Freitag, 20. November 2015

Erich Ludendorff auf "Deutschen Tagen" 1923 bis 1925

Nürnberg - Marburg - Siegen - Weimar - Münster - Aue/Erzgebirge

Der Blogartikel "Einhunderttausend Deutsche auf dem Deutschen Tag in Halle" (Stud. gen. 2011) ist erweiter worden. Deshalb wurde für bislang darin enthaltene Ausführungen zu anderen "Deutschen Tagen" dieser neue Blogartikel erstellt und dieser mit bislang unveröffentlichten Ausführungen zu diesem Thema ergänzt.

Abb. 1: "Deutscher Tag, 2. Sept. 1923"
(Herkunft: Ebay, 4/2016)

Als völkischer Politiker, Reichstagsabgeordneter und "nationaler Heros" nahm Erich Ludendorff in den Jahren 1923 bis 1925 an zahlreichen sogenannten "Deutschen Tagen" teil. Diese "Deutschen Tage" (WikiHLB) gehen zurück auf eine Idee des völkischen Literaturhistorikers Adolf Bartels. Sie sollten eine machtvolle "Heerschau" oder Demonstration völkischer und nationaler Vereinigungen und Verbände sein. Der erste "Deutsche Tag" wurde 1913 in Eisenach abgehalten. Weitere folgten 1920 in Weimar, 1921 in Detmold, 1922 in Coburg, 1923 in Nürnberg und Bayreuth.

An dem genannten in Nürnberg hat Erich Ludendorff teilgenommen. Dieser fand am 1. und 2. September 1923 statt, also zwei Monate vor dem Hitler-Ludendorff-Putsch vom 9. November 1923. Schon dieser Umstand macht die Brisanz solcher "Deutscher Tage" in der damaligen Zeit deutlich.

Abb. 2: Aufmarsch der Teilnehmer zum Deutschen Tag in Nürnberg, 2. September 1923
(Herkunft: Historisches Lexikon Bayerns)

Zu dem "Deutschen Tag" in Nürnberg  kamen 100.000 Teilnehmer (WikiFoto) (s.a. 2, S. 320; 3, S. 209, 224).

September 1923 - "Deutscher Tag" in Nürnberg

Eine Fotografie zeigt Ludendorff beim Abschreiten einer Front von angetretenen paramilitärischen Einheiten zusammen mit dem Prinzen Ludwig Ferdinand von Bayern und zwei Admirälen (einer davon Ludwig von Schröder?).

Abb. 3: Deutscher Tag in Nürnberg (Wiki), 2. September 1923 - "General Ludendorff schreitet die Front der Hakenkreuzler ab." (Fotograf: Georg Pahl)

Wohl ein Teilnehmer schrieb in seinem Tagebuch zum 2. September 1923 (GB) über ...

... den zweiten Redner, den katholischen Geistlichen Kaplan Roth, einen Führer in der deutschnationalen und völkischen Bewegung. Der Redner vergleicht die heutige Zeit mit einem Vulkan, auf dem das deutsche Volk wohne und der mit dumpfen Grollen neue Gefahren verkünde. Die völkische Frage sei brennend geworden und lasse sich nicht mehr hinausschieben. Christliche Nächstenliebe sei nicht dazu da, daß wir dabei zugrunde gingen -
Tausende und aber Tausende von Männern und Frauen und Kindern bildeten Spalier auf den Straßen und füllten als Neugierige die Fenster. Überall Festesstimmung und Begeisterung. Mädchen und Frauen an den Fenstern und auf den Straßen hielten Körbchen mit Blumen, um damit die Helden des Tages zu überschütten. Die Ungeduld steigerte sich von Minute zu Minute. Musik klingt in der Ferne. Und schon werden die mit Blumen, Fahnen und Wimpeln geschmückten Autos mit den Ehrengästen sichtbar, die dem Zuge voraus zum Hauptmarkt fuhren, wo die Aufstellung der Ehrengäste zur Abnahme der großen Heerschau vorbereitet war. Ich sah u. a. Ludendorff und den Kronprinzen Rupprecht nebst dem bayerischen Erbprinzen, Hitler, von Bothmer, von Hutier usw. Sie alle wurden mit Blumen überschüttet, der Jubel und die Freude wollten kein Ende nehmen. Den eigentlichen Zug leiteten starke Abteilungen der in Galauniform erschienen Landespolizei ein. Dann folgten die Vertretungen des Deutschen Offizierbundes, die Abordnungen der Kriegervereine, darunter auch die Regimentsoffiziere bis zum General hinauf, hierauf die zum Befreiungskampf entschlossenen Mannen. Weiterhin die Studentenverbindungen aus München, Erlangen, Würzburg usw. in vollem Wichs, dann folgten die nationalen Verbände: Reichsflagge, Frankenland, Wiking, Blücher, Bayern und Reich, Ober- und Unterland, Nationalsozialisten und andere.
- In der Festhalle im Luitpoldhain sprachen Kronprinz Rupprecht, Ludendorff und Admiral Scheer vor etwa 100- bis 150tausend Menschen. Die Begeisterung läßt sich nicht schildern, die "Heil"-Rufe wollen nicht enden! Auf einmal große Bewegung. Es kommt wieder Leben in die Massen. Hitler besteigt das Rednerpult, stürmisch und unaufhaltsam von Hunderttausenden begrüßt. Er spricht von deutscher Kraft und Einigkeit. Unvergeßlich ist mir ein Satz aus seiner Rede: "Jeder müsse entschlossen sein, dem anderen das Gesetz der Vaterlandsliebe aufzuzwingen!"
- Ein beträchtlicher Teil der Festteilnehmer aber wanderte in langen Zügen zur Burg hinauf, um noch die Beleuchtung der Burg mitzumachen. Majestätisch ragte dieses deutsche Wahrzeichen in hellem Feuerschein empor, mahnend und warnend zugleich. "Deutschland, Deutschland über alles", so sangen Hunderttausende in die Nacht hinein. Sie schickten ihren Treuschwur zum Himmel in der festen Hoffnung, dass unser guter alter Gott uns bald aus dem Sklavenjoch befreien möge! Still und ernst schritt ich durch die engen Gassen der alten, schönen Stadt nach meinem Heim. Gedanken und Vorsätze stürmten auf mich ein (...), als mich eine Hand auf die Schulter klopfte. (...) Wir drückten uns stumm die Hände. Es war der stille Schwur zur Arbeit fürs Vaterland! Ehe wir uns trennten, erzählte er mir noch eine selbsterlebte Begebenheit von der Feier der "Reichsflagge" im Kulturverein Nürnberg. Dort überreichte der Vorsitzende des Kulturvereins dem General Ludendorff im Namen der Bevölkerung Nürnbergs einen herrlichen Blumenstrauß mit der Versicherung, daß man die Nichtbeflaggung der städtischen Gebäude anläßlich des Deutschen Tages niemals vergessen werde. Auch die Umbenennung des Hindenburg-Platzes in Rathenau-Platz werde unvergessen bleiben.

Auch Erich Ludendorff selbst schreibt in seinen Lebenserinnerungen über diesen "Deutschen Tag".

Abb. 4: Der Deutsche Tag in Nürnberg, 2.9.1923 (Fotograf: Georg Pahl)

 Er schreibt eine Spur kühler. Aber nur eine Spur (3, S. 238):

Zunächst äußerte sich der Deutsche Freiheitwille in dem Elende der Inflation, der Schmach der Besetzung des Ruhrgebietes und des Abbaues des passiven Widerstandes in den sogenannten "Deutschen Tagen". Diese waren natürlich ein Widersinn. Jeder Tag hätte für uns Deutsche ein Deutscher Tag sein müssen, aber so weit hatten sich Millionen Deutsche schon von ihrem Volkstum entfernt, daß tatsächlich in Deutschland Deutsche Tage am Platze waren. Zurückschauend freue ich mich des Deutschen Erlebens jener Tage, in denen die Deutsche Volksseele aus dem Rasseerbgut im Unterbewußtsein wieder in das Bewußtsein stieg und die Deutschen doch wenigstens wieder zu echter Begeisterung befähigte, wenn sie natürlich auch in ihren Zielen recht unklar waren und vor allem den Ernst nicht begriffen, den diese Bewegung zu geben hatte.
Der Deutsche Tag in Nürnberg am 1. und 2. September 1923 brachte tatsächlich Deutsche Tage. Die völkischen Kampfverbände: die "Reichsflagge", der Bund "Oberland", die Sturmabteilungen der NSDAP. waren in großer Stärke erschienen, daneben beteiligten sich auch Krieger- und andere Vereine und Tausende von Deutschen, die keinem Verbande angehörten. Es waren ungetrübte Feierstunden, nur bezeichnend war es, daß ein römischer Priester nicht im Ornat bei dem Feldgottesdienst sprechen konnte, der natürlich für die damalige Zeit unvermeidlich war. Es sprach ein römischer Priester, Pfarrer Roth, im schwarzen Rock. Ich habe diesen Priester persönlich schätzen gelernt, obschon er sich nicht von dem Zwange seiner Kirche freimachen konnte. Es sprach natürlich auch ein evangelischer Pastor. So war es üblich. Auch mir war damals der Gedanke noch nicht gekommen, daß mit christlichen Kirchen ein Deutscher Freiheitkampf nicht zu führen ist. So mußte ich denn auch diese Reden über mich ergehen lassen. Meine Augen aber beobachteten während dieser Zeit einen Adler, der hoch in blauer Luft über dem Festplatz kreiste und dann langsam nach Westen zog. 

