"Deutsche, wühlt in der Geschichte!" (Erich Ludendorff)

Samstag, 9. August 2025

"Die separatistische Bewegung des Hauses Wittelsbach" - 1923

Die Berichte des päpstlichen Nuntius in Bayern Eugenio Pacelli nach Rom
- Zur Vorgeschichte des 9. November 1923

Seit 2019 sind sie im frei Internet zugänglich: die Nuntiatur-Berichte des Kardinals Eugenio Pacelli (1876-1958) (Wiki) nach Rom aus den Jahren 1923 und 1924 (EdiPac). Sucht man in ihnen mit dem Suchwort "Ludendorff", wird erst deutlich, daß Erich Ludendorff in diesen eine nicht geringe Rolle spielte. Erich Ludendorff wurde von Seiten des Nuntius Pacelli tatsächlich als der Hauptgegner der katholischen Kirche im damaligen Bayern und im damaligen Deutschland wahrgenommen worden. Und zwar schon vor dem Hitler-Ludendorff-Putsch von 1923.

Abb. 1: Kirchenfürst Eugenio Pacelli, päpstlicher Gesandter in Deutschland, fotografiert um 1925 (MKGHamburg)

In der von Mathilde Ludendorff herausgegebenen Schrift über Erich Ludendorffs Blick auf den Nuntius Pacelli (1) erfährt man auch, daß, wie und warum Erich Ludendorff schon im Frühjahr 1923 von Seiten der katholisch-wittelsbacherischen Kräfte in Bayern so heftig bekämpft worden ist. Er war 1923 von München aus zu einem Besuch völkisch-nationaler Kräfte nach Klagenfurt in Kärnten gefahren (Stgr2025). Dort hatte man in ihm, weil er aus München kam, einen Vertreter der wittelsbachischen Politik gesehen und ihm gegenüber offen über Pläne gesprochen, Bayern vom übrigen Reich abzutrennen und mit Österreich zusammen zu schließen. Ludendorff hatte sich in Klagenfurt sofort in entschiedenem Maße gegen solche Pläne ausgesprochen und war dann gleich bei seiner Rückkehr nach München deshalb in der Presse scharf angegriffen worden (1, S. 22):

Nach meiner Rückkehr nach München erhob sich ein Sturm gegen mich in der schwarzen Presse Bayerns, namentlich in der Regensburgs, von wo aus er dann hinüberwehte in die Deutschlands, denn in dem Haß gegen mich, der mit der Furcht gepaart war, ich könne Einfluß in Deutschland gewinnen, waren sich alle Feinde des Deutschen Volkes nach wie vor einig. Jetzt bekam ich zu meinem Staunen zu lesen, ich hätte "mein Gastrecht" in Bayern mißbraucht, indem ich gegen das Haus Wittelsbach und Bayern gehetzt hätte.

Diese Ausführungen machen deutlich, warum wir auch schon in den Nuntiatur-Berichten Pacelli's von München nach Rom vor dem 9. November 1923 Ludendorff eine so große Rolle spielen sehen. Schon vor diesem Putsch hat man - nach diesen Berichten - Adolf Hitler andere Einstellungen gegenüber der katholischen Kirche zugeschrieben als Erich Ludendorff. Man hört durch die Berichte geradezu durch, daß die Erwartung bestanden hat, daß Erich Ludendorff bei der während des 9. November erwarteten blutigen Niederschlagung dieses Putsches gegebenenfalls ums Leben kommen könnte.

Abb. 2: Erich Ludendorff im Gespräch mit dem von ihm als "verschlagen" empfundenen Gustav von Kahr, Ministerpräsident, später Generalstaatskommissar von Bayern, sowie treuer Gefolgsmann Pacelli's - von Kahr fand 1923, daß sich Ludendorff zu sehr in die bayerische Politik einmischte - Hier beide auf den Bayerischen Flieger-Gedenktagen vom 19.-22. Mai 1921 (Wiki) in noch deutlich entspannterer Atmosphäre (Links von ihnen Fliegerhauptmann Franz Hailer und rechts der damalige Polizeipräsident Münchens Ernst Pöhner.)

Erich Ludendorff wurde dann aber endgültig zum Haßobjekt der katholischen Kirche und Pacelli's, als Faulhaber während des Hitler-Putsches mit haßerfüllten antikatholischen Demonstranten und Studenten in München zusammen stieß. Und mehr noch als schließlich wenige Monate später Erich Ludendorff seine "große" antiklerikale Verteidigungsrede im Hochverratsprozeß in München hielt, in der Zeugnisse dafür zusammen gestellt waren, daß die katholische Kirche seit 1914 bewußt an der Zerstörung des Bismarck-Reiches arbeiten würde. Pacelli bringt auf Nachfrage des Vatikans in Rom hin über Seiten hinweg Auszüge aus dieser Rede, für so wesentlich wurde sie gehalten. Die Regierungen in München und Berlin distanzierten sich beim Papst gegenüber dieser Rede und "entschuldigten" sich für diese.

Selbst im sozialdemokratischen "Vorwärts" wurde diese Rede als "Eselei" gekennzeichnet - zusammen mit dem gesamte Wirken Ludendorffs seit 1916. Pacelli zitiert das mit Genugtuung nach Rom. 

Aber der Reihe nach.

Die genannten Nuntiaturberichte sind schon seit 2003/06 der Forschung zugänglich. Sie wurden aber von Seiten der Forschung - soweit uns übersehbar - bislang so gut wie gar nicht ausgewertet. Eine beispielsweise 2007 erschienene, neue Biographie über Kronprinz Rupprecht von Bayern, die viele zuvor unbekannte oder wenig bekannte Perspektiven eröffnete, hatte keineswegs jene Eindeutigkeit, die bezüglich vieler ihrer Themen aus den Nuntiatur-Berichten des Pacelli klar hervor geht (s. Stgr2012). Vieles, was erst mit den 2019 online zur Verfügung gestellten Nuntiaturberichtetn klar wird, war in dieser Biographie so deutlich noch nicht sichtbar geworden. Um so wertvoller also, daß die Nuntiaturberichte 2019 online verfügbar gemacht wurden. Nun konnte man sich das offenbar erlauben. Nur noch "Fachleute" würden sich mit dem beschäftigen, was sie enthalten. Und die katholische Kirche hat im Jahr 2019 längst alle Ziele erreicht, um die in den Jahren 1923/24 so heftig gerungen worden ist: Insbesondere die Zerschlagung Preußens, die Bolschewisierung Ostdeutschlands, ja, sogar die Katholisierung und Entdeutschung eines Drittels des Territoriums des Deutschen Reiches von 1914.  

