Sonntag, 28. November 2010

"Ich bin der größte Revolutionär, den Deutschland heute hat." - Erich Ludendorff 1928

Neue Briefe aus den Jahren 1924, 1928 und 1946

Daß der ehemalige Weltkriegsgeneral Erich Ludendorff nicht gering von seiner weltgeschichtlichen Rolle auch noch nach dem Erste Weltkrieg dachte, weiß jeder, der einen Blick in seine Schriften oder in seine Lebenserinnerungen (Titel "Vom Feldherrn zum Weltrevolutionär") geworfen hat. Allein dieses Selbstbild versetzte ihn wohl auch in die Lage, nach 1925 und bis 1937 als ein so scharfer Gegner Adolf Hitlers und seiner Kriegsabsichten aufzutreten, als der er bis dahin aufgetreten ist.

Dennoch mag es von Interesse sein zu erfahren, daß sich dieses Selbstbild Ludendorffs nicht nur in öffentlichen, sondern auch in privaten Briefäußerungen wiederspiegelte.

Vor einem Jahr sind aus den Jahren 1924 und 1928 zwei neue Briefe Erich Ludendorffs bekannt geworden, sowie eine Postkarte der Witwe Mathilde Ludendorff aus dem Jahr 1946. Sie sind alle gerichtet an einen Kaufmann Erwin Würth in Karlsruhe. Sie wurden im Juni 2009 für 600 Euro versteigert (1). Von Interesse ist, wie das Ehepaar Erich und Mathilde Ludendorff Verbindung hielt zu Menschen, die wie es selbst "auf der Suche" waren nach einem neuen weltanschaulichen und auch religiösen Fundament, und die ebenfalls auf die Dauer von dem Agieren der NSDAP unbefriedigt blieben.

Soweit der Wortlaut der hier zu behandelnden Briefe bislang bekannt geworden ist, soll er im folgenden wiedergegeben werden. Einige Fehlangaben im Auktionskatalog werden dabei stillschweigend korrigiert.

Abb. 1: Tagung der Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung in Weimar, August 1924 (?)
Ein badischer Kaufmann zwischen Sozialdemokratie und Nationalsozialismus

Laut einer geschichtswissenschaftlichen Studie (2) war der Briefpartner Erwin Würth ein Kaufmann in Karlsruhe. 1919/20 war er Mitglied der SPD (2), zwischen 1924 und 1928 Mitglied der NSDAP. Zuletzt war er sogar Kreisleiter. 1928 trat er aus der NSDAP aus. 1933 versuchte er, in diese wieder einzutreten (2). Eine Biographie in bewegten Zeiten zwischen Sozialdemokratie auf der einen Seite, dem Nationalsozialismus auf der anderen und schließlich, wie aus den Briefen weiter hervorgeht, im Umkreis der Ludendorff-Bewegung. Erich und Mathilde Ludendorff scheinen Erwin Würth auch persönlich gekannt zu haben, so glaubt man es zumindest dem Tonfall der Postkarte Mathilde Ludendorffs an Erwin Würth aus dem Jahr 1946 entnehmen zu können.



Abb. 2: "I. Tagung N. S. Freiheitsbewegung in Weimar 15. - 17. Aug. 24 - Ludendorff-Gräfe"
(Vielleicht auch schon vor der Tagung aufgenommen auf der Treppe vor Ludendorffs Haus
in München-Ludwigshöhe, um die Aufnahme an Teilnehmer der Tagung zu verkaufen)

Aktueller Anlaß der Veröffentlichung dieses Beitrages ist aber auch das derzeit laufende Ebay-Angebot eines vielleicht vergleichsweise seltenen Fotos (s. Abb. 1, Ebay, Ablauf 4.12.10 *)). Es wird angebotenen unter dem Titel "Ansichtskarte Ludendorff Gräfe N.S. Freiheitsbewegung Weimar 1924".

Abb. 3: Erich Ludendorff auf der Tagung in Weimar 1924

Abgebildet ist Erich Ludendorff zusammen mit Albrecht von Graefe (1868-1933) (Wiki) offenbar während der Tagung der Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung (Wiki) in Weimar 1924 fotografiert - oder für diese. Diese Tagung im August 1924 wirbelte damals in der Stadt Weimar und über sie hinaus viel Staub auf (4, S. 117-130). Zu den Aufmärschen und Umzügen, die als Auftakt dieser Tagung abgehalten wurden, kamen 25.000 Zuschauer. Und so wird im folgenden Anlaß genommen, über ihre Vorgeschichte und ihren Verlauf ebenfalls zu referieren.

