Donnerstag, 7. März 2013

Die "Kurfürstenstraße 112, Ecke Keithstraße" im Leben Erich Ludendorffs

Ein Wohnort Erich Ludendorffs in Berlin zwischen 1914 und 1918

Jüngst sind hier auf dem Blog in einem Beitrag zugängliche Zeugnisse zum Leben Erich Ludendorffs rund um seine erste Ehe zusammengetragen worden (1). Während des Ersten Weltkrieges wohnte seine Frau in Berlin in einer Pension Tscheuschner in der Kurfürstenstraße 112, Ecke Keithstraße. Und wenn Ludendorff in Berlin weilte, wohnte er auch hier und lud hierhin auch den Führer der nationalliberalen Partei zu politischen Gesprächen ein (1). Zu diesem Wohnort sollen hier noch einige Angaben zusammengetragen werden (Wiki a, b), die zu speziell sind und deshalb nicht alle in den Rahmen des vorgenannten Artikels passen. 

Es war das ein Wohnort der damaligen "oberen Zehntausend" Berlins. Die Gegend in Tiergartennähe wurde als eine Verlängerung des Kurfürstendamms empfunden.

Abb. 1: Pension Tscheuschner, Kurfürstenstraße 112, Berlin (1909)
Es kann das verdeutlicht werden anhand von anderen Angehörigen der "oberen Zehntausend", die vor 1945 in der Nähe wohnten oder arbeiteten. Nur wenige Häuser weiter in der Keithstraße Richtung Süden (Nr. 8) wohnte - wohl ab 1926 - der katholische Ministerialdirektor im Innenministerium Erich Klausener (1885 - 1934). Er ist 1934 ein Opfer der "Röhm-Morde" geworden. Am Ende der Keithstraße nach Norden gegenüber der dortigen Corneliusbrücke über den Landwehrkanal und Richtung Tiergarten stand das Elternhaus des Schriftstellers Stephan Hermlin. In seiner Erzählung "Corneliusbrücke" schildert Hermlin diese Wohngegend seiner Kindheit als eine sehr ruhige, beschauliche. Man hörte die Glocken der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und das Vögelgezwitscher des Landwehrkanals und des nahen Tiergartens.

Abb. 2: Blick von Kurfürstenstraße 112 auf eines der wenigen ursprünglicher erhaltenen Häuser der Keithstraße
Zwei Häuser weiter in der Kurfürstenstraße 115/116 Richtung Osten befand sich ab 1940 der Arbeitsort von Adolf Eichmann im Judenreferat des Reichssicherheitshauptamtes (a). Nur kurz um die Ecke nach Süden in dem heutigen Gewerkschaftshaus mit Blick auf das "Kaufhaus des Westens" (Kleiststraße 19 - 21) wohnte von 1911 bis 1930 Georg Bernhard (1875 - 1944), der Leiter der einflußreichen "Vossischen Zeitung". Ab 1933 leitete er die Exilzeitungen "Pariser Tageblatt", bzw. "Pariser Tageszeitung", die in dieser Zeit häufiger über Erich Ludendorff berichteten.

Abb. 3: Häuserzeile der Keithstraße (Richtung Norden und Kurfürstenstraße), an deren Ende sich vormals die Pension Tscheuschner befand. In dem Haus vorne wohnte Erich Klausener.
Von den vormaligen Wohnhäusern von Georg Bernhard und Erich Klausener liegt heute in Sichtweite entfernt auch die "Urania".

Abb. 4: Ein früheres Nachbarhaus der Pension Tscheuschner - Kurfürstenstraße 114 (Wiki)
Auch heute gibt es in dieser Gegend viele Hotels und Pensionen. Aufgrund des starken Durchgangsverkehrs und der modernen, nüchternen Bebauung wird die vormalige großbürgerliche Ruhe und Beschaulichkeit aber heute höchstens noch an frühen Sonntagvormittagen nachempfunden werden können. Diese Gegend hat während und nach dem Zweiten Weltkrieg viel von ihrer ursprünglichen Bausubstanz eingebüßt. Wie überwiegend auch sonst in dieser Gegend steht - in schreiendem Gegensatz zur früheren Bebauung - an der Stelle der vormaligen vierstöckigen Pension Tscheuschner heute ein achtstöckiger Wohn- und Büroblock (Abbildung 5).