Abb. 3: Kronprinz Rupprecht von Bayern, ein treuer Gefolgsmann des Nunitus Pacelli - ihm war es nicht recht, daß Erich Ludendorff 1921 nach München umgezogen war - Hier im Gespräch mit Ludendorff, umgeben von den bayerischen Offizieren Hauptmann Siry, General Hemmer und Oberst Seisser - Auf dem "Trauer-Gedenktag" auf dem Königsplatz in München am 9. Oktober 1921 - An diesem Tag war der Kronprinz Rupprecht Ludendorff gegenüber "entgegenkommender als bisher" 

Wir lesen zunächst (UniMünster);

Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII. (1939-1958), ist eine der umstrittensten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Bereits als Nuntius in Deutschland von 1917 bis 1929 und dann als Kardinalstaatssekretär bis zu seiner Papstwahl am 2. März 1939 bestimmte er die vatikanische Politik maßgeblich mit. (...) Seit Februar 2003 beziehungsweise September 2006 sind in den vatikanischen Archiven die detaillierten Berichte zugänglich, die Pacelli als Gesandter des Heiligen Stuhls in München und Berlin Tag für Tag, manchmal sogar mehrmals täglich, nach Rom sandte. Seine Nuntiatur entwickelte sich in dieser Zeit zu einer Drehscheibe vatikanischer Europa- und Weltpolitik. Pacellis Schreiben eröffnen eine neue Perspektive auf die Entwicklung und die Rolle der katholischen Kirche in der Weimarer Republik, aber auch auf Politik und Alltagskultur dieser Jahre in Deutschland und Europa. Sie stellen das wichtigste zusammenhängende Quellenkorpus zum deutschen Katholizismus der Weimarer Zeit dar.

Wir stoßen auf diese Nunitaturberichte eher zufällig, weil wir in diesen finden, daß Nuntius Pacelli 1927 den Schwiegervater der erst kurz zuvor verheirateten Tochter Mathilde Ludendorffs (1926/27) ehrt. Durch diesen Umstand fällt einmal erneut ein völlig neues Licht auf die Geschichte der Tochter und des ältesten Enkelsohnes von Mathilde Ludendorff, zu der wir schon zuvor viele Anhaltspunkte für den Zeitgenossen verborgene jesuitische Einflußnahme festgestellt hatten (Stgr2025).

Aber diese jesutische Einflußnahme auf engste Familienangehörige Erich Ludendorffs ist ja nur eines von vielen Details in all dem, was sonst noch an Meinungen, Haltungen und Verhaltensweisen des Nuntius Pacelli in seinen Berichten Ludendorff gegenüber formuliert wird.

Nuntius Pacelli's Mitgefühl mit der Entente im Februar 1921

Am 5. Februar 1921 schreibt Pacelli (übersetzt aus dem Italienischen mit Google Übersetzer):

Deutschland befindet sich derzeit in einer äußerst kritischen Phase. Sobald die Beschlüsse der Pariser Konferenz bekannt wurden, erhob sich von allen Seiten ein heftiger, einstimmiger Protest gegen die dem deutschen Volk auferlegten „wahnsinnigen“, „unzulässigen“, „nicht durchführbaren“ und „tyrannischen“ Belastungen. Diese Empörung wurde, wenn auch natürlich in gemäßigterer Form, von Außenminister Simons wiederholt. In der Reichstagssitzung vom 2. Januar erklärte er, Deutschland sei zwar zu Verhandlungen bereit, könne die im Reparationsabkommen vorgesehene Vereinbarung jedoch nicht als mögliche Grundlage für neue Verhandlungen akzeptieren. Am folgenden Tag billigte und bekräftigte der Reichstag die Erklärungen des Ministers. Alle Parteien, mit Ausnahme der Kommunisten – die zudem aus revolutionärer Sicht die Auflagen der Entente ebenfalls ablehnen – erklärten, wie Präsident Löbe anmerkte, daß es unmöglich sei, diese Verpflichtungen zu übernehmen. Daher erklärte sogar der ehemalige Bundeskanzler Müller im Namen der sozialistischen Mehrheitsfraktion, daß keine deutsche Regierung bereit wäre, solche Vorschläge anzunehmen. Deutschland ist sich der Konsequenzen bewußt, denen es sich durch seine Ablehnung aussetzt, und der Sanktionen, die seine Feinde ihm auferlegen könnten; doch nach einer inzwischen berühmten Formel zieht es „ein Ende mit Schrecken einem Schrecken ohne Ende“ vor. Selbst die unabhängigen Sozialisten, die mit der Entente und insbesondere mit Frankreich verbündet waren, um die für die soziale Revolution notwendige Abrüstung zu erreichen, nahmen eine ablehnende Haltung gegenüber der Reparationsfrage ein. Seit dem 4. August 1914, so stellt die deutsche Presse mit Genugtuung fest, habe es im deutschen Volk nie wieder eine so vollkommene Einigkeit gegeben.
Die Beschlüsse der Pariser Konferenz umfassen bekanntlich zwei Teile: Reparationen und Abrüstung. Was die ersteren betrifft, so bekräftigt jeder in Deutschland die absolute Unmöglichkeit, die darin vorgesehenen enormen und phantastischen Zahlungen zu leisten, lehnt empört die lange Sklaverei ab, der selbst unschuldige zukünftige Generationen unterworfen bleiben würden, und prangert den wirtschaftlichen Ruin und die „Strangulation“ an, die diese Klauseln mit sich bringen würden. Was auch immer man von dieser angeblichen „Unmöglichkeit“ (über die es noch immer schwierig sein dürfte, ein sicheres Urteil zu fällen) halten mag.

Man halte fest: Pacelli spricht von "angeblicher Unmöglichkeit" und stellt sich damit in dieser Frage innerlich ziemlich eindeutig auf die Seite der Entente-Mächte und nicht auf die Seite des gesamten deutschen Volkes.

Abb. 4: Feier der Goldenen Hochzeit von Prinz Leopold und Prinzessin Gisela von Bayern zelebriert von Bischof Nuntius Pacelli - Links Kronprinz Rupprecht, rechts von Pacelli der Prinz Georg von Bayern, der katholischer Priester geworden war - Gemalt von Hermann Eißfeldt 1923 - Hermann Eißfeldt war Protestant, er hat später viele Porträts von Erich und Mathilde Ludendorff gemalt und deshalb Malaufträge von Seiten der Wittelsbacher und der Kirche verloren. 1929 beging er überraschend Selbstmord

Im weiteren erklärt er die Reparationsforderungen sogar für "verständlich". Genau das sollte ihm dann von Ludendorff in seiner großen Anklagerede vom 29. Februar 1924 zum Vorwurf gemacht werden (siehe unten). Pacelli erklärt die Reparationsforderungen für "verständlich, nicht jedoch die Abrüstungsforderungen, die auch die Einwohnerwehren Bayerns treffen würden, die das treukatholische Bayern bislang vor dem Kommunismus bewahrt hatten:

Trotz der Forderungen der Interalliierten Konferenz, die die französische Kammer als unzureichendes Minimum kritisierte, ist es dennoch verständlich, daß die Ententemächte, insbesondere diejenigen mit besonders schwierigen öffentlichen Finanzen, von den Besiegten Reparationen fordern, die, insbesondere in Frankreich, zum Wiederaufbau der vom Krieg verwüsteten Provinzen verwendet werden müssen. Weniger verständlich sind dagegen die Forderungen nach Abrüstung im Hinblick auf die Organisationen, die (angesichts der unbestreitbaren Unzulänglichkeit der Reichswehr mit nur noch 100.000 Mann, die Deutschland noch geblieben waren) die öffentliche Ordnung schützen sollen, woran die Entente selbst, wenn sie Reparationen erhalten will, ein höchstes Interesse haben muß. Abrüstung mag in der Tat gerechtfertigt und vernünftig erscheinen, da sie die Besiegten daran hindert, erneut zu den Waffen zu greifen. Nun ist es offensichtlich, daß Deutschland in seiner gegenwärtigen Lage militärisch absolut unfähig ist, die Entente anzugreifen. Was könnte beispielsweise die Bayerische Einwohnerwehr tun, selbst wenn man zugibt, daß sie aus dreihunderttausend Mann besteht (Herr Ministerpräsident von Kahr behauptet, es seien nur zweihunderttausend), viele von ihnen ältere Menschen, die nur mit Gewehren bewaffnet sind, gegen Frankreich, das über beeindruckende Stellungen am Rhein und eine äußerst schlagkräftige Armee verfügt, die mit den mächtigsten und modernsten Angriffsmitteln ausgestattet ist? Es erscheint daher unnötig hart, unter strengen Sanktionen die Entwaffnung und Auflösung dieser Einwohnerwehr zu fordern, die nach dem sehr traurigen bolschewistischen Experiment vom April/Mai 1919 in Bayern gegen alle Angriffe von rechts und links die Ruhe bewahrt hat.

"Unnötig hart". Hart also darf es schon sein. Die Reparationen dürfen "hart" sein, die Abrüstung darf "hart" sein. Aber letztere soll "nicht unnötig hart" sein. Der angeblich so "deutschfreundliche" Nuntius Pacelli. Wenn solche Worte im Jahr 1921 öffentlich bekannt geworden wären, hätte sich das deutsche Volk in großer Einigkeit gegen diesen Nuntius gestellt. Es hätte ihn als jemanden wahrgenommen, der auf Seiten der ehemaligen Feindmächte steht und Politik macht. Pacelli schrieb weiter in Verteidigung der bayerischen Einwohnerwehr dieses treukatholischen Landes:

Dies ist so wahr, daß dieses katholische Land, das in der ersten Zeit nach der Revolution aufgrund der Einmischung ausländischer Elemente das unruhigste und turbulenteste in ganz Deutschland war, heute zu einem Musterbeispiel an Ordnung und Arbeit geworden ist. Warum sollte man sie durch den Verlust ihrer Organisation der (von vielen hier als sicher bezeichneten) Gefahr eines Rückfalls in Anarchie und Chaos aussetzen? Es wurde gesagt (und das inoffizielle ... hat dies wiederholt behauptet), daß die bayerische Einwohnerwehr eine monarchische Restauration anstrebt, während die Entente ein Interesse daran hat, daß sich die von den linken Parteien vertretenen republikanischen und demokratischen Tendenzen in Deutschland entwickeln. Die Wahrheit ist jedoch, daß derzeit in Bayern kein ernsthafter Mensch an eine Wiederherstellung der Monarchie denkt. Im Gegenteil, die loyalsten Monarchisten sind auch die stärksten Gegner einer solchen Idee, sowohl weil die Proklamation der Monarchie weiterhin lebhafte Unruhen in den radikalen Parteien hervorrufen und das Land sehr wahrscheinlich in einen Bürgerkrieg und die Monarchie selbst in den endgültigen Ruin führen würde, als auch weil sie den König nicht den enormen Schwierigkeiten aussetzen wollen, mit denen das Land derzeit zu kämpfen hat. Die Rückkehr der Monarchie muß daher nach Ansicht ihrer Anhänger günstigeren Zeiten überlassen werden und eine spontane Folge des Volkswillens sein.

Man spürt, wie sehr Pacelli innerlich auf Seiten der katholischen Wittelsbacher steht und für sie denkt und fühlt.

Abb. 5: "Vorwärts", 1. März 1924 (DtDigBibl)

Etwas später schreibt er von "beklagenswerten Unvorsichtigkeiten":

Es läßt sich sicherlich nicht leugnen, daß in Bayern viele beklagenswerte Unvorsichtigkeiten begangen wurden und immer noch begangen werden. Unter ihnen müssen wir uns als Beispiel an das berühmte Landesfestschießen vom Sonntag, dem 26. September letzten Jahres erinnern, bei dem etwa vierzigtausend Mitglieder der Einwohnerwehr aus allen Teilen Bayerns (unter den wachsamen Augen der Vertreter der Entente) inmitten der Begeisterung der Bevölkerung durch die Straßen Münchens zogen, in geordneten Zügen, mit Gewehren bewaffnet und mit dem äußeren Anschein einer militärischen Organisation. Auch die Anwesenheit von General Ludendorff, der in der Nähe der bayerischen Hauptstadt lebt und bei Versammlungen auftritt, wo er herzlichen Beifall erhält, weckt innerhalb der Entente tiefstes Mißtrauen. Dennoch bleibt unbestreitbar, daß die Einwohnerwehr eine im Wesentlichen antikommunistische Organisation ist und für die Entente selbst keine wirkliche Bedrohung darstellen kann.

Man spürt, daß das "tiefste Mißtrauen" der Entente auch das Mißtrauen des Eugenio Pacelli selbst ist. Er erwartet schon zu diesem Zeitpunkt offenbar nichts Gutes von Ludendorff, obwohl er sich zu diesem Zeitpunkt, wenn wir es recht übersehen, noch gar nicht gegen irgendwelche separatistischen Pläne gestellt hatte.

"Ludendorff behindert die separatistische Bewegung des Hauses Wittelsbach" - September 1923

Zweieinhalb Jahre später scheint die Zeit zur Wiederherstellung der Monarchie schon bedeutend näher gekommen zu sein - nach Nuntius Pacelli. Am 10. September 1923 schreibt er nach Rom zunächst von den separatistischen Bestrebungen im Rheinland (Wiki), in deren Zusammenhang auch der dortige Oberkatholik und Oberbürgermeister von Bonn Konrad Adenauer eine - nach 1945 beschwiegene - bedeutende Rolle spielte: 

Immer hartnäckigere Gerüchte über eine durch Gold und französischen Druck begünstigte bevorstehende Loslösung der Rheinländer vom übrigen Deutschland haben bei vielen hierzulande die Überzeugung verbreitet, daß das Reich zum Zusammenbruch und Zerfall verurteilt sei, und haben daher die separatistische Idee hervorgebracht, mit der verbunden ist der Plan zur Wiederherstellung der Monarchie.

Daß das auch in Bayern durch Gold und französischen Druck begünstigt würde, erwähnt Pacelli nicht. Dieser Umstand war aber schon in den Prozessen gegen den Hochverräter Hubert Freiherr von Leoprechting (1897-1940) (Wiki) im Juli 1922 und im Prozeß gegen Georg Fuchs und Hugo Machhaus (1889-1923) (Wiki) im Juni 1923 bekannt geworden.*) Diese beiden Prozesse haben auch für die Erkenntnisgewinnung Ludendorffs eine große Rolle gespielt und waren Mitveranlassung für seine Beteiligung am Hitler-Putsch (2, 4).