Abb.: "Großdeutsche Freiheitsbewegung, Weimar, 17.8.24
Exz. Ludendorff und Hauptmann Röhm nach der Fahnenweihe, Gelöbnis der Treue"



1924: Die "Nationalsozialistische Freiheitsbewegung" unter  Ludendorff, von Graefe und Strasser  

Abb. 4: A.v. Graefe

In der "Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung" suchten Erich Ludendorff, Albrecht von Graefe und Gregor Strasser während der Festungshaft von Adolf Hitler die völkischen Parteien und Gruppierungen, insbesondere die süddeutsche NSDAP unter Gregor Strasser und die norddeutsche "Deutschvölkische Freiheitspartei" (Wiki) unter Albrecht von Graefe zu einigen (s. a. Abb. 3).

Abb. 5: (Wohl) Anstecker 1924
Über Albrecht von Graefe heißt es auf Wikipedia:
Von Graefe, der im Kaiserreich der Deutschkonservativen Partei angehört hatte, beteiligte sich 1918 an der Gründung der DNVP. Im Sommer 1922 beteiligte er sich unter anderem mit Reinhold Wulle und Wilhelm Henning an der Gründung der Völkischen Arbeitsgemeinschaft in der DNVP, die im Dezember 1922 die Partei verließ und die Deutschvölkische Freiheitspartei (DVFP) gründete, deren Vorsitzender von Graefe bis 1928 war. Mit anderen Führungsfiguren der DVFP beteiligte er sich am 9. November 1923 am Hitler-Ludendorff-Putsch in München, bei dem er in der ersten Reihe marschierte.

Abb. 6: Vollständige Liste der Besucher Hitlers in Festungshaft 1924

Erich Ludendorff besuchte - wie viele andere - Adolf Hitler in dieser Zeit auch mehrmals in Festungshaft, um sich mit ihm hinsichtlich der Einigungsbemühungen abzustimmen. So am 12. April 1924 (Abb. 4) und am 12. Juni 1924 (s.a. Abb. 5: "Erich Ludendorff etwa habe eine Stunde mit Hitler sprechen dürfen, ohne daß ein Gefängniswärter dabei war").

Abb. 7: "Sprechkarte für Herrn Gen. Ludendorff, Reichst.Abg. v. Graefe u. Hptm. Röhm zum Besuche bei (...) Herrn Hitler (...) 12. Juni 1924 (...) Festungshaftanstalt Landsberg"









