Sonntag, 12. November 2017

"Diese völkischen Religionsdilettanten"

Ein angesehener katholischer Schriftsteller im Februar 1932 über die "Religionsknetereien" der "arischen Christen" der NSDAP und die "Ehrlichkeit" des Hauses Ludendorff diesen gegenüber

Die österreichische Hauptstadt Wien war und ist bis heute ein Zentrum des politischen Katholizismus. Dort kann man, fest und ruhig im "rechten Glauben" wurzelnd, seinen Blick gerne einmal schweifen lassen über die unruhigen Zeiten hinweg. So tat dies im Februar 1932 einer der führenden katholischen Publizisten seiner Zeit, der auch die Achtung politischer und weltanschaulicher Gegner genossen habe - wie mit einem gewissen Respekt vermerkt wird (Wien-Wiki), nämlich Joseph Eberle (Pseudonym Edgar Mühlen) (1884-1947) (Wiki). Dieser war Schriftleiter der Zeitschrift "Das Neue Reich - Christlichsoziale Wochenschrift für Kultur, Politik und Volkswirtschaft", eine Zeitschrift, die zwischen 1918 und 1938 in Wien erschienen ist, und die den größten Teil ihrer Leserschaft im katholischen Teil des Deutschen Reiches fand.

Abb. 1: Spruchkarte der NSDAP zum Wählerfang
innerhalb eines damals in nicht geringen Teilen noch ziemlich am Christentum hängenden Volkes

Eberle war ein katholischer Antisemit, man darf dementsprechend auch annehmen: Freimaurer-Kritiker. Und er war konsequenter Unterstützer des Austrofaschismus. Und natürlich haben er und seine Zeitschrift sich - vom sicheren Hort des eigenen katholischen Glaubens aus - auch mit den religiösen Auseinandersetzungen ihrer Zeit beschäftigt. Eberle ist diesbezüglich gerade heraus, er scheint kein Intrigant gewesen zu sein, keiner, der mit doppeltem Boden argumentierte. Und er beobachtete - wie so viele Aufgewecktere - die starken zeitgeistigen Bewegungen weg vom Christentum, für die ja damals nicht nur die Sozialdemokraten und Kommunisten bekannt waren, sondern mehr noch im bürgerlichen Lager die völkische Bewegung. 

"Entjudaisierung des Christentums" im Dritten Reich


Als Antisemiten waren die Nationalsozialisten von vornherein dazu veranlagt, auf die "jüdische" Bibel scheel zu blicken. Und aus diesen Gefühlslagen heraus entstanden die starken Bestrebungen zur "Entjudaisierung des Christentums" innerhalb der evangelischen Kirche von Seiten der "deutschen Christen" bis hin zu Adolf Hitler, seinem Reichsbischof Müller und bis hin zu Alfred Rosenberg (Wiki). Diese Bewegung wurde auch von Seiten des Ehepaares Ludendorff immer wieder mit kritischen Aufsätzen begleitet und charakterisiert (zusammen gestellt in: 1).

Unter dem sonst offenbar nie in der Zeitschrift benutzten Pseudonym "Teutonicus" erschien in der genannten Wiener rechtskatholischen Zeitschrift im Februar 1932 ein Aufsatz, der sich auch mit den religionskritischen Stellungnahmen des Ehepaares Ludendorff beschäftigte. Er trug den keineswegs doppelbödigen oder irgendwie zynischen Titel "Von Luther zu Ludendorff. Das Entweder-Oder der völkischen Religion" (2). Im folgenden wird davon ausgegangen, daß dieser Aufsatz vom Schriftleiter Joseph Eberle selbst stammte. Uns scheint zunächst nichts gegen, aber einiges für diese Annahme zu sprechen. Der Verfasser, Joseph Eberle also vermutlich, hatte, wie der Aufsatz zeigt, das im Vorjahr erschienene Buch "Erlösung von Jesu Christo" von Mathilde Ludendorff gelesen. Und das Lesen dieses Buches - sowie das Lesen der Kritik dieses Buches durch Alfred Rosenberg - mag ihn veranlaßt haben, einen Aufsatz zu schreiben darüber, daß die völkischen Religionsbestrebungen innerhalb des Protestantismus voller Halbheiten wären und daß sie deshalb für ehrliche Menschen ein "Entweder-Oder" fordern würden, ein "Entweder-Oder", vor das zumindest Erich und Mathilde Ludendorff ihre Leserschaft klar stellen würden. Eberle schreibt über Erich Ludendorff:
Man möge ihn bekämpfen, gut! Aber sein Werk ist danach angetan, ernst genommen zu werden. Was er und Mathilde Ludendorff zu der völkisch-religiösen Bewegung unserer Zeit zu sagen haben, ist zu schwerwiegend, um auf Dummejungenart damit fertig werden zu wollen. (...) Hier handelt es sich darum, daß bewiesen wird: eine völkisch-rassige Religion, und möge sich noch so viel vom Christentum an Anschauungen, Dogmen und Symbolen übernommen haben, kann nie und nimmer Christentum sein. (...) Wer sich der Logik Roms nicht beugen will, der muß sich dann als geistig gesunder und vor sich selbst ehrlicher Mensch der Ludendorffs unterwerfen.
Alfred Rosenberg und die mit ihm sympathisierenden Kreise waren von den katholischen Kräften schon im Jahr 1923 als Hauptgegner erkannt worden. (So äußert sich jedenfalls Putzi Hanfstaengel in seinen Erinnerungen über dieses Jahr.) Auch der "Preuße" Erich Ludendorff war schon in jenem Jahr und in den Folgejahren noch viel mehr von den Kräften des politischen Katholizismus in Bayern und anderwärts als ihr bewußter Gegner ausgemacht worden und als solcher innerhalb und außerhalb der völkischen Bewegung scharf bekämpft worden. Schon Ende 1924 hatten Versprechungen der Kräfte des politischen Katholizismus an Adolf Hitler über den bayerischen Ministerpräsidenten Held eine Trennung Hitlers von Ludendorffs Kurs gegen den politischen Katholizismus bewirkt.

Nach seiner Heirat mit Mathilde Ludendorff im Jahr 1926 und in Auseinandersetzung mit ihren philosophischen Werken hatte sich Erich Ludendorff dann entschiedener vom Christentum überhaupt abgewandt als die meisten völkischen Zeitgenossen seiner Zeit. 1929 hatte Ludendorff zusammen mit seiner Frau das Buch "Das Geheimnis der Jesuitenmacht und ihr Ende" heraus gebracht. Spätestens seit diesem Zeitpunkt scheint die völkische Bewegung in Deutschland von Seiten der Weltmacht Rom als die gefährlichste Gegnerin überhaupt ins Auge gefaßt worden zu sein. Karlheinz Weissmann, der "katholischste Protestant", den der Rechtskatholik Götz Kubitschek jedenfalls jemals in seinem Leben will kennen gelernt haben, erklärte in der Neubearbeitung des Buches "Konservative Revolution" von Armin Mohler, daß die völkische Bewegung ausgerechnet im Jahr 1929 ihre geistige Bedeutung verloren habe. Wie er ausgerechnet dieses Jahr 1929 ausgemacht hat, sagt er dabei nicht.

Während jedenfalls die elitären katholischen Strippenzieher längst die Ludendorff-Bewegung als den Hauptfeind ihrer Bestrebungen erkannt hatten Anfang der 1930er Jahre, war ihnen auch klar geworden, daß diesem Hauptfeind gegenüber die Kreise rund um Alfred Rosenberg vergleichsweise harmlos waren und man mit ihnen noch "taktieren" konnte, auch um die gefährliche Ludendorff-Bewegung dabei so weit als möglich ins Abseits stellen zu können. Wenn möglich sogar durch die NSDAP selbst.

Von solchen elitär-katholischen Strippenziehereien scheint dem Autor des hier behandelten Aufsatzes wenig bewußt gewesen zu sein. Er freut sich beim Lesen von Mathilde Ludendorffs Buch "Erlösung von Jesu Christo" und der oberflächlichen Kritik Rosenbergs an diesem Buch nur, daß der einflußreich gewordenen Bewegung rund um Rosenberg mit dem Haus Ludendorff ein Gegner entstanden ist, den er selbst als den konsequenteren, weil nicht in Halbheiten steckenden bleibenden erkennen kann. Er sagt: Wenn schon nicht christlich, dann richtig nicht christlich. Er freut sich über Ehrlichkeit und Geradlinigkeit. Ein womöglich eher seltenes Geschehen in der damaligen katholischen Publizistik.

Abb. 2: Ein Zeugnis für den Zeitgeist: Arischer Jesus - Karikatur im "Stürmer"

"Die Ehrlichkeit, zum Christentum ein glattes Nein zu sagen"


Eberle führt aus, daß alles "arische", "heldische" Christentum mit seinem "arischen", "heldischen" Jesus", um das sich in jenen Zeiten viele Nationalsozialisten und nationalsozialistische Pfarrer und - wie wir heute angesichts von Hitlers Bibliothek erahnen können - wohl auch Adolf Hitler selbst bemühten, unmöglichste, konfuseste "Halbheiten" seien:
Wir jedenfalls gestatten uns, demgegenüber die völkische Logik allein bei den Ludendorffs zu finden, die mit einer Klarheit, die wirklich nichts zu wünschen übrig läßt, im Gegensatz zu diesen völkischen Religionsdilettanten die völlige Einheit des alt- und neutestamentlichen Gottesbegriffs beweisen.
Als Beleg bringt er in einer Anmerkung an dieser Stelle:
Mathilde Ludendorff. Erlösung von Jesu Christo. München 1931. Seite 131 und öfter.
Die genannten "Religionsdilettanten" wollten ja damals ein angeblich "arisches", "heldisches" Geistesgut innerhalb der Bibel von dem übrigen jüdischen Geistesgut der Bibel aussondern, jeder wieder auf andere Weise, wozu eben gerne auch unterschiedliche Gottesbegriffe im Alten und Neuen Testament unterstellt wurden. Und Eberle ist nun froh, angesichts all dieses Halben und Konfusen in Mathilde Ludendorff jemanden gefunden zu haben, die wenigstens bei solchen Halbheiten nicht mitmachte. Er schreibt weiter - gegen Alfred Rosenbergs damalige Kritik an Mathilde Ludendorff:
Vollends sonderbar berührt es, wenn völkische Kritiker Mathilde Ludendorff, der Heidin, vorwerfen (...), sie schreibe ohne jede Berücksichtigung der protestantischen Bibelkritik.
Bekanntlich war für Rosenberg diese Bibelkritik die Grundlage, mit deren Hilfe er "wissenschaftlich" "aussortieren" wollte, was von den Bibelinhalten weiterhin als gültig anzusehen sei und was nicht. Solchen "Religionsknetereien" als welche Rosenbergs Hoffnungen und Erwartungen ganz richtig charakterisiert werden, schreibt Eberle ins Stammbuch:
Ludendorff jedoch erklärt mit einer Entschiedenheit und Überzeugtheit, die jedem Katholiken Ehre machen würde, die Einheit und Geschlossenheit des von der Kirche gelehrten Christentums, Mathilde Ludendorff weiß, daß die Schrift, so wie sie uns vorliegt und so wie die Kirche sie lehrt, das Christentum bedeutet. (...) Schon zu Anfang ihres Buches stellt sie den Grundsatz auf: "Da jedes Wort der Evangelisten als Wort Gottes den Völkern gelehrt wird und Vorbild für sie ist, so ist bei solcher Betrachtung jedes Wort der vier Evangelien gleich wichtig. Es müssen alle Worte beachtet werden. Keine kritische Behandlung des Christentums hat diese Grundforderung erfüllt und deshalb hat keine wirklich überzeugt." (Erlösung, S. 9)
Abb. 3: "Von Luther zu Ludendorff - Das Entweder-Oder der völkischen Religion" Sonderdruck aus "Das Neue Reich", 6., 13. und 20. Februar 1932