Abb. 5: Kurfürstenstraße 112 - Hier stand vormals die Pension Tscheuschner
Die "Aussicht von der Pension" links auf der Ansichtskarte von 1909 (Abbildung 1) könnte die nach Norden in die Keithstraße hinein und Richtung Landwehrkanal und Tiergarten sein.*) Von hier waren es quer durch den Tiergarten (a) drei Kilometer Fußweg zum Generalstabsgebäude am Königsplatz. Zum Schloß Bellevue, wo es Besprechungen gab und wo Erich Ludendorff am 26. Oktober 1918 von Kaiser Wilhelm II. entlassen worden ist, sind es sogar nur zwei Kilometer.

Die Erzählung "Corneliusbrücke" von Stephan Hermlin

Wie schon erwähnt, befand sich auch das Elternhaus des Schriftstellers Stephan Hermlin (1915 – 1997) zu jener Zeit - oder wenig später - 500 Meter weit von dieser Pension entfernt am Ende der Keithstraße Richtung Norden, wo sie mit der Budapester Straße in einem spitzen Winkel zusammentrifft. Dies ist ein Umstand, den der antifaschistische Schriftsteller jüdischer Herkunft 1968 in seiner Erzählung "Corneliusbrücke" verarbeitet hat (2, 3). Sein Elternhaus blickte nach dieser Erzählung direkt auf diese Corneliusbrücke über den Landwehrkanal und lag in der Budapester Straße 1. Hermlin schreibt von der
langen, mächtigen Straße, 
der
Budapester Straße, die damals noch zum Kurfürstendamm gehörte.
Er lokalisiert in seiner Erzählung die Pension Ludendorffs nun "gegenüber" dieses Hauses, nämlich Budapester Straße, Ecke Katharina-Heinroth-Ufer. Dies beruhte entweder auf einem Irrtum oder auf sehr "dichterischer Freiheit" dieses Autors. Denn die Pension Erich Ludendorffs in der Kurfürstentraße 112, Ecke Keithstraße lag von der Corneliusbrücke 500 Meter weit entfernt und damit keineswegs "gegenüber". Mit dieser "dichterischen Freiheit" schreibt Hermlin nun:
Das Haus, von dem ich zu General Ludendorff hinübersehe, ist das letzte auf der rechten Seite der langen mächtigen Straße, die an dem weitesten nördlich gelegenen Punkt des Hauses einen spitzen Winkel mit der Keithstraße bildet. Nach links und nach rechts geht den Kanal entlang, das stille, von alten Bäumen und Buschwerk bestandene Lützowufer ab, an dem man spazierengehen oder träumen oder etwas verbergen kann.
In diesen Worten deutet sich wie in anderen der Erzählung jene ganz andere Atmosophäre dieser Wohngegend an, als sie heute besteht. Hermlin weiter:
Wenn man von unserem Hause aus nach der anderen Seite die Straße hinabblickt, in die Richtung der Gedächtniskirche, von der her jeden Abend ein wildes, vielstimmiges Geläut dröhnt, weiß man, daß an der nächsten Ecke die Wichmannstraße liegt, dann die Nürnberger, dann die Kurfürstenstraße. Da unten liegt auch das Eden-Hotel, zweihundert, vielleicht dreihundert Meter entfernt.
- Nun, genauer gesagt lag es 600 Meter von seinem Elternhaus entfernt (am heutigen Olof-Palme-Platz - auffallenderweise benannt nach einem ermordeten Sozialdemokraten!).

Die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht (Januar 1919)