Als "Nationalsozialistische Freiheitspartei" errang der Zusammenschluß der norddeutschen und süddeutschen völkischen Partei bei der Reichstagswahl im Mai 1924 32 Sitze. Im Mai 1924 fand auch der große, von hunderttausend Deutschen besuchte "Deutsche Tag" in Halle statt (siehe anderer Beitrag hier auf dem Blog). Offenbar wollte man dem in Weimar nicht nachstehen. Über Weimar im August 1924 wird berichtet (4, S. 119f):
Tatsächlich war bereits vor der geplanten Weimarer Heerschau die öffentliche Stimmung umgeschlagen; zum "Tag des deutschen Heldengedenkens" am 3. August 1924, der zu Ehren der Gefallenen des Weltkrieges abgehalten wurde, hatte sich eine ungewöhnlich große Menschenmenge in der Weimarer Stadtkirche versammelt. Es wimmelte von Fahnen und Abordnungen der Krieger- und Militärvereine, der vaterländischen Verbände, aber auch des neugegründete "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold". (...) Immer wieder wurde bei den unzähligen Tannenberg-Feiern des Jahres 1924 an Hindenburg und Ludendorff erinnert.
Ludendorff galt dabei zunächst den Angehörigen fast aller politischer Richtungen als "überparteilicher" Repräsentant der deutschen Kriegsführung während des Ersten Weltkrieges. In Weimar sollte er aber zusätzlich noch als prononcierter Repräsentant der völkischen Bewegung auftreten. Sein Kommen war am 16. August 1924 in der Weimarer Lokalpresse dennoch uneingeschränkt begrüßt worden, Tenor (zit. n. 4, S. 117):
"Weimaraner! Morgen, Donnerstag früh betritt der Feldherr der Weltkriege, General Ludendorff Eure Stadt!" Alle Bürger wurden gebeten, an ihren Häusern schwarzweißrote Fahnen aufzuhängen, um Weimar drei Tage lang besonders festlich erscheinen zu lassen. Der öffentliche Schmuck müsse ein kleiner, aber wichtiger Dank für jenen Mann sein, der als "Weltkriegsführer" gepriesen wurde. (...) Schon am nahe gelegenen Flugplatz wollten städtische Honoratioren den hohen Gast begrüßen; danach sollte eine farbige Militärparade mit "Abschreiten der Front" und später ein Besuch der kulturellen Gedenkstätten stattfinden, zu denen an diesem Wochenende die Krieger-Gedächtnishallte gehörte.
So wurde Ludendorff - quasi überparteilich - von den Honoratioren der Stadt begrüßt. Daß Ludendorff zu einer sehr einseitigen politischen Veranstaltung nach Weimar gekommen war, fand dabei in der Lokalpresse keine Erwähnung (3, S. 117f):
Kein Wort über jene groß inszenierte Versammlung, die im Weimarer Nationaltheater geplant war. Man verschwieg, da es einen gewaltigen Festumzug durch die Stadt geben sollte. Wie sich später herausstellte, war alles wie eine unverfängliche Kulturkundgebung arrangiert, zu der jedoch keine schöngeistigen Kulturvereine, sondern die völkisch-rechtsradikale Vorhut eingeladen war: der "Deutsche Offiziersbund", der "Weimarische Krieger- und Militärvereinsbund", der "Stahlhelm - Bund der Frontsoldaten", sowie der "Jungdeutsche Orden". (...) Thüringens neuer Innenminister Georg Sattler, Mitglied im "Stahlhelm - Bund der Frontsoldaten", hatte sich in den Urlaub abgemeldet. (...) Ludendorffs pompöser Auftritt war mit generalstabsmäßiger Präzision vorbereitet worden.
Und (4, S. 121f):
Mit dem legendären Erich Ludendorff empfing man einen General, der wie ein neuer Held gefeiert wurde. Weimar prangte im Flaggen- und Blumenschmuck, als die Kolonnen des Stahlhelms, des Jungdeutschen Ordens, des Werwolfs sowie zahlreicher anderer vaterländischer Vereinigungen am Bahnhof ankamen und in ihre städtischen Quartiere gebracht wurden. "Heilrufe klangen in den Gesang vaterländischer Lieder aus Tausenden von jungen Kehlen", schrieben Lokalreporter "alt und jung war auf den Beinen, um das seltene Schauspiel mitzuerleben." (...) Im Armbrustsaal spielte eine Militärkapelle zackige Armeemärsche; ergriffen erhob sich die Zuhörerschaft von den Plätzen, als "Die Wacht am Rhein" und das "Stahlhelm"-Lied intoniert wurden.
Die Regisseure dieser vorher als "völkische Heerschau" angekündigten Veranstaltung taten alles, um ihren Ehrengast in den Mittelpunkt zu postieren. Ludendorff erschien zu allen Auftritten unter Polizeischutz an der Seite des Weimarer Oberbürgermeisters Walter Felix Mueller. Ihrem Ehrengast hatten die Organisatoren sogar das Recht eingeräumt, nach seinem Eintreffen auf dem Flugplatz einen feierlichen Feldgottesdienst zu zelebrieren. Im offenen Viereck warteten alle Abordnungen darauf, ihre Fahnen dem alten Heerführer wie zur persönlichen Weihe zu übergeben. Ludendorff agierte denn auch wie der Hohepriester einer siegreichen deutschen Armee und erinnerte daran, daß bei den Nationalsozialisten eine Fahne Zeichen zur Sammlung sei. "Nur mit Gott kann unser Weg gehen, der zum Siege führt. Wir haben zwar keinen König mehr, gebe Gott aber, daß wir bald wieder einen völkischen König bekommen."