"Das finstere Lachen des Heiden Ludendorff"


Natürlich behandelt Eberle hier nicht, daß Mathilde Ludendorff zum "historischen" Wahrheitsgehalt des Inhalts der Bibel sowieso noch einen viel radikaleren Ansatz hat als die traditionelle protestantische Bibelkritik. Sie unterstellt ja (was zwischenzeitlich auch zahlreiche andere Autoren getan haben), daß ein großer Teil der biblischen Jesus-Geschichte ursprünglich Buddha-Geschichten aus Indien gewesen wären, die von Juden in Alexandrien zu jüdischen Jesus-Geschichten umgeschrieben worden seien. Und er behandelt hier nicht, daß Mathilde Ludendorff als Religionspsychologin und -philosophin die Wirkung der Bibelinhalte wichtig ist. Weil unabhängig von ihrem historischen Wahrheitsgehalt Menschen an diese Inhalte glauben, zumal buchstabengläubige. Und Eberle freut sich nun, daß Mathilde Ludendorff aus dieser Absicht ihres Buches her das Neue Testament als Ganzes nimmt und alle Teile gleichwertig behandelt. Er schreibt dann wieder zur politischen Ebene zurückkehrend:
Adolf Hitlers Halbheit, für ihn selbst so folgenschwer, liegt darin: ein völkischer, ein Rassestaat im Sinne der Nationalsozialisten ist als christliche Schöpfung, ja selbst als rein politische Schöpfung nur unter Duldung seitens des Christentums ein Unding.
Mit diesem Satz steht er völlig auf dem Standpunkt von Erich und Mathilde Ludendorff. Die elitären katholischen Strippenzieher, denen an dieser katholischen Duldung und Befürwortung des gerade entstehenden Dritten Reiches alles lag zu jenem Zeitpunkt, werden über solche Sätze entweder die Stirn gerunzelt oder gelächelt haben. Eberle weiter über den Christen und Katholiken Hitler:
Er ist nicht tief genug in den Geist des Christentums eingedrungen, um zu erkennen: dies Christentum ist ein Ganzes, bei ihm gibt es, seiner Natur nach, keine Privatsache, im Christentum ist der ganze Mensch, also auch der politische Mensch der Religion Gehorsam schuldig.
Und auch das ist ein Gedanke, den das Ehepaar Ludendorff wieder und wieder betont hat. Denn er enthält eine Fülle von Implikationen für den gesamten politischen und kulturellen Bereich, im Grunde für jeden Lebensbereich einer Gesellschaft. Diesen Gedanken erläutert denn Eberle noch weitergehend. Eberle führt dann Zeugnisse für all die Halbheiten der völkisch-christlichen "Religionskneter" an, die er offenbar bei Mathilde Ludendorff behandelt und in ihrem feierlichen Bombast schon als lächerlich kritisiert gefunden hat. Und auch er nennt sie "Schäferspiel mit geliehenen Masken und Fähnchen", nennt sie "Alfanzereien" und fährt dann nach dem Anführen solchen bombastischen Getöses und solcher arisch-christlicher Glaubensbekenntnisse fort:
"Mehr kann man nicht verlagen!" sagt Mathilde Ludendorff bissig dazu, aber ich wüßte außer den Ludendorffs niemanden zu nennen - ich spreche hier von den Völkischen -, der die gerade Ehrlichkeit aufgebracht hätte, zu dem Christentum ein glattes Nein zu sagen.
Und Eberle kennt - wie Mathilde Ludendorff - die psychologischen Ursachen für all die Halbheiten. Er wird quasi zum katholischen "Rosenberg"- und "Hitler-Versteher", wenn er schreibt:
Denn es gehört schon eine große Kraft, viel Überwindung dazu, mit liebgewordenen Anschauungen auf einmal ganz zu brechen. Die schönen Erinnerungen aus der gläubigen Jugendzeit sozusagen aus dem Gedächtnis zu streichen und mit umgekehrten Zeichen zu werten. Da ist es freilich viel bequemer, einfach zu sagen: früher haben wir das nur falsch verstanden und jetzt sind wir "im wahren Christentum". 
Eberle schreibt ganz auf konsequent-katholischer Linie:
Alle diese völkischen Christen vergessen, daß die christlichen Gebote, z. B. das der Feindesliebe, der Demut, der Missionierung des Erdkreises ("Gehet hin und lehret alle Völker") sich immer irgendwie geschichtlich-politisch, nicht nur rein religiös auswirken müssen. Mögen sie es sich, wenn nicht von einem Katholiken, so von Ludendorff, dem Antichristen, sagen lassen, daß das Christentum überpersönlich ist, also nicht und nie danach fragt, was dem einzelnen an der Lehre gefällt und was nicht; und noch etwas, was für die Völkischen wohl das Wesentlichste ist: nämlich daß selbst jedes Überbleibsel des Christentums, das man in die völkische Rassegemeinschaft übernimmt, sich früher oder später gegen den Rassestaat auswirken muß und ihm noch vor seinem endgültigen Gestaltwerden zu Fall bringen wird.
Daß sich solche Gedanken innerhalb Deutschlands ausbreiten könnten, daß war damals die große Sorge der elitär-katholischen Kreise. Und mit dieser Sorge sollten sie ja spätestens ab 1935 nur allzu deutlich recht behalten. Eberle führt dann zahlreiche Halbheiten insbesondere des damaligen "Geistchristentums" des Nationalsozialisten Artur Dinter (1876-1948) in diesem Sinne an und sagt dazu:
Mit diesem halben Christentum läßt sich weder eine "artgemäße Religion", noch "die Aufrichtung eines dritten Reiches, eines völkischen Großdeutschland" erreichen.
Und abschließend sagt er zu dieser Clownerie:
Klatscht Beifall, Freunde, die Komödie ist zu Ende. Und durch den öden Raum hallt nur noch das finstere Lachen des Heiden Ludendorff.
Dieser ganze Artikel ist womöglich ein eher ungewöhnliches Zeitzeugnis und ihm wurde deshalb hier ein ganzer eigener Beitrag gewidmet.

Abb. 4: Sonderdruck "Von Luther zu Ludendorff", Februar 1932, Seite 2 

Abb. 5: Sonderdruck "Von Luther zu Ludendorff", Februar 1932, Seite 3

Abb. 6: Sonderdruck "Von Luther zu Ludendorff", Februar 1932, Seite 4
Aber in vielem erinnert er natürlich auch an die Predigten des Münchner Kardinals Faulhaber, die ein Jahr später unter dem Titel "Judentum, Christentum, Germanentum" erschienen. Kardinal Faulhaber war ein Befürworter der Teilnahme Deutschlands am Spanischen Bürgerkrieg, das der Durchsetzung des klerikal-faschistischen Franco-Regimes diente (Wiki):
Im November 1936 sprach Faulhaber in einer Predigt über die Bereitschaft zum Leiden und heroischen Taten, die die christliche Weltanschauung fordere. Als Beispiele nannte er den von NS- und anderen rechten Kreisen zum Märtyrer erhobenen Albert Leo Schlageter, auf dessen katholische Konfession er sich bezog, und die „Helden“ des Alcázar im spanischen Bürgerkrieg.
Bei ihm haben wir es also schon wieder mit einem Taktierer erster Sorte zu tun. Da ist nichts mehr ehrlich. Er läßt von verdächtigen Neuheiden katholische Kriege, bzw. Kriege im katholischen Interesse führen und fordert von ihnen "Leiden und heroische Taten". Da ist man wieder im tiefsten Sumpf angelangt, den man mit dem Aufsatz des "Teutonicus" einmal für eine kurze Weile hatte verlassen können.


/In Teilen überarbeitet: 25.12.2017/

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  1. Ludendorff, Erich und Mathilde: Die machtvolle Religiosität des deutschen Volkes vor 1945. Dokumente zur deutschen Religions- und Geistesgeschichte 1933 - 1945. Zusammengestellt und erläutert von Erich Meinecke. Freiland-Verlag, Viöl 2004
  2. Teutonicus (Pseud.): Von Luther zu Ludendorff. Das Entweder-Oder der völkischen Religion. In: Das Neue Reich. Jg. 14, 6., 13. und 20. Februar 1932, Folgen 19-21, S. 359-60, 379-80 und 401-02
  3. Bading, Ingo: Ludendorff regt die Veröffentlichung der Schrift "Protestantische Rompilger" an Tagebuch-Einträge von Alfred Rosenberg zwischen den Jahren 1936 bis 1938. Auf: Studiengruppe Naturalismus, 19. September 2015, http://studiengruppe.blogspot.de/2015/09/ludendorff-regt-die-veroffentlichung.html

Mittwoch, 8. November 2017

Erich Ludendorff im Jahr 1919

Für jedes einzelne Jahr von 1914 bis 1918 ist hier auf dem Blog schon eine chronologische - und möglichst vollständige - Zusammenstellung von Fotografien von Erich Ludendorff (1865-1937) (Wiki) gegeben worden. Diese Reihe findet mit dem vorliegenden Beitrag ihre Fortsetzung für das Jahr 1919. Nach und nach sollen dabei auch Inhalte aus dem Leben Erich Ludendorffs im Jahr 1919 eingearbeitet werden. Es soll dabei nicht im Vordergrund stehen, wie bedeutungsvoll diese Lebensinhalte jeweils waren. Es steht vielmehr das Kriterium der Vollständigkeit im Vordergrund.

