deutsche Glaubensbewegung über Christus, der uns Gottessohn und Heiland ist, so spricht. Das ist für uns ein fremder Mann, wir lehnen das Christentum in jeder Form ab. Das Christentum muß aus dem öffentlichen Leben verschwinden, Trennung von Kirche und Staat, die Fakultäten aus den Universitäten. Darauf: Herr Kardinal, ich sage ihnen, ich werde diese Deutsche Glaubensbewegung aus der Welt schaffen. Ich: Aber sie wird von der Partei unterstützt, sie darf Flugblätter austeilen, Versammlungen halten, was wir nicht dürfen. If: Kleinigkeit ja, im Vergleich mit dem Großen, aber es stört den Frieden.
Hitler steht hier im Grunde ziemlich erbärmlich da. Plötzlich will er die Deutsche Glaubensbewegung aus der Welt schaffen. Auch er selbst hat das alles nicht mehr voll im Griff. Er ist aber auch nicht wirklich willens, das wirklich in den Griff zu bekommen. Er braucht einerseits die Kirche, läßt andererseits aber auch die Gegenkräfte gegen die Kirche von der Leine und taktiert. Er taktiert, taktiert, taktiert. Er taktiert durchgehend auch gegenüber Faulhaber.
Am 10. November 1936 ist ein Privatdozent für Rechts- und Staatsphilosophie der Universität München bei ihm:
Professor Petraschek: (...) Vorlesungen sehr erschwert, wie scheint, an manchen Tagen nur ein Hörer. (...) Über die Unterredung sage ich im Vertrauen: Der Führer ist ein großer Staatsmann auf der großen Linie, kennt nicht das Kleine, das freilich für uns nicht immer Kleinigkeit ist, wie Glaubensbewegung. Aber daß er Rosenberg gewähren läßt? Für ihn kein Dogma oder sittlicher Gesichtspunkt, sondern was ist das liebe Volk. Er dankt für Vertrauen.
Eine noch deutlichere, solche Äußerung über Hitler sollte er ein Jahr später machen (siehe unten).
Am 13. Dezember 1936 führt Faulhaber ein Gespräch mit dem Reichspostminister Eltz-Rübenach. Dieseer sagt über Rosenbergs "Mythos des 20. Jahrhunderts" und die Nachfolgeschriften Rosenbergs:
Der Index habe das Buch von 50 auf 50 000 gebracht und die Studien auf 500 000, und dann habe er die Dunkelmänner geschrieben und sei auf 750 000 gekommen.
Also erst die Empörung in der katholischen Kirche habe den Schriften Rosenbergs einen so großen Erfolg beschert.
April 1937 - "Ludendorff darf sein Unwesen treiben"
Am 12. April 1937 notiert Faulhaber über ein Gespräch mit der Gräfin Elko von Schwerin, der Ehefrau des Friedrich Wilhelm Ludwig von Schwerin:
Darüber entsetzt, daß jetzt Ludendorff sein Unwesen treiben darf. - Ich vermute, mehr aus militärischen Gründen.
Faulhaber hat wieder den kommenden Krieg im Blick. Und er findet es fast gut, daß Ludendorff um dieses Krieges willen sein - weltanschauliches - "Unwesen" treiben darf.
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Abb. 6: Mathilde Ludendorff "Ein Blick in die Morallehre der katholischen Kirche" (1929) |
Etwa seine Schrift herausgeben darf "Die Bibel nicht Gottes Wort" oder Mathilde Ludendorffs Schrift "Ein Blick in die Morallehre der katholischen Kirche", auf die Faulhaber indirekt noch 1939 zu sprechen kommt (Abb. 6) (siehe gleich). Und vieles andere mehr. (Ein Überblick hier: Stgr2017.)
Tagebuch-Eintrag am 28. September 1937:
Licentiat Heinrich Garrelts, Superintendent und Domprediger Verden/Aller. (...) Will mir danken für die Adventspredigten, die bei ihnen viel gelesen wurden. (...) Ich: Wir haben seit der Reformation vielleicht nie so viel Grund gehabt, uns die Hände zu reichen, es geht um die Grundlagen eines jeden Christentums. Sie wollen uns den Glauben an unseren Heiland nehmen und an das Evangelium, Rosenberg in seinem neuen Buch: Das Christentum sei schon deshalb geadelt, weil Germanen an das Christentum geglaubt haben. Zu dumm: Gott soll sich bei uns bedanken, daß wir an ihn glauben, diese Verdrehung des Gottesbegriffs. In meinen Predigten die Hand gereicht.
Soll offenbar sagen: die Hand gereicht den Protestanten.
Beim Weggehen: (...) Er will sich im Sterben doch lieber von mir beistehen lassen als von einem Deutschen Christen. So viel Gotteslästerung und darum Strafgerichte.
Es wird oft nicht ganz deutlich, wer was gesagt hat. Aber man ist sich ja größtenteils einig. Und so wird der Besucher Faulhaber schon aus dem Herzen gesprochen haben, wenn es denn nicht Faulhaber selbst gesagt haben sollte: "So viel Gotteslästerung und darum Strafgerichte." Womöglich die Psychologie, die überhaupt - gewollter Maßen - hinter dem Dritten Reich steht.