Danach sang man gemeinsam die dritte Strophe des Deutschlandliedes, und Ludendorff schritt wie ein aktiver Feldherr die Front ab; am Nachmittag mußte er sich für diese Übung fast eine Stunde Zeit nehmen, weil zur Militärparade so viele Abordnungen gekommen waren, daß der Aufmarsch die Länge von einem Kilometer erreicht hatte. Über 25.000 Schaulustige verfolgten ein Spektakel, dessen Attraktivität offenbar auch von seinen Organisatoren unterschätzt worden war; statt der geplanten zwei Festzüge gab es sogar drei Aufmärsche, die sich mit gewaltigem Tschingderassabum sternförmig Richtung Weimar in Bewegung setzten. (...)
Mit ausdrücklicher Billigung der Stadtväter (...) nahmen die Nationalsozialistische Partei und ihre Führer die alten Gebäude, Denkmäler und Plätze Weimars in Besitz. (...) Wo eine Woche zuvor Spitzenvertreter der Reichsregierung und des Reichstages gegen die "Anbeter des Hakenkreuzes" gewettert hatten, standen deren Führer jetzt auf der Bühne.
Eine Woche zuvor war in Weimar der fünfte Jahrestag der Republik gefeiert worden - ebenfalls mit dem Oberbürgermeister von Weimar (4, S. 123):
"Wir hätten viel rücksichtsloser den Kampf gegen die Feinde der Republik führen müssen" hatte Paul Loebe den Zuhörern dieser Jubiläumsveranstaltung zugerufen. (...) Kurz danach waren alle Mahnungen in den Wind geschlagen. In Weimar marschierten die Verfassungsfeinde in breiter Front auf. Beim offiziellen Begrüßungs- und Festakt im Nationaltheater waren auf der Bühne gut sichtbar für die zahlreichen Pressevertreter sechs Hakenkreuzfahnen postiert. Der NS-Reichstagsabgeordnete Gottfried Feder lobte Ludendorff als Vorbild von Tannenberg und rühmte den abwesenden Hitler als "den Erwecker der deutschen Seele".
Am deutlichsten wurde in diesen drei Tagen die Ablehnung der Republik von Arthur Dinter artikuliert (zit. n. 4, S. 123f):
"Ich klage hier an der Seite des größten deutschen Feldherrn die gegenwärtige Reichsregierung des Volks- und Hochverrats an! Sie gehören an den Galten! Wir wollen, daß dieser Volks- und Vaterlandsverrat vor dem Staatsgerichtshofe abgeurteilt wird. Unsere Geduld ist erschöpft!" (...) Er forderte alle Anwesenden auf, mit ihm gemeinsam die Hand zum Schwur zu erheben. (...) Man hob (...) die rechte Hand und sprach die Sätze: "Wir schwören unserem Führer Ludendorff, wenn er uns ruft, zu folgen bis in den Tod und nicht eher zu rasten, bis die November-Verbrecher ihrer Strafe vor dem deutschen Staatsgerichtshof zugeführt worden sind." (...) Schillers "Tell", Goethes "Faust" und der "Gotz", "Egmont", "Hermann und Dorothea" sowie viele andere Werke seien immer rein völkisch gewesen, meinte Dinter und rief (...): "Das ist der wahre Geist von Weimar, den diese beiden Fürsten unter den Geistesgrößen verteren. Den Preußengeist eines Preuß lehnen wir ab, wir halten es mit dem Preußengeist eines Ludendorff. Der Geist von Potsdam war von vornherein mit dem Geist von Weimar vermählt." Danach erscholl ein dreifaches "Heil" auf den Ehrengast, der (...) an Adolf Hitler erinnerte. (...) Von der Empore vor dem Nationaltheater verlas er ein Grußtelegramm des in Landsberg eingesperrten (...) NS-Führers.
Weiter wird berichtet (4, S. 124f):
Nach Feldgottesdienst, Sternmarsch und Massenauftritten versanken auch die zufriedenen Nazi-Größe andächtig im Kulturgenuß. Man lauschte Wagners "Meistersingern" und folgte dem Auftritt eines Schauspielers, der Siegfrieds Tod aus der "Edda" rezitierte. In mehreren Vortragszyklen hatten Lehrer, Ärzte und Sprecher politisch nahestehender Verbände immer wieder den deutschen Kulturgedanken interpretiert. Da verwahrte sich ein völkischer Pädagoge dagegen, daß christliche Kinder durch jüdische Lehrer erzogen würden und postulierte die Erziehung eines neuen deutschen Willensmenschen für ein künftiges "großes deutsches Heer". Die Reichsführerin des Deutschen Frauenordens versprach, daß die Frauen künftig Schatzgräberinnen für die Rettung des deutschen Volkes sein würden. "Dazu bedarf es des Verstandes und der Seele des Weibes."
Auch der NS-Reichstagsabgeordnete Franz Wulle und der Schriftsteller Adolf Bartels sprachen. Letzterer bekannte sich erstmals öffentlich zur NS-Bewegung (4, S. 126):
In einer sorgfältig ausgetüftelten Strategie haben die Nationalsozialisten damals Köpfe und Herzen der Weimarer Bevölkerung erobert.
Im Weimarer Stadtparlament rang man sich wenige Wochen nach der Veranstaltung dennoch zu einer Verurteilung derselben durch (4, S. 129):
Man stellte fest, daß die Tagung der Nationalsozialistischen Freiheitspartei Weimar zum Schauplatz lärmender parteipolitischer Massendemonstrationen gemacht habe und wies ausdrücklich darauf hin, daß derartige Veranstaltungen Weimars historischer Bedeutung und seinen großen Überlieferungen nicht entsprächen. (...) Derartige Auftritte sollten sich möglichst nicht wiederholen.
Albrecht von Graefe zählte sich laut Wikipedia auch zu den sogenannten "Deutschen Christen" (sprich nationalsozialistischen oder völkischen) und schrieb als solcher 1931 eine Schrift gegen das Christentum-kritische Buch von Mathilde Ludendorff "Erlösung von Jesu Christo" (3). Fragen zu solchen religiösen Themen sollten auch in dem Briefwechsel zwischen Ludendorff und Würth aufkommen (siehe unten).