Diese Worte über den Adler decken sich erstaunlicherweise fast wortgleich mit Worten und Gedanken in Ansprachen, die einen Tag zuvor, am 31. August 1923 - nicht von Ludendorff - auf dem "Fliegergedenktag" auf der Wasserkuppe in der Rhön gehalten wurden, an dem Ludendorff ebenfalls mit Hunderttausenden von Menschen teilnahm als prominentester Teilnehmer zusammen mit dem flugbegeisterten Admiral Prinz Heinrich von Preußen (4).

Abb. 5: Erich Ludendorff und Adolf Hitler, Deutscher tag in Nürnberg, 2. September 1923

Diese "Fliegergedenktage", an denen Ludendorff 1921 auch in München zusammen mit Gustav von Kahr teilgenommen hatte (siehe ein früherer Beitrag), erwähnt Ludendorff aber in seinen Lebenserinnerungen, soweit übersehbar, nicht. Vielmehr scheint sich Ludendorff schon 1926 an diesen in Nürnberg kreisenden Adler (womöglich irrtümlich) erinnert zu haben. Heißt es doch in einer Stellungnahme dieser Zeitung zu dem für dieses Jahr 1926 geplanten "Deutschen Tag" in Nürnberg unter der Schirmherrschaft des Kronprinzen Rupprecht (Deutsche Wochenschau vom 1. August 1926):

Es gab einmal einen "Deutschen Tag" in Nürnberg, der war am 2. September 1923; der Adler in den Wolken, der nach Westen zog, gab dem Tage das Gepräge. Kronprinz Rupprecht war nicht erschienen, der Tag war ihm zu völkisch. General Ludendorff und Hitler standen im Mittelpunkt der Feier; vor allem wurde Ludendorff stürmisch begrüßt und gefeiert. Das war zugleich das Signal für Rupprecht, gegen ihn Stellung zu nehmen, wie das wenige Tage darauf im N. D. O. in München erfolgte.

Tenor der Stellungnahme ist, daß General Ludendorff für 1926 nicht geladen worden wäre und deshalb auch alle seine Anhänger von diesem "Deutschen Tag" 1926 fernbleiben würden und sollten. Es scheint doch sehr wahrscheinlich, daß diese Stellungnahme von Ludendorff selbst verfaßt worden ist.

Abb. 6: Deutscher Tag in Nürnberg, 2. September 1923

Ludendorff schreibt jedenfalls in seinen Lebenserinnerungen über den Deutschen Tag in Nürnberg im Jahr 1923 weiter:

Nach der Versammlung fand ein Vorbeimarsch der Verbände statt. Prinz Ludwig Ferdinand von Bayern, Herr Hitler und ich nahmen ihn ab. Hieran schloß sich eine Fahrt im Kraftwagen durch die geschmückten Straßen Nürnbergs, ein Sturm der Begeisterung umbrauste mich. Vielleicht sahen viele der Anwesenden nicht gern, wie ich durch die Teilnehmer des Festtages in den Mittelpunkt der Feier gestellt wurde, sie ließen einmal ihr Deutsches Blut sprechen, statt Weisungen der überstaatlichen Gewalten zu folgen. Ich besuchte auch die Veranstaltung der "Reichsflagge", des Bundes "Oberland" und der NSDAP., wo mich Herr Streicher begrüßte. Überall wurde ich in gleicher Weise gefeiert. In der gemeinsamen Veranstaltung hielt ich nachstehende Ansprache.

Kernsätze dieser längeren Ansprache sollen im folgenden zitiert werden.  

Abb. 7: Wohl auf dem Deutschen Tag in Nürnberg am 2. September 1923 (Fotograf: Georg Pahl)

Sie sollen einen Eindruck davon geben, welche Gedanken Ludendorff mit sich trug als Teilnehmer jener Veranstaltungen und auf jenen Fotos, die es von damals von ihm gibt:

Die völkische Bewegung ist eine Volksbewegung. Sie eint und schafft ein Volk von Brüdern mit starker Staatsgesinnung. Sie wird bekämpft, weil sie selbstlos ist, von selbstsüchtigen Widersachern. Um sich durchzusetzen, muß die völkische Bewegung stark und kraftvoll sein, sie muß herrschen wollen. Deutsch sind wir geboren, und als Deutsche wollen wir leben. (...)
Das ist die große Aufgabe des Deutschen Volkes in der Welt: ihr und sich selbst Deutsche Art und damit die höchsten Tugenden zu erhalten. Verlieren wir diese große, erhabene Aufgabe nie aus den Augen, auch nicht in unserer Not und in unserem Elend. Haben wir kein hohes sittliches Ziel mehr auf der Welt, so haben wir auch keine Berechtigung zu leben, und sind reif für den Untergang. Das Deutsche Volk aber soll leben, weil es für sich und die Völker der Erde die Pflicht hat zu leben.

Der "Deutsche Tag" in Halle im Mai 1924 war dann der letzte bedeutende der sogenannten "Deutschen Tage". 

Mai bis August 1924 - "Deutsche Tage" in Halle, Marburg, Siegen und Weimar

Ihm ist ein eigener Beitrag hier auf dem Blog gewidmet. Erich Ludendorff nahm zwei Wochen nach diesem auch noch an einem "Deutschen Tag" in Marburg (25. bis 30. Mai 1924) teil (3, S. 305; 4) (der auf dem deutschen Wikipedia-Artikel derzeit gar nicht erwähnt ist). Er war vor allem von Studentenverbindungen getragen (3, S. 340f). In der Reichstagswahl vom 6. Mai 1924 (6, S. 35) ...

... hatte der „Völkisch-Soziale Block“ mit den Spitzenkandidaten Ludendorff und Hitler in Marburg 17,7% der Stimmen bekommen.

Mitte Juni 1924 nahm Ludendorff an einem "Deutschen Tag" in Siegen teil (3, S. 342).

Die Tagung der "Nationalsozialistischen Freiheitspartei" vom 15. bis 17. August 1924 in Weimar war ebenfalls mit einem "Deutschen Tag" verbunden. An ihr nahmen sowohl Erich Ludendorff wie auch seine spätere Frau Mathilde, damalige von Kemnitz, teil (3, S. 304, 321, 348-352).

September 1924 - "Deutscher Tag" in Münster

Am 14. September 1924 nahm Erich Ludendorff an einem "Deutschen Tag" in Münster teil. Dieser stand unter der Leitung des vormaligen Weltkriegsteilnehmers und Freikorpsführers Franz Pfeffer von Salomon (1888-1968) (Wiki). Derselbe sollte später für eine Zeit lang der Führer der SA werden. Er hatte Erich Ludendorff vormittags auf dem Bahnhof in Münster mit einer Ehrenkompagnie begrüßt und geleitete ihn in die Stadt zu einem Mittagsmahl (2010):

Das Programm sah folgende Punkte vor: Empfang am Bahnhof, Autofahrt über den Prinzipalmarkt, Mittagessen im Nobelhotel Fürstenhof (das spätere Kino am Marienplatz), Vereidigung von Studenten als SA-Trupp in einer städtischen Schulturnhalle.

Darüber hieß es in einem internen Polizeibericht (1, S. 15):

Der General Ludendorff, dessen Besuch den Vaterländischen Verbänden galt, traf vormittags 10.15 Uhr mittels Eisenbahnzuges hier ein. (...) Hauptmann a.D. Pfeffer von Salomon geleitete Ludendorff zu dem vor dem Bahnhof bereitstehenden Auto. Als Ludendorff den Bahnhofsvorplatz betrat, wurde von einem Teil der dort anwesenden Personen (im ganzen etwa 500) "Heil, Heil" gerufen. Ein anwesender Mann rief: "Da bist Du ja, Du Massenmörder" und streckte die Hand nach ihm aus, ohne ihn zu treffen. Er konnte ihn auch nicht treffen, weil er zu weit entfernt war. Ludendorff fuhr dann über Bahnhofsstraße, Salzstraße, Prinzipalmarkt, Ludgeristraße zum Fürstenhof. (...) Im Fürstenhof hat ein Mittagsmahl von 250 Gedecken stattgefunden.

Weiter heißt es in diesem damaligen Polizeibericht (1, S. 15, 16, 18):

Etwa gegen 4 Uhr nachmittags betrat Ludendorff die Stadthalle unter Zurufen der dort Anwesenden "Heil, Heil". Die Stadthalle war voll besetzt, jedoch waren die Gänge frei. (...) Von seiten Ludendorffs wurden 8 bis 10 Banner geweiht. In seiner Ansprache hob er ausdrücklich hervor, dass es Pflicht eines jeden sei, treu zum deutschen Vaterlande zu halten. (...) Anwesend waren auch 4 Fahnenabordnungen hiesiger Studentenverbindungen. Schluss der Versammlung 5 Uhr nachmittags.
Gegen 6 Uhr (...) wurden diese Organisationen in der Turnhalle von dem Hauptmann von Pfeffer auf Ludendorff vereidigt. (..) "Ich schwöre dem Führer Ludendorff Treue". (...) Ludendorff betonte, dass man sich unbedingt auf die Verbände müsse verlassen können. Wem es in denselben nicht passe, der solle lieber austreten. 
Die auswärtigen Verbände wie Rheine, Osnabrück und mehrere Städte des neu besetzten Gebietes stellten den weitaus größten Teil der Teilnehmer.