Ludendorff auf Gut Hässleholmsgården in Schweden (27. November 1918 bis 23. Februar 1919)


Abb. 1: Margarethe und Erich Ludendorff, Weihnachten 1918 in Schweden (aus: 16, S. 361)

Seit dem 27. November 1918 weilte Erich Ludendorff auf dem Gut Hässleholmsgården (Wiki) im mittleren Schweden, hundert Kilometer nördlich von Malmö (und damit von Kopenhagen) (s. G-Maps). Er wohnte dort - offenbar auf Vermittlung der finnischen Regierung und auf ihre Kosten unter falschem Namen. Die finnische Botschaft in Berlin hatte zuvor bei dem Besitzer des Gutes, dem Dressurreiter und Rittmeister der schwedischen Armee, Ragnar Olson (1880-1955) (Wiki, engl), kurzfristig angefragt, ob die Unterbringung eines hochrangigen deutschen Generals bei ihm möglich sei.

Abb. 2: Ludendorff und das Ehepaar Olson auf Gut Hässleholmsgården

Ludendorff schrieb dort - in größter Zurückgezogenheit - seine Kriegserinnerungen. Olson selbst hatte zuvor Jahre lang in Berlin gelebt und das Gut erst 1917 käuflich erworben. Zehn Jahre später, 1928, sollte er als Turnierreiter an den Olympischen Sommerspielen in Amsterdam teilnehmen und dort Bronze im Dressurreiten und Silber im Dressur-Mannschaftswettbewerb gewinnen. 1930 sollte das Gut Hässleholmsgården erneut seinen Besitzer wechseln (Wiki). Auf dem schwedischen Wikipedia steht, daß sich Olson in Schweden einen schlechten Ruf erworben habe ("beryktad") dadurch, daß er Ludendorff als Gast beherbergt hatte (Wiki).

Ein Revolver im Dorfmuseum Bjärnum in Schweden

Ein Revolver im Museum des Dorfes Bjärnum, 15 Kilometer nördlich von Gut Hässleholmsgården, gab dem schwedischen Blogger Jan Elundius Anlaß, sich ausführlicher mit dem Aufenthalt Ludendorffs in Schweden zu beschäftigen, vor allem auch anhand schwedischsprachiger zeitgenössischer Quellen und Literatur. Denn sein vormaliger Besitzer war Kommunist und sehnte 1918 auch für Schweden die kommunistische Revolution herbei. Und als bekannt wurde, daß Ludendorff in Schweden weilte, gab es unter den Sozialisten und Kommunisten in Schweden viel Unmut über diesen Umstand, es wurde öffentlich mit Gewalt gegenüber Ludendorff und seinem Gastgeber gedroht. In einer ausführlicheren Darstellung dazu wird über Olson berichtet (17):

... Er spannte sein Pferd Maharaja vor seinen eleganten Einspänner und fuhr zum Bahnhof Hässleholm. Er wollte im Hafen von Malmö einen unbekannten Gast in Empfang nehmen. Ragnar Olson, geboren in 1880 Krstianstad, war ein bekannter Dressurreiter, der mehrere deutsche Meisterschaften gewonnen hatte. Bis 1917 hatte er zusammen mit seiner Frau Mia, geborene Kockum, die aus einer wohlhabenden Schiffs-Besitzer-Familie stammte, in Berlin gelebt. Am Ende des Jahres kaufte Olson Hässleholmsgården, ein Gut kurz vor der erst vor wenigen Jahren begründeten Stadt. Der konservativ eingestellte Rittmeister hatte sich nicht länger sicher in Berlin gefühlt, er nahm an, daß der Krieg bald verloren gehen würde. Er fürchtete, daß die Sozialisten eine blutige Revolution planten.
Am 21. November 1919 hatte Olson ein Telegram der finnischen Botschaft in Berlin erhalten, das mit wenigen Worten fragte: "Können Sie sehr kurzfristig einen hochrangigen deutschen Offizier auf ihrem Gut als Gast empfangen?" Natürlich würde die finnische Botschaft alle Kosten für den Aufenthalt des Gastes übernehmen. ... Die aufgeregte Mia fürchtete schon, der unbekannte Gast könnte der Kaiser selbst sein.  ....
Ragnar Ohlson yoked his horse Maharaja to his elegant dogcart and drove down to Hässleholm´s railway station. In Malmö harbour he was going to receive an unknown guest. Ragnar Ohlsson, born in Kristianstad in 1880, was a well-known dressage rider who had won several German championships. Until 1917, he had together with his wife Mia née Kockum, born from a wealthy shipyard owning family, lived in Berlin. Later the same year Ohlson bought Hässleholmsgården, an estate just outside the recently founded town. The conservative lieutenant had no longer felt safe in Berlin, assuming that the war soon would be lost and fearing that the socialists planned a bloody revolution.
On the 21st November 1919 Ohlson received a telegram from the Finnish Embassy in Berlin, which briefly asked: "Can you with short notice receive a high-ranked German officer as guest at your estate?  Of course, the Finnish Embassy would cover all costs for the guest's stay. Without a doubt, Ragnar Ohlson responded that he would be most pleased to serve, but when he enquired who the guest might be, the Embassy responded that his identity was far too confidential to be communicated over telephone, or telegraph. The upset Mia Ohlson wondered frightfully if it the unknown gust could not be the Kaiser himself. The Swedish press had revealed that Wilhelm II had left Germany on the tenth of November and probably was in the Netherlands. Since the Finnish Embassy in Berlin was so reluctant to convey who the high-ranking guest could be it was quite possible that it could be the deposed and fleeing German emperor. Ragnar Ohlsson shook his head in disbelief, but he was uncertain. In the afternoon of November 27th, 1918, Lieutenant Ohlsson did in Malmö harbour welcome his mysterious guest whom he, in spite of the dark blue glasses and a shaved-away moustache, immediately recognized. The German guest had provided the Swedish authorities with a Finnish diplomatic passport, which declared:  The Finnish delegation in Berlin requests all concerned parties to allow the Finnish citizen and member of the Finnish Foreign Affairs Council, Ernst Lindström, to unrestrictedly obtain free passage and in case of need be provided with protection and assistance. However, it was not an alleged Ernst Lindström who arrived on Swedish soil. It was no less person than General Erich Ludendorff, who until a month ago in reality had been supreme commander of the German army, as well as sovereign dictator of the German Empire, dominating both the Kaiser and the actual Commander-in-Chief, Hindenburg. 

Am 27. November 1918 kam Ludendorff - von Kopenhagen aus - im Hafen von Malmö an. Er wurde von Olson dann von dort per Zug und Einspänner nach Hässleholmsgården begleitet. 

Abb. 3: Ludendorff auf Gut Hässleholmsgården

Und weiter (17):

... Er begann einen Tag nach seiner Ankuft mit dem Schreiben seiner Kriegserinnerungen, deren Umfang zum Schluß 827 Seiten ausmachten ohne alle Notizen aber mit einem großen Atlas vor sich auf dem Schreibtisch im Kinderzimmer der sechsjährigen Marit ...
... his 827 sided Meine Kreigserinnerung 1914-1918, which he began writing the day after his arrival at Hässleholmsgården by the desk in the room of Ohlson's six-year-old Marit, without any help of notes, but with a large atlas in front of him. The Ohlson couple asked their guest work if he did not want to work undisturbed by their little daughter, but uncle Lindström, who was known to be fond of children, answered that a man like him, who was used to work with a war waging around him,   liked to have a loveable little girl playing in the room. According to him, sensing the vicinity of a child had a calming effect on his nerves.

Und (17):

... Ludendorff stand um 9 Uhr auf, machte einen einstündigen Spaziergang in der winterlichen Landschaft, meistens allein, manchmal in Begleitung von Rittmeister Olson. Dann setzte er sich an den Schreibtisch und schrieb, während das Mittagessen und Abendessen zu ihm auf das Zimmer gebracht wurden. Um sieben Uhr abends kam der General dann nach unten in den Salon, wo er am Kamin dem aufmerksam zuhörenden Ehepaar Olson aus dem vorlas, was er während des Tages nieder geschrieben hatte.
At Hässleholmsgården, Ludendorff rose at nine o'clock, ventured on an invigorating one-hour stroll through the wintry landscape, usually alone, but sometimes in the company  of Lieutenant Ohlson. Then he sat down by the desk in Marit's room and wrote intensively, while lunch and dinner were brought up to him. At seven o'clock the general came down to the parlour where he by the fire place, to the attentively listening Ohlson spouses, read aloud what he had written during the day.

Am 23. Januar fragte Ludendorff bei Sven Hedin an, ob er zu einem Besuch nach Hässleholmsgården kommen könne. Hedin kam zwei Tage später und Ludendorff las ihm aus den Kriegserinnerungen vor. Hedin riet ihm, nicht zu offene Worte zu schreiben darüber, daß Hindenburg an den militärischen Leistungen der Kriegsführung keinerlei Anteil hatte (17):

Am frühen Morgen des 23. Februar war es sehr kalt, der Boden war so trocken, daß Rittmeister Olsen entschied, Ludendorff mit dem Einspänner zum Bahnhof nach Sösdala zu bringen.
Early in the morning of February 23rd it was very cold, but the ground was dry so Lieutenant Ohlson decided to bring Ludendorff with the dogcart down to the train station in Sösdala.

Das lag zwanzig Kilometer südlich von Hässleholmsgården und bot größere Gewähr dafür, daß Ludendorff nicht noch auf dem Bahnhof von unmutigen Kommunisten bedroht werden könnte. 

Ludendorff kehrte in das von der Revolution erschütterte Deutschland zurück. Einige Fotografien von seinem Aufenthalt in Schweden sind überliefert (Abb. 1 bis 3). Zu den weiteren Wohn- und Lebensorten Ludendorffs in diesem Jahr sind schon andere Artikel hier auf dem Blog erschienen (Stg Nat 2012).

Abb. 5: Das Arbeitszimmer Ludendorffs in der Viktoriastraße in Berlin 1919/20 (aus: Lebenserinner., S. 65)

Die meisten Fotografien Erich Ludendorffs aus dem Jahr 1919 stammen dann aber schließlich aus dem November 1919. Sie sind entstanden im Umfeld der aufsehenerregenden Aussagen Hindenburgs und Ludendorffs vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß des Reichstages im 18. November 1919. Obwohl dieser Umstand einigermaßen sicher sein dürfte, können derzeit dennoch die meisten der hier dokumentierten Fotografien noch kaum sicher nach Tag und Ort zugeordnet werden.

Aber bevor wir auf diese Fotografien zu sprechen kommen, sei hier noch ein Thema behandelt, das selbst guten Kennern der Biographie von Erich Ludendorff kaum bekannt sein wird.