Februar 1925: "Hitler will nur gegen den Marxismus kämpfen, auf weiteres verzichten"


Da Adolf Hitler bei diesem Einigungsversuch nicht kooperierte und nach seiner Entlassung aus der Festungshaft Anfang 1925 eigene Wege ging, ist dieser Versuch der Einigung gescheitert und bildeten später viele norddeutsche Ortsgruppen der "Deutschvölkischen Freiheitspartei" die Grundlage zur Gründung der dortigen Ortsgruppen der NSDAP.

Am 20. Februar 1925, kurz nach der Entlassung Adolf Hitlers aus dem Landsberger Gefängnis, schrieb Erich Ludendorff nun an Erwin Würth, und zwar offensichtlich als Antwort auf Fragen und Anregungen von Seiten Würths. Es ging damals um den Versuch Ludendorffs, die NSDAP Adolf Hitlers in Bayern und Süddeutschland mit der schon erwähnten Deutsch-Völkischen Freiheitspartei (DVFP) Albrecht von Graefes in Norddeutschland zu einer gemeinsamen "Nationalsozialistischen Freiheitspartei" zusammenzuschließen. Adolf Hitler gründete aber kurz nach seiner Entlasssung im Februar 1925 die NSDAP neu und verschloß sich einer Zusammenarbeit mit den Norddeutschen ebenso wie die Norddeutschen sich einer Zusammenarbeit mit Hitler (bis aufs Weitere) verschlossen.


 Abb. 8: Ludendorff an Erwin Würth, 20. 2. 1925 (Hermann Historica)
Folgendes nun schrieb Ludendorff in diesem neu bekannt gewordenen Briefdokument (Netzverweis als Erläuterung der angesprochenen Person dazu gegeben) **):

München, den 20. 2. 
Geehrter Herr Würth!
Leider habe ich keinerlei Einfluß auf Hitler. - Meine Freunde bitte ich, den großen Gedanken der Einheitlichkeit der Bewegung allen anderen voran zustellen sowohl Hitler als auch Wulle-Henning gegenüber, nur so kommen wir durch die schwere Krise.

Esser ist nicht nur kein Diplomat, sondern ein schwerer Schädling, er hetzt nur und baut nicht auf. Leider zieht Hitler keinen Trennungsstrich.

[Noch nie (?) / Nur vorübergehend (?) / Nur provisorisch (?)] hat er sich mir gegenüber mit dem Aufziehen der Freiheitspartei einverstanden erklärt; da er eine und seine Arbeiterpartei aufziehen will. Der Riß geht doch nicht vom Norden aus, würde sich Hitler in die Reichsführerschaft eingestellt haben, dann wäre alles in Ordnung gewesen, das aber wollte er nicht! Er hat mir gesagt, er wolle nur gegen den Marxismus kämpfen, auf weiteres verzichten.