Im Hotel Eden hatte die Garde-Kavallerie-Schützen-Divsion am 15. Januar 1919 ihr Stabsquartier während der Niederschlagung der Spartakus-Aufstände (a, b, c, d). Und hier wurden die in Wilmersdorf festgenommenen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg vor ihrer Ermordung vernommen. Von den Autos mit den Mordopfern Liebknecht und Luxemburg schreibt Hermlin nun entsprechend seiner falschen Lokalisierung der Pension Ludendorffs an die Ecke von Budapester Straße und Katharina-Heinroth-Ufer:
Die beiden Autos fahren ziemlich langsam vorbei, das eine geradeaus über die Brücke in den Tiergarten hinein; das andere biegt nach links um die Ecke, an der General Ludendorff wohnt.
Erich Ludendorff wohnte zwischen dem 15. November und Mitte Februar jedoch in Schweden (4, S. 377f). Wer aber in der Nähe weilte und von Stephan Hermlin keineswegs so deutlich hervorgehoben wird, wie es höchstwahrscheinlich notwendig wäre, war der astrologiegläubige, langjährige Geheimdienstchef Wilhelm Canaris (1887 - 1945), der mit einer Anthroposophin verheiratet war, und der die Mörder im nachmaligen Gerichtsverfahren wirkungsvoll schützen sollte. Der 1936 den Auslandseinsatz der deutschen Wehrmacht im Spanischen Bürgerkrieg wirksam in die Wege leiten und mehrmals verlängern sollte, und der noch mancherlei weitere spannungsverstärkende, kriegsverlängernde, anstatt -verkürzende Tätigkeiten danach entfalten sollte, dabei immer zweigleisig fahrend auch eine "Nach-Hitler-Regierung" unter seiner Hand bereit haltend. (Übrigens: Parallelen zu extremistischen Mordtaten, Wiederaufrüstung und Auslandseinsätzen, wiederum unter mancherlei Mitwirkung von deutschen Geheimdiensten nach 1945 können wirklich nur rein zufälliger Natur sein ... Wirklich. Denn es gibt ja heute keine ariosophisch angehauchten satanistischen Okkultlogen mehr in Deutschland - - - ?)

Abb. 6: Eden Hotel, Budapester Straße
Interessant ist jedenfalls, daß Philipp Scheidemann - so von Stephan Hermlin zitiert - gewissermaßen Verständnis für die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg äußerte. Beide wurden von ihm gewissermaßen - in heutiger Wortwahl - als "Anstifter einer terroristischen Vereinigung" beurteilt, von denen womöglich er selbst, Philipp Scheidemann, sein Leben bedroht gefühlt hatte. Der Sozialdemokrat August Winning berichtet ebenfalls von einem Gespräch mit Rosa Luxemburg in der Zeit vor 1914, in dem sie ihm "freundlichst" mitgeteilt hatte, daß sie ihn als einen der ersten an die Wand stellen würde, wenn sie an die Macht käme, da er zu konservativ wäre. Derartige Einstellungen gehen auch aus anderen Zitaten von Rosa Luxemburg hervor:
Wer sich dem Sturmwagen der sozialistischen Revolution entgegenstellt, wird mit zertrümmerten Gliedern am Boden liegenbleiben.
Ein Schuh Rosa Luxemburgs - "Auf daß erfüllt würde die Schrift"

Da es manche Hinweise dafür gibt, daß Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg - wie andere bedeutende Morde der damaligen Zeit - aufgrund von Logenurteilen im freimaurerähnlichen Thule-Orden ermordet worden sind, läßt auch die Angabe des offenbar bibelkundigen Stephan Hermlin aufhorchen in seiner Erzählung "Corneliusbrücke" über einen von Rosa Luxemburg im Hotel Eden verlorenen Schuh:
Einen Schuh der Frau findet der Soldat Becker auf dem Trottoir und behält ihn als Trophäe. Auf daß erfüllt würde die Schrift.
Der zweite Satz ist kursiv gesetzt und steht an dieser Stelle in der Erzählung ganz unvermittelt als Ende eines Abschnitts. Sonst finden sich in der ganzen Erzählung keine Andeutungen von Bezugnahmen auf die Bibel. Tatsächlich haben nun jedoch Schuhe mancherlei Bedeutung innerhalb der Bibel, bzw. des Alten Testaments. Etwa bei "Besitzergreifungen". Da wird auf denjenigen der Schuh geworfen, der unterworfen, enteignet und versklavt wird. Ausgezogene Schuhe haben bekanntlich auch in den Ritualen der Freimaurerei eine Bedeutung. Auch bei dem tödlichen Unfall von Jörg Haider ist ausgerechnet einer seiner Schuhe von den Pressefotographen am Unfallort fotografiert worden (siehe die Bücher von Gerhard Wisnewski "Jörg Haider - Unfall, Mord oder Attentat?" und Guido Grandt "Logenmord Jörg Haider?"). 