Abb. 6: "Ludendorffs Warnung - Seine Rede vor dem Volksgericht München am 29. Februar 1924" (Deutscher Volksverlag E. Boepple München 1924)

Pacelli weiter: 

Herr von Kahr, ehemaliger Ministerpräsident Bayerns und jetzt Regierungspräsident von Oberbayern, zu dem auch München gehört, eine immer noch sehr einflußreiche Persönlichkeit, auf die die konservativen und monarchistischen Elemente in Bayern besonders zählen, besuchte mich gestern und sprach ohne Zögern mit mir darüber. Die bayerische Bevölkerung, sagte er, die mehrheitlich ihrem König (wie er Prinz Rupprecht während des Gesprächs zweifellos immer nannte) sehr verbunden sei, wolle die Monarchie und habe, obwohl sie sich als Deutsche fühle, nicht mehr die Absicht, von Berlin aus regiert zu werden. Die Wiederherstellung werde schwere Konflikte mit den sozialistischen Elementen mit sich bringen, besonders in einigen Zentren Nordbayerns; aber die Reichswehr sei loyal und die patriotischen Organisationen seien stark genug, um sich ihnen zu stellen. Herr von Kahr spielte auch auf die Idee einer Vereinigung Bayerns mit Österreich an, die man sich nach der Trennung erhoffe.

Genau das, was hier geäußert wird, hat Erich Ludendorff in all seinen Stellungnahmen zum Hitler-Ludendorff-Putsch vom November 1923 als gegeben unterstellt und als den Hauptgrund für seine Teilnahme an diesem Putsch genannt, und zwar, um genau diesen Separatismus zu verhindern. Bis heute wird genau dieser Separatismus als Hintergrund-Geschehen zum 9. November 1923 fast nirgendwo in den Geschichtsdarstellungen und Geschichtsbüchern zum 9. November 1923 auch nur ansatzweise erwähnt, geschweige denn ausreichend dargestellt. Mit diesem "wichtigsten zusammenhängenden Quellenkorpus zum deutschen Katholizismus der Weimarer Zeit" sollte dieser Aspekt wohl doch einmal wieder etwas deutlicher in das Sichtfeld rücken können. In dem Bericht heißt es weiter:   

Er (von Kahr) fügte hinzu, daß über die Haltung des Heiligen Stuhls die seltsamsten und widersprüchlichsten Gerüchte im Umlauf seien: Schon früher hieß es, er sei für eine Trennung, ...

holla die Waldfee - da haben wir es ja. Und von Kahr weiter: 

... jetzt behaupten einige stattdessen, er strebe vielmehr die Einheit des Reiches an. Ich erwiderte, daß beide Behauptungen gleichermaßen unbegründet seien, da es die unerschütterliche Maxime des Heiligen Stuhls sei, sich aus rein politischen Fragen herauszuhalten.

Zu diesen Worten wird von Kahr selbst innerlich geschmunzelt haben. Die ganze Offenheit, die hier von Kahr gegenüber dem Nuntius Pacelli bezüglich seine Pläne an den Tag legt, macht deutlich, daß er mit der vollen Zustimmung des Heiligen Stuhls und des Nuntius Pacelli gegenüber seinen Plänen zu allen Zeiten rechnete. Selbst wenn der Heilige Stuhl "in Worten" andere Haltungen vertreten würde, konnte er doch allein an der Offenheit, in der er mit Pacelli über diese Themen sprechen konnte, erkennen, daß er sich der Sympathien des Heiligen Stuhls sicher sein konnte. 

Abb. 7: "Die politischen Hintergründe des 9. November 1923 - Die Rede General Ludendorffs vor dem Volksgericht in München 1924" (Ludendorffs Verlag, München 1934)

Das wird in dem folgenden Absatz noch viel deutlicher: 

Die separatistische und restaurative Bewegung des Hauses Wittelsbach wird durch verschiedene in Bayern wirkende preußische Elemente, auch von rechts, etwas behindert, insbesondere durch Ludendorff, der sich (so von Kahr) übermäßig in die bayerischen Angelegenheiten einmische und die Leitung übernehmen möchte, während diese dem König obliegt. Am vergangenen Samstagabend hielt der König auf der Tagung des Nationalverbandes Deutscher Offiziere in München eine Rede (siehe Anhang), in der jedes Wort sorgfältig abgewogen war – wie Herr von Kahr bekräftigte - und in der er die Führungshaltung kritisierte, die Ludendorff einnehmen möchte, ohne ihn namentlich zu nennen. 

Es wird also schon hier klar benannt, wodurch "die separatistische Bewegung des Hauses Wittelsbach" behindert wird: "insbesondere durch Ludendorff".

Im September 1923 fand die hier erwähnte Tagung des Landesverbandes des Nationalverbandes Deutscher Offiziere in München statt. Bei dieser trat Kronprinz Rupprecht als Schirmherr auf und Hindenburg, der gerade in Bayern Urlaub machte, sandte Grüße. 

Dieser Nationalverband Deutscher Offiziere wurde also schon zu diesem Zeitpunkt unterschwellig in Frontstellung gebracht gegenüber Ludendorff. Diese Frontstellung gegen Ludendorff von Seiten des Nationalverbandes Deutscher Offiziere sollte im Jahr 1924 noch deutlicher zutage kommen. 

Es wird hier im übrigen auch deutlich, wie sehr aufeinander abgestimmt das Handeln von Kahrs und des Kronprinzen Rupprecht aufeinander war und wie offen darüber zum dritten gegenüber dem Nuntius Pacelli gesprochen werden konnte. Letzteres war nur möglich, weil man sich seiner Zustimmung und Sympathie sicher war, für die es natürlich auch sonst die reichsten Zeugnisse gibt. 

Wir lesen weiter:

Wenn sich Bayern tatsächlich abspalten und andererseits eine vom Reich unabhängige Rheinisch-Westfälische Republik errichtet würde, würde Letzteres – wenn es als solches fortbestehen sollte – fast ausschließlich aus protestantischen und größtenteils bolschewistischen Bevölkerungsgruppen bestehen, was die Lage der katholischen Kirche in diesen Ländern sehr schwierig machen würde.

Das war das einzige oder das wesentliche Problem, das Pacelli angesichts solcher künftig erwarteter Entwicklungen, bzw. Pläne hatte. Ansonsten hatte er recht wenig Probleme mit diesen Plänen. Man hört womöglich sogar heraus, daß es gar nicht das Schlechteste sein brauchte, die protestantischen, preußischen, ketzerischen Landesteile Deutschlands dem Bolschewismus anheim fallen zu lassen. (Was ja dann 1945 auch geschehen sollte, noch zu jener Zeit, in der Pacelli Papst sein sollte - und unter ausdrücklicher Zustimmung und Befürwortung des Kardinals Spellman in den USA in seinen Gesprächen mit Roosevelt.)