Am 29. Oktober 1937 ist der Standortpfarrer von München bei Faulhaber:
16.00 Uhr Oberpfarrer Lang: (...) Ich erzähle von der Aussprache mit dem Führer: Wie lang, er erklärte sich, die Deutsche Glaubensbewegung unterdrücken zu wollen und Amnestie. Meine Antwort. (...) Ich: Ich hätte dem Führer immer die Stange gehalten. Er sei doch ein außergewöhnlich großes staatsmännisches Genie.
Man ist erstaunt zu erfahren, wie positiv Faulhaber über Adolf Hitler und über seine Aussprache mit diesem noch über ein Jahr später denkt. Das wird auch der Grund sein, weshalb er das neuerliche Hervortreten Ludendorffs so milde beurteilt.
1939 - Leise, leise, sonst schreibt Mathilde Ludendorff wieder gegen uns
Am 4. Januar 1939 fürchtet sich Kardinal Faulhaber immer noch vor der Aufklärung der Ludendorff-Bewegung. Und zwar diesmal vor der Aufklärung über den Heiligen Liguori und seine Liguori-Moral (s. Abb. 6). Er hat ein Gespräch mit dem Redemptoristenprovinzial:
Redemptoristenprovinzial. 1) „Antragsschreiben“, daß der heilige Alfons Patron der Beichtväter werde. Dafür eine Broschüre. Ich: a) Wenn nur dadurch nicht wieder der Kampf losgeht. Ludendorff ist gestorben, aber die Verehrer seiner Frau schreiben noch. b) Ob man nicht in einer neuen deutschen Ausgabe die übertriebene Casuistik einfacher machen könnte.
Es scheint fast so, als ob das Ehepaar Ludendorff damals als die einzigen ernsthaften und ernst zu nehmenden Kirchenkritiker wahrgenommen worden wären vom Kardinal Faulhaber. Jedenfalls glaubte man dann im Jahr 1950, also in der "Adenauer-Zeit", auch auf diese Ludendorff-Bewegung nicht mehr Rücksicht nehmen zu müssen. Da erhob der Papst nämlich den „heiligen Alfons“ tatsächlich - wie schon 1939 beantragt - zum Patron der Beichtväter und Moraltheologen (Wiki).*****)
1945 - Reumütige Rückkehrer in die Kirche
Am 1. August 1945 schreibt er in sein Tagebuch:
Mittwoch, 1. August 45. Pfarrer Eichner, Fischbachau, bittet um Audienz für Anton Büchting (Propagandist der ehemaligen Glaubensbewegung). Zur Zeit bei seiner Schwiegermutter, Hauptlehrer Hubing, in Großdingharting. Er hatte deren Tochter [ ... ] geheiratet, das Kind nicht getauft. Jetzt will er alles gut machen. Responsum: Warten bis es nahe bevor steht. Seine Frau und Kind an unser Suchbüro verwiesen. Eingabe an Ehegericht.
Die hier vorgenommene Zusammenstellung könnte womöglich noch an vielen Stellen erweitert werden durch weitere Zitate aus den Faulhaber-Tagebüchern. Sie könnte auch vielem gegenüber gestellt werden, was zeitgleich von Seiten der Gegner der klerikalen Bestrebungen, insbesondere von Seiten der Ludendorff-Bewegung vorgebracht worden ist. So etwa der Kampf der Ludendorff-Bewegung gegen die die Beschlagnahmungen von Büchern oder der Kampf gegen den Gotteslästerungs-Paragraphen (um nur weniges zu nennen).
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- Kritische Online-Edition der Tagebücher Michael Kardinal von Faulhabers (1911-1952). Tagebucheintrag vom 18. Februar 1923, EAM, NL Faulhaber 10008, S. 18,19. Verfügbar unter: https://faulhaber-edition.de/10008_1923-02-18_T01. Letzter Zugriff am 11.08.2025
- Cölestin Schwaighofer, in: Kritische Online-Edition der Tagebücher Michael Kardinal von Faulhabers (1911-1952). Verfügbar unter: https://faulhaber-edition.de/03015. Letzter Zugriff am 13.08.2025.
- Kritische Online-Edition der Tagebücher Michael Kardinal von Faulhabers (1911-1952). Persönliches zum Hitlerputsch (Gesprächsprotokoll/Persönliche Reflexion), EAM, NL Faulhaber 10058, Fol. 8r-9r. Verfügbar unter: https://faulhaber-edition.de/BB_10058_0008r. Letzter Zugriff am 11.08.2024
- Selbach, Hans-Ludwig, Katholische Kirche und französische Rheinlandpolitik nach dem Ersten Weltkrieg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, veröffentlicht 2016, abgerufen unter: https://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/katholische-kirche-und-franzoesische-rheinlandpolitik-nach-dem-ersten-weltkrieg/DE-2086/lido/57d135f30a99a1.51722996 (abgerufen am 12.08.2025)
- Mathilde Ludendorff: Angeklagt wegen Religionsvergehens. Ludendorff Volkswarte-Verlag, München 1930 (45 Seiten) (GB)