Ludendorff als Ehrengast im Freundeskreis rund um den Berliner "Kladderadatsch" (1919)

Nirgendwo in seinen Lebenserinnerungen berichtet Erich Ludendorff, daß er schon in seiner Zeit als Leutnant im Seebataillon 1887 bis 1890 - vermutlich in Kiel - den Verleger der Berliner politisch-satirischen Wochenzeitschrift "Kladderatsch" (Wiki) kennengelernt hatte. Es war dies ein Rudolf Hofmann. Und gleich nach seiner Rückkehr aus Schweden im Frühsommer 1919 bewegte er sich eine Zeit lang im Umkreis dieses Verlegers. Vermutlich war ihm dieser Personenkreis nicht bedeutend genug, um ihn in seinen Lebenserinnerungen zu erwähnen. Dieser Personenkreis ist aber durchaus bezeichnend für jenes Umfeld, in dem sich Ludendorff damals bewegte in einem Lebensabschnitt, den er mit den Worten "auf nationalen Wegen" kennzeichnete.

Abb. 1: Hindenburg besucht Ludendorff in der Viktoriastraße in Berlin (wohl November 1919)

Im Rückblick auf sein Leben meinte Erich Ludendorff, daß er sich bis zum März 1920 auf tradionell "nationalen Wegen" bewegt habe im Umkreis jenes Patriotismus, den es schon im Kaiserreich gegeben hatte. Und genau hierzu gehörte auch der Mitarbeiterkreis des "Kladderadatsch". Am 23. Februar 1919 war er von Schweden nach Berlin zurück gekehrt (1, S. 46). Zunächst hatte er bei seinem Freund, dem Hauptmann Breuer, gewohnt, dann einige Tage im Hotel Adlon. Am 27. Februar 1919 gab er einem Vertreter der "Telegraphen-Union" (Wiki), einer Nachrichtenagentur, die zum Hugenberg-Konzern gehörte, ein erstes Interview. Es erschien noch am selben Tag in der Abendausgabe der "Frankfurter Zeitung" auf der Titelseite. In dem Artikel heißt es (13):

Je länger der Krieg dauerte, desto größeren Wert habe er auf die Stimmung im Volke gelegt. Bei der Auffassung des Ernstes unserer Lage und bei der ungeheuren Verantwortung, die auf seinen Schultern lag, habe er den Frieden gewünscht, aber nicht jeden Frieden. Ihm sei kein Fall bekannt, weder im Juni 1917 noch im März 1918, oder sonst irgend wann, wo ein Friedensschluß, auch der eines Verständigungsfriedens, auf der Grundlage des status quo möglich gewesen wäre. Alles sei an dem Vernichtungswillen des Gegners gescheitert. Mit diesem Vernichtungswillen des Feindes habe die Regierung rechnen müssen und er sei für ihn maßgebend gewesen bei allen seinen Entschließungen.
Meinen Widerstand, so fuhr der General fort, gegen diesen Vernichtungswillen gab ich erst auf, als ich sah, daß die Kriegsfähigkeit des deutschen Volkes einen entschiedenen Niedergang erlitten hatte. 

Dies sei ihm durch die Ereignisse des 8. August 1918 klar geworden:

Eine Besserung war bei den Zuständen und dem gebrochenen Kriegswillen in der Heimat, der auch den körperlich Tüchtigen fast für die Front wertlos machte, nicht zu erwarten. Vielmehr war mit einem weiteren Niedergang mit Sicherheit zu rechnen. (...) Darum trat ich Mitte August an die Regierung mit der Erklärung heran, daß wir den Feind durch kriegerische Ereignisse nicht mehr friedenswillig machen könnten. Daraufhin herrschte Einigkeit darüber, daß der Krieg jetzt auf schnellstem Wege zu beenden sei. (...) Ich bezweckte lediglich, daß mit den Verhandlungen überhaupt begonnen wurde. (...) Als es dann klar wurde, daß der Feind uns Bedingungen auferlegte, die uns ihm auf Gnade oder Ungnade ausliefern sollten, hoffte ich allerdings, daß die Volksabstimmung unter dem Druck dieser unglaublichen Zumutungen nun doch noch einen Aufschwung nehmen würde, der die Widerstandskraft des Heeres stärken und den Feind zu einer Milderung seiner Bedingungen zwingen würde. (...)
Zum Schluß der Unterredung erklärte der General: Ich stehe für meine Stellungnahme mit meiner ganzen Person ein und habe nur den Wunsch, den ich auch der Regierung übermitteln werde, einem Gerichtshof gegenübergestellt zu werden, der über meine Taten im Zusammenhang und aktenmäßig urteilen kann.

Der Wiedergabe der Ausführungen Ludendorffs wurde eine Stellungnahme angehängt eines - offenbar - namentlich nicht genannten Autors, der - der Sache nach - in Zweifel stellt, ob die Aussage Ludendorffs richtig sei, daß ein Status-Quo-Friede nicht möglich gewesen sei. Dazu heißt es in der Stellungnahme:

Vielleicht haben unsere großen Ansprüche im Osten nicht wenig dazu beigetragen, den Vernichtungswillen unserer Gegner nur zu stärken?
Außerdem wird die Kritik vorgetragen, Ludendorff sei unpsychologisch und übereilt vorgegangen bei der Forderung nach einem Waffenstillstandsangebot. - - - Ludendorff wurde in diesen Tagen im Hotel Adlon auch besucht von dem damaligen Freikorpsführer Oberst Wilhelm Reinhard (1869-1955) (Wiki). Im Zusammenhang mit ihm kommt Ludendorff ein wenig auf jenes oberflächlich-nationale Umfeld zu sprechen, in dem er sich damals bewegte (1, S. 52):
Er (Reinhard) bat mich, doch eines Mittags zu Hiller zu kommen, um dort mit seiner näheren Umgebung zusammen zu sein. Ich staunte über "Hiller". Das war in der Vorkriegszeit eine der teuersten Gaststätten Berlins. Ich ging hin. Prächtige Menschen waren dort versammelt, durchglüht von dem Wunsche, die Ordnung in Berlin und im Reich wiederherzustellen, aber darüber hinaus ohne klares Wollen. Die Aufmachung selbst allerdings behagte mir nicht. Wein spielte eine große Rolle für recht viele.

In der Vorkriegszeit hatte zu den Gästen des Restaurants Hiller, eines kleinen Restaurants "Unter den Linden" 62/63, nahezu der gesamte deutsche Hochadel gezählt (Wiki). Bei diesem Anlaß traf Ludendorff nun auch, wie er berichtet, den Konsul Salomon Marx (1866-1936) (Wiki). Dieser finanzierte damals interessanterweise die Freikorps (1, S. 52):

Was mich besonders erstaunte, war der Umstand, daß ich in diesem Kreise den judenblütigen Konsul Marx antraf, der, wie ich später hörte, das Freikorps Reinhard "finanziert" hat. Konsul Marx hat mich einmal in Pleß besucht, ich habe ihn dann auch später gesehen. Er war eine Persönlichkeit, die, wie mir schien, bestimmte Ziele verfolgte, ohne daß ich sie recht erkannt hatte. Heute ist es mir klar, daß er einer der Juden war, die in sogenannten rechtsgerichteten Kreisen Einfluß zu gewinnen hatten, um diese nach dem Willen des Juden zu leiten. Ging es nicht durch Geheimorden, so ging es durch wirtschaftliches Abhängigmachen der Rechtsbewegung und durch Bildung von "Organisationen", in denen dann die Geheimorden bequem wirken konnten.

Abb. 2: Hindenburg besucht Ludendorff in der Viktoriastraße in Berlin (wohl November 1919)

Ludendorff erhielt zwar in seiner Berliner Wohnung in der Viktoriastraße viele Besuche, etwa von den Söhnen des Kaisers Wilhelm II. oder von Prinzen anderer vormals regierender Häuser in Deutschland (1, S. 54). Aber, so Ludendorff weiter (1, S. 55):

Sehr viele Bekannte blieben auch aus und mieden mich ängstlich. Hierunter recht viele Offiziere der früheren Obersten Heeresleitung.
Im Generalstabsgebäude, das er damals für eine Unterredung mit dem Oberst von Mertz aufsuchte, sei er "beinahe frostig begrüßt" worden:
In der Tat trennte mich damals schon eine Welt von früheren Kameraden, deren Charakter sich in der Revolutionszeit so wenig bewährt hatte.

Sein ehemaliger Reserveoffizierskamerad aus dem Seebataillon, Rudolf Hofmann, ist nun Ludendorff gegenüber offensichtlich nicht frostig eingestellt gewesen. Dieser hatte die Verlagsbuchhandlung seines Vaters schon im Jahr 1881 übernommen gehabt (Wiki). Offenbar tat er aber auch noch danach zeitweise Dienst als Reserveoffizier im Seebataillon und hatte vermutlich dabei den Leutnant Ludendorff kennengelernt (2, S. 192). Als Leutnant war Ludendorff dann Ende der 1880er Jahre mehrmals in Hofmanns Grunewald-Villa zu Besuch, wenn er in Berlin weilte. Und das tat er ja nicht selten, schließlich lebten Ludendorffs Eltern und Geschwister ebenfalls in Berlin.

Bei diesen Besuchen hatte Ludendorff flüchtig auch den im Haus von Hofmann lebenden Schriftleiter der Zeitschrift "Deutsche Rundschau" (Wiki) kennengelernt: Paul Lindenberg (1859-1943) (Wiki) (2, S. 192). Über dessen Erinnerungen sind die hier genannten Zusammenhänge überliefert und sie bilden die Grundlage für den ersten Teil des vorliegenden Blogbeitrages (siehe auch Anhang ganz unten). Der "Kladderadatsch" war damals längst eine Institution im politischen und kulturellen Leben Berlins. Mit seinen zahlreichen, bekannten Karikaturen war er im Laufe der Jahre zu einem Bismarck-treuen Wochenblatt geworden, zu einem Wochenblatt, durch das Bismarck oft überhaupt erst für viele Menschen bekannt und volkstümlich geworden ist (siehe z.B. Bildersuche). - Nur die vielleicht berühmteste Bismarck-Karikatur, nämlich "Der Lotse geht von Bord" (Wiki), ist nicht im "Kladderadatsch" erschienen, sondern am 29. März 1890 im britischen Magazin "Punch". Aber ansonsten wird die Bedeutung dieser Karikaturen auch in dem Umstand ersichtlich, daß in den derzeitigen Wikipedia-Artikel zu Bismarck mehrere dieser Karikaturen aus dem "Kladderadatsch" zur Veranschaulichung eingestellt worden sind.