Hitler steht in "Ehrerbietung" von Kahr gegenüber - Ludendorff nicht - Oktober 1923

Ließen die bislang zitierten Berichte schon so gut wie keine Wünsche mehr offen an Deutlichkdeit, wird es womöglich noch spannender in dem Bericht vom 3. Oktober 1923. Denn hier kommt Pacelli nun auf die Rolle zu sprechen, die Adolf Hitler in diesen Plänen spielte:

Hochwürdigste Eminenz,

heute Morgen hat mich der Generalstaatskommissar in Bayern, Herr von Kahr, besucht. Er wiederholte mir gegenüber, wie schwer die Verantwortung auf ihm lastet und wie schmerzlich es für ihn ist, gegen die rechtsradikalen Elemente, die Nationalsozialisten, kämpfen zu müssen, mit denen er sich trotz ihrer Exzesse letztlich durch gemeinsame Ideale verbunden fühlt. Hitler hat ihm seine Ehrerbietung und persönliche Ergebenheit zum Ausdruck gebracht, und Kahr zweifelt nicht daran, mit ihm und seinen Anhängern zu einer Verständigung zu gelangen, was jedoch im Falle von General Ludendorff unmöglich erscheint. Darüber hinaus verfügt er über die Kraft, seine Autorität durchzusetzen; die Reichswehr (bekräftigte er) steht ihm in Bayern bis zum letzten Mann treu zur Seite.

Dieses Zitat macht die gesamte Situation am Vorabend des 9. November klar. Wenn also von Kahr, von Lossow und von Seisser in der Nacht vom 8. auf den 9. November 1923 sich vom Putsch Adolf Hitlers distanzierten, dann  nicht, weil für sie eine Zusammenarbeit mit Adolf Hitler ein Problem dargestellt hätte. Das einzige Problem war die "unmögliche" Zusammenarbeit mit Erich Ludendorff. Mit Hitler hätte man wittelsbacherischen Separatismus betreiben können - nicht aber mit Ludendorff. 

Auch in Rom kam ja die katholische Kirche mit dem Diktator Mussolini ganz gut zurecht. Dasselbe konnte man sich also schon vor dem Hitler-Ludendorff-Putsch auch mit Hitler vorstellen - wenn eben in diesen völkischen Kreisen dieser Ludendorff nicht so viel Einfluß haben würde. Und damit ist hier auch schon der Hauptgrund erkennbar, warum sich Hitler ab 1924 von Ludendorff distanzierte. Hitler wollte schon vor dem Putsch vom 9. November 1923 - so wie Mussolini - mit der katholischen Kirche an die Macht kommen, nicht gegen sie.

Das, was Bayern und das Rheinland damals von Italien unterschied, waren die engen staatlichen und wirtschaftlichen Verbindungen mit dem protestantischen Preußen und damit auch mit einer deutlich kritischeren Haltung in bürgerlichen Kreisen gegenüber der katholischen Kirche als es es eine solche im zeitgleichen Italien gab. Es ist klar, daß aus diesen Gründen die katholische Kirche in Deutschland und Bayern anders vorgehen mußte als in Italien.

"Nicht ohne Blutvergießen" - 9. November 1923

Am 9. November 1923 sendet Pacelli folgendes Telegramm nach Rom:

Gestern Abend erklärte Hitler, begleitet von bewaffneten Banden, die bayerische Regierung für zusammengebrochen, verhaftete den bisherigen Ministerpräsidenten und einen weiteren Minister und rief eine neue deutsch-nationale Regierung mit Ludendorf an der Spitze der Armee aus. Generalkommissar Kahr schloß sich, soweit ich weiß, der Bewegung offenbar zunächst nur an, um freie Hand zu bekommen und um Gegenmaßnahmen ergreifen zu können; man geht davon aus, daß er in Kürze wieder in sein Amt eingesetzt wird, aber wahrscheinlich nicht ohne Blutvergießen.
Pacelli

Angesichts der engen und offenen Verbindungen zwischen Pacelli und von Kahr kann man aus diesen Zeilen nur herauslesen, daß Pacelli "aus dem Nähkästchen" plaudert. Und er rechnet mit Blutvergießen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als ob das, was in diesem Satz enthalten ist:

Kahr schloß sich, soweit ich weiß, der Bewegung offenbar zunächst nur an, um freie Hand zu bekommen und um Gegenmaßnahmen ergreifen zu können,

schon vorher genau so geplant gewesen ist. Auch der Tagebuch-Eintrag von Faulhaber weist in diese Richtung, wenn er festhält:

Es ist gut, daß der antikatholische Charakter der Bewegung rechtzeitig an den Tag kam.

Vielleicht hatte man dann aber doch nicht mit der Vehemenz der antiklerikalen Stimmung in München und Bayern nach dem 9. November gerechnet. Noch am 9. November 1923 telegrafiert Pacelli erneut nach Rom:

Die Lage ist weiterhin kritisch. Nationalisten hetzen die Münchner Bevölkerung gegen den Klerus auf, insbesondere gegen den Kardinalerzbischof.

Am 14. November 1923 - nach "Niederschlagung" des Putsches - berichtet Pacelli nach Rom:

Eure Eminenz,
die Einzelheiten des nationalistischen Aufstands, der München in den letzten Tagen erschüttert hat (...), sind Eurer Eminenz inzwischen aus der italienischen Presse bekannt; daher brauche ich sie in diesem respektvollen Bericht nicht zu wiederholen. Zu einem Punkt, auf den ich bereits (...) hingewiesen habe, halte ich es jedoch für angebracht, Eurer Eminenz einige weitere Einzelheiten mitzuteilen: nämlich die antikatholischen Demonstrationen, die den Aufstand selbst begleiteten, die jedoch diejenigen, die die Veröffentlichungen rechtsradikaler Zeitungen wie des Völkischen Beobachters und des Heimatlandes verfolgt hatten, nicht überraschten.
Dieser Charakter zeigte sich vor allem in den systematischen Hetzkampagnen gegen den katholischen Klerus, mit denen die Anhänger Hitlers und Ludendorffs, insbesondere in öffentlichen Reden, die Bevölkerung aufhetzten und den Klerus so Beleidigungen und Spott aussetzten. Ihre Angriffe richteten sich jedoch insbesondere gegen diesen gelehrten und eifrigen Kardinalerzbischof, der in einer Predigt im Dom am 4. dieses Monats und in seinem Brief an den Reichskanzler, der von der Agentur Wolff am 7. dieses Monats veröffentlicht wurde, die Judenverfolgung verurteilt hatte. Hinzu kam das unbegründete und absurde Gerücht, das wahrscheinlich absichtlich in der Stadt verbreitet wurde und Seine Eminenz beschuldigte, die Meinung von Herrn von Kahr geändert zu haben. Wie allgemein bekannt ist, hatte er, während er zunächst im Bürgerbräukeller den Staatsstreich Hitler-Ludendorffs scheinbar unterstützt hatte, um Gewalt zu vermeiden, sich später dagegen ausgesprochen. – So kam es, daß während der Unruhen am vergangenen Samstagnachmittag eine große Gruppe von Demonstranten vor dem erzbischöflichen Palais marschierte und „Nieder mit dem Kardinal!“ rief. Glücklicherweise war Seine Eminenz nicht in München, da er an diesem Tag zur Weihe einer neuen Kirche in einem Ort in der Nähe von Mühldorf aufgebrochen war. Als er jedoch am folgenden Abend mit seinem Auto zurückkehrte, wurde er einer ähnlichen feindseligen Demonstration ausgesetzt. Diese antikatholischen Gefühle zeigten sich auch in den tumultartigen Studentenversammlungen, die vorgestern an der Universität stattfanden und an denen sich auch zwielichtige Elemente von außerhalb der Universität (und sogar aus Bayern selbst) beteiligten, was den Rektor schließlich dazu zwang, die Universität bis auf Weiteres zu schließen. Sogar an der Universität selbst, die in jüngster Zeit wiederholt Gegenstand der wohltätigen Fürsorge und Großzügigkeit des Heiligen Vaters gegenüber den Studenten war, gab es Aufschreie gegen den Papst, gegen den Erzbischof, gegen die katholische Kirche, gegen den Klerus, gegen die Jesuiten, gegen die „Weiße Internationale“ und gegen Herrn von Kahr, der, obwohl Protestant, von einem der Redner zum Ehrenmitglied der Gesellschaft Jesu ernannt wurde. Ich lege einen Artikel bei, der heute im Bayerischen Kurier erschienen ist und in dem diese bedauerlichen Ereignisse geschildert und gewürdigt werden.

