Mittwoch, 15. Mai 2019

Erich Ludendorff wendet sich dem Rassegedanken zu (1920)

Anregungen dazu gaben zunächst Karl Ludwig Schemann und der Graf Gobineau (1920)

In seinen Lebenserinnerungen von 1940 beschreibt Erich Ludendorff (1865-1937) vergleichsweise genau, mit welchen Menschen, Büchern und Gedanken er sich nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg beschäftigt hat und wie er sich dabei von einem Politiker mit zunächst überkommener "nationaler" Ausrichtung zu einem solchen bewußt völkischer Ausrichtung wandelte. Es war damals noch ungewöhnlich, daß ein führender deutscher Militär sich dezidiert völkischen Gedanken zuwandte. Ludendorff erwähnt im Zusammenhang mit diesen Entwicklungen auch den den Freiburger Professor und völkischen Schriftsteller Karl Ludwig Schemann (1852-1938) (Wiki) (1). Dessen Werk habe gleich anfangs Einfluß genommen auf seine eigene geistige Entwicklung. 

Inzwischen kann diese Einflußnahme anhand des Briefnachlasses von Schemann genauer nachgezeichnet werden. Er liegt in der Universitätsbibliothek Freiburg vor (1).

Erstmals hat sich Ludwig Schemann brieflich am 30. September 1919 an Erich Ludendorff gewendet (2, S. 236). Er schrieb Ludendorff, um diesen auf seine Gedankenwelt und auf die Rassefrage aufmerksam zu machen. Ludendorff reagierte schnell positiv. Auch ließ er sich von Schemann anregen, den Grafen Gobineau über die Rassefrage zu lesen. 

Schemann und Ludendorff beziehen sich dann beide aufeinander in ihren Büchern zwischen den Jahren 1920 und 1925. Dazu werden in dem vorliegenden Beitrag erste Recherche-Ergebnisse gebracht. Sie sind künftig nach und nach noch auszubauen, insbesondere um das geistige Umfeld von Ludwig Schemann auszuloten (der Kreis um Richard Wagner), und um die Bedeutung des Austausches mit Ludwig Schemann für das weitere Denken Erich Ludendorffs nachzuvollziehen.

Abb. 1: Karl Ludwig Schemann

Als langjähriger Vorsitzender der Gobineau-Vereinigung hat sich Karl Ludwig Schemann die Aufgabe gestellt, seine Zeitgenossen auf das Lebenswerk des Grafen Gobineau aufmerksam zu machen und dessen Bekanntheit zu fördern. Wir lesen dazu (Handbuch des Antisemitismus, 2012, S. 288, GB):

Die Gobineau-Vereinigung wurde im Februar 1894 mit dem Ziel gegründet, die Werke des französischen Rassentheoretikers Arthur de Gobineau neu aufzulegen und ins Deutsche zu übersetzen. Dies war schon länger ein Wunsch Cosima Wagners, deren Mann mit Gobineau befreundet gewesen war und in seinen späten Schriften Gedanken des Franzosen rezipiert hatte. Vorsitzender der Vereinigung wurde Ludwig Schemann, der seine ungeliebte Anstellung als Bibliothekar in Göttingen aufgeben wollte und in der Vereinigung die Möglichkeit zu einem beruflichen Neuanfang als Privatgelehrter und Publizist sah. Wagner vermittelte ihm den Kontakt zu Gobineaus Nachlaßverwalterin Mathilde de La Tour. (...) Schemann emanzipierte sich in der Folge von Bayreuth und richtete sein Wirken auf den Alldeutschen Verband, den er als seine politische Heimat begriff, und andere völkische Gruppen aus. 

Der Nachlaß von Karl Ludwig Schemann steht der Forschung in der Universitätsbibliothek Freiburg zur Verfügung (1). Der Inhalt des Schemann-Nachlasses in Bezug auf Erich Ludendorff ist in der Literatur auch schon ausgewertet worden, nämlich von Bernhard Wien (2).

1920 - Erich Ludendorff gibt 25.000 Mark für die Druckkosten

Anhand seiner Ausführungen sei das folgende in einem ersten Durchgang rekapituliert. Am 2. Februar 1920 schickte Ludwig Schemann Erich Ludendorff das Manuskript seiner Schrift "Von deutscher Zukunft" (3) (Abb. 2) und schrieb dazu, daß er diese Schrift gerne Erich Ludendorff widmen wolle (2, S. 236). Erich Ludendorff hinwiederum zeigte sich vom Inhalt dieser Schrift sehr angetan, er sollte sich in seiner eigenen Buchveröffentlichung des Jahres 1921 sehr positiv auf sie beziehen.