Und weiter:

Der Andrang zu der Versammlung war außerordentlich groß. (...) Die Anfahrt des Hochschulringes (...) erfolgte in etwa 8 Wagen, die mit Chargierten der einzelnen Korporationen besetzt waren. (...) Bei der Ankunft von Exzellenz Ludendorff an der Stadthalle wurde er von anscheinend bestellten Angehörigen der kommunistischen Partei mit "Bluthund", "Nieder mit dem Krieg" und ähnlichen Ausdrücken empfangen, worauf anwesende Nationalsozialisten mit ihren Stöcken auf die vorgenannten Personen einschlugen und diese schleunigst das Weite suchten. Der Vorfall hat sich so schnell erledigt, dass ein weiteres Eingreifen nicht notwendig war.

Vier Monate später heißt es in einem internen Polizeibericht in Münster (1, S. 19f):

Eine Völkisch-National-sozialistische Organisation, die als Opposition gegen die Richtung Ludendorff-von Gräfe anzusprechen ist, besteht hier nicht. Die hier existierende National-sozialistische Freiheitsbewegung vertritt die Richtung Ludendorff.
Vor dem Ludendorff-Tag in Münster am 14.9.1924 bildeten der Westfalentreubund und der Stahlhelm einen Bestandteil des Völkisch-sozialen Blockes. Diese Organisationen nahmen geschlossen an den Ludendorff-Veranstaltungen nicht teil und haben sich seitdem von der völkischen Bewegung losgesagt. Die Nationalsozialistische Freiheitsbewegung ist die Nachfolgerin des Völkisch-Sozialen Blockes.

Und in einem Polizeibericht vom 18. April 1925 (1, S. 20):

Ein "Schlageter-Jugendbund" ist hier vor einigen Wochen gegründet worden. (...) Der Vorsitzende ist ein Hauptmann a.D. Stiefelhagen, hier wohnhaft. Zweck und Ziel dieses Bundes sind dieselben wie die der Nat.Soz.-Freiheitsbewegung. Er vertritt die Richtung Ludendorff. 

Inhalte der Rede Ludendorffs in Münster wurde einen Tag später auch von einer internationalen Presseagentur verbreitet.

Abb. 8: Internationaler Pressebericht über Ludendorff in Münster, September 1924

Darin heißt es (eig. Übersetz.):

Ludendorff, Führer der faschistischen Partei in Deutschland, stellte heute in einer Rede in Münster, wo tausende von Nationalisten versammelt waren, eine neue Version von Deutschlands Kriegsschuld vor: "Das deutsche Volk als Ganzes war nicht schuld am Ausbruch des Krieges," sagte Ludendorff, "aber es gibt Männer, die einen Anteil an der Schuld haben. Es sind dies jene Führer, die es 1912 unterließen, jene Rekruten einzuziehen, die von der Armee gefordert worden waren." 

Erich Ludendorff war ja 1912 die treibende Kraft der Heeresreform gewesen und wurde um dessentwillen Anfang 1913 strafversetzt nach Düsseldorf. So ein kleiner Ausschnitt aus dem politischen Wirken Ludendorffs in den Jahren 1923 und 1924. 

1925 - "Deutscher Tag" in Aue/Erzgebirge

Aber es folgten offenbar noch zahlreiche kleinerer solcher "Deutscher Tage".

Abb. 9: "Etwa 1925" Ort, Zeit und Anlass sind nicht genannt (- möglicherweise Deutscher Tag in Aue/Erzgebirge?)

1925 nahm Erich Ludendorff an einem "Deutschen Tag" in Aue im Erzgebirge teil (3, S. 321, 352). Auf einem dieser Tage könnte das Foto aus Abb. 2 gemacht worden sein. Als Erich Ludendorff ein Jahr später, am 1. April 1926 an einer Bismarckfeier in Chemnitz teilnahm, zu er auch viele Anhänger aus Aue gereist kamen, sagte er dort (Deutsche Wochenschau, 11.4.1926):

Ich habe mich gefreut, auch meine Freunde aus Aue hier begrüßen zu können, gerade ihnen möchte ich sagen, wie gern ich zurückdenke an die Tage dort im vorigen Jahre.
_______________________________________________________
  1. Meldungen aus Münster 1924 - 1944. Geheime und vertrauliche Berichte von Polizei, Gestapo, NSDAP und ihren Gliederungen, staatlicher Verwaltung, Gerichtsbarkeit und Wehrmacht über die politische und gesellschaftliche Situation in Münster. Eingeleitet und bearbeitet von Joachim Kuropka. Verlag Regensberg Münster
  2. Ludendorff, Mathilde (Hg.): Erich Ludendorff - Sein Wesen und Schaffen. Ludendorffs Verlag, München 1938, nach S. 352
  3. Ludendorff, Erich: Vom Feldherrn zum Weltrevolutionär und Wegbereiter Deutscher Volksschöpfung. Meine Lebenserinnerungen von 1919 bis 1925. Ludendorffs Verlag GmbH, München 1941 (12. - 16. Tsd.)
  4. Zirlewagen, Marc: "Bekenntnis für den deutschen nationalen Gedanken." Ludendorffs Besuch der Deutschen Tage in Marburg im Mai 1924, in: "Einst und Jetzt. Jahrbuch für corpsstudentische Geschichtsforschung", Bd. 51/2006, S. 235 - 241
  5. Jenrich, Joachim: Das Fliegerdenkmal auf der Wasserkuppe. Der größte Tag der Wasserkuppe. Ein spannender Bericht. In: ders.: Die Wasserkuppe - Wissenswertes über einen interessanten Berg in der Rhön. Auf Rhoenline.de, 2004
  6. Kleinert, Hubert: Die NS-Vergangenheit ehemaliger politischer Funktionsträger im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Bericht an den Kreisausschuss/Kreistag Marburg-Biedenkopf. Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung (Gießen), Marburg 2013 (freies pdf
  7. Kraus, Karl: Gesammelte Glossen. Jazzybee Verlag Jürgen Beck, Altenmünster 2012 (197 S.) (GB)

Reden, Fahnen, Aufmärsche - Ein "Deutscher Tag" in Halle an der Saale im Mai 1924

Einhunderttausend Deutsche auf dem "Deutschen Tag" in Halle, Mai 1924
- Erich Ludendorff als Teilnehmer des "Deutschen Tages" in Halle im Mai 1924

Im Jahr 1901 war in Halle an der Saale das  Kaiser-Wilhelm-Denkmal errichtet worden. Es bestand aus einem (Wiki) ...

Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. mit den als Assistenzfiguren aufgestellten Paladinen Bismarck und Moltke. Das Denkmal überstand den Zweiten Weltkrieg ohne nennenswerte Blessuren, wurde aber später restlos beseitigt.
Abb. 1: Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal in Halle an der Saale (1901-1945) (Postk.)

Bei dem beigegebenen Moltkedenkmal hatte es sich  gehandelt um ein

Bronzestandbild von Bildhauer Peter Breuer als seitliche Assistenzfigur am Kaiser Wilhelm I.-Reiterstandbild, 1901 errichtet.

Dieses Moltke-Denkmal war nun von Kommunisten Anfang der 1920er Jahre zerstört worden. Es wurde wieder hergerichtet. Und die Enthüllung des neuen Moltke-Denkmals im Mai 1924 wurde als Anlaß gewählt für eine machtvolle patriotische Demonstration. Sie sollte als der "Deutsche Tag" von Halle in die Geschichte eingehen (Wiki).

Abb. 2: Am Kaiser-Wilhelm-Denkmal in Halle im Mai 1924 versammelt: Die patriotische Prominenz jener Jahre. Fotograf war G. Pahl (a, b ; Wiki)

Zu diesem Anlaß versammelte sich eine Auswahl der deutschen patriotischen Prominenz jener Jahre: Auf Abbildung 2 sind in der ersten Reihe zunächst nur einige der wichtigsten von ihnen zu sehen: (1) Erich Ludendorff, (2) Oskar Prinz von Preußen (einer der Söhne des Kaisers), (3) "Seeteufel" Felix Graf Luckner, (4) Kriegsminister Josias von Heeringen (1909 bis 1913). Derjenige, der die Ansprache hält, ist Theodor Duesterberg (Wiki), der Organisator dieser Veranstaltung. Er war Stahlhelmführer und hob die Verdienste des Stahlhelms im Kampf gegen den Kommunismus in Mitteldeutschland hervor.