Kühl, sachlich und nüchtern berichtet Pacelli diese Dinge nach Rom. Er berichtet also, es bestehe die unbegründete Vermutung ("das unbegründete und absurde Gerücht"), das Umschwenken von Kahr's sei unter dem Einfluß von Faulhaber geschehen. Bei der Offenheit, mit der sich von Kahr zuvor gegenüber Pacelli geäußert hatte, möchte man auch als nachlebender Historiker es nicht als unwahrscheinlich erachten, daß sich von Kahr bei diesem Umschwenken - wenn es nicht sowieso von vornherein so geplant gewesen war, so doch der Zustimmung des führenden Klerus in München sicher war, bzw. sicher sein konnte.

Ludendorffs Rede vor dem Volksgerichtshof in München - 29. Februar 1924

Ludendorffs Verteidigungsrede vor dem Volksgerichtshof ließ dann erneut die antikatholische Stimmung in Bayern hochgehen, wogegen sich die gesamte katholische Presse einmütig gewandt habe. Sie findet sich auch in Ludendorffs Lebenserinnerungen vollständig abgedruckt (3, S. 269ff). Pacelli's Bericht vom 3. März 1924 über sie lautet:

General Ludendorffs Angriffe auf den Heiligen Stuhl
Eure Eminenz,
im derzeit in München laufenden Prozeß nach dem nationalistischen Aufstand vom vergangenen November (...) machte General Ludendorff, einer der Angeklagten, in seiner Verteidigungsrede tendenziöse, wenn auch unbegründete Angriffe nicht nur auf die Deutsche Zentrumspartei und die Bayerische Volkspartei, sondern auch auf die Jesuiten, den Klerus, Seine Eminenz Kardinal Faulhaber und den Heiligen Stuhl selbst. Er warf ihm vor, eine deutschlandfeindliche Politik verfolgt zu haben und weiterhin zu verfolgen. Eure Eminenz, anbei finden Sie den Text der Rede selbst, wiedergegeben aus dem Bayerischen Kurier (Anlage I) und den Münchner Neueren Nachrichten (Anlage II). Sie ist ein charakteristisches Symptom des anhaltenden und blinden Fanatismus des intoleranten Protestantismus, der durch seinen eigenen Niedergang und das wachsende Ansehen des Papsttums verärgert ist.
Die katholischen Zeitungen haben es nicht versäumt, Ludendorffs Verleumdungen energisch zurückzuweisen, wie Eure Eminenz beispielsweise der ebenfalls hier beigefügten Ausgabe des Bayerischen Kuriers (Anlage III) entnehmen wird, in der bereits zwei Artikel veröffentlicht wurden, der erste von Baron von Cramer-Klett (Anlage II) und der zweite von der Redaktion der Zeitung selbst („Der Kampf gegen Rom“). Die inoffizielle Hoffmann-Korrespondenz hob die unermüdliche Nächstenliebe des Heiligen Vaters gegenüber den Bedürftigen in Deutschland hervor, mit einer Erklärung, die ebenfalls in der oben genannten Ausgabe des Bayerischen Kuriers wiedergegeben wurde. Eine ganze Reihe von Artikeln gegen Ludendorff erschienen nicht nur in der katholischen Presse, die zu Recht empört war, sondern auch - aus anderen Perspektiven - in nicht-nationalistischen Zeitungen im Allgemeinen. So widmete beispielsweise der sozialistische Vorwärts (Nr. 104) der Rede des Generals folgende ironische Bemerkungen: „Ludendorff versteht etwas von Strategie; wie viel, darüber streiten sich die Fachgelehrten. In der Politik ist er ein Esel von Gottes Gnaden. Eine Eselei war die Unterschätzung Amerikas, eine Eselei war das Eintreten für Eroberungsziele in einem Krieg, der höchstens durch ein Wunder als Verteidigungskrieg gewonnen werden konnte, eine Eselei war seine Flucht nach Schweden, eine Eselei war seine Rolle im Kapp-Putsch, eine Eselei war seine Rolle im Hitler-Putsch, eine Eselei war auch seine gestrige Rede.“

Auch Pacelli also schätzt die Situation so ein, daß im Jahr 1923 das Ansehen des Papstes in der Welt und in Deutschland "zunehmen" würde. Er meint genauer: Die Machtstellung des Papstes in der Welt und in Deutschland. Die hier zitierte Ausgabe des "Vorwärts" vom 1. März 1924 ist im Internet verfügbar (DtDigBibl) (Abb. 5). Pacelli registriert sozusagen mit Genugtuung, daß der "Vorwärts", der ansonsten auch selbst eher antiklerikal eingestellt war, sich in dieser Angelegenheit quasi "solidarisch" zeigt mit der katholischen Kirche. 

Der zitierte Leitartikel auf der ersten Seite des Vorwärts (Abb. 5) ist offenbar namentlich nicht gekennzeichnet, ist außerordentlich polemisch und geht auf die Inhalte von Ludendorffs Rede so gut wie gar nicht ein. Er will seine Leser offenbar davon "schützen", Sympathien für den Antiklerikalismus Ludendorffs zu entwickeln, der ja nun auch unter damaligen Sozialdemokraten weit verbreitet war. Pacelli weiter:

Heute Morgen besuchte mich Baron von Stengel, Ministerialrat im Auswärtigen Amt. Er wurde von Staatsrat Schmelzle (Vertreter des Ministerpräsidenten, derzeit abwesend in München) beauftragt, mir zu erklären, wie schmerzhaft diese Angriffe auf den Heiligen Stuhl für die bayerische Regierung waren. Er sagte, die bayerische Regierung sei sich der nicht nur korrekten, sondern auch wohlwollenden und freundlichen Haltung des Heiligen Stuhls gegenüber Deutschland während und nach dem Krieg durchaus bewußt und schätze diese. Die Regierung, fügte er hinzu, trage keine Verantwortung für die Aussagen einer Privatperson und erst recht eines Nicht-Bayern wie des oben genannten Generals. Ich fragte Herrn Baron, ob die Regierung beabsichtige, eine öffentliche (inoffizielle) Stellungnahme zu dieser Angelegenheit abzugeben, und er antwortete, die Angelegenheit sei geprüft worden, es bestehe jedoch die Sorge, daß angesichts des laufenden Prozesses eine solche Stellungnahme (die, wenn sie nicht ins Detail ginge, wirkungslos wäre) einerseits Ludendorff einen Vorwand für neue unangenehme Angriffe und andererseits wahrscheinlich Frankreich einen Vorwand für erneute Vorwürfe der Germanophilie gegen den Heiligen Stuhl bieten könnte.