Ich hoffe aber nun, daß Hitler endlich sprechen wird. Er hat es mir s. Z. sicher in Aussicht gestellt. Da ich aber keine Fühlung mit ihm recht habe, bin ich auch nur auf Vermutungen angewiesen. Ich ... bleibe auf dem Boden der Volksgemeinschaft ...
"Nur gegen den Marxismus kämpfen" heißt vor allem, sich nicht dezidiert antikatholisch positionieren wie es die norddeutsche "Deutschvölkische Freiheitspartei" und wie es auch Ludendorff taten. (Über die Versteigerung dieses Briefes ist übrigens 2009 von Iring Fetcher auch kurz in der FAZ berichtet worden.)

1928 - Erich Ludendorff: "Ich lehne das Christentum ab ..."

Am Anfang des Jahres 1928 hatte sich die Situation stark gewandelt. Erwin Würth trat 1928 aus der NSDAP aus. Erich Ludendorff hatte inzwischen - 1926 - Mathilde von Kemnitz (Wiki) geheiratet. Er hatte sich in ihre Philosophie eingearbeitet. Er hatte, wie er behauptete, deren "weltgeschichtliche Bedeutung" erkannt und er hatte im Herbst 1927 seinen "Freimaurerkampf" begonnen mit der Veröffentlichung seiner vielbeachteten Schrift "Vernichtung der Freimaurerei durch Enthüllung ihrer Geheimnisse".

Abb. 9: E. Ludendorff an Erwin Würth, 10. 1. 1928 (Hermann Historica)

Am 10. Januar 1928 schrieb Erich Ludendorff in Antwort offenbar auf Fragen und Anregungen von seiten Erwin Würths, unter anderem auch über religiöse Fragen und über das Christentum. Würth scheint offenbar eine Art "germanisches Christentum" befürwortet zu haben, so ähnlich wie vielleicht auch Albrecht von Graefe (s.o.), in der Jesus als ein "Arier" angesehen wird. Das folgende Dokument kann als sehr nützlich erachtet werden, die damalige Zeit und das damalige Denken und Fragen in bestimmten völkischen Subkulturen zu verstehen. Offenbar besteht der Brief aus zwei Blättern, von denen Vor- und Rückseite beschrieben ist. Leider ist der Brieftext bisher nur unvollständig bekannt geworden:
München, 10. 1.
Geehrter Herr Würth! 
Sie stellen schwere Fragen, die ich gern beantworte.

Ich lehne für das, was uns not tut, das Wort Socialismus ab. Das Wort Socialismus bedeutet im Sinne der Juden-Gesinnten: Enteignung. (das folgende unsicher) Abspaltung (?)  des ... aber des unterdrückt Deutschen (?) Selbsterhaltungwillen. Sie werden ja die letzten ... gelesen haben - müssen wie ich denken (?).

Ich will Besitz, freies Schaffen. Arbeiterrechte, selbstlosen Ausgleich im Volk. Das nennt man auch social. Der Jude hat diesen Ausdruck geprägt, um den Deutschen je nach Bedarf das Wort 'Socialismus' entgegenzustellen. Er denkt sich sein Teil. Der Gojim meint 'sozial' im edlen Sinne. So kommen schwere Wirrnisse.
(...), so ist für mich socialistisch der  (...)
[2. Seite:] 
(...) 
2. Ich glaube, ich bin der größte Revolutionär, den heute Deutschland hat, aber mit Schlagworten macht man gar nichts. Erst soll das Volk Volk werden, dann macht sich alles von selbst, wenn Wille und Führung da ist. Aber wie es heute ist, daß sich deutsche Nazis und deutsche Kommunisten den Schädel einschlagen, das mache ich nicht. Ich habe die Feinde klar gezeichnet. Welcher Weg einzuschlagen ist, hängt von den Verhältnissen ab.