"Verdienste des Stahlhelm gegen kommunistischen Terror"

Erich Ludendorff schrieb über seine Teilnahme an diesem "Deutschen Tag" in Halle in seinen Lebenserinnerungen (3, S. 338-340):

Graf Eulenburg-Wicken, der letzte Kommandeur des 1. Garde-Regiments, übernahm den "Stahlhelm". (...) Die Haltung des "Stahlhelm" mir gegenüber war eine unklare. Frontsoldaten des "Stahlhelm" schienen wohl eine Annäherung an meine Person zu wünschen, nachdem diese am 9. 11. 23 und durch den Prozeß so stark in den Vordergrund gerückt war, aber der Führer des "Stahlhelm", Herr Seldte, widerstrebte diesem, und mußte ihm widerstreben, da an den freimaurerischen Einflüssen im "Stahlhelm" bei mir kein Zweifel mehr bestand, und die Einstellung der Freimaurerei gegen mich ja schon damals eine scharf ablehnende war. Eine andere Haltung wie Herr Seldte nahm Oberstleutnant Duesterberg in Halle ein. Er meinte, wenigstens so habe ich ihn verstanden, daß er den "Stahlhelm" mir anschließen würde, wenn sich sein Einfluss im "Stahlhelm" durchgesetzt haben würde. Ich stand dem skeptisch gegenüber. Die Verdienste des "Stahlhelm" als Gegengewicht gegen marxistischen und kommunistischen Terror namentlich in Mitteldeutschland habe ich stets anerkannt. Darum folgte ich auch einer Einladung nach Halle für den 10. und 11. Mai 1924. Es sollte hier an dem Kaiserdenkmal eine neue Moltkefigur enthüllt werden, da das frühere Standbild von Kommunisten zertrümmert worden war.

Die Feier war recht eigenartig. Am Abend waren die Ehrengäste versammelt, die Generale umgingen mich, wie jemanden, mit dem zu sprechen nicht recht geheuer ist. Ich war zu ihnen harmlos freundlich und das Eis schmolz. Wie viele Suggestionen mußte ich da begegnen und das bei Leuten, die meine Leistung aus dem Weltkriege doch wohl kannten. Aber daß ich völkisch sein konnte, nun sogar noch Parlamentarier war, das haben die Kameraden doch wohl nicht begreifen können. Generaloberst v. Heeringen, als ältester General, hielt die Ansprache, die die Bedeutung des Heeres und die Arbeit der Generale für das Heer hervorhob, er vergaß aber völlig, den Obersten Kriegsherrn zu erwähnen, der sich für die Ausbildung des Heeres doch wahrlich eingesetzt und sie gefördert hatte. Daß er seinen Willen dem Kriegsminister, eben diesem Generaloberst von Heeringen gegenüber leider nicht durchgesetzt hatte, lag in einem Handeln, das dieser dem Kaiser wohl kaum hat verargen können. Bekanntlich hat Generaloberst v. Heeringen dem Streben des Kaisers nach einer Heeresverstärkung und auch meinem Streben vor dem Weltkriege, die allgemeine Wehrpflicht durchzuführen, entschiedenen Widerstand gegenübergestellt. Ich entsinne mich nicht mehr genau, ob ich an dieser Versammlung oder nur in anderen Versammlungen desselben Abends auf den Kaiser gesprochen, um die geschichtliche Wahrheit wiederherzustellen. Das mag von vielen, auch von völkischen Freunden, als "nicht zeitgemäß" erachtet worden sein. Aber hierauf kam es mir nicht an. Was wahr ist, sollte auch wahr bleiben. Die Stahlhelmer selbst, zu denen ich sprach, begrüßten mein Tun.

Die Enthüllung des Moltkedenkmals selbst war feierlich. An dem sich anschließenden einfachen Frühstück saß ich neben den Herren Duesterberg und dem Deutschnationalen Abgeordneten Leopold. Die nähere Unterhaltung, die ich hier führen konnte, genügte, um festzustellen, wie himmelweit mein Denken von dem Denken dieser Leute verschieden war und der "Stahlhelm" nur eine Organisation sein konnte, in der gute Kräfte vom wahren völkischen Freiheitringen ferngehalten wurden. Ich hatte auch schon aus eingehenden Unterhaltungen in dem Hause meines Deutschnationalen Gastgebers, so gastlich ich auch aufgenommen war, bereits entnommen, daß diese Kreise ein Verstehen meinem völkischen Denken nicht abgewinnen konnten.

Am Nachmittage fand ein großer Vorbeimarsch von Kriegervereinen, von "Stahlhelm"-Formationen und des "Frontbann" vor den Generalen des alten Heeres statt. Es war wieder derselbe traurige Anblick, alte Soldaten, zum Teil in Uniform, aber ohne Waffen vorbeimarschieren zu sehen. (...)
Es war bezeichnend, daß am Abend noch eine Zusammenkunft der Gäste - in einer Loge sein sollte. Ich zog vor, dort nicht hinzugehen. Der Abend war für mich mit einer studentischen Feier ausgefüllt. Die ganze Veranstaltung war wieder einmal eine echt nationale Feier ohne jeden tieferen Inhalt gewesen. 

Im zeitgenössischen Sprachduktus sind Pressefotografien von diesem Anlaß beschrieben mit den Worten:

"Der große deutsche Tag in Halle, an welchem große Heerführer und tausende Nationalgesinnter teilnahmen, um das vor einem Jahr von Kommunisten zerstörte Moltkedenkmal wieder einzuweihen. Aufmarsch der Verbände vor den Tribünen der Rennbahn."

Abb. 3: Fahnen, Reden, Aufmärsche - Der Deutsche Tag in Halle, 1924 (Fotograf: G. Pahl) (Wiki)(siehe auch: a)

Es folgen nun viele weitere zeitgenössische Fotografien.

Abb. 4: Fahnen, Reden, Aufmärsche

 Denn an diesem Tag scheint viel fotografiert worden zu sein.

Abb. 5: Fahnen, Reden, Aufmärsche

Man erkennt unter den Fahnenabteilungen auch Burschenschaften (Abb. 5).

Abb. 6: Prominenz, Fahnen, Reden und Aufmärsche - Hier: Felix Graf Luckner, der Telefonbücher zerreißen konnte

Felix Graf Luckner, der "Seeteufel", wurde gefeiert. Er hatte ein viel verkauftes Buch über seine Kaperfahrten während des Ersten Weltkrieges geschrieben.

Abb. 7: Fahnen, Reden und Aufmärsche

Hier reitet jemand auf weißem Rosse an den Tribünen vorbei.

Abb. 8: Fahnen, Reden und Aufmärsche, Mai 1924

Weitere Fahnenabordnungen, offenbar wiederum Burschenschaften.

Abb. 9: Fahnen, Reden und Aufmärsche - Hier Oskar Prinz von Preußen. Außerdem: Ludendorff im Gespräch mit Offizieren am Rande des Aufmarsches

Erich Ludendorff wurde fotografiert während er mit Offizieren im Gespräch am Rande des Aufzuges stand.

Abb. 10: Fahnen, Reden und Aufmärsche - Oskar Prinz von Preußen im Gespräch mit Ludendorff am Rande des Aufmarsches

Erich Ludendorff im Gespräch mit Oskar Prinz von Preußen (1888-1958) (Wiki), dem fünften Sohn des letzten deutschen Kaisers. Prinz Oskar war zu jener Zeit im Stahlhelm aktiv.

Abb. 11: "Der große deutsche Tag in Halle, an welchem große Heerführer und tausende Nationalgesinnter teilnahmen, um das vor einem Jahr von Kommunisten zerstörte Moltkedenkmal wieder einzuweihen. General Ludendorff (X) nimmt nach der Feier die Parade der nationalen Verbände ab." (Quelle: Wiki) (zeitgenössische Erläuterung)

General Ludendorff am Rande des Aufzuges.

Abb. 12: Prominenz, Fahnen, Reden und Aufmärsche - Hier: Admiral Scheer, General Ludendorff, Oskar Prinz von Preußen, Theodor Duesterberg (aus 3, S. 257)

Zu Abbildung 12 wird die Erläuterung gegeben (3, S. 257):

"Bei völkischen und militärischen Feiern im Jahre 1924".

Abb. 13: Prominenz, Fahnen, Reden und Aufmärsche, 11.5.1924 (zeitgenössische Postkarte) - Admiral Scheer, General von Heeringen, Prinz Oskar, General Ludendorff

Auf Abbildung 13 sieht man von links: den kleineren, unscheinbaren Admiral Reinhard Scheer. Er war der Sieger der Seeschlacht vom Skagerrak im Jahr 1916, also der bis dahin größten Seeschlacht der Weltgeschichte. Es folgt dann der vormalige Kriegsminister General von Heeringen. Es folgen dann wieder Oskar Prinz von Preußen und Erich Ludendorff.**) Ganz rechts steht offenbar General Mackensen.

Anwesend waren außerdem (n. Wikider Admiral Ludwig von Schröder, der "Löwe von Flandern", der General August von Mackensen, der unter anderem 1916 in einem schnellen Feldzug den neuen Kriegsgegner Rumänien niedergeworfen hatte, sowie der Freikorps-Führer General Maercker, der unter anderem mit zum Scheitern des Kapp-Putsches beigetragen hatte, indem er sich während desselben nicht auf die Seite der Putschisten gestellt hatte. Sie wären auf den Fotografien jeweils noch zuzuordnen.

Es waren dies - mit Ausnahme von Ludendorff - zwar im Wesentlichen Vertreter eher des "nationalen" als des dezidierter "völkischen" Deutschland der damaligen Zeit. Von diesen "oberen Zehntausend", von denen Ludendorff hier umrahmt war, hatte er sich zu diesem Zeitpunkt innerlich schon abgewandt, wie er in seinen Lebenserinnerungen schreibt. 