Abb. 3: Vormaliger Vizekanzler Karl Helfferich (1872–1924), Hindenburg und Ludendorff (wohl 18. November 1919)

Seine Rolle als "Institution" behielt das Wochenblatt auch noch nach dem Ersten Weltkrieg bei. Zum Stammtisch des "Kladderadatsch" gehörte auch der einstmals von Kaiser Wilhelm II. sehr favorisierte und protegierte Theaterdichter Joseph von Lauff (1855-1933) (Wiki). Bevor dieser Schriftsteller geworden war, war er ebenfalls zwanzig Jahre lang Berufsoffizier gewesen. Es handelte sich bei den Angehörigen dieses Kreises um patriotische, kaisertreue Schriftsteller, Künstler und Verleger im Stil der Vorkriegszeit, die bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges auch alle ihre Anstrengungen in den Dienst der deutschen Kriegsführung stellten. Auch "Dr. Toeche", also Konrad Toeche-Mittler (1869-1954) (Munziger), der damalige Inhaber des Verlages E.S. Mittler & Sohn, des bedeutendsten Berliner Militärverlages, in dem 1919 auch die "Kriegserinnerungen" Erich Ludendorffs erscheinen sollten und mehrere nachfolgende Veröffentlichungen Ludendorffs, gehörte zum Bekanntenkreis von Paul Lindenberg und wird in seinen Erinnerungen erwähnt (2, S.  105)

Abb. 4: Vormaliger Vizekanzler Karl Helfferich (1872–1924), Hindenburg und Ludendorff (wohl 18. November 1919)

Gleich am Anfang des Krieges hatte Lindenberg 1914 als Kriegsberichterstatter an der Schlacht bei Tannenberg teil genommen (2, S. 179-183). Hier hatte er den ihm nur flüchtig von früher her bekannten "Leutnant" Ludendorff nun in ganz anderer Stellung wieder getroffen. (Siehe mehr dazu unten im Anhang dieses Blogbeitrages.) von Lauff war ebenfalls Kriegsberichterstatter geworden. Und so wie auch die Münchner bekannte satirische Zeitschrift "Simplicissimus" mit Olav Gulbransson und Ludwig Thoma (1867-1921) (Wiki) ihre Anstrengungen in den Dienst der Kriegsführung stellte (3), so auch der Berliner "Kladderadatsch".

Und so wie Erich Ludendorff Ende Juli 1921 Ludwig Thoma besuchte zur politischen Aussprache (3), so fand er zwei Jahre zuvor in Berlin im Umkreis des "Kladderadatsch" politische Freunde. Seit 1909 war Schriftleiter des "Kladderadatsch" Paul Warncke (1866-1933) (Wiki) gewesen. Dieser hatte in dieser Zeit zahlreiche patriotische Gedichte veröffentlicht, auch auf Hindenburg und Ludendorff.

Abb. 5: Vormaliger Vizekanzler Karl Helfferich, Hindenburg (x), Ludendorff (xx), General von Lüttwitz (November 1919)
(Ort und Anlaß vorerst nicht bekannt, vielleicht am 1.11.1919)

Der Stammtisch des "Kladderadatsch" versammelte sich jedes Jahr zum 1. März, um des Geburtstages Otto von Bismarcks zu gedenken, den viele Mitglieder des Stammtisches - auch Paul Lindenberg - noch persönlich in Friedrichsruh besucht und gesprochen hatten. Das Lokal des Stammtisches waren die "Trarbach'schen Weinstuben" in Berlin-Charlottenburg. Es könnte ein ähnliches Lokal wie das von Ludendorff schon genannte "Hiller" gewesen sein. Jedenfalls spielte natürlich auch dort - so wie bei Hiller - der Wein eine Rolle. Viele der Schriftsteller dieses Kreises gehörten einer Generation an, die etwa zehn bis sechs Jahre vor Erich Ludendorff geboren worden ist. In diesem Kreis jedenfalls sah sich Ludendorff mit Wohlwollen und Anerkennung empfangen (was dieser in seinen Lebenserinnerungen wie gesagt - als ihm inzwischen sicherlich zu unerheblich - nicht erwähnte).

Abb. 6: Hindenburg und Ludendorff, wohl November 1919, vorerst unbekannter Ort und Anlaß (Hindenburg und Ludendorff tragen beide Zylinder, was auf anderen Fotos dieses Jahres nicht der Fall ist)

3. April 1919 -  Ludendorff in Trarbach's Weinstuben

Schriftsteller Lindenberg berichtet über den "Kladderadatsch"-Stammtisch (2, S. 119f):

Nach Kriegsende fanden sich an unserem Tisch so manche Mitkämpfer ein, an erster Stelle neben Ludendorff sein unermüdlicher Helfer im Osten und Westen, General der Infanterie von Eisenhart-Rothe. (...) Fregattenkapitän Bogislaw von Selchow erzählte von dem Ringen bei Skagerrak und den heißen Kämpfen in Flandern. Seine Kriegsdichtungen gehörten zu den besten der Zeit. (...) Drei andere Freunde vertauschten den Waffenrock mit dem bürgerlichen Kleid: Joseph von Lauff, der liebe rheinische Poet, Paul Oskar Hoecker (...) und Walter Bloem.

In dem Ludendorff-Kapitel seiner Lebenserinnerungen berichtet Lindenberg dann (2, S. 195):

... Erst nach dem Krieg sah ich in Berlin Ludendorff wieder. Da mögen einige Tagebuchaufzeichnungen folgen: 3. April 1919. Abends am "Kladderadatsch"-Tisch in Trarbachs Weinstuben, General Ludendorff als Gast. Großer Besuch, viele befreundete Schriftsteller, Künstler, Reichstagsabgeordnete, Offiziere. Ludendorff sitzt zwischen Rudolf Hofmann und mir, sein schmales, energisches Gesicht von gesunder Färbung, die schlanke Figur straff, jeder Zoll Soldat. Nach dem kurzen gemeinsamen Essen hält Paul Warncke, der so manch packendes Gedicht im "Kladderadatsch" Hindenburg und Ludendorff gewidmet hatte, eine zündende Ansprache an den gefeierten Gast.

Während der Rede sei Ludendorff sehr nervös gewesen, habe Brotkrümelchen gerollt. Zur Antwort-Rede sei er dann gleich aufgestanden (2, S. 195):

Er erwähnt zunächst, daß er seit dem 26. August vergangenen Jahres zum erstenmal wieder im Kreise nationalgesinnter Männer weile und welche Freude ihm dies bereite, eine Genugtuung für manche Enttäuschung. Sein Tun und Handeln sei von bestimmter Seite oft falsch ausgelegt worden, aber er möchte hier eins hervorheben: Als er zu Beginn des Krieges das Lied singen hörte "Ich hab mich ergeben mit Herz und mit Hand, Dir Land voll Lieb und Leben, mein deutsches Vaterland", da habe ihn dies tief ergriffen und er habe sich im Stillen gelobt, nur dem deutschen Vaterlande zu dienen, dessen Wohl und Gedeihen seine ganze Kraft zu widmen! Das habe er gehalten und er werde es ferner halten, wenn dies das Vaterland wünsche. Sein dreifaches Hoch gälte dem deutschen Vaterland!
Abb. 7: Hindenburg und Ludendorff auf dem Weg zum parlamentarischen Untersuchungsausschuß des Reichstages am 18. November 1919, links wohl Karl Helfferich

Dieses Lied gilt tatsächlich als das "Lieblingslied des Feldherrn", insofern zeigt diese Angabe, daß die Erinnerungen von Paul Lindenberg als zuverlässig anzusprechen sein werden. Auch an anderen genannten Umständen ist das erkennbar (etwa daran, daß Ludendorff ihm von einer persönlichen Begegnung mit dem älteren Moltke erzählte). Lindenberg berichtet weiter (2, S. 195f):

Im Laufe des Abends unterhielt ich mich viel mit Ludendorff, der auch von unserem Zusammensein in Kreuznach sprach: "Damals bestand noch die feste Hoffnung auf ein glückliches Ende des großen Kampfes. Wir hatten ja unsere Ansprüche zurück geschraubt, aber ohne Siegespreis wollten wir nicht nach Haus heimkehren. Amerika machte uns einen unerwarteten Strich durch die Rechnung. Wir wären jedoch auch mit ihm fertig geworden, mit unserem unvergleichlichen Heer, wenn die Heimat Stand gehalten hätte - nur wenige Monate noch!" Ich erkundige mich nach seinem Kriegsbuch, das erst Anfang Juli erscheinen würde, ein starker Band von sechshundert Seiten: "Das Werk hat mir viel Arbeit gemacht, ich habe in Schweden von 7 Uhr früh bis 1 Uhr nachts daran gearbeitet." Sprechen von Hindenburg. Ludendorff: "Er ist sehr alt geworden, verstehe kaum, daß er noch aushält, hat die Zeit zum guten Abgang verpaßt. Seine Frau hat großen Einfluß auf ihn."

Hindenburg arbeitete ja damals immer noch in der "Obersten Heeresleitung", die inzwischen in Kolberg ansässig geworden war. Ludendorff habe weiter ausgeführt, so Lindenberg (2, S. 196):

Dann: "Die heftigen Angriffe gegen mich haben mich zuerst sehr erschüttert, jetzt habe ich mein seelisches Gleichgewicht wieder gefunden. Hoffentlich rafft sich das Bürgertum endlich auf, um sich der bolschewistischen Strömungen zu erwehren. Nach meiner Ansicht hat die schlechte Ernährung viel zur Entnervung weiter Volkskreise beigetragen."

Die öffentlichen Angriffe gegen Ludendorff durch führende damalige Regierungsmitglieder beschäftigen Ludendorff damals sehr und er nahm in mehreren Schriften dazu Stellung.

April bis August 1919 - Erich Ludendorff im "Kollegen-Kreis"

Abb. 8: Paul Lindenberg -
Unter Hindenburgs
siegreichen Fahnen (1918)

Da Lindenberg ein Buch über Hindenburg schreiben wollte, besuchte er Ludendorff am Vormittag des 29. April 1919 in der Viktoriastraße 26, wo Ludendorff inzwischen - zunächst nur als vorübergehend gedacht - eine Wohnung bei der Schwiegermutter Newman seines ehemaligen Mitarbeiters von Treuenfeld gefunden hatte. Dort unterhalten sie sich zunächst darüber, ob Ludendorff nicht in Berlin-Lichterfelde eine Wohnung finden könne (2, S. 196f):

Ich gebe Ludendorff einige meiner Kriegsschriften und die in großer Auflage erschienene Erzählung "Unter Hindenburgs Fahnen". Ludendorff weist auf den farbigen Umschlag hin, der Hindenburg und ihn hoch zu Roß zeigt: "Das ist historisch unrichtig. Hindenburg ist während des ganzen Feldzuges nie aufs Pferd gestiegen, ich nur sehr selten, wir machten alle Fahrten mit dem Auto."