Die Verteidigungsrede Ludendorffs schlägt so hohe Wellen, daß der Vatikan Pacelli um eine ausführliche Berichterstattung bittet. Am 10. April 1924 schreibt Pacelli:

Ich erfülle meine Pflicht und übersende hiermit Eurer Eminenz sowohl die oben erwähnte Rede von General Ludendorff in ihrem authentischen Text als auch einige Zeitungen, in denen hauptsächlich die absurden Anschuldigungen gegen den Heiligen Stuhl wegen seiner Haltung während und nach dem Krieg wiedergegeben werden. Sie lassen sich im Wesentlichen auf Folgendes reduzieren:
1) Während des Krieges verhielt sich der Vatikan nicht neutral, sondern feindlich gegenüber Deutschland und wohlwollend gegenüber Frankreich (Rede von General Ludendorff, Seite 14).
2) Pius X. hat laut einem Telegramm des  Freiherrn von Ritter, des bayerischen Ministers beim Heiligen Stuhl, Österreich zum Krieg gegen Serbien angestiftet.
3.) Beim Konsistorium vom 4. Dezember 1916 wurden sieben italienische und drei französische Kardinäle kreiert, jedoch keiner der deutschsprachigen, während die Erhebung der Inhaber der drei historischen Bischofssitze Breslau, Salzburg und Prag in den Purpurorden erwartet wurde. Der Heilige Vater erklärte, er wolle damit ein Zeichen seines Wohlwollens gegenüber Frankreich geben, und fügte den Wunsch hinzu: „Utinam renoventur gesta Dei per Francos!“ ("Mögen die Taten Gottes durch die Franken erneuert werden." ( Osservatore Rom., Nr. 338, 7. Dezember 1916).
Als die Ehrwürdigen Faulhaber und Schulte im Jahr 1921 zu Kardinälen ernannt wurden, bezeichnete Seine Heiligkeit sie vor allem als „Priester der römischen Kirche “ (Osservatore Rom. Nr. 58 vom 10. März 1921), während bei der Ernennung der französischen Kardinäle nie etwas Vergleichbares gesagt wurde.
4.) Benedikt XV. hat sich nie gegen die Entente-Mächte ausgesprochen, sondern immer gegen Deutschland (zum Beispiel indem er die Besetzung Belgiens verurteilte).
5.) Der Heilige Stuhl hat die Hungerblockade nicht verurteilt, in dessen Folge während und nach dem Krieg alte Menschen, Frauen und Kinder umkamen.
6.) Herr  von Stein, ehemaliger Kriegsminister Deutschlands, berichtet in seinem Buch „Erlebnisse und Betrachtungen aus der Zeit des Weltkrieges“, Leipzig 1919, daß der Heilige Stuhl sich oft im Namen der Franzosen, Italiener und sogar der Engländer und Amerikaner an die deutsche Regierung gewandt hat, während ihm keine besondere Intervention zugunsten der Deutschen bekannt ist.
7.) Seine Eminenzen Kardinal Gasparri in dem Brief vom 10. September 1917 an den hochwürdigsten Bischof von Valence – der als maßgebliche Interpretation der Päpstlichen Note für den Frieden bezeichnet wurde – und dann in einem weiteren an den hochwürdigsten Erzbischof von Sens, bekräftigte, daß die oben genannte Note zugunsten Belgiens und Frankreichs ausfiel. Dasselbe wurde in noch stärkeren Worten von Civiltà Cattolica (4. Mai 1918) wiederholt.
8.) L'Osservatore Romano Nr. 138 (17.968) vom 24. Mai 1919 erklärte, daß „das Vorgehen des Heiligen Stuhls während des Krieges stets zugunsten der Entente-Mächte und insbesondere Belgiens, Italiens und Frankreichs erfolgte“.
9.) Benedikt XV. bedauerte es, Franzose nur von Herzen zu sein und fuhr dann fort: "In diesem Wunsche und in diesem Gelöbnis ist der Franzose dem Herzen nach mit dem Franzosen von Geburt einig, um Frankreich die Vermehrung seines Ruhmes und seines Glückes zu wünschen." ("Benedict coeur, est telle, qu'en ce jour Nous faisons notre la joie ressentie par les français de naissance ..... Nous changes qu'on en fasse aussi part à celui qui sans être ne en France, veut être appelé l'ami de la France".) (L'Osservatore Romano N. 97 (17929) vom 7. April 1919). London behauptete 1921, den deutschen Einfluß im Vatikan zerstört zu haben.
(...) (?)
12.) Benedikt XV. nannte Frankreich in seiner Rede vom 14. August 1921 die „Mutter der Heiligen“ (L'Osservatore Romano Nr. 193 vom 15.-17. August 1921).
13.) Seine Heiligkeit Pius XI. verurteilte nicht die ungerechte Invasion des Ruhrgebiets, sondern die legitime Verteidigung der Deutschen durch Sabotageakte.
14.) Der Papst selbst stachelte in seiner Ansprache vom 23. Mai 1923 die Katholiken Deutschlands zur „Gegenreformation“ an. Dies ist die tendenziöse Interpretation, die die Großdeutsche Zeitung den Worten gibt: „...vel ex illa Germania catholica, quae lugendum ab Ecclesia Romana discidium, abhine quatuor saeculis factum, studio tam acri, tamque solid et apta vitae christianae disciplina, in medio ipso furore belli compensatovit, atque etiam in praesenti diskrimine.“ compensatot“ (Osservatore Rom. N. 118 vom 24. Mai 1923). (Deutsch: „... oder von jenem katholischen Deutschland, das die bedauerliche Trennung von der römischen Kirche, die vor vier Jahrhunderten stattfand, durch ein so scharfsinniges, so solides und der Disziplin des christlichen Lebens angemessenes Streben kompensierte, mitten in der Wut des Krieges und sogar in der gegenwärtigen Zwietracht.“
Darf ich zur Ergänzung des oben Gesagten hinzufügen, daß das nationalistische Organ „Großdeutsche Zeitung“ in seinen Angriffen gegen den Heiligen Stuhl auch Folgendes veröffentlichte:
Einer italienischen Zeitung zufolge habe ich „die kompromißlose Politik Frankreichs in der Reparationsfrage im Jahr 1920 unterstützt“. – Der Bayerische Kurier hat bereits in Nr. 94 vom 3. dieses Monats geantwortet, daß sich der Nuntius nie in politische Angelegenheiten eingemischt habe, die ihn nichts angingen, und daher auch nicht in solche Reparationsfragen.
In Anbetracht all dessen erscheint es, was Deutschland betrifft, höchst angemessen, die päpstlichen Akten zu veröffentlichen, auf die Eure Eminenz in dem respektvollen verschlüsselten Telegramm Nr. 85 anspielte, das mich heute Morgen erreichte, obwohl es meiner untergeordneten Meinung nach im vorliegenden Fall weniger ratsam wäre, sie in den bereits erwähnten Stimmen der Zeit, herausgegeben von den Vätern der Gesellschaft Jesu, zu veröffentlichen, da dies in der Öffentlichkeit Mißtrauen erregen und daher die erwartete Wirkung weniger weitreichend und wirksam machen könnte. Es ist für mich nicht leicht zu beurteilen, welche Auswirkungen eine solche Veröffentlichung in den Entente-Ländern, insbesondere in Frankreich, haben könnte.