Mit welcher Sorge die demokratische Reichsregierung auf die Popularität dieser "Deutschen Tage" sah, die von den politischen Kräften "rechts" von der demokratischen Mitte getragen waren, zeigt sich unter anderem in dem Umstand, daß ein über den "Deutschen Tag in Halle" angefertigter Kinofilm ein generelles Aufführungsverbot im ganzen Deutschen Reich erhielt (Wiki). Die damalige deutsche Reichsregierung blickte auf eine solche Konzentrierung von populären, legendären  "Kriegshelden" Deutschlands aus dem gerade erst beendeten Ersten Weltkrieg und der unruhigen Zeit danach mit großer Sorge.

Ludendorff bei seinen Gastgebern auf einem Gutshof bei Halle

Ein Verbindungsstudent fotografiert

Das Fotoalbum eines Verbindungsstudenten aus den 1920er Jahren ist zum Verkauf angeboten worden (im Sepember 2011). In ihm finden sich zahlreiche Fotos von Erich Ludendorff (1) (Abb. 14ff). Name des Besitzers, Ort und Umstände der Fotos sind zwar nicht angegeben*). Allerdings erlaubt ein Vergleich der darin enthaltenen Fotos mit schon veröffentlichten die Zuordnung derselben zu diesem "Deutschen Tag in Halle" am 11. Mai 1924. 

Abb. 14: Privates Fotoalbum: Erich Ludendorff bei seinen Gastgebern in Halle, Mai 1924 (1)

Wie es scheint, war Erich Ludendorff vor und nach der Großveranstaltung in Halle auf einem Gutshof in der Nähe der Stadt einquartiert, von wo er vom Gutsbesitzer im Auto nach Halle gefahren wurde und zu dem er dann wieder zurückkehrte. Vermutlich waren auf dem Gutshof auch viele andere Teilnehmer des "Deutschen Tages" untergebracht und begrüßten Ludendorff in angetretenen Formationen.


Abb. 15: Privates Fotoalbum: Erich Ludendorff bricht offenbar zur Großveranstaltung auf (1) 

Es wird sich also bei den abgebildeten Personen der Gastgeber Ludendorffs um jene handeln, von denen dieser in seinen Lebenserinnerungen - oben schon zitiert - schrieb: "Ich hatte auch schon aus eingehenden Unterhaltungen in dem Hause meines Deutschnationalen Gastgebers, so gastlich ich auch aufgenommen war, bereits entnommen, dass diese Kreise ein Verstehen meinem völkischen Denken nicht abgewinnen konnten."

Abb. 16: Privates Fotoalbum: Ludendorff und eine paramilitärische Formation (1)

Und man darf annehmen, daß der Verbindungsstudent ebenfalls auf diesem Gutshof einquartiert war. Vielleicht handelte es sich ja um einen Sohn oder Verwandten des Gutsbesitzers. An den "Deutschen Tagen" nahmen jedenfalls immer auch viele Studentenverbindungen teil (1924 etwa auch die "Hubertia" aus Bonn).

Abb. 17: Ludendorff spricht mit einer Mädchengruppe

Der namentlich nicht genannte Verbindungsstudent hat auf dem Gutshof viele private Fotos gemacht (1): Von der Begrüßung Ludendorffs durch die Gastgeber oder von der Verabschiedung von ihnen, vom Aufbruch und der Abfahrt Ludendorffs zur Großveranstaltung, von der Begrüßung einzelner angetretener (para-)militärischer Formationen, wie auch von der Begrüßung einer Mädchengruppe (Abb. 14ff).

Abb. 18: Privates Fotoalbum: Erich Ludendorff - oben bei der Abfahrt, unten in Zivil (1)

Diese Fotos finden sich auf den ersten Seiten seines privaten Fotoalbums. Die Fotografien vom Tag der Anreise im Vortrag werden Ludendorff in Zivil zeigen. In Zivil besichtigte er auch das Gut, offenbar unter Führung des Gutsbesitzers (in offener Jacke) und seiner Ehefrau.

Abb. 19: Privates Fotoalbum: Gutsbesichtigung in Zivil - Ludendorff bückt sich zu einem Kind (1)

Das Haus im Hintergrund von Abb. 14ff ist ohne Frage das gleiche, das schon auf einem 1938 veröffentlichten Foto im Hintergrund zu sehen ist (Abb. 20, siehe: 2, 352; 3, S. 272). Ebenfalls die angetretene Soldaten-Formation, sicherlich dann eine Stahlhelm-Formation. Und da dieses schon veröffentlichte Foto mit "Deutscher Tag in Halle 1924" bezeichnet ist, wird man annehmen dürfen, daß die Fotos des privaten Albums dem "Deutschen Tag in Halle" zuzuordnen sind.

Abb. 20: "Deutscher Tag in Halle 1924 - Neben Ludendorff sein damaliger Adjutant Freiherr von Eberstein" (aus: 2, S. 352; 3, S. 272)

Der Freiherr Karl von Eberstein (1894-1979) (Wiki) gehörte damals laut Wikipedia

zu den Gründern der Hallenser Ortsgruppe des Stahlhelms und blieb bis 1924 aktives Mitglied.

Gleichzeitig war er Mitglied diverser Freikorps und der Vorläufer-Vereinigungen der SA. Bis 1938 war Eberstein zum Polizeipräsidenten von München aufgestiegen, weshalb wohl auf seine Funktion als Adjutant Ludendorffs im Jahr 1924 in der Veröffentlichung von 1938 (2) hingewiesen worden ist. (1945 soll Eberstein laut Wikipedia die Tötung von Häftlingen im KZ Dachau ebenso wie die Verteidigung Münchens gegen die vorrückende US-Armee abgelehnt haben, weshalb er noch am 20. April auf Veranlassung von Martin Bormann und mit der Zustimmung Himmlers seiner Funktionen enthoben worden ist.)

Abb. 21: Privates Fotoalbum: Begrüßung einer Mädchengruppe durch Ludendorff  (1)

 

/ Zuerst veröffentlicht 22.9.2011, 
erweitert 4.1.2012, 
erweitert 20.11.2015 /
 
Vielleicht der Album-Besitzer
*) Auf den hinteren Seiten des Albums finden sich diverse private Fotos, unter anderem von einem Besuch von Sanssouci und dem Neuem Palais in Potsdam, sowie von Ausflügen von Burschenschaftlern. Auch Fotos von einer privaten Hochzeit. Auch Fotos mit einem Radio. Weil es zur Datierung des Albums sinnvoll sein könnte, soll ein solches mit Radio hier noch mit dokumentiert werden. Auf einem der Fotos wird offenbar auch das Wappen der Burschenschaft gezeigt, in dem es heißt: "Germania sei's Panier".
**) Eine sehr ähnliche Aufnahme findet sich auch im Fotoarchiv der Süddt. Ztg. (aus der "Sammlung Megerle"), dort allerdings dann mit falschem Erläuterungstext ("Erich Ludendorff (r.) und weitere Offiziere beim Deutschen Armeetag in Nürnberg.").

 ___________________

  1. Diehl, Claudia ("04peppino"; Muenchen, E-Mail: topolino@valentinhome.de; Verkäuferin): Altes Album mit 92 alten Fotos - Ludendorff, Pickelhaube, Studentika, altes Radio usw.. Die Fotos sind alle fest eingeklebt. Die zwei äußeren Blättern des Albums sind stark gebraucht und beschädigt. Format Album ca 24,5 x 17 cm (Ebay zum 22.9.2011)
  2. Ludendorff, Mathilde (Hg.): Erich Ludendorff - Sein Wesen und Schaffen. Ludendorffs Verlag, München 1938, nach S. 352
  3. Ludendorff, Erich: Vom Feldherrn zum Weltrevolutionär und Wegbereiter Deutscher Volksschöpfung. Meine Lebenserinnerungen von 1919 bis 1925. Ludendorffs Verlag GmbH, München 1941 (12. - 16. Tsd.)
  4. Zirlewagen, Marc: "Bekenntnis für den deutschen nationalen Gedanken." Ludendorffs Besuch der Deutschen Tage in Marburg im Mai 1924, in: "Einst und Jetzt. Jahrbuch für corpsstudentische Geschichtsforschung", Bd. 51/2006, S. 235 - 241
  5. Jenrich, Joachim: Das Fliegerdenkmal auf der Wasserkuppe. Der größte Tag der Wasserkuppe. Ein spannender Bericht. In: ders.: Die Wasserkuppe - Wissenswertes über einen interessanten Berg in der Rhön. Auf Rhoenline.de, 2004
  6. Kleinert, Hubert: Die NS-Vergangenheit ehemaliger politischer Funktionsträger im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Bericht an den Kreisausschuss/Kreistag Marburg-Biedenkopf. Hessische Hochschule für Polizei und Verwaltung (Gießen), Marburg 2013 (freies pdf
  7. Meldungen aus Münster 1924 - 1944. Geheime und vertrauliche Berichte von Polizei, Gestapo, NSDAP und ihren Gliederungen, staatlicher Verwaltung, Gerichtsbarkeit und Wehrmacht über die politische und gesellschaftliche Situation in Münster. Eingeleitet und bearbeitet von Joachim Kuropka. Verlag Regensberg Münster

Sonntag, 8. November 2015

Ludendorff-Anhänger - was war ihnen wichtig?