3. Ich lehne das Christentum ab, weil die Lehre undeutsch u. kommunistisch ist. Sie hält keiner Kritik stand, auch die Evangelien sind von Juden geschrieben, selbst nach der Überlieferung lange nach Christi Tode.
Die Christen, die in Jesus den Juden sehen, sind logisch, die anderen machen Kompromisse mit sich selbst. 
[3. Seite:] 
Immer sagt Jesus, ich bin gekommen das Gesetz zu erfüllen.
Mein Gott durchdringt die Welt und verlangt ganz was andres als der Christengott. Ich soll nicht friedfertig sein, sondern mir, m[einer] Familie [und] m[einem] Volk das Leben erhalten, wozu haben wir denn Selbsterhaltungwillen. (...) Aufsatz (...)

Eine Reformation der christlichen Lehre gibt es nicht, was soll da reformiert werden. Das Urchristentum war viel schlimmer, als das spätere, das viele germanische Elemente aufnahm. M. ich hier (...) der ginge (...)

Ich kämpfe jetzt ... gegen die Freimaurer und der Kampf ist ein Weltkampf geworden. Mehr kann Niemand verlangen.
[4. Seite:] 
Nun habe ich außergewöhnlich lang geschrieben. Kämpfen Sie unbeirrt weiter!
Mit deutschem Gruß
Ludendorff.

1946 - Mathilde Ludendorff: "Wir haben seit 1925 gewarnt."


Weiterhin liegt eine Postkarte vor, datiert "Tutzing, 16.7.1946". Sie ist an Erwin Würth in Gemmingen, L.A. Sensheim adressiert. Das paßt zu den Angaben in dem genannten Buch (2), nach denen Erwin Würth schon 1925 völkische Propaganda auch auf den nordbadischen Dörfern gemacht hatte, explizit schon damals auch in Sinsheim (2). Der Inhalt der Postkarte wird hier dem Sinne nach wiedergegeben. In Fettdruck werden Phrasen mitgeteilt, die wörtliche Übereinstimmung mit dem Originaldokument aufweisen:
Sehr geehrter Herr Würth,

an dem "herben Schicksal", das Ihnen wiederfahren ist, nehme ich "warmen Anteil". Mein Mann und ich, wir haben "seit 1925 gewarnt". In Schriften und in Büchern. Das ist der einzige Trost in all dem Schicksal. Und es gilt "gegen alle unwahre Denunziation" darüber anzukämpfen. Ich wünsche Ihnen, daß Sie an Ihrem "neuen Lebensort" sich "heimisch" fühlen mögen und auch ein berufliches Auskommen finden mögen. "Die Hoffnung auf die Zukunft wollen wir alle nicht aufgeben."

"Es lebe die Freiheit!
Mathilde Ludendorff"
Diese drei Dokumente bieten - wie Mosaiksteine - kleine, zum Teil neue Einblicke in die Geschichte der völkischen Subkultur der Ludendorff-Bewegung, dem Umfeld ihrer Entstehung und ihrer Entwicklung. Erst im Rahmen einer Auswertung vieler hunderter solcher Dokumente und Zeugnisse insgesamt jedoch können auch diese Mosaiksteine erst ihre eigentliche, einigermaßen abschließende geschichtliche Bewertung erfahren. Auf eine solche grundlegendere Bewertung und Einordnung muß deshalb an dieser Stelle vorläufig verzichtet werden. Solche Beiträge wie dieser können nur Vorarbeiten zu einer Gesamtgeschichte einer solchen völkischen Subkultur darstellen.

(Erster Entwurf: 14.10.2009, Ergänzungen: 23.1.2012)

*) Von der Verkäuferin "jenni228".

**) Siehe dazu auch erneute Versteigerung bei Hermann-Historica April 2010, der zweite Brief wohl falsch datiert auf 1925.

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Literatur:

  1. Autographen und Urkunden aus vier Jahrhunderten in chronologischer Ordnung. Katalog 691. J.A. Stargardt Antiquariat, Berlin, Juni 2009, Nr. 893
  2. Grill, Johnpeter: The Nazi Movement in Baden, 1920 - 1945. The University of North Carolina Press, Chapel Hill 1983
  3. von Graefe, Albrecht: In Harmonie von deutschem Stolz und Demut vor Gott. Erwiderung eines deutschen Christen auf Frau Mathilde Ludendorff's „Erlösung von Jesu Christo“. Rethra-Verlag, Rostock 1931
  4. Mauersberger, Volker: Hitler in Weimar. Der Fall einer deutschen Kulturstadt. Rowohlt, Berlin-Verlag, Berlin 1999

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