Von dem Militärmaler Carl Röchling (1855-1920) (Wiki), der dieses Bild gemalt hat (4), ist bis heute bekannt geblieben sein Gemälde "The Germans to the Front" aus dem Jahr 1900. Das Bild, von dem hier die Rede ist, ist offenbar im Internet nicht zugänglich. Allerdings wurden Hindenburg und Ludendorff von Kriegsmalern damals häufiger zu Pferde gemalt, zumal am Anfang des Krieges im Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen an der Ostfront (5). Unter anderem sagte Ludendorff in diesem Gespräch auch über die Folgen der Revolution:

"Alle unsere sittlichen Begriffe sind ins Wanken gekommen, das Rechtsempfinden wird vergewaltigt."

Am 23. August 1919 besuchte Paul Lindenberg Ludendorff erneut. Sie unterhalten sich über den großen Erfolg von Ludendorffs Kriegserinnerungen (2, S. 197f):

Auf eine weitere Frage nach neuen Plänen erwidert er: "Ich habe noch nichts Bestimmtes beschlossen, bin vorläufig hier gut aufgehoben. Wer kann unter den jetzigen Zuständen und Umständen schon Pläne für die Zukunft fassen!"

Für den 29. August 1919 hatte Rudolf Hofmann einen kleinen Freundeskreis zur Pfirsichbowle in den Grunewald, Hagenstraße 9 eingeladen mit der abschließenden Bemerkung "Übrigens kommt Ludendorff!" Lindenberg berichtet (2, S. 198):

Im Freien, nahe dem Wald, war gedeckt, aber ein Gewitter trieb uns ins Haus.

In den Tischreden wurde der Schlacht von Tannenberg vor fünf Jahren gedacht. Ludendorff

erwähnte die ernsten Zeiten und daß er das feste Vertrauen in bessere habe, gab seiner Freude Ausdruck, in diesem von treuem vaterländischem Geist erfüllten Kreise weilen zu können, er sei jetzt durch sein Buch Kollege von uns geworden, er leere sein Glas auf das Wohl dieser Runde nationalgesinnter Männer.

In diesem Kreis mag Erich Ludendorff dann auch Joseph von Lauff begegnet sein. Und dadurch ordnet sich ein Geschenk weitaus besser in seine Biographie ein als uns das bislang verständlich erschienen war, nämlich der Umstand, daß Joseph von Lauff Ludendorff zu Weihnachten 1932 eines seiner Werke schenkte (6).

So wie hinsichtlich des "Simplicissimus" (3) wäre es sicherlich auch einmal interessant zu recherchieren, welche Stellungnahmen es von Seiten des "Kladderadatsch" zu dem weiteren Lebensweg von Erich Ludendorff gegeben hat. (Siehe dazu UB Uni-Heidelberg, bzw. Digi.UB.Uni-Heidelberg.) Vermutlich war der "Kladderadatsch" aber nicht so sehr mit Ludendorff beschäftigt wie der "Simplicissimus", da Ludendorff ja schon 1920 von Berlin nach München umzog. 1922 jedenfalls veröffentlichte er ein "Interview" mit Erich Ludendorff (GB). Unter "Sensationelles von Ludendorff" erschien ein Witzgedicht darüber, daß der Historiker Delbrück unter den Ahnen Ludendorffs eine jüdische Großmutter entdeckt habe (GB). Delbrück hatte ja Ludendorffs Kriegsführung außerordentlich scharf kritisiert.

Im Anhang seien die Passagen in den Lebenserinnerungen von Paul Lindenberg zu Erich Ludendorff  noch etwas detaillierter dokumentiert.

Abb. 9: Ludendorff und Hindenburg vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß,
Zeiczhnung von Herbert Rothgaengel, November 1919

18. November 1919 - Hindenburg und Ludendorff  vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß

Für die Aussage vor dem Untersuchungsausschuß des Reichstages kam Hindenburg schon eine Woche früher nach Berlin (12, S. 406):

Schon seine Ankunft in Berlin am 12. November 1919 glich einem Triumphzug: Er wurde mit militärischen Ehren am Bahnhof Zoologischer Garten willkommen geheißen, und die Reichswehr stellte ihm zwei Offiziere für die Zeit seines Berliner Aufenthalts als Adjutanten zur Verfügung. (...) Hindenburg machte sich in der einen Woche seiner Berliner Aufenthaltes in der Öffentlichkeit keineswegs rar und verschaffte seinen Verehrer genügend Gelegenheit, ihm Ovationen darzubringen.
Ludendorff berichtet (1, S. 74):
General v. Hindenburg wohnte, meinem Vorschlage zufolge, bei dem früheren Staatssekretär Helfferich. (...) Ich sah General v. Hindenburg bei ihm, aber auch in meiner Wohnung in der Viktoriastraße. Er besuchte mich hier, um zu hören, wie ich mir das Auftreten vor dem Untersuchungsausschuß dächte.

Am 18. November 1919 fand dann dieser Auftritt von Hindenburg und Ludendorff vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß des Reichstages statt (1, S. 75-85). Kurt Tucholsky beispielsweise hat einen Bericht über diesen Auftritt geschrieben (11):

Der Zuschauerraum hält den Atem an, wenn Ludendorff spricht. Die Augen der Offiziere in Zivil glitzern hart. Aber so war es hier immer: (...) Sprach Ludendorff, so atmete der Zuschauerraum: Ja - und sprach Doktor Sinzheimer, so sagten die deutschen Seelen: Nein - und die Offiziersfrauen, die da saßen, fühlten: Unser Reich soll wiederkommen. (...) Schlägt nicht das Herz des Volkes für die beiden? (...) Meine Deutschen (...). Sie sind doch sonst nicht so ritterlich, so zartfühlend, so unendlich taktvoll - und das bei zwei Erfolglosen?
Aber, so stellt Tucholsky fest:
Hier spricht das Herz. (...) Hier spricht nicht das Gehirn - hier spricht nur das Herz. Und hätten diese beiden einen scheußlichen Totschlag begangen: eine halbe Nation stünde auf und nähme sich ihrer an.
Erich Ludendorff selbst schreibt über die Zeit nach dem Auftreten vor dem Untersuchungsausschuß (1, S. 95):
In der Sorge für Heer und Volk war ich eins mit den unendlich vielen Deutschen Männern und Frauen. Ich traf mich mit dieser Sorge im besonderen mit Geheimrat Kapp, General v. Lüttwitz, Oberst Bauer und Hauptmann Papst.

Letzterer gründete die "Nationale Vereinigung", die den nachmaligen Kapp-Putsch - wie man aus dem Nachhinein weiß: ziemlich dilettantisch - vorbereitete. Ludendorff weiter (1, S. 100f):

Ich begrüßte es, daß die Verhandlungen vor dem Untersuchungsausschuß am 18.11.1919 die Bewegung gefördert hatten. Auch sonst war ich in ihr tätig, ohne mich etwa der Deutschnationalen Partei anzuschließen. Ich wurde gebeten, bei nationalen Veranstaltungen zu sprechen und bei Veranstaltungen nationaler Jugend zugegen zu sein. Das öffentliche Sprechen ist mir nicht leicht geworden, ich hatte Abneigung zu überwinden. (...) Es (...) lag meinem Einsamkeitsbedürfnis fern. (...) Damals im Winter 1919/20 habe ich den an mich herantretenden Bitten zu reden, entsprochen und war herzlich froh, wenn die Versammlung zu Ende war. Ich wollte dem Volke helfen, wo es mir möglich war. Die Eindrücke, die ich von den Veranstaltungen für die Jugend mit nach Hause nahm, waren recht zwiespältiger Natur. ...
Abb. 10: "An die Kurzsichtigen - Ihr sucht die Wahrheit? Wenn sie aber erscheint, wünscht ihr sie zu allen Teufeln"
Karikatur im Kladderadatsch, November 1919

23. November 1919 - Ludendorff im Theater des Westens

Am 23. November 1919, dem Totensonntag, sprach Erich Ludendorff im Theater des Westens in Berlin-Charlottenburg anläßlich einer Gedenkfeier "Zur Ehrung der Gefallenen" (15):

Meine Frau und ich sind hierhergekommen, um, obschon nicht Charlottenburger, diese Totenfeier mit Ihnen zu begehen. Droben auf dem Kirchhofe am Fürstenbrunner Weg liegen meine lieben Eltern, liegen liebe Verwandte, liegen endlich auch zwei tapfere Söhne, die den Heldentod starben für Kaiser und Reich. Jung, glühend vor Begeisterung zogen sie hinaus, wie Millionen deutscher Männer. Als Fliegeroffiziere erreichte sie die feindliche Kugel, und sie ließen ihr Leben wie zwei Millionen deutscher Kameraden.
Ich bin hierher gekommen, um mit Ihnen der Heldentaten der deutschen Soldaten zu gedenken. Gewaltigeres und Erschütternderes sah der Erdball noch nie als diesen Kampf. Deutschland in Unterlegenheit rang gegen die Welt, und diesen Titanenkampf führte das ganze deutsche Volk. An der Front kämpften kraftvolle deutsche Männer, und wir kämpften siegreich, solange das Volk in der Heimat hinter uns stand.
Was der deutsche Soldat geleistet hat, das steht unerreichbar fest in der Geschichte aller Zeiten. (...) Wir können stolz sein auf unsere Siege. Um sie aber richtig zu verstehen, müssen wir uns vergegenwärtigen, was der deutsche Soldat erlebt, erduldet und was er ertragen hat an Strapazen, an Hunger und Durst und nicht zum mindesten an Kälte in den vier Jahren diese gewiß furchtbaren Krieges. Wir haben an die Männer zu denken, die in dunkler Nacht zwischen platzenden Granaten hindurch über unwegsames Gelände hinweg nach vorn eilen, um den Kameraden vorn abzulösen oder ihm Verstärkung zu bringen. Wir haben an die Schrecken der Schlacht zu denken, in denen Munitionsmengen, wie sie Menschenverstand nie ersonnen hat, gegen Menschleiber geschleudert werden, die in verschlammten Trichterfeldern ihr Leben einsam fristen oder die zusammengepfercht in Unterschlupfen und Kellern hocken, hungernd, frierend, von Ungeziefer geplagt, den Tod im Auge. (...)
Heimat, liebe teure Heimat, vergiß nicht die, die für dich gestorben, und vergiß nicht, wie viele ihrer waren! Heimat, liebe teure Heimat, vergiß auch nicht die Hinterbliebenen, die nun in Sorge ihrem Leben entgegensehen!
Ich bin hierhergekommen, um an einer Stelle des deutschen Reiches den Toten Dank zu weihen. Und ich weiß mich darin eins mit den Führern, die hier oben sitzen. Ich weiß mich darin eins mit dem Generalfeldmarschall, zu dem wir alle mit Liebe und Verehrung sehen. Ich wieß mich darin eins mit dem deutschen Manne, der unser Kaiser und oberster Heerführer war, nach Gottes Willen, und dessen Liebe für seine Soldaten und seine Matrosen ich kenne, der heute fern von uns weilt, weil er in seinem Vertrauen auf die trügerischen Versprechungen der Feinde durch Opferung seiner Person uns einen besseren Frieden verschaffen wollte.
Ich habe bei Lüttich im Kampfe gestanden. Nach meinen Entwürfen gingen später viele deutsche Männer in den Tod. Was schwerer ist, selbst dem Tode ins Auge zu schauen, oder andere in den Tod zu führen, das muß jeder Führer, ob Gefreiter oder General, vor sich und seinem Herrgott in seinem Gewissen abmachen. Ich kann Ihnen nur sagen: Der Führer weit hinter der Front, der denkt nicht nur an Sieg oder Niederlage, der hat auch Söhne im Felde und Liebe daheim, der fühlt sich verantwortlich dem Manne im Felde im grauen Rock! (...) Und diese Pflicht zu tragen, war unendlich schwer. Sie war uns schwerer als der Kamf, den zu führen der Generalfeldmarschall und ich berufen waren. ....