In diesem Beitrag sollen ganz vermischte Zeugnisse sozusagen aus dem "Alltag" der Geschichte Ludendorff-Bewegung zusammengetragen werden, kennzeichnende oder weniger kennzeichnende Lebenszeugnisse und Erinnerungen "ganz gewöhnlicher" Ludendorff-Anhänger.

Zwei Tannenberger verabreden sich zu einer Alpenwanderung (1931)

Die folgende Postkarte aus dem Jahr 1931 wurde im Auktionshandel verkauft: 

Abb. 1: Rückseite der Postkarte
Ihr Text lautet:
Herrn Roland Rittershaus, Dresden, Strehlener Pl. 2
Ludwigsburg, d. 3.7.31
Lieber Herr Rittershaus!

Zugleich mit Ihrer Karte habe ich Nachricht von zu Haus. Mein Entschluß: Ich wandere mit Ihnen in den Alpen! Paß und Schuh muß ich mir noch besorgen. Aber Bergstock genügt doch, kräftiger Eichenstock. Ich erwarte also umgehend Ihren Plan. Sie können mit 10 Tagen (Wochentagen) max. rechnen. Mit Treffpunkt 12.7. früh bin ich einverstanden. Finanziellen Voranschlag aber bitte nicht zu großzügig. Im allgemeinen ist das Leben dort unten nicht billig. Augenblicklich habe ich nur wenig Zeit, ich gehe auf Ihre nächste Nachricht brieflich ein.
Mit besten Grüßen, Ihr Rudolf Thürmer
Muß jetzt zu einem Vortrag v. T.B. nach Cannstatt.
Womöglich ist dieser Roland Rittershaus 1907 geboren worden (Computergenealogie a, b).

Abb. 2: Vorderseite der Postkarte
Es bestanden also innerhalb der Mitglieder des Tannenbergbundes Freundschaften, die sich über so weite Entfernungen erstreckten, wie hier zwischen Ludwigsburg und Dresden. Dies geht auch aus der folgenden Postkarte hervor, die im Auktionshandel angeboten wird (Akpool):

Abb.: Postkarte - "Deutsche Mahnworte" von Mathilde Ludendorff (1934)
 "Wie schön ist diese Erde!" (1934)

Am 15. Oktober 1934 schreibt eine Grete Skerstupp aus Königsberg in sehr ordentlicher Handschrift an eine Frida Bussa in Leipzig auf die Rückseite der eben gebrachten Postkarte mit den "Deutschen Mahnworten" von Mathilde Ludendorff:
Für Fräulein Frida Busse, Leipzig, Steinstr. 51
Königsberg, 15. Gilbhard 1934
Liebe Friedel!
Ich habe Dir auf Deinen Brief nicht geantwortet, weil ich nie Zeit hatte. Ich habe aber die Platten gut zurück bekommen, besten Dank. Vielleicht schreibe ich Dir mal einen Brief, wann weiß ich noch nicht. Wie geht es Dir? Für einen kurzen Gruß wäre ich dankbar. Der Sommer ist um, er war sehr reich für mich an schönen Fahrten und tiefen Erlebnissen. Wie schön ist diese Erde!
Grete Skerstupp
An den letzten beiden Sätzen ist erkennbar, dass die Schreiberin tatsächlich von den philosophischen Büchern Mathilde Ludendorffs beeinflusst ist. Es wäre interessant zu wissen, von welchen "Fahrten" sie hier schreibt. Der Familienname Skerstupp war - laut Internetrecherchen - offenbar ein recht geläufiger in Ostpreußen. Es ist sicherlich auffallend, dass hier erneut eine Brieffreundschaft von Königsberg bis Leipzig reicht. Sogar die Gemeinsamkeit der Zeitknappheit besteht in beiden Briefwechseln.

Abb.: Rückseite der vorherigen Abbildung (Königsberg, 15./16. Oktober 1934)
Erblindet und vertrieben (April 1945)

Abb.: "Füllhorn - Zeitschrift für die Jugend"
1966 berichtet der Ludendorff-Anhänger Martin Wellßow (geb. 1926) aus Hannover in der Jugendzeitschrift „Füllhorn“ über sein Leben als ein Mensch, der mit 16 Jahren Soldat wurde und als solcher in den Endkämpfen von Berlin 1945 sein Augenlicht verlor (1):
Zwischen Feld und Wald bin ich auf einem ostpommerschen Bauernhof mit seinem festumrissenen Lebenskreis aufgewachsen. (…) Als es bereits Krieg (…) war, bin ich mit dem Fahrrad (…) an manchem Abend unterwegs gewesen, um (…) an den Zusammenkünften der damaligen Jugendgruppen teilzunehmen. (…) Obwohl ich 1939 erst 13 Jahre zählte, wurde mein Jahrgang 1944 zu den Soldaten einberufen. (…) Ich muss bekennen, dass neben mir so viele Kameraden den Einsatz letztlich nur aus dem Bewusstsein heraus billigten, Volk und Heimat zu schützen. Mein Vetter schrieb mir im März 1945, kurz bevor er 18-jährig fiel, nach einem Gegenangriff aus Schlesien: „Wenn Du dieses hier sehen könntest! Wir wollen und müssen alles dran setzen, unsere liebe Heimat wieder frei zu bekommen.“ All unsere Anstrengungen blieben bei der Übermacht der Feinde jedoch nutzlos.
Die Einheit, der ich seinerzeit angehörte, befand sich im Einsatz auf der Insel Wollin. Wir wurden Mitte April 1945 dort abgelöst und über von Flüchtlingstrecks verstopfte Straßen und angeschlagene Eisenbahnanlagen zum Kampf in den Raum Berlin gebracht. Bereits am Tage nach unserem ersten Einsatz ereilte mich am 23. April 1945 mein Schicksal. Eine Granate der Stalinorgel zerplatzte in unmittelbarer Nähe. Die vielen kleinen Splitter brachten mir eine Menge Wunden bei. (…) Die Augen und das Ellenbogengelenk des linken Armes erwischte es so, dass alle ärztliche Kunst nichts mehr helfen konnte. (…) Mit Hilfe eines Leichtverwundeten kam ich zurück und fand mich einige Tage später im Lazarett wieder. Schmerzen spürte ich kaum. Die größte Sorge war, nicht dem Feind verwundet in die Hände zu fallen. (…) Kurz bevor am 8. Mai 1945 das zuletzt so ungleiche Ringen sein Ende fand, überholten uns in Mecklenburg die Feinde.
Abb.: Erschienen 1990 und 2000
Er berichtet dann von seinen ersten Geh- und Spazierversuchen als Blinder. Und die weiteren Erzählungen berichten davon, wie er nach und nach ins Leben zurückfand, sogar eine feste Anstellung fand, ein Haus bauen, heiraten und Familie gründen konnte. Eine weitere Erzählung berichtet von seinem Blindenführhund (2).

Zwischen 1990 und 2001 veröffentlichte Martin Wellßow wie Internetangaben zu entnehmen ist, auch Erinnerungen an seine ostpommersche Heimat und das dortige Bauerndorf Lettnin (3, 4).

  1. Wellßow, Martin: Im Kriege erblindet. In: Füllhorn – Zeitschrift für die Jugend, Schriftleiter Hans-Günther Strick, Folge 8, 15.8.1966, S. 239-249
  2. Wellßow, Martin: Mein Blindenführhund „Waldo“. In: Füllhorn – Zeitschrift für die Jugend, Schriftleiter Hans-Günther Strick, Folge 10, 15.10.1966
  3. Wellßow, Martin: Erlauschtes und Erlebtes: Erinnerungen an eine unbeschwerte Jugend in der ostpommerschen Heimat. Selbstverl., 1990, 2000 (55 S.)
  4. Wellßow, ‎Ella; Wellßow, Martin: Lettnin. Ein pommersches Bauerndorf im Kreis Pyritz. Eine kleine Dorfchronik nach vorhandenen Unterlagen und Aufzeichnungen aus dem Gedächtnis. Selbstverl., 2001 (57 S.)
Nichts darauf geben, was "die Leute denken" (Breslau, 1930er Jahre)

Eine Stadt- und Landschaftsplanerin der Stadt Hamburg hat im Dezember 2013 ein Buch über die Familiengeschichte ihrer Breslauer Großmutter Charlotte und deren drei Schwestern veröffentlicht (1). Beruhend auf überlieferten Familienbriefen, auf persönlicher Bekanntschaft und auf Familien-Erzählungen berichtet sie über das Leben der vier Töchter des Breslauer Polizeibeamten Karl und seiner Frau Anna. Der Name der Familie wird leider nicht genannt (Bötticher?). Die älteste Schwester, die intelligente, belesene, strebsame Elfriede (1894->1945), wird um 1930 herum Ludendorff-Anhängerin werden. Über ihre Jugend wird berichtet (1, S. 48):
Inzwischen ist sie Anhängerin der neuen Reformbewegung geworden. Körperliche Bewegung an der frischen Luft und vegetarische Ernährung sind ihr ebenso wichtig wie Fragen zur Rolle der Frau in der Gesellschaft.
Und (1, S. 18f):
Sie kann sich sehr aufregen, wenn sie von Ungerechtigkeiten hört und davon, was Frauen angetan wird. Sie will alles anders machen, besser machen, sich nicht anpassen an das, was sich schickt, nichts darauf geben, was "die Leute denken". Elfriede liest viel, um sich weiter zu bilden und sie interessiert sich besonders für die aufkeimende Frauenbewegung. Hier findet sie Gedanken, die ihr gefallen, die sie aufsaugt und die sie als Leitlinie für ihr Leben anerkennt. (...) Elfriede will im Leben etwas erreichen und auf eigenen Beinen stehen. Sie will einen Beruf erlernen und sich nicht auf ein Leben als Ehefrau und Mutter vorbereiten. (...) Sie redet mit dem Vater und ist hartnäckig. Karl steht der Frauenbildung aufgeschlossen gegenüber und mit seinem Beamtengehalt kann er es sich leisten, seiner zielstrebigen und lernwilligen Tochter den weiteren Schulbesuch und eine gute Ausbildung zu ermöglichen.
Natürlich wird hier im Rückblick der Gesamteindruck von einem Menschenleben geschildert. Ob vieler dieser Persönlichkeitsmerkmale sich nicht erst im Laufe der Jahre - insbesondere nach Bekanntschaft mit dem Schrifttum der Ludendorff-Bewegung - ergeben haben, muss hier dahin stehen.

