Daß ein "Militär" wie Erich Ludendorff sich auch mit Naturwissenschaftlern wie Charles Darwin und vielen anderen beschäftigt hat, paßt nicht in das Bild, das man sich von einem durchschnittlichen "preußischen General" macht. Aber doch ist es so. So fern lagen Erich Ludendorff schon familiär bedingt die Naturwissenschaften nicht, war doch sein Bruder Hans an der Sternwarte in Potsdam Professor für Astronomie. Und schließlich war ja auch seine zweite Frau Mathilde Ludendorff Medizinerin und Assistenin des Begründers der naturwissenschaftlichen Psychiatrie Emil Kraepelin.
Aber auch in seinen Lebenserinnerungen berichtet Erich Ludendorff vom Austausch mit Naturwissenschaftlern seiner Zeit und zwar auch ganz unabhängig von den eben genannten Personen. So schreibt er etwa über das Jahr 1921 und über seine politisch-weltanschauliche Entwicklung vom "Nationalen" zum "Völkischen" (I, S. 175f):
Ich forschte und forschte über unsere Vergangenheit, über die wahren Zusammenhänge unseres politischen Lebens und für die Gewinnung von Grundlagen einer wirklichen Deutschen Volksschöpfung, die allen Stürmen der Zeit Stand halten würde und sich nicht so brüchig erwies wie unser Volksleben im Weltkriege. (...) Zahlreiche Besuche, die ich erhielt, konnten meinem Forschen dienen, andere hielten mich vom Forschen ab. Oft kamen die Besucher besorgten Herzens über die Not des Volkes und des Landes; aber ich war auch für einige "Sehenswürdigkeit".
Bei einigen Besuchern hatte er auch das Gefühl, dass sie ihn aushorchen und bespitzeln wollten, wozu er unter anderem auch die des Justizrates Claß zählte, des Vorsitzenden des Alldeutschen Verbandes. Weiter schreibt er:
Ähnlich wie mit den Besuchen ging es mir mit Briefen, die ich als Antwort auf erhaltene Briefe geschrieben habe, so kurz sie auch waren. Ich tat das persönlich, irgendeine Hilfe hatte ich nicht.
Unter seinen Besuchern zählt er auf neben Ausländern die Prinzen des Hauses Hohenzollern, verschiedene christliche Priester wie den Abt Schachleitner, frühere Mitarbeiter der Obersten Heeresleitung (I, S. 178f) und schreibt dann (I, S. 180):
Aus der Zahl der vielen Besuche möchte ich noch einen erwähnen, der für mein weiteres Denken bestimmend war. Es war der Besuch des Professors Kraepelin, Direktor der psychiatrischen Klinik Münchens.Dieser suchte ihn wegen der Alkoholfrage auf. Dann schreibt Ludendorff (I, S. 182f):
Dem Besuche des Professors Kraepelin folgten noch Besuche der "Rassenhygieniker". Ich habe dieses Wort in Anführungsstriche gesetzt, um damit anzudeuten, dass es nicht zutraf! Zwar nannten sich die Besucher so, aber es waren doch schließlich mehr Vertreter einer wissenschaftlichen Erbgesundheitslehre. Mit der Rassenforschung war es 1920/21 noch recht schlecht bestellt. Vergeblich suchte ich Klarheit zu gewinnen über unsere Rassen und war daher von dem Besuche der "Rassenhygieniker", so bedeutungsvoll sie auch nach anderer Richtung für mich waren, enttäuscht. (...)
Ich hatte im Jahre 1921 mit diesen Studien, sowie mit den Studien über die Entwicklung des Menschengeschlechtes und die Lehren Darwins ein Gebiet beschritten, zu dem ich mich "instinktiv" hingezogen fühlte. Das Rasseerbgut des Volkes hatte wohl in der Todesnot des Volkes zu mir gesprochen und sollte immer klarer mein bewusstes Handeln beeinflussen.
Hier deutet er seine damalige weltanschauliche Entwicklung vom "Nationalen" zum "Völkischen" an mit dem Vokabular, das ihm erst ab 1924/25 bekannt geworden ist in der Gruppenpsychologie seiner zweiten Frau Mathilde Ludendorff (siehe ihr Buch "Die Volksseele und ihre Machtgestalter - Eine Philosophie der Geschichte", 1933).