Ende Februar, Anfang März 1920 besuchte Erich Ludendorff von Berlin aus Paul von Hindenburg in Hannover. Es geschah dies nur zwei Wochen vor dem Kapp-Putsch in Berlin. Damit in Zusammenhang stellt Bernhard Wien, daß Ludwig Schemann am 3. März 1920 sein Manuskript auch an Hindenburg schickte. Es ist also denkbar, daß Erich Ludendorff in persönlichem Gespräch Hindenburg auf den Autor Schemann hingewiesen hat. Hindenburg bedankte sich auch für die Zusendung schon am 10. März herzlich (2, S. 236f).

Erich Ludendorff hinwiederum antwortete auf die Zusendung der Schemann-Schrift am 23. Mai 1920 (2, S. 236).

In einem Brief vom 6. November (vermutlich 1920) sandte Erich Ludendorff Schemann dann sogar 25.000 Mark für die Druckkosten der Schrift "Von deutscher Zukunft" (2, S. 236). Ob Ludendorff über diese Summe aus privaten Mitteln verfügte und verfügen konnte (wie von B. Wien gemutmaßt) oder doch umfangreichere Gelder verwaltete, die ihm von Ludendorff-Verehrern zur Verfügung gestellt wurden, wird wohl noch zu klären sein. Wir erfahren (4, S. 49):

Seine Haltung zur Weimarer Republik hatte Schemann schon 1920 in seiner Schrift "Von deutscher Zukunft" dargelegt. "Was haben wir mit dem fluchbeladenen Geschlecht des 9. November gemein (...)?", so lautet die Fragestellung (S. 27). (...) Das ganze Werk ist "Seiner Exzellenz Herrn General der Infanterie Ludendorff in tiefer Verehrung gewidmet".

1921 - Erich Ludendorff in "Kriegführung und Politik"

Erich Ludendorff seinerseits berichtet in seinen Lebenserinnerungen über die Zeit nach seinem Umzug nach München im Sommer 1920 (1940, S. 182f):

In meinem Suchen nach Klarheit über die Rassen las ich auch, angeregt von Professor Ludwig Schemann, Freiburg i. Br., die Werke von Gobineau und beschäftigte mich mit den Mendelschen Gesetzen der Aufspaltung. Ich war um so mehr zur Rassenforschung angeregt, denn ich sah in Bayern einen Menschenschlag, den ich in Norddeutschland noch nicht angetroffen hatte. (...) Im Herbst 1921 beendete ich mein drittes Werk "Kriegführung und Politik".

Er schreibt (1940, S. 185):

Ich gebe nun noch ungekürzt meine Schlußbetrachtungen wieder, weil sie für mein Denken maßgebend sind und Zeugnis ablegen für die Anschauungen, die ich mir auf verschiedenen Gebieten herausgebildet hatte.

In diesen Schlußbetrachtungen zu "Kriegführung und Politik" hatte er unter anderem geschrieben (1940, S. 188):

Das Undeutsche in uns und um uns, von dem Ludwig Schemann spricht, liegt vornehmlich in dem Mangel an Rassegefühl, in der ungenügenden Berücksichtigung Deutscher Art in Schule und Recht, in der Überhebung der Geistesbildung über die Handfertigkeit, in der sich bei uns breit machenden, selbstsüchtigen Geisteshaltung, in der Bewertung des äußeren Wohllebens, im internationalen pazifistischen und defaitistischen Denken und schließlich in dem starken Hervortreten des jüdischen Volkes innerhalb unserer Grenzen begründet.

Auch an anderer Stelle seines Buches "Kriegführung und Politik" bezieht sich Erich Ludendorff auf Ludwig Schemann (6, S. 336) (dies und das folgende nur nach Google Bücher zitiert, deshalb unvollständig):

In unserer Einheitsfront haben wir, nach Ludwig Schemanns schönem Wort, "den Heldensinn, den Ordnungsgeist, die Disziplin und das Pflichtgefühl," - und ich setze hinzu: die stolze, selbstbewußte Einfachheit und Sparsamkeit, die ...

1925 - Schemanns "überschwengliche Verehrung" für Ludendorff

Im Jahr 1925 wird berichtet (Abwehrblätter - Verein zur Abwehr des Antisemitismus, 1925, GB):

Aus dem kürzlich erschienenen Buche des bekannten Antisemiten und Gobineau-Forschers Ludwig Schemann "Lebensfahrten eines Deutschen" druckt das "Dt. Tgb" einen Passus ab, in dem Ludendoff in überschwenglicher Weise verherrlicht wird. Schemann nennt Ludendorff ...

In dieser Schrift "Lebensfahrten eines Deutschen" schrieb Schemann über Erich Ludendorff (S. 365ff):

... Und Ludendorff? Er hat mir durch die Annahme der Widmung meiner vaterländischen Schrift "Von deutscher Zukunft. Gedanken eines, der auszog, das Hoffen zu lernen" eine hohe Gunst erwiesen, indem er es mir damit ermöglichte, meine tiefgehende Übereinstimmung in der Auffassung der deutschen Lebensfragen mit diesem größten unserer Führer öffentlich zu bekunden. Immer inniger habe ich mich ihm in der Folge verbunden gefühlt, immer in der stillen Hoffnung, daß, wenn doch noch einmal den guten Geistern unseres Volkes ihre Stunde schlagen sollte, er mit an erster Stelle berufen sein werde, in die Lenkung unseres Reichssteuers einzugreifen.