Jedenfalls besucht Elfriede zwei Jahre lang mit Erfolg das Lehrerinnenseminar und wird dann noch vor 1914 Erzieherin auf einem abgelegenen, schlesischen Rittergut. Dort erzieht sie die drei Söhne eines Freiherrn von Durant. Dieser schätzt ihre Arbeit sehr. Natürlich verfolgt sie dort auch die politischen Ereignisse jener Zeit, etwa die schweren Auseinandersetzungen um die Abtrennung Oberschlesiens vom Deutschen Reich. Mit dem Herrn von Durant ist sie sich in der ablehnenden und empörten Beurteilung dieser politischen Entwicklungen nach 1918 einig. 

1919, also mit 25 Jahren, wird sie auf einer Tanzveranstaltung von zwei "eleganten Herren" betrunken gemacht. Und sie wird dann von einem der beiden vergewaltigt. Als sie schwanger ist und ein uneheliches Kind bekommt, wird sie von dem Rittergutsbesitzer entlassen. Auch in einer Gerichtsverhandlung gegen den Vergewaltiger kann sie nichts erreichen. Es ist nahe liegend, dass ein solches Schicksal die persönlichen Lebensansichten radikalisieren kann. Elfriede kehrte nach Breslau zurück, nahm für sich und ihre Tochter Ursel ein möbliertes Zimmer und fand Arbeit als Hausverwalterin. Ein besonders häuslicher Mensch soll Elfriede aber nicht gewesen sein (1, S. 50):
"Haushalt kostet nur Zeit. Die kann man doch lieber für Kunst und Kultur nutzen. Da tickt die Uhr, meine Liebe. Man muss Prioritäten setzen," erklärt Elfriede der Schwester.
Nicht zuletzt wohl auch deshalb wird ihre Tochter Ursel vom Jugendamt in eine Pflegefamilie gegeben:
Da kein Vater für Ursel vorhanden ist, wird ein Amtsvormund eingesetzt, der Ursels Schicksal von nun an bestimmt.
Schließlich kommt Ursel aber zu einer der Schwestern von Elfriede. In der Familienüberlieferung scheint auf die Einzelheiten der Chronologie nicht so genau geachtet worden zu sein. Jedenfalls kann erst von der Zeit etwa zehn Jahre später, also frühestens ab 1928 die Rede sein, wenn es über Elfriede heißt (1, S. 48f):
Als sie auch noch aus der Kirche austritt, kann sie niemand in der Familie mehr verstehen. Sie stößt auf die Bücher von Mathilde Ludendorff und wird bald eine ihrer glühendsten Anhängerinnen. Mathilde Ludendorff ist Lehrerin, Ärztin und Schriftstellerin und zu dieser Zeit in Deutschland bereits durch ihre Schriften und Vorträge sehr bekannt. Sie hat die völkische Bewegung der "Deutschen Gotterkenntnis" begründet und veröffentlicht zusammen mit ihrem Mann Texte, in denen sie ein politischen Wirken der von ihr so genannten "überstaatlichen Mächte" des Judentums, der Jesuiten und der Freimaurer behauptet und die Verschwörung des Judentums proklamiert. Überall in Deutschland hält sie Vorträge, in denen sie ihre Vorstellungen verbreitet. Elfriede ist begeistert von diesen Ideen und besucht von nun an alle Vorträge, die Mathilde Ludendorff hält und lernt sie schließlich persönlich kennen. Die beiden Frauen verstehen sich und Elfriede darf die fanatische Rednerin auf einigen ihrer Vortragsreisen begleiten. 
Mathilde Ludendorff hat den hier erwähnten "Kampf gegen die überstaatlichen Mächte" erst im Jahr 1927 begonnen. Somit werden sich diese Ausführungen erst auf die Zeit frühestens ab 1928 beziehen. Dass Mathilde Ludendorff auf Vortragsreisen weibliche Begleitpersonen gehabt hätte, ist nicht bekannt. Die Tochter Ursel wird Rotkreuz-Schwester und 1945 vielfach von russischen Soldaten vergewaltigt. Ihre Mutter Elfriede wird in Ruhe gelassen. Zu beiden stößt noch das sechsjährige Kind einer anderen Mutter, Hiltraud, um die sie sich nun in den folgenden Jahren kümmern (1, S. 245):
Beinahe zwei Jahre haben Elfriede, Ursel und Hiltraud gehungert und gelitten, ehe sie endgültig vertrieben werden. Am 7. Juni 1946 kommen sie mit einem Transport im niedersächsischen Einbeck an.
Soweit Ausschnitte aus dieser Familiengeschichte.
  1. Boetticher, Martina: Charlotte und ihre Schwestern. Geschichte einer Familie von 1900 bis 1955. BoD - Books on Demand, 04.12.2013 (260 S.) (GB)

Ein 82-jähriger, einstiger Sozialdemokrat aus Ulm (1958)

1957 wurde die Wochenzeitung der Ludendorff-Bewegung "Volkswarte" gegründet. Dort erschienen regelmäßig Karikaturen des Zeichners Hans-Günther Strick.

Abb.: Hans Günther Strick - 100 Jahre SPD - Karikatur - in: Volkswarte, 31.1.1958
Anfang 1958 nahm er das Hijacking der Sozialdemokratischen Partei nach 100 Jahren Geschichte auf das Korn. Die Verchristlichung dieser Partei, die ja heute ausgeprägter ist als jemals - heute darf es noch nicht einmal einen laizistischen Arbeitskreis innerhalb der SPD existieren - hat Hans-Günther Strick schon 1958 treffend aufgespießt. In dem Nachlass von Strick (in den USA) findet sich noch eine Zuschrift an Franz von Bebenburg, den Herausgeber der Zeitschrift, von einem 82-jährigen Ludendorff-Anhänger, die angeregt wurde durch genau diese Karikatur und die ein lebhaftes Bild seiner Biographie gibt.

Abb.: Brief von Josef Elbs in Ulm an Franz von Bebenburg, 1.2.1958
Der Schmied und Eisenbahner Josef Elbs (1878- >1958) aus Ulm, der in seiner Jugend als Sozialdemokrat um die 12-stündige Arbeitszeit gekämpft hat, erinnerte sich in diesem Brief angesichts der Strick'schen Karikatur an seinen Kampf um bessere Arbeitsbedingungen vor dem Ersten Weltkrieg und an seine ehrenamtliche Tätigkeit in freireligiösen Vereinigungen in den 1920er Jahren. Er lud auch schon in dieser Zeit den späteren Autor der Ludendorff-Bewegung Konstantin Wieland zu kirchen- und christentumskritischen Vorträgen nach Ulm ein. 1930, also mit etwa 52 Jahren, suchte er - nach seinen eigenen Worten - "was Besseres" und schrieb
an Frau Dr. Mathilde Ludendorff, die schrieb mir einen sehr schönen Brief und verehrte mir das Buch Unsterblichkeitswille. Im Jahr 31 trat ich in den Tannenbergbund und zum Deutschvolk.
Im Rahmen des ersteren hielt er dann nach - so schreibt er - zahlreiche Vorträge gegen den drohenden neuen Weltkrieg, vor dem Erich und Mathilde Ludendorff warnten. Seit dieser Zeit war er - offenbar bis wenige Jahre vor 1958 - "Ordner", das heißt Veranstalter der Vorträge der Ludendorff-Bewegung in Ulm. Seitdem er diese Tätigkeit nicht mehr ausüben könne, würden in Ulm auch keine Veranstaltungen mehr stattfinden, so schreibt er ("alles tot"). 
  
Abb.: Brief von Josef Elbs in Ulm an Franz von Bebenburg, 1.2.1958
Soweit übersehbar, ist Franz von Bebenburg auf den schönen Vorschlag des 82-jährigen Josef Elbs, nämlich Bildpostkarten von der außerordentlich treffenden Karikatur zu drucken, nicht eingegangen.