Im vorliegenden Beitrag sollen Beispiele zusammengestellt werden für den Austausch Ludendorffs mit Chemikern, Medizinern, bzw. mit "Rassenhygienikern".
Ludendorff und der "geborene Demokrat", der Gießener Chemiker Karl Schaum (Februar 1922)
Abb. 1: Karl Schaum - Chemiker (aus: 10) |
So wie mit Emil Kraepelin hatte Erich Ludendorff spätestens ab 1916 als Kopf der Obersten Heeresleitung natürlich auch viel mit Naturwissenschaftlern zu tun, schon um Fragen der Kriegsrüstung willen.
Im Herbst 1921 hatte Erich Ludendorff sein Buch "Kriegführung und Politik" abgeschlossen, das 1922 bei dem Verlag Mittler & Sohn in Berlin herauskam. Am 12. Februar 1922 schrieb er nun - sicherlich - an den Gießener Chemiker Direktor Karl Schaum (1870-1947) (Wiki, engl.) den unten abgebildeten Brief (Herkunft: Ebay, April 2015) (9):
München, Heilmannstr. 5, 12./2. 1922
Sehr geehrter Herr Dir. Schaum!
Vor etwa 14 Tagen gab ich Mittler & Sohn den Auftrag, Ihnen mein letztes Buch zu übersenden. Ich bitte Sie, es als Zeichen meiner Dankbarkeit annehmen zu wollen.
Mit deutschem Gruß
Ludendorff.
Der Brief ist nur sehr kurz gefaßt, was dafür spricht, daß der Austausch mit Karl Schaum ansonsten nicht sehr umfangreich gewesen sein wird. Wofür Ludendorff Karl Schaum Dankbarkeit entgegen brachte, kann vorderhand nur gemutmaßt werden. Karl Schaum ist im Personenverzeichnis von Ludendorffs "Kriegserinnerungen" nicht genannt. Das Spezialgebiet von Karl Schaum war die Photochemie. Über sein Leben heißt es (pdf):
Teilnahme am Ersten Weltkrieg (Luftbildaufklärung)Und genauer (11, S. 555):
Der Pionier der Photochemie Karl Schaum behandelte in "Photographie und Kriegs-Wissenschaft" zwei Anwendungsgebiete: Aufklärungsarbeit und Ballistik - und wurde als Freiwilliger bald darauf in die Abteilung für Fliegerphotographie eingesetzt.In dem sehr liebevollen Nachruf des langjährigen Assistenten Schaums finden sich weitere Hinweise. Dort heißt es (10, S. 175):
Im Jahre 1915 aber begegnet auch er selbst uns bereits vorübergehend im Rock des gemeinen Soldaten, wobei er zur fliegerphotographischen Abteilung nach Adlershof bei Berlin verschlagen wird. Von Gesinnung und Haltung ein ebenso unkriegerischer wie unmilitärischer Mensch, trieb ihn ein verpflichtendes Gefühl, nicht abseits stehen zu dürfen, zu freiwilliger Meldung zum Heeresdienst, und damit zum Erlebnis einer Episode, aus der er mit seinem köstlichen Humor später die heitersten, anekdotenhaften Geschichten zu berichten wusste, die noch an Reiz gewannen, wenn man sich dabei die militärisch gewiss recht unglückliche Figur des Soldaten Schaum, des verkleideten Professors, vergegenwärtigte.
An späterer Stelle ist in diesem Nachruf von Karl Schaum übrigens als von jemandem die Rede, der sich gerne als den "geborenen Demokraten" bezeichnet hat. (Da Ludendorffs Zusammenarbeit mit dem "Goldmacher Tausend" erst in einen späteren Zeitraum fällt, kann es sich auch nicht um etwaig eingeholte Auskünfte in Fragen rund um diesen Themenkomplex gehandelt haben.)