Was Stephan Hermlin dem Leser mit diesem Satz sagen will, muß an dieser Stelle vorerst dahingestellt bleiben. Es könnte sich wenn dann wohl nur aus dem Gesamtzusammenhang seines sonstigen Werkes erschließen. Aber womöglich haben wir hiermit einen Hinweis an der Hand, daß auch er zu jenen Schriftstellern gehört, die - "als Herren der Probleme, mit denen die Zeitgenossen sich beschäftigen" - sich "über die Köpfe des Publikums hinweg" "unter Mißachtung des Lesers" mit jenen verständigen, die um ähnliche Dinge wissen wie sie selbst und mit denen sie sich über jene Dinge verständigen, auf die sie hoffen, und in deren Richtung sie wirken - ?

- Übrigens wäre anhand weiterer Quellen zu prüfen, ob Erich Ludendorff im Sommer 1918 in seiner Pension von einer Militärkapelle ein Ständchen dargebracht worden ist. Damit jedenfalls leitet Stephan Hermlin seine Erzählung ein. Er will es als als Dreijähriger miterlebt haben. Oder ob auch dies dichterischer Phantasie entspringt. Wie auch immer: In seiner Erzählung wird - hier nicht ausreichend zitiert - ein wenig von der Ruhe und der Beschaulichkeit dieses Stadtteiles in jener Zeit deutlich.

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*) Der Text der Ansichtskarte scheint sehr belanglos zu sein: ".... anstatt ... hatten wir solch hohen Schnee, wie ich ihn noch nie sah, d. ... schon konnten nicht ... D. Autos blieben stecken, es sah aber sehr hübsch aus. Aber in einer Nacht werden hier alle Trottoirs gesäubert, es wird große ... gesorgt (?). Für paar Tage ... das war sehr nett für mich .... Besorgung unsere Sachen habe ich ja schon gedankt. Sie hatten alles richtig ausgesucht, d. ... ist ... glatt u. hübsch. Grüßen Sie Fr. Ilse ... seien Sie selbst herzl! von uns gegrüßt
Ihre ... Fehlmann (?)"
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  1. Bading, Ingo: Das Familienleben Erich Ludendorffs - Insbesondere rund um seine erste Ehe (1909 - 1925). Studiengruppe Naturalismus, 15.2.2013
  2. Hermlin, Stephan: Corneliusbrücke. Erzählung. 1968
  3. Schlosser, Jan T.: „Falsche“ und „historische“ Wirklichkeit. Stephan Hermlins intertextueller Brückenschlag zu Paul Celan. In: Hjem, Nr. 20 (2006) (pdf)   
  4. Uhle-Wettler, Franz: Erich Ludendorff in seiner Zeit. Soldat, Stratege, Revolutionär. Eine Neubewertung. Verlagsges. Berg, Berg 1995 (Google Bücher)
  5. Nebelin, Manfred: Ludendorff. Diktator im Ersten Weltkrieg. Siedler Verlag, München 2010 
  6. Bading, Ingo: Ludendorffs erste Frau. Ihre Erinnerungen als historische Quelle - beispielhafte Auszüge. Studiengruppe Naturalismus, 13.3.2012
  7. Ludendorff, Margarethe: Als ich Ludendorff's Frau war. Hrsg. von Walther Ziersch. Drei Masken Verlag A.-G., München 1929 (Google Bücher)
  8. Ludendorff, Erich: Meine Kriegserinnerungen 1914-1918. E. S. Mittler und Sohn, 1919, 1921 (Google Bücher
  9. Zechlin, Egmont: Ludendorff im Jahre 1915. Unveröffentlichte Briefe. In: ders.: Krieg und Kriegsrisiko. Düsseldorf 1979
  10. Breucker, Wilhelm: Die Tragik Ludendorffs. Eine kritische Studie auf Grund persönlicher Erinnerungen an den General und seine Zeit. Helmut Rauschenbusch Verlag, Stollhamm (Oldb) 1953 
  11. Bading, Ingo: Ludendorff in Berlin 1919 und 1920 - "Eine schöne Wohnung in der Viktoriastraße, ganz in der Nähe des Tiergartens". Auf: Studiengruppe Naturalismus, 23. Januar 2012

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