Wir hatten schon oben gesehen, daß Pacelli tatsächlich in seinen eigenen Berichten nach Rom die "kompromißlose Politik Frankreichs in der Reparationsfrage unterstützt" hat, daß er "Verständnis" für sie hatte. 

Abb. 8: "Der Nationalverband Deutscher Offiziere in Selbstbeleuchtung!" - Eine Schrift Erich Ludendorffs von 1924/25

Das Jahr 1924 durchzieht dann im weiteren die Auseinandersetzung zwischen dem Kronprinzen Rupprecht von Bayern und Erich Ludendorff, weil letzterer ersteren unmittelbar nach dem 9. November 1923 in einem Interview als mitverantwortlich bezeichnet hatte für das Scheitern des Putsches. Dies faßte der Kronprinz als eine Ehrensache auf. Verschiedene Vermittlungsversuche zwischen beiden scheiterten, was wesentlich dazu beitrug, daß Ludendorff unter den "oberen Zehntausend" Deutschlands für Jahre hinweg nicht mehr so gelitten sein sollte wie er es zuvor gewesen war.

Dabei steht es heute sogar ausdrücklich auf Wikipedia (Wiki):

Trotz einigen Versuchen, ihn (den Kronprinzen Rupprecht) durch Ernst Röhm mit dem Versprechen einer Wiederherstellung der Monarchie zu gewinnen, wurde Rupprecht nie dazu verleitet, sich der NSDAP anzuschließen. Er half vielmehr, Gustav von Kahr davon zu überzeugen, Hitler während des Putsches 1923 nicht zu unterstützen.

Die Internetseite pacelli-edition.de war zwischen 9. und 17. August 2025 nicht zugänglich. Seither kann der vorliegende Beitrag noch nach und nach weiter vervollständigt werden. - Gleichzeitig mit diesem Aufsatz erscheint ein Video, in dem die Inhalte dieses Aufsatzes in Videoform referiert werden (siehe: Yt2025).

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*) Machhaus war Hauptschriftleiter des "Völkischen Beobachters". Es ist hochinteressant, wie sein Wirken von Historikern eingeschätzt wird (Wiki): "Die Finanzierung von Machhaus’ Aktivitäten in den Jahren 1922 und 1923 und seine Verbindungen zum Hitler-Kreis gaben in späteren Jahren, so bei dem frühen Hitler-Biographen Konrad Heiden, wiederholt Anlaß zu Vermutungen, daß Machhaus in diesen Jahren als eine Art Verbindungsmann der NSDAP nach Frankreich fungiert haben könnte und daß er der NSDAP in ihrer Frühphase verdeckte finanzielle Unterstützungen durch den französischen Staat vermittelt habe, der durch eine Stärkung der radikalen Partei zu einer Destabilisierung des deutschen Staates habe beitragen wollen. Heiden verweist auf Mitteilungen, die er erlangt habe, daß französische Regierungsstellen der NSDAP über 8 oder 9 Zwischenstellen, die sich insbesondere im Saarland befunden hätten, Gelder hätten zukommen lassen. Heiden hält das Szenario einer bewußten Tätigkeit Hitlers für die Franzosen jedoch für äußerst unwahrscheinlich: Stattdessen stellt er die ihm als plausibler erscheinenden Möglichkeiten in den Raum, daß Machhaus der NSDAP französische Gelder vermittelt habe, ohne daß Hitler als geschworener Franzosenfeind von der Herkunft derselben gewußt habe (sondern hierüber getäuscht geworden sei) bzw. daß Hitler hiervon schließlich erfahren habe und Machhaus deswegen verstoßen habe. Auch Heiden bezweifelte, daß Machhaus' Tod ein authentischer Suizid gewesen war. Dies begründete er damit, daß Machhaus sich nach seinen Informationen in seiner Zelle mit seinem Hosengurt erhängt habe, was aber insofern verwunderlich sei, als es normalerweise üblich sei, Gefangenen anläßlich ihrer Inhaftnahme Gürtel und ähnliches abzunehmen. Dementsprechend hält er es für naheliegend, daß bei Machhaus’ „sonderbarem“ Suizid nachgeholfen worden ist."

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  1. Ludendorff, Mathilde (Hg.): General und Kardinal. Ludendorff über die Politik des neuen Papstes Pius XII. (Pacelli) 1917 - 1937. Zusammengestellt und herausgegeben von Mathilde Ludendorff. Ludendorffs Verlag, München 1939 (Heft 1 des "Laufenden Schriftbezuges 8") (Archiv)
  2. Ludendorff, Erich: Vom Feldherrn zum Weltrevolutionär und Wegbereiter Deutscher Volksschöpfung. Ludendorffs Verlag, München 1941 (Archiv)
  3. Ludendorff, General: Auf dem Weg zur Feldherrnhalle. Lebenserinnerungen an die Zeit des 9. 11. 1923 mit Dokumenten in 5 Anlagen. Ludendorffs Verlag, München 1937 (1. - 54. Tsd.) (156 S.) (ScribdArchiv, als Hörbuch); mit Dokumenten in 6 Anlagen. 1938 (55. - 64. Tsd.) (174 S.) (GB) (die schwerer erhältliche, ergänzte 6. Anlage). Faksimile-Druck der Ausgabe von 1937 in: Archiv-Edition, Verlag für ganzheitliche Forschung, Viöl 1996
  4. Ludendorff, Erich: Ludendorffs Warnung. Seine Rede vor dem Volksgericht München am 29. Februar 1924. Deutscher Volksverlag E. Boepple, München 1924 (Folge 2 der Reihe "Flugschriften der völkischen Bewegung") (67 Seiten); erneut Ludendorffs Verlag, München 1934
  5. von Kemnitz, Mathilde: Der göttliche Sinn der völkischen Bewegung. Festrede anläßlich der Geburtstagsfeier Ludendorffs in Prinz-Ludwigshöhe im April 1924. (pdf)

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