Abb. 2: Brief Erich Ludendorffs an den Gießener Chemiker Karl Schaum, 12. Februar 1922 (Herkunft: Ebay, April 2015)(9) |
Schaum war nicht der einzige Professor der Universität Gießen, mit dem Erich Ludendorff in diesen Jahren in Verbindung stand. Erich Ludendorff erwähnt auch den evangelischen Theologen Hans Schmidt (1877-1953) (Wiki) (I, S. 181):
Als Professor Schmidt, Gießen, die Alkoholfrage von einer anderen Seite aufgriff und dabei die großen Hemmungen erörterte, die eben unsere Angriffe im Frühjahr und Frühsommer 1918 tatsächlich durch die Plünderung der feindlichen Weinlager erfahren hatten, konnte ich das nur ernst begrüßen.
Er bringt sein Unverständnis über Kameraden zum Ausdruck, die in der Benennung dieser Umstände die "Ehre des Heeres" als beschmutzt ansahen:
Ich war da anderer Ansicht. Nur durch Wahrheit können wir genesen. Die von Professor Schmidt berührten Tatsachen enthielten Wahrheit. (...) Ich mußte mir selbst in der Rechtfertigung des Professors Schmidt Zurückhaltung auferlegen, sonst hätte ich den lieblichen Vorwurf zu hören bekommen, ich suche in dem Alkohol den "Sündenbock" für meine "verfehlte Kriegführung". So sind die Menschen!
Schon in jungen Jahren hatte Schmidt als Pfarrer in Breslau die Folgen des Akoholmißbrauchs kennengelernt, war dann Soldat im Ersten Weltkrieg und in britischer Kriegsgefangenschaft. 1921 bis 1928 war er Theologie-Professor in Gießen (14, S. 20):
In diesen Gießener Jahren hat Hans Schmidt eine wesentliche Aktivität gegen den Alkoholismus entfaltet. (...) Er gab Reden und Studien heraus unter dem Titel "Die Alkoholfrage in der Religion" (Bd. 1 1926, Bd. 2 1927. (...) Die Alkoholproblematik hat Hans Schmidt offensichtlich nicht losgelassen, daß er ein so bedeutendes Aufgebot an Fachgelehrten zusammengebracht hat, die sich alle mit dieser Problematik unter ihrem Fachthema befassen wollten.
In seiner Schrift "Die Heerführer Deutschlands und der Alkohol im Kriege" aus dem Jahr 1927 brachte er drei Briefe Erich Ludendorffs zu der genannten Thematik. Schmidt schreibt zu diesen Briefen (zit. n. 13, S. 167):
Überall findet man, daß er meine Auffassung von der (verheerenden) Wirkung des Alkohols auf unsere Offensiven im Jahr 1918 teilt.
Das handschriftliche Schreiben, in dem Ludendorff den Abdruck dieser Briefe erlaubte, ist noch erhalten (Zvab):
München den 12.6.Hochverehrter Professor!Gern stimme ich dem Abdruck zu. Mitdeutschem GrußLudendorff.
Das Jahr ist im Datum nicht genannt. Womöglich war es das Jahr 1927.
"Er war voll und ganz Heide" - Der Würzburger Medizinprofessor GeigelDaß ein so angesehener und weltweit berühmter General wie Erich Ludendorff sich nach dem Kapp-Putsch nach und nach der noch sehr kleinen und unbekannten völkischen Bewegung in Deutschland zuwandte, hat damals viele Menschen beeindruckt. Insbesondere natürlich solche Menschen seiner Generation, die das schon früher getan hatten als er selbst. Und noch einmal wurden viele Menschen beeindruckt, als bekannt wurde, dass er aus der Kirche ausgetreten war. Dies waren jeweils Anlässe dafür, dass sich Menschen aus völkischen und kirchenfreien Kreisen, die heute oft völlig vergessen sind, und die auch Erich Ludendorff zumeist in seinen Lebenserinnerungen gar nicht erwähnt, an ihn gewandt haben. Einige Beispiele sind in früheren Beiträgen hier auf dem Blog schon gebracht worden. Zumeist wird es wohl nur bei oberflächlichen Kontaktaufnahmen geblieben sein. In diesem Blogbeitrag sollen zwei solcher Kontakte behandelt werden, zum einen mit dem Würzburger Medizinprofessor Richard Geigel und mit dem völkischen Naturwissenschaftler Otto Schmidt-Gibichenfels aus Halle-Rietleben.