24. November 1919 - Ludendorff in der Garnisonkirche in Potsdam

Eine weitere Veranstaltung, die Ludendorff in seinen Lebenserinnerungen nicht ausdrücklich nennt, war ein Gedächtnis-Gottesdienst am 24. November 1919 in der Garnisonkirche in Potsdam, der - wiederum - von der Deutschnationalen Volkspartei organisiert worden war. In diesem Gottesdienst sprach auch Erich Ludendorff als Hauptredner. Es handelte sich um eine viel beachtete Gegenveranstaltung zur Tagung der Deutschen Nationalversammlung in Weimar. Die Teilnahme Ludendorffs an dieser Veranstaltung spielt gegenwärtig - 2017 - im Zusammenhang mit Erörterungen rund um die Frage, ob die Garnisonkirche in Potsdam wieder aufgebaut werden soll, eine Rolle. Der Autor Matthias Grünzig hat zur Geschichte der Garnisonkirche eine Studie vorgelegt. Über sie wird berichtet (PNN, 5.7.2017):

Grünzig gibt einen Überblick über die zahlreichen Veranstaltungen, die in der Garnisonkirche stattfanden, etwa die von der DNVP organisierte Heldengedächtnisfeier vom 24. November 1919, bei der auch der vormals kaiserliche General Erich Ludendorff sprach. An diesem Tag habe sich, so Grünzig, "zum ersten Mal seit der Revolution das antidemokratische Lager mit einer Großveranstaltung" zurückgemeldet.
Laut der von Grünzing (10) zitierten Zeitungsartikel der damaligen Zeit (9) war diese Rede Ludendorffs schon im November 1919 in der Öffentlichkeit umstritten. In einer Darstellung zur Geschichte der Garnisonkirche aus dem Jahr 1964 heißt es, für die Familien der Gefallenen des Weltkrieges (8, S. 87)
fand am 24. November 1919 in der Garnisonkirche ein Gedächtnisgottesdienst statt. Garnisonprediger Vogel hielt die Predigt, General Ludendorff sprach zu den Angehörigen und zur Gemeinde. Vom Turm aber erschallten, als wäre nichts geschehen, die Glockenlieder "Üb' immer Treu' und Redlichkeit" und "Lobet den Herrn" - weithin über die Stadt, die Havel, ihre Seen und die benachbarten Wälder und Hügel.

Matthias Grünzig, ein Gegner des Wiederaufbaus der Garnisonkirche, referiert den Inhalt von Ludendorffs Rede folgendermaßen (10):

Zunächst interpretierte er die Novemberrevolution auf seine Weise: „Und welches war die Ursache dieses abgrundtiefen Unglücks? Wir wichen zur Genugtuung unserer Feinde von dem alten Preußengeist ab, der uns groß gemacht hat. (…) Die Selbstsucht überwucherte alles Edle im Volk, und kein Gärtner war da, der das Unkraut mit Stumpf und Stiel ausrottete. Und die anderen ließen es wachsen, statt es zu zertreten. Und daran meine verehrten Anwesenden, trägt ein jeder von Ihnen mit die Schuld!“ Dann entwickelte er ein politisches Programm, das auf die Errichtung einer Militärdiktatur hinauslief. Ein weiterer Redner war Johann Rump. Rump war ein nationalistischer Pfarrer, der später der NSDAP beitrat. Rump bezeichnete die Demokratie als „Irrweg“ und geißelte die „furchtbare Schande des Heute“. Seine Rede endete mit einer Prophezeiung: „Auf den Winter deutscher Schmach wird der Frühling deutscher Herrlichkeit folgen“.

Im November 1919 wurde in der Zeitung "Neues Deutschland" sogar an "Hundert Jahre Ludendorff-Rede in der Garnisonkirche" erinnert (14). Die hier versammelten Kräfte drängten offensichtlich auf ein solches Handeln wie es dann drei Monate später im Kapp-Putsch zum Ausdruck kam. Man darf sich aber übrigens fragen, ob es richtig ist, die damaligen monarchischen Kräfte immer so plakativ und rundweg heraus "antidemokratische" Kräfte zu nennen. Das waren alles Bismarck-Anhänger. War Bismarck denn ein "Antidemokrat"? Natürlich sahen diese monarchischen Kräfte im Angesicht der Gefahr des Bolschewismus die Notwendigkeit einer starken, sicherlich auch einer diktatorischen Regierung wie sie Bismarck in einer solchen Lage sicherlich auch als notwendig angesehen hätte. Aber das war für sie ja nicht zwangsläufig der "Normalfall" staatlichen Seins. Sie wurde nur gefordert im Angesicht der vielfältigen politischen Krisen und Probleme, in denen sich Deutschland damals befand.

/ Ergänzt um Ausführungen 
mit Bezug zu den Literaturangaben ...
  •  (13, 14) - 26.11.2019,
  • (15) - 31.7.2020
  • (16, 17) - 26.8.2021 /


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  1. Ludendorff, Erich: Vom Feldherrn zum Weltrevolutionär und Wegbereiter Deutscher Volksschöpfung. Meine Lebenserinnerungen von 1919 bis 1925. Ludendorffs Verlag, München 1940
  2. Lindenberg, Paul: Es lohnte sich, gelebt zu haben. Erinnerungen. Vorhut-Verlag Otto Schlegel, Berlin 1941 (370 S.) (GB)
  3. Bading, Ingo: Die Ludendorff-Bewegung im Spiegel des "Simplicissimus". Studiengruppe Naturalismus, 11. Februar 2012, http://studiengruppe.blogspot.de/2012/02/die-ludendorff-bewegung-im-spiegel-des.html
  4. Lindenberg, Paul: Unter Hindenburgs siegreichen Fahnen. Erzählung aus dem Weltkrieg 1914/15. Mit mehrfarbigem Umschlagbild von C. Röchling und Innenbildern von Willy Werner und A. Roloff Person. Paul Schreiter Verlag, Berlin [1918] (269 S.)
  5. Bading, Ingo: Ludendorff-Verehrung zwischen "Kunst, Kitsch und Krempel". Studiengruppe Naturalismus, 10. März 2013, http://studiengruppe.blogspot.de/2013/03/ludendorff-verehrung-im-bereich-von.html
  6. Bading, Ingo: "Gott ansehen mit klaren, fröhlichen, deutschen Augen". Der niederrheinische Schriftsteller Joseph von Lauff als Verehrer Erich Ludendorffs (1932). Studiengruppe Naturalismus, 23. Dezember 2010, http://studiengruppe.blogspot.de/2010/12/gott-ansehen-mit-klaren-frohlichen.html
  7. Ludendorff, Erich: Mein militärischer Werdegang. Blätter der Erinnerung an unser stolzes Heer. Ludendorffs Verlag, München 1935
  8. Schwipps, Werner: Garnisonkirche Potsdam. Haude & Spenersche Verlagsbuchhandlung, 1964 (104 S.) (GB); Be.bra Verlag, 2001 (134 S.) (GB)
  9. Ludendorff in der Potsdamer Garnisonkirche, in: Germania, Nr. 544, 26.11.1919; Ludendorff in Potsdam, in: Germania, Nr. 545, 27.11.1919; Das Kultusministerium gegen die Potsdamer Totenfeier, in: Berliner Lokal-Anzeiger, 26.11.1919; Eine Kundgebung in der Garnisonkirche zu Potsdam, in: Tägliche Rundschau, 25.11.1919; Neue Ludendorff-Demonstration, in: Vorwärts, Nr. 604, 26.11.1919
  10. Grünzig, Matthias: „Der Geist von Potsdam“ gegen den „Geist von Weimar“. Vortrag auf der Tagung „Das Projekt Garnisonkirche“ in Potsdam am 18.3.2017, https://www.bundes-esg.de/fileadmin/user_upload/aej/Studium_und_Hochschule/Downloads/Themen/gruenzig_GarnisonkircheVortragGeistWeimarText.pdf
  11. Wrobel, Ignaz (d. i. Kurt Tucholsky: Zwei Mann in Zivil. In: Die Weltbühne, 27.11.1919, Nr. 49, S. 659, http://www.textlog.de/tucholsky-mann-zivil.html
  12. Pyta, Wolfram: Hindenburg. Siedler-Verlag, München 2007
  13. "Ludendorffs Rechtfertigungsversuch." In: Frankfurter Zeitung, Abendblatt, 27.02.1919 (Online 12.12.2018: FAZ, pdf
  14. Wilfried Neiße: Adel auf Anpassungskurs - 100 Jahre Ludendorff-Rede in der Garnisonkirche, Neues Deutschland, 25.11.2019, https://www.neues-deutschland.de/artikel/1129097.adel-auf-anpassungskurs.html
  15. Das Vermächtnis der Toten. Reden bei der Gedenkfeier zu Ehren der im Krieg Gefallenen, veranstaltet vom Kreisverband Charlottenburg der Deutschnationalen Volkspartei im Theater des Westens am 23. November 1919. Weihrede des Geh. Konsistorialrats Dr. D. Conrad, Gedenkworte des General von Ludendorff. Schlußwort Professor Dr. von Wilamowitz-Möllendorf. Deutschnationale Schriftenvertriebsstelle Berlin 1920. 15 S. SO (Deutschnationale Flugschrift. 42.) (Deutsche Nationalbibliothek) (zit. in der Zeitschrift "Mensch & Maß", 23.11.1991; ebenso zit. in Uhle-Wettler/Ludendorff, 3. Aufl. 2013, S. 460) 
  16. Cavallie, James: Ludendorff und Kapp in Schweden. Aus dem Leben zweier Verlierer. Lang, Frankfurt am Main [u.a.] 1995
  17. Jan Elundius: A big world in a small one - How World War II began in Hässleholm. (Schwedisch mit vollständigen Literaturangaben), Englisch: https://www.in-spite-of-it-all-trots-allt.se/products/a-big-world-in-a-small-one-how-world-war-ii-began-in-hassleholm/ ohne Jahr [26.8.2021]



Anhang - Weitere Auszüge aus Lindenberg's Erinnerungen

Die Lebenserinnerungen des Berliners Paul Lindenberg (2) kreisen um die Menschen, die er in seinem langen Leben kennen gelernt hat. Er gliedert sie in "Die von der Feder" (u.a. Fontane, Wildenbruch, Theodor Storm), "Die einst Kronen trugen" (v. a. Könige der Balkan-Länder), "Männer des Schwertes" (u. a. der ältere Moltke, Hindenburg, Ludendorff, Falkenhayn, von Francois und andere), Diplomaten (Bismarck, Hohenlohe, Bülow), Künstler (Menzel, Begas, Klinger). Auch Robert Koch und Karl Peters widmet er Kapitel, ebenso den Wagner-Festspielen in Bayreuth. Bemerkenswert sind etwa seine persönlichen Erinnerungen an den alten Theodor Storm und dessen letzten Berlin-Besuch.

