Samstag, 14. Juli 2018

Dieter Henrich hat Mathilde Ludendorff gelesen

Dichter und Denker der deutschen Nachkriegsgeschichte, stammend aus dem Umfeld der Ludendorff-Bewegung
- Die Vergangenheit reicht über ein vielfältiges Wurzelgeflecht hinein in die Gegenwart

Die Vergangenheit reicht über ein vielfältiges Wurzelgeflecht hinein in die Gegenwart, so auch im Bereich der Familiengeschichte. In diesem Beitrag soll auf Familiengeschichten hingewiesen werden, die Berührungen aufweisen mit kulturell gehaltvolleren Teilen der völkischen Bewegung der 1920er und 1930er Jahre (einführender Teil). Zu den kulturell gehaltvolleren Teilen der völkischen Bewegung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehörte auch die Ludendorff-Bewegung. In den letzten Jahren werden immer wieder einmal Familiengeschichten bekannt, die auf irgendeine Weise in Berührung gekommen sind mit der Ludendorff-Bewegung, etwa weil die Eltern oder Schwiegereltern Ludendorff-Anhänger waren. Solche Familiengeschichten sollen in diesem Blogbeitrag zusammen gestellt werden. Sie werden nach und nach ergänzt, so wie zuletzt - 2024 - durch Hinweis auf Dieter Henrich.

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Viele Menschen haben ihre Familiengeschichte im 20. Jahrhundert aufgearbeitet, viele Menschen, deren Eltern oder Großeltern Nationalsozialisten waren oder die in der völkischen Bewegung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts tätig waren. So auch der Autor dieser Zeilen in mehreren Blogbeiträgen.

In der überwiegenden Mehrheit der Familiengeschichten der Deutschen markiert das Jahr 1945 einen Bruch. Um so mehr zeitlichen Abstand zu diesem Bruch gewonnen wird, um so deutlicher tritt er heraus. Es ist dieses Jahr 1945 jenes Jahr, in der sich die Menschen der jüngeren Generation eines ganzen Volkes von der eigenen inneren, idealistischen Lebensanschauung, sowie auch der ihrer Eltern, Großeltern und Vorfahren abgewandt haben.

In dieser Hinsicht bildet das Jahr 1945 ein Bekehrungs-Ereignis, die "Bekehrung" eines ganzen Volkes, die "Umerziehung" eines ganzen Volkes.

Damals wurde die gesamte deutsche Jugend zu einer neuen "Religion" bekehrt, zur Religion des Konsums, der Oberflächlichkeit, des Hedonismus, des Wirtschaftswunders, des Wohlstandes und der Zerstörung der vielfältig überlieferten Werte, zu einer Religion des nie da gewesenen Zynismus und der Dummheit, ja, Verblödung, zu einer Religion des Absurden, zu einer Religion seelischer Leere und Hohlheit. Diese Bekehrung wurde heuchlerisch vertuscht unter der Maske der "neuen", "demokratischen", "humanistischen" Gesinnung, zu der Deutsche bis dahin - offenbar - bis dahin nicht fähig gewesen seien.

Welche tiefe Trauer war noch Mitte der 1990er Jahre auf Treffen von westpreußischen Heimatvertriebenen erlebbar (so z.B. in Münster), wo man unter Hunderten von Menschen, unter Hunderten der einzige Angehörige der eigenen Generation (Jahrgang 1966) gewesen war und wo sich alle Menschen, die sich mit einem unterhielten, wunderten, weshalb man sich für die Geschichte Westpreußens, ihrer Heimat interessierte. Denn die eigenen Kinder der Anwesenden, die Kinder von Hunderten, Tausenden, nein, Millionen von Menschen interessierten sich praktisch durchgehend und allesamt nicht mehr für das, was ihren eigenen Eltern und Großeltern teuer und heilig war bis zur letzten Atemstunde ihres Lebens. So die Aussage jedes Anwesenden, mit dem man überhaupt nur ins Gespräch kam. Das Abwenden der nachwachsenden deutschen Generation von allem, was vorher war, war da spürbar wie selten. - Mit welchem Ziel? Mit welchem Anspruch? Wohin? - - -

Es seien von solchen Brüchen in Familiengeschichten zunächst einige Beispiele genannt, insbesondere solche, die auf unseren Blogs schon