Heinrich A. - Ein Ludendorff-Anhänger in Konzentrationslagern


Der Rentner Heinrich A. (geb. 1894) aus L. in Schleswig-Holstein hatte 1954 Entschädigung beantragt wegen der unter der Herrschaft des Nationalsozialismus erlittenen Unrechts. Dieser Antrag ist  abgelehnt worden. An einem Gerichtsentscheid des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1961 ist aber auch diese Ablehnung wiederum aufgehoben worden (1). In diesem Gerichtsentscheid wird als Eigendarstellung des Heinrich A. vorgetragen (2):
Er sei als Ludendorff-Anhänger und wegen Verunglimpfung der Hakenkreuzflagge im Jahre 1933 verhaftet und sodann in verschiedene Konzentrationslager, und zwar u.a. nach Fuhlsbüttel, Sachsenhausen, Neuengamme und Farge überführt worden. Zuletzt sei er auf dem Dampfer "Cap Arcona" gewesen, er sei einer der Überlebenden nach dem Untergang dieses Schiffes. Die in den Lagern erlittenen Mißhandlungen hätten ihn in seiner Gesundheit so erschüttert, daß er nicht mehr arbeitsfähig sei. (...)
Er sei vom April 1934 bis zum Oktober 1934 im Konzentrationslager Fuhlsbüttel bei Hamburg, vom April 1937 bis zum Juli 1941 im Konzentrationslager Oranienburg und vom November 1943 (später berichtigt: November 1942) bis zur Kapitulation im Konzentrationslager Neuengamme und im Nebenlager Farge bei Bremen inhaftiert gewesen. In diese Lager sei er wegen seiner Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus eingewiesen worden. Er habe für den Tannenbergbund Schriften verteilt, aber nicht dessen gesamte Bestrebungen gebilligt. Er habe ferner auf ein am Boden liegendes nationalsozialistisches Transparent getreten und gegen Hitler agitiert. Durch den Aufenthalt im Konzentrationslager habe er sich erhebliche Schäden an Körper und Gesundheit zugezogen. (...)
Als Anlaß für seine letzte Inhaftierung in Neuengamme habe er glaubhaft ein in einer Gastwirtschaft geführtes Gespräch angegeben, in dem er sich dahin geäußert habe, daß der Krieg bereits zu 3/4 verloren sei. Da seine gegnerische politische Einstellung der Geheimen Staatspolizei bereits bekannt gewesen sei, dürfte seine in diesem Gespräch geäußerte negative Beurteilung der Kriegslage wiederum nur als Ausfluß seiner gegen den Nationalsozialismus gerichteten politischen Überzeugung beurteilt worden sein.
Diese Eigendarstellungen konnten zumindest in einem Punkt anhand unabhängiger Quellen überprüft werden. In dem Urteil heißt es weiter (2):
Nachdem dann die Strafakten beigezogen worden waren, aus denen sich ergibt, daß der Kläger durch Urteil des Amtsgerichts in Hamburg vom 3. März 1942 wegen Diebstahls zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt worden war und die Strafe am 9. November 1942 verbüßt hatte, und außerdem eine Auskunft der Polizeibehörde von Hamburg eingegangen war, daß der Kläger am 9. November 1942, also im unmittelbaren Anschluß an die Strafverbüßung, als Asozialer in polizeiliche Vorbeugungshaft genommen worden sei, stellte der Kläger die seiner dritten Verhaftung zugrunde liegenden Vorgänge wie folgt dar:
Er habe verhindern wollen, als Soldat eingezogen zu werden, und deshalb den Diebstahl begangen, so daß er dann verurteilt worden sei. Vorher habe er in einer Gastwirtschaft defaitistische Äußerungen getan. Auf dieses Gespräch hin sei zwar zunächst nichts veranlaßt worden. Nach der Strafverbüßung sei er jedoch sofort zur Geheimen Staatspolizei überstellt worden, und dort sei ihm der Inhalt des in der Gastwirtschaft geführten Gesprächs vorgehalten worden.
Wie dieser Fall seinen Abschluß gefunden hat, scheint nicht überliefert zu sein sein (1).
___________________________

  1. Martin Rath: "Waren Erich und Mat­hilde Luden­dorff Anti­fa­schisten?" Entschädigung wegen erlittener KZ-Haft, Legal Tribune Online, 03.05.2020, https://www.lto.de/recht/feuilleton/f/cap-arcona-ludendorff-kz-hitler-nationalsozialismus-tannenbergbund/
  2. Bundesgerichtshof - Urt. v. 12.04.1961, Az.: IV ZR 191/60 - Landesentschädigungsamt gegen Heinrich A., https://research.wolterskluwer-online.de/document/4c390e13-a679-4645-be19-731db4ba8b5f

Die Beerdigung von Mathilde Ludendorff (1966)

Im April 2016 erhalten wir folgenden Bericht von einem noch lebenden Ludendorff-Anhänger zugesandt:
1961 war ich als junger Landwirtschaftsmeister Verwalter auf einem Betrieb in Württemberg. Im Mai 1961 hörte ich in den Nachrichten, dass „Eine Ludendorff-Bewegung“ verboten ist. Diese Nachricht wurde gleichzeitig dazu benutzt, das Gedankengut von Erich und Mathilde Ludendorff in den hässlichsten Farben zu schildern. Da sowohl meine Frau als auch ich von der „Ludendorff– Bewegung“ nichts wussten, wurde durch das Verbot und die hässliche Berichterstattung („freie Presse“!) unser Interesse geweckt, sich mit dieser Bewegung etwas näher zu befassen. Wir zogen von Württemberg ins Osnabrückerland. Dort lernten wir dann Familien kennen, die der Weltanschauung Ludendorff verbunden waren und waren mit diesen befreundet.
Mitte Mai 1966 feierte ich mit einigen Freunden meinen Geburtstag. Die erzählten nun, dass Frau Dr. M. Ludendorff am Donnerstag, den 12. Mai verstorben sei und die Trauerfeier am Freitag, dem 20. Mai 1966, stattfinden würde. Spontan wurde von uns beschlossen, dass wir zur Trauerfeier nach Tutzing fahren. Am Freitagmorgen (den 20.05.1966) sind wir dann in aller Herrgottsfrühe von Bad Rothenfelde in Richtung Tutzing losgefahren. Als wir dann in Tutzing ankamen, hatte die Trauerfeier schon angefangen. Wie ich mich erinnere, las Herr Oberlandesgerichtsrat i.R. Edmund Reinhard aus einem Buch, welches der General E. Ludendorff über seine Frau Mathilde Ludendorff geschrieben hatte, vor. Es waren schon unwahrscheinlich viele Menschen dort als wir eintrafen.
Mein Begleiter kannte einige der Trauergäste und so konnten wir näher an den Sarg in dem großen Garten eintreten. Plötzlich kam mein Begleiter zu mir, und fragte, ob ich den Sarg mittragen wolle. Ich war ergriffen über diese Ehre, dass ich dieser großen deutschen Frau diesen Dienst erweisen durfte. Wir trugen mit vier jungen Männern den Sarg aus dem Garten durch das Tor zur Straße und stellten ihn auf einen Wagen, der wohl von einem Beerdigungsinstitut gestellt worden war. Nun sollte der Wagen zu dem Neuen Friedhof in Tutzing, am Starnberger See zum „Feldherrn-Grab“ gefahren werden. Die vier Männer vom Beerdigungsinstitut zogen den Wagen mit dem Sarg der Verstorbenen. Wir vier Träger liefen (je zwei links und zwei rechts) neben dem Sargwagen. (...) Dann folgte der Trauerzug. Vorne als erste Person Frau Stahl. (...) Die gesamte Trauerfeier war für mich sehr ergreifend und auch schön.
Wir bitten diese Einsendung als Anregung für andere Leser dieses Blogs anzusehen, ebenfalls Erinnerungen einzusenden.

Ein Holzhändler und Sägewerker (1979)

Als kennzeichnend könnte man auch folgende Todesanzeige empfinden (in der Zeitschrift "Mensch & Maß", 9.12.1979):
Bernhard Schürmann (...) Unerschütterlich blieb er seiner Weltanschauung, der "Gotterkenntnis Ludendorff", treu, die ihn von allen politischen Irrwegen abhielt. Seinem Beruf als Holzhändler und Sägewerker war er mit Leib und Leben verschrieben. So liebte er die Farbenpracht des Herbstwaldes, daß man sich keinen schöneren Abschiedsschmuck für ihn denken kann als fallendes Herbstlaub. So liebte er die Verwachsenheit, Bodenständigkeit und das Knorrige der deutschen Eichen, die ein Teil seiner selbst wurden. (...) Seine Selbstlosigkeit und Bescheidenheit waren seine Größe. (...) Klara Schürmann und Kinder
Dieser Beitrag ist nach und nach weiter zu ergänzen. Der in diesem Beitrag ebenfalls zunächst kurz behandelte Ludendorff-Anhänger Wilhelm Knake hat inzwischen --> einen eigenen Blogbeitrag erhalten.

/Erstveröffentlichung 22.5.15, 
ergänzt am 8.11.15 um den Abschnitt zu Martin Wellßow, 
am 1. und 2.1.16 um den Abschnitt zu der Breslauerin Elfriede,
am 31.1.16 um den Abschnitt zu Josef Elbs.
am 17.8.20 um den Abschnitt Heinrich A. /

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