1889 - Ludendorff besucht einen Offizierskameraden im Grunewald

Was berichtet Paul Lindenberg über Erich Ludendorff? Zunächst die ersten flüchtigen Begegnungen in Ludendorffs Leutnants-Zeit (2, S. 192):

Ein gastliches Haus in Berlin war das des Verlagsbuchhändlers und Besitzers des "Kladderadatsch" Rudolf Hofmann. (...) Als Reserveoffizier gehörte er einem Seebataillon an, und die vorübergehend in Berlin weilenden oder hierher kommandierten Offiziere desselben zählten häufig zu seinen Gästen. Während Hofmanns den ersten Stock des Eckhauses Link- und Eichhornstraße bewohnten, hatte ich unter ihnen mein bescheidenes Junggesellenheim. Und wenn wir uns oben verabschiedet hatten, kehrten die jüngeren Offiziere meist bei mir noch ein und genehmigten sich den üblichen "Satteltrunk". Wiederholt gehörte zu ihnen Ende der 80er Jahre auch ein schlanker Leutnant, den Hofmann während der gemeinsamen Dienstzeit in Kiel - es kann auch später gewesen sein - näher kennengelernt hatte: Ludendorff. Viele Jahre sollten vergehen, bis in der Grunewaldvilla Hofmanns die Erinnerungen an jene ferne, sorglose Zeit aufgefrischt wurden.

Ludendorff hatte in Berlin-Lichterfelde drei Jahre lang die Kadettenanstalt besucht (1879-1882) (7, S. 6f). Im April 1887 war er zum Leutnant befördert worden und überraschend zum Seebataillon nach Wilhelmshafen und später nach Kiel versetzt worden (7, S. 20ff). Diese Kommandierung dauerte bis 1890. Auch 1905 war er noch einmal vier Wochen lang zur Marine kommandiert. Danach lebte er in seiner dreijährigen Zeit als Schüler der Kriegsakademie, die sich Unter den Linden befand (1890-1893) wiederum in Berlin (7, S. 27-30) und später als Lehrer derselben Kriegsakademie (1906-1908). Und schließlich lebte er in Berlin natürlich während seiner Tätigkeit im Großen Generalstab (am Königsplatz) (1894/95 und 1904-1913).

Rudolf Hofmann wird zu gleicher Zeit als Reserveoffizier in dem Seebataillon Dienst geleistet haben, in der Ludendorff diesem angehört hat und so könnten sie sich kennen gelernt haben.  Da die Eltern und Geschwister Erich Ludendorffs in Berlin lebten, wird Ludendorff auch Ende 1880er Jahre während seiner Kommandierung nach Wilhelmshafen und Kiel viel Anlaß gehabt haben, regelmäßig nach Berlin zu kommen. Und in dieser Zeit können die genannten Besuche bei Hofmann stattgefunden haben. Und da Ludendorff ab 1890 drei Jahre Schüler der Kriegsakademie in Berlin war, könnte er auch in dieser Zeit bei Hofmann und Lindenberg zu Besuch gewesen sein.

August 1914 - Als Kriegsberichterstatter in Osterrode und Insterburg

Am 24. August 1914 ist Paul Lindenberg als Kriegsberichterstatter beim Armee-Oberkommando (A.O.K.) in Riesenburg in Ostpreußen. Er erlebt an diesem und den folgenden Tagen die Schlacht bei Tannenberg mit. Er berichtet von den großen Flüchtlingstrecks gen Westen, die der Abbruch der Schlacht bei Gumbinnen mit sich gebracht hatte (2, S. 178). Er folgt Hindenburg, Ludendorff und dem A.O.K. nach Osterrode (2, S. 179):

Es ist in einem Mädchenlyzeum untergebracht. (...) Hier wurden in den nüchternen, weißen Schulzimmern, deren Wände mit großen Karten des östlichen Kriegsschauplatzes behängt waren und in denen auf hölzernen Tischen die Generalstabskarten mit den eingesteckten bunten Fähnchen lagen, die entscheidendsten Entschlüsse gefaßt und deren umgehende Ausführung angeordnet. (...) Trotz des vielen Hin und Her ging es ernst und verhalten zu in den Gängen, auf den Treppen, den Fluren und Zimmern des baumumrauschten Gebäudes, vor dem die kleine Standarte des Armee-Oberkommandos angebracht war.
Lindenberg sieht Hindenburg und Ludendorff zum ersten mal mittags im Speiseraum von Rühls Hotel in Osterrode (2, S. 179):
Während der kurzen Mahlzeiten kamen fortwährend Ordonnanzen und Feldjäger mit Meldungen, die General Ludendorff in Empfang nahm und durchlas. (...) Mit wenigen, schnell niedergeschriebenen Worten
reagierte Ludendorff darauf mit Anweisungen und Befehlen. Lindenberg erlebt dann in Hohenstein die Gefangenenkolonnen der Russen und die frischen Soldatengräber zu beiden Seiten der Straße (2, S. 181):
In den Gräben längs der Chaussee hunderte toter Russen. (...) Entsetzlich sah es im Städtchen selbst aus. (...) Die Mehrzahl der Häuser war völlig zerstört, teilweise schon ausgebrannt, teilweise brannten sie noch. (...) Durch diese Ruinenstadt marschierten unserer Truppen. (...) Die Mienen waren ernst, kein Scherzwort ertönte, kein Gesang, jeder schien ergriffen von der Schwere des Tages.
Nach Berlin gelangte die Meldung vom Sieg bei Tannenberg am 30. August 1914 über eben diesen Paul Lindenberg schneller als über den offiziellen Nachrichtenoffizier ("Pressesprecher") des A.O.K.. Am 1. September erlebte Lindenberg dann mit, wie zwei gefangengenommene russische Generäle vor Hindenburg gebracht wurden. Lindenberg in seinem Ludendorff-Kapitel (2, S. 193):
In Osterrode traf ich Ludendorff wieder während der Schlacht von Tannenberg. Aus dem Leutnant war der General und Generalstabschef geworden, am Hals trug er den ihm für seine Lütticher Heldentat verliehenen Pour le merite. Nach Tannenberg ging's in Ostpreußen rasch vorwärts, bis am 11. September im befreiten Insterburg kurze Rast gemacht wurde. Ludendorff bat uns Kriegsberichterstatter, die wir zum A.O.K. des Ostheeres gehörten, zu einer Besprechung im Oberkommando. Gleich der erste Eindruck war ein sehr starker. In jeder Bewegung der schlanken, hohen Gestalt lag Tatkraft, Entschlossenheit, Kraft und Würde, tief der Blick seiner hellen Augen, ein kerndeutscher Mann, der unbegrenztes Vertrauen einflößte. Jedem bot er die Hand, dankte für die gute und schnelle Berichterstattung unter oft recht ungünstigen Umständen.

In seinen weiteren Ausführungen soll Ludendorff in betonter Weise auf die Feindschaft Englands hingewiesen haben, das der unerbittlichste Kriegsgegner Deutschlands sei.

24. August 1917 - Mit bulgarischen Journalisten in Bad Kreuznach

Lindenberg berichtet dann über die nächste Begegnung mit Ludendorff (2, S. 193f):

Mitte August 1917 geleitete ich im Auftrag des Auswärtigen Amts die zu einem Besuch Deutschlands eingeladenen bulgarischen Journalisten an die Westfront. Den Abend des 24. August verbrachten wir, einer Aufforderung des Großen Haupquartiers folgend, in Kreuznach. Nach dem gemeinschaftlichen Essen begaben wir uns zur Villa Imhoff, die Hindenburg bewohnte. Dieser und Ludendorff empfingen uns in der Gartenveranda. Im Laufe des Gesprächs mit Ludendorff erinnerte ich ihn an seine Voraussage in Insterburg über Englands Teilnahme am Krieg. Ein Lächeln flog über seine Züge: "Meine damaligen Ansichten sind die gleichen geblieben, eher seitdem noch verstärkt worden. Die Engländer werden bis zuletzt aushalten, sie wissen genau, worum es geht. Wir haben in Brüssel Geheimakten gefunden, aus denen Englands Bohren und Treiben seit langem klar hervorgeht. Als unser Marinekorps beim Vormarsch 1914 die 2,4 Kilometer lange Mole von Zeebrügge besetzte, fand es alles vor: Riesenhafte Lagerschuppen, Geleisanlagen, elektrische Kähne, zum Laden und Löschen englischer Transporte. Das waren Vorbereitungen für den Kriegsfall." (...) Interessiert erkundigte sich Ludendorff nach diesem und jenem, kommt auf unser Zusammensein in Osterode zu sprechen, die damalige fortreißende Kampflust an der Front und Begeisterung in der Heimat: „Wir halten aus, aber vieles in der Heimat bereitet uns große Sorge! Auch die Briefe, die von dort an die Truppen gesandt werden. Sieht man denn nicht ein, daß wir aushalten müssen und werden? Aber man darf nicht das Rückgrat mürbe machen. Warum bringt man nicht die üblen Schreier, die lamentierenden Stubenhocker und Allerweltsbesserwisser energisch zur Ruhe?"

Solchartige Erinnerungen mögen wertvoll auch deshalb sein, weil sie Einblicke in das alltägliche Leben von Ludendorff gewähren unabhängig von seiner eigenen Sichtweise. 

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