Da hatte es in Würzburg einen katholisch getauften Professor der Medizin gegeben mit dem Namen Alois Geigel (1829-1887) (1). Dieser hatte sich schon in den 1880er Jahren öffentlich vom christlichen Glauben losgesagt und einen "deutschen Glauben" vertreten. Dabei war er auch "sonst" keineswegs altbacken-konservativ. Über ihn wird berichtet (2):
Er erkannte - wie vor ihm Rudolf Virchow am gleichen Ort - die Zusammenhänge zwischen Armut und Krankheit und ließ es an sozialkritischer Publizistik nicht fehlen.
Geigel bekannte sich öffentlich zum Atheismus und zu einer Schwärmerei für die nordische Sagenwelt.
Nun, ein "deutscher Glaube" dürfte nicht so ohne weiteres mit Atheismus gleichzusetzen sein und die Verwendung des Begriffes "Schwärmerei" deutet ebenfalls auf einen christlichen Hintergrund des Autors dieser Zeilen. 1884 jedenfalls hatte Alois Geigel eine Schrift heraus gegeben mit dem Titel "Über Wissen und Glauben", auch erschienen unter dem Titel "Andwaranaut - Ueber Wissen und Glauben", wobei der Begriff Andwaranaut der Name eines Goldringes aus der nordischen Sagenwelt war. Auf diese Schrift hatte ein K. Braun mit einer anderen Schrift geantwortet: " 'Deutscher Glaube'? - Entgegnung auf eine Schrift von Dr. A. Geigel, Prof. der Medicin an der Universität Würzburg - Über Wissen und Glauben". Alois Geigel war schon drei Jahre später im 58. Lebensjahr gestorben.
1919 wird in "Lebensläufe aus Franken" (hrsg. im Auftrag der Gesellschaft für Fränkische Geschichte, Band 1) über diesen Alois Geigel berichtet (3, S. 106-116):
Geigel ist voll und ganz Heide. Ein der modernen Philosophie wie der Theologie gleich fremder Gottesbegriff wird eingeführt, ein Gott oder ein Göttergeschlecht, Leib und Leben nach Mannesart, selbst geworden, für sich und andere um das Gute und gegen das Schlechte ringend, nach Vollkommenheit strebend .... Erst im Jahre 1914 gelang es seinen Kindern, den Vertrag mit dem Verleger zu lösen und den Andwaranaut in einem ...
Abb. 3: Dr. Richard Geigel (1859-1930), Professor der Medizin in Würzburg |
Der Sohn von Alois Geigel, Richard Geigel (1859-1930), scheint also nicht nur beruflich in die Fußstapfen seines Vaters getreten zu sein, indem er ebenfalls Professor der Medizin an der Universität Würzburg wurde. Er scheint dies auch weltanschaulich getan zu haben. Er gehörte zur Generation von Erich Ludendorff, war sechs Jahre älter als er. Wie eben erwähnt, hatte er 1914 die Schrift seines Vaters "Andwaranaut - Ueber Wissen und Glauben" erneut heraus gegeben zusammen mit einem Vorwort von Emil Hubricht, einem damaligen Schriftsteller der völkischen Bewegung.
Durch Originalität zeichnete sich der Polikliniker Geigel aus, ein Meister in der Abfassung von feinen und leicht ironischen Gutachten, deren sich die Fakultät stets bediente, wenn sie unbequeme Zumutungen des Ministeriums in München bekämpfen wollte. Er war das Haupt einer Musikbande, die aus Würzburger Professoren oder Bürgern bestand - z. B. den beiden Brüdern Stöhr und dem Pharmakologen Kunkel. Während der Herbstferien hauste diese Gesellschaft zu Ammerland am Starnberger See und gab täglich kleine Konzerte, wobei das Hornblasen die Hauptrolle spielte.
Abb. 4: Kurzer Brief Erich Ludendorffs an Professor Richard (?) Geigel, 1920er Jahre |
Der Poststempel ist verwischt. Er ist adressiert an "Herrn Prof. Dr. Geigel Ammerland am Starnb. See". Der kurze Brieftext lautet:
Heilmannstr. 24.8.72401Sehr geehrter Herr Professor!
Ich bin am 30. wahrscheinlich zu sprechen, ich bitte nach Eintreffen um Anruf.
Mit deutschem Gruß
Ludendorff
Was Richard Geigel mit Erich Ludendorff besprochen hat, kann nur vermutet werden. Wahrscheinlich hat dieses Gespräch stattgefunden, nachdem bekannt geworden war, dass Erich Ludendorff aus der Kirche ausgetreten war, vielleicht auch, nachdem seine Frau Mathilde Ludendorff ihre Schrift "Deutscher Gottglaube" auf seinen Wunsch hin herausgebracht hat, eine sehr volkstümliche Heranführung an einige Inhalte ihrer Philosophie.
Richard Geigel hatte sich auch selbst mit volkstümlichen Schriften beschäftigt. Und sein 1924 erschienenes Buch "Beobachten und Nachdenken - Eine Anleitung zu Naturbeobachtungen" ist erst letzten Herbst vom Springer-Verlag neu herausgegeben worden (6; s. Amazon).
- Artikel „Geigel, Alois“ von Julius Pagel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 274–275, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: http://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Geigel,_Alois&oldid=1705519 (Version vom 20. August 2014, 09:25 Uhr UTC)
- Herrlinger, Robert, „Geigel, Nikolaus Alois“, in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S. 141 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118861638.html
- Lebensläufe aus Franken. Hrsg. im Auftrag der Gesellschaft für Fränkische Geschichte, Band 1. 1919
- Fischer, Emil: Aus meinem Leben - Geschrieben in dem Unglücksjahre 1918. Berlin 1922
- wolfrich (Verkäufer aus Homburg/Saar): um 1918 General Erich Ludendorff, Brief mit Umschlag, eigenhändige Unterschrift. Ebay-Angebot zum 24. Aug. 2014
- Geigel, Richard: Beobachten und Nachdenken - Eine Anleitung zu Naturbeobachtungen. 1924; erneut: Springer-Verlag, Heidelberg 2013 (Amazon)
Auch der Naturwissenschaftler und Schriftleiter Dr. Otto Paul Schmidt-Gibichenfels (1861-1933) gehörte zur Generation Erich Ludendorffs. Er war vier Jahre älter als Ludendorff. Aus seinem erhaltenen Briefwechsel mit Ludendorff geht hervor, dass Ludendorff die von ihm herausgegebenen Zeitschriften las und schätzte. Bis 1922 hatte er die vergleichsweise anspruchsvolle völkische Zeitschrift "Politisch-Anthropologische Monatsschrift" (1901-1922) herausgegeben, ab 1925 ihre Nachfolge-Zeitschrift "Die Sonne - Wochenschrift für deutsches Volkstum" (1925-1927). Die erstere war 1901 von Ludwig Woltmann begründet worden unter dem Titel "Politisch-Anthropologische Revue". Nachdem Woltmann 1907 verunglückt war (im Mittelmeer ertrunken), übernahm zunächst der Lebensreformer Friedrich Landmann dieselbe, gab sie aber 1911 an Dr. Otto Paul Schmidt-Gibichenfels ab (1, S. 291f). Von da an fiel die Auflage der Zeitschrift allmählich ab. Im 10. Jahrgang von 1911/12 finden sich Aufsätze wie:
Arthur Moeller van den Bruck: Die Kultur der Etrusker S. 205-217, Ludwig Schemann: Neues aus der Welt Gobineaus S. 603-612, 635-650
Im 15. Jahrgang von 1916 findet sich Aufsätze wie (672 S.):
Erhaltung und Veredelung der germanischen Rasse; Franz Haiser: Freihandel; H. G. Holle: Nationalitätsprinzip oder völkische Lebenskraft?; Strünckmann: Heereskrankheiten und Kriegsseuchen; Hermann W. Siemens: Kritik der Rassenhygiene; Paul Buchholz: Wie muss die innere Kolonisation geleitet werden?; Ernst Wachler: Rasse und Dichtkunst; Fr. Sigismund: Frauenbewegung und Staat; Bohemicus: Über die Worte "deutsch-böhmisch", "böhmisch" u. ..
Abb. 1: Politisch-Anthropologische Monatsschrift - Monatsschrift für praktische Politik, für politische Bildung und Erziehung auf biologischer Grundlage, Jg. 1916/17 |
Es handelte sich also um Beiträge sehr allgemeiner Art und ein weites Themenspektrum betreffend. Unter der Herausgeberschaft von Schmidt-Gibichenfels ging die Bezieherzahl der Zeitschrift im ersten Jahr 1911 auf 1.200 zurück und schmolz in den nächsten zehn Jahren auf 800 (1, S. 292):
.... weshalb die Zeitschrift im Sommer 1920 in finanzielle Schwierigkeiten geriet und vom "Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund" übernommen wurde, der sie als eine "der besten wissenschaftlichen Zeitschriften zur Förderung rassenbiologischer Erkenntnis" und als das "geistige Rüstzeug für die Durchführung unseres Kampfes um die Erhaltung des Deutschtums" würdigte. Nach dem Verbot des "Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes" stellte die "Politisch-Anthropologische Monatsschrift im Herbst 1922 ihr Erscheinen ein.
Nach Ende der Zeitschrift 1922 tritt Schmidt-Gibichenfels 1925 kurzfristig als Mitherausgeber der Zeitschrift "Die Sonne - Wochenschrift für deutsches Volkstum" in Erscheinung. 1927 zieht er sich in seinen Geburtsort Nietleben zurück und publiziert in den 1930er Jahren vermehrt über Währungsfragen.
Leider ist aus den bisher zugänglichen Teilen des Briefwechsels zwischen Erich Ludendorff und Gibichenfels nicht alles vollständig und rund rekonstruierbar, so dass viele Fragen offen bleiben und eben vor allem konstatiert werden kann, dass es eine Verbindung zwischen beiden gegeben hat.
Man darf vermuten, dass der Brief aus Abb. 1 aus dem Jahr 1925 stammt. Soweit er entzifferbar ist, hat er folgenden Wortlaut:
München, Heilmannstraße den 22.7. [1925]Geehrter Herr Dr. Schmidt-Gibichenfels!Aufrichtig freue ich mich, daß Sie jetzt die Schriftleitung der Sonne haben.
Denn damit bekommt sie / ... / wie ihn Ihre Anthropologischen Hefte hatten.
Für Ihre Stellungnahme in der / ... ... / sage ich ihn(en) meinen Dank. Ich war bisher sehr allein, weil die Menschen so dumm und feige sind und glauben nur ihnen die eigenen ...vorerzählen. Auch aus meiner Einsamkeit heraus kämpfe ich. Bitte lesen Sie den kl. Aufsatz, er erscheint nach einer über den heutigen Tage 14 /?/ und ist hier schon erschienen.Mit deutschem GrußLudendorff.
Er ist schwer zu entziffern. Falls Leser weitere Lesarten entdecken, bitte melden!
"Ich lese Ihre Zeitschrift aufmerksam" (21. November 1925)
Auch der folgende Brief Ludendorffs könnte datieren auf den 21. 11. 1925. Gegebenenfalls aber auch auf den 21. 11. 1926.
Der Wortlaut:
München, Heilmannstr., 21.11.
Mein lieber Herr Schmidt-Gibichenfels.Zunächst herzlichen Dank dafür, daß Sie mich auf Ihren Aufsatz hinweisen, nötig war es nicht, denn ich lese Ihre Zeitschrift aufmerksam. Ich stehe ebenfalls auf dem Boden Ihres Aufsatzes und bin auch der Ansicht, daß es in jedem Volk auf die "Herren" /oder "Gene"?/ ankommt. Den Herren wird es leichter, wenn die Masse die Notwendigkeiten einsieht u. die Form versteht. Eine Verbreitung Ihrer Ansichten ist mir immer erwünscht. Wo finden Sie aber auf der Rechten Verständnis für diese Fragen. Sie versteht ja auch nicht, daß um Deutschland zur Gesundung zu bringen, der Bolschewismus in Rußland getroffen werden muß. Und daß in dem Unvermögen, dies zu tun ein Teil unserer verzweiflungsvollen Zustände begründet ist.
Auch Interviewer aus anderen fremden Staaten kamen zu mir, namentlich ließ Herr Arnold Rechberg sich angelegen sein, mir solche zuzuführen. Er wirkte für einen europäischen Block gegen Sowjetrußland, der durchaus damals meinen Ansichten entsprach. Wie sollten wir des Kommunismus Herr werden, wenn er uns tagtäglich von Rußland aus gebracht wurde? Bei diesen Besprechungen hörte ich denn auch Ansichten aus den entsprechenden Fremdstaaten.
Vielleicht datiert der Brief darum auch schon auf das Jahr 1921 und beziehen sich Ludendorffs Worte auf die erste Zeitschrift, die Gibichenfels herausgab. Dann würde auch die Redeweise von den "Herren" und von "Herrenschicht", die Ludendorff spätestens 1932 völlig ablehnte, verständlicher sein.
Zumindest im Jahr 1926 hat Otto von Schmidt-Gibichenfels mehrere Artikel in Ludendorffs Wochenzeitung "Deutsche Wochenschau" veröffentlicht über außenpolitische Fragen. So in der Ausgabe vom 14.3.1926 ("Der Rattenfänger" über Gustav Stresemann und anderes).
"Dem Besitz und der Leistung ihre Rechte geben" (5. 1. 1927)
Sodann gibt es noch einen weiteren Brief Ludendorffs an Otto Schmidt-Gibichenfels (s Kotte Autographen, pdf, S. 252 - "E. Brief mit U., o. O., 5. Januar 1927, 3½ Seiten auf 2 Bll. 8"):
Ich bin Ihrer Auffassung. Die Not heute bringt das Volk zur Besinnung, wenn’s sein Recht fordert. So betrachte ich es sogar nur aus /?/ daher, daß es sich nicht von Neuem von dem Juden und der Socialdemokratie einfangen läßt. Für mich ist die wirtschaftliche Frage nur insofern geklärt, daß wir sie erst lösen können nach Überwindung der politischen Machtstellung der Juden. Es ist ein enger Thorlauf [?]. Wenn wir diese Stellung überwinden, dann erst können wir wirtschaftliche Maßnahmen treffen [...] Wir neigen aber wieder einmal dazu, daß wir uns die Köpfe einschlagen über das, was vielleicht nicht kommen könnte. Eins ist für mich klar, daß wir beizeiten das Denken der Deutschen umstellen müssen u. dem Besitz u. der Leistung ihre Rechte geben, ebenso dem Dienst wie dem Besitz an der Gemeinschaft [...].
Otto Paul Schmidt-Gibichenfels schrieb in einem Brief - Nietleben, 16. Februar 1937 wohl 1927 (da Gibichenfels ja schon 1933 starb!) (1 Seite gr.-4°. Gedruckter Briefkopf) - an Erich Ludendorff in Tutzing:
(…) Eure Exzellenz teilen mir (…) mit, daß Sie zur Zeit nicht imstande sind, meine Ihnen übersandte Schrift, die vor kurzem erschienen ist, zu lesen. Da es vielen so ergeht, habe ich in der Anlage versucht, Inhalt und Bedeutung meiner Schrift so kurz und klar, wie nur irgend möglich, darzulegen. Eure Exzellenz wissen sicher auch, daß Bismarck von seinen Räten verlangte, den wesentlichen Inhalt langer Aktenstücke in wenigen Worten wiederzugeben (…)“
Hier zeichnet sich eine Distanzierung zwischen beiden ab.
Erich Ludendorff schrieb an den Schriftsteller und Naturwissenschaftler Dr. Schmidt-Gibichenfels in Rietleben bei Halle (E. Brief m. U., o. O., 2. April o. J., Seite 8, Antiquariat):
M. 2. 4.
Sehr geehrter Herr Dr. Schmidt Gibichenfels,
Ich nehme keine Aufsätze unmittelbar an. Diese ist der ... . Mit deutschem Gruß
Ludendorff.
Man müßte sich wohl mit der Person und den Aufsätzen von Otto Schmidt-Gibichenfels noch gründlicher auseinandersetzen, um zu einem lückenloseren Verständnis dieses Briefwechsels kommen zu können.
(Erster Entwurf: 31.10.09, Ergänzung: 27.9.2014, Ergänzung Schaum: 5.4.15)
- Hufenreuter, Gregor: Wege aus den "inneren Krisen" der modernen Kultur durch "folgerichtige Anwendung der natürlichen Entwicklunglehre". Die Politisch-Anthropologische Revue (1902 - 194). In: Michel Grunewald und Uwe Puschner (Hg.): Krisenwahrnehmungen in Deutschland um 1900. Zeitschriften als Foren der Umbruchszeit im wilhelminischen Reich. Peter Lang Verlag, Bern 2010, S. 281 - 296 (Google Bücher)
- Schmidt-Gibichenfels, Otto: Wen soll ich heiraten? Berlin 1907
- Schmidt-Gibichenfels, Otto: Das Problem der besten Gesellschaftsordnung. Thüringische Verlags-Anstalt, Leipzig 1909
- Schmidt-Gibichenfels, Otto: Der Krieg als Kulturfaktor als Schöpfer und Erhalter der Staaten. Thüringische Verlagsanstalt, Hildburghausen 1912; Verlag Kraft und Schönheit, 1916 (32 S.) (Sonderdruck aus der Politisch-Anthropologischen Revue) (Google Bücher)
- Schmidt-Gibichenfels, Otto: Politisch-Anthropologische Monatsschrift für praktische Politik, für politische Bildung und Erziehung auf biologischer Grundlage. Als "Politisch-Anthropologische Revue" begr. 1901 von Ludwig Woltmann. Thüringische Verlags-Anstalt, Hildburghausen-Berlin: X. Jg., 1911, XIII. Jg., 1915, Politisch-Anthropologischer Verlag, Berlin-Steglitz 1916/1917 XV. Jg., 1916, XIX. Jg., 1920/21 (572 S.), XX. Jahrgang 1921/1922 (566 S.)
- Schmidt-Gibichenfels, Otto: Der Sozialismus im wahren und im falschen Sinne. Polit.-Anthropologischer Verl., 1919 (19 S.)
- Schmidt-Gibichenfels, Otto: Ordnung der Volks- und Weltwirtschaft auf neuer Grundlage. Ein Beitrag zur Ermöglichung eines wirklichen und dauerhaften Völkerfriedens nach Kriegsende. Akademischer Verlag, Halle 1939, 1940
- Erich Ludendorff: E. Brief m. U., o. O., 2. April o. J., ? Seite 8°. An den Schriftsteller u. Naturwissenschaftler Dr. Schmidt-Gibichenfels (1861-1933) in Rietleben b. Halle: "[?] Ich nehme keine Auflage [?] an [?] Mit deutschem Gruß [?]". Anbieter: Kotte Autographs GmbH D - 87672 Roßhaupten Bestellnummer: 5958 Preis: 150.00 Eur. Auf: Antiquariat [15.1.2012]
- Markus Brandes Autographs ("brandesautographs"): General Erich Ludendorff autographed letter signed. Ebay-Angebot für 262 US-Dollar, 5.4.2015
- Hock, Lothar: Karl Schaum zum Gedächtnis. In: Nachrichten der Giessener Hochschulgesellschaft, 17/1948, S. 170-181; auf: Giessener Elektronische Bibliothek, geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2013/.../NGH_17_1948_170_181.pdf
- Maurer, Turde: "... und wir gehören auch dazu". Universität und "Volksgemeinschaft" im Ersten Weltkrieg. Vandenhoeck & Rupprecht, Göttingen 2015 (GB)
- Schmidt, Hans: Die Heerführer Deutschlands und der Alkohol im Kriege. Neuland-Verl., Berlin 1927 (23 S.)
- Hampe, Ilse: Papsch im Ersten Weltkrieg. Briefe eines Stabsoffiziers (GB)
- Wallis, Gerhard: Hans Schmidt (1877-1953) - Wesen und Weg. In: Reformation und Neuzeit - 300 Jahre Theologie in Halle, 1694-1994. Hrsg. von Udo Schnelle. Walter de Gruyter, Berlin, New York 1994 (GB), S. 17-29
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