Vermutlich verlor sich aber in der Folgezeit diese engere Verbundenheit Schemann's mit Ludendorff. (Denn sonst müßte darüber ja doch noch etwas bekannt sein.) Ludendorff begann ab 1925, eigene Wege zu gehen. Schemann hingegen (Wiki)

wurde 1928 öffentlicher Förderer der Nationalsozialistischen Gesellschaft für deutsche Kultur. 1933 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt Freiburg ernannt. 1937 wurde er Ehrenmitglied des nationalsozialistischen Reichsinstituts für Geschichte des Neuen Deutschlands und von Adolf Hitler mit der Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet.

Ob es von Seiten Schemanns auch kritische Sichtweisen auf den Nationalsozialismus gab (wie spätestens ab 1925 bei Ludendorff), muß einstweilen dahin gestellt bleiben. - Den hier insgesamt aufscheinenden Zusammenhängen kann also noch nach vielen Richtungen hin genauer nachgegangen werden. So könnte etwa die Auseinandersetzung Ludendorffs mit Rassefragen noch einmal im größeren Zusammenhang erörtert werden. Auch könnte der Verbindung Ludwig Schemanns zum Kreis um Richard Wagner genauer nachgegangen werden. An den Austausch Erich Ludendorffs mit Ludwig Schemann schließt sich übrigens auch sein Austausch mit vielerlei anderen, unter anderem naturwissenschaftlich oder anthropologisch orientierten Denkern, Forschern und Autoren seiner Zeit an (8).

1933 - Mathilde Ludendorff bezieht sich auf Ludwig Schemann

Nachtrag 14.3.23: 1930 erschien der zweite Band von Ludwig Schemann's Buch "Die Rasse in den Geisteswissenchaften - Studien zur Geschichte des Rassegedankens" (10). Auf dieses Buch bezog sich Mathilde Ludendorff in ihrem Buch "Die Volksseele und ihre Machtgestalter - Eine Philosophie der Geschichte" aus dem Jahr 1933 (9). Im letzten Teil desselben Buches behandelt sie unter anderem die antik-griechische Philosophen-Schule Stoa als eine Art Vorläufer-Lehre des Christentums (9). Dabei stützt sie sich oft wörtlich auf Ausführungen von Ludwig Schemann.

Nachtrag 29.8.23: Inzwischen haben wir uns mit dem Einfluß Karl Ludwig Schemann's auf das Werk Mathilde Ludendorffs "Die Volksseele und ihre Machtgestalter" aus dem Jahr 1933 ausführlicher beschäftigt (Stgen2023). Man wird annehmen können, daß Schemann alle seine Neuerscheinungen an Erich Ludendorff gesandt hat, und daß so seine Bücher auch in die Hände von Mathilde Ludendorff gekommen sind. 

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  1. Universitätsbibliothek Freiburg, Nachlaß Ludwig Schemann, 10 Briefe, 5 Briefabschriften, http://kalliope.staatsbibliothek-berlin.de/de/ead?ead.id=DE-611-HS-616943
  2. Wien, Bernhard: Weichensteller und Totengräber. Ludendorff, von Hindenburg und Hitler 1914-1937. Books on Demand, Norderstedt 2014 (GB)
  3. Schemann, Ludwig: Von deutscher Zukunft. Gedanken eines, der auszog, das Hoffen zu lernen. Theodor Weicher, Leipzig 1920
  4. Nemitz, Kurt: Die Schatten der Vergangenheit. Beiträge zur Lage der intellektuellen deutschen Juden in den 20er und 30er Jahren. Bibliotheks- und Informationssystem der Universität Oldenburg, 2000 (156 S.) (GB)
  5. Ludendorff, Erich: Vom Feldherrn zum Weltrevolutionär. 1940 (GB)
  6. Ludendorff, Erich: Kriegführung und Politik. Mittler und Sohn, Berlin 1921
  7. Schemann, Ludwig: Lebensfahrten eines Deutschen. 1925 
  8. Bading, Ingo: Erich Ludendorff im Austausch mit Naturwissenschaftlern seiner Zeit Sowie mit völkischen und kirchenfreien Zeitgenossen seiner Generation. Studiengruppe Naturalismus, 20. August 2014, https://studiengruppe.blogspot.com/2014/08/erich-ludendorff-im-austausch-mit.html
  9. Ludendorff, Mathilde: Die Volksseele und ihre Machtgestalter. Eine Philosophie der Geschichte. Erstauflage 1933; Verlag Hohe Warte, Pähl 1955 (Archive)
  10. Schemann, Ludwig: Die Rasse in den Geisteswissenchaften. Studien zur Geschichte des Rassegedankens. Band 2, J. F. Lehmann's Verlag, München 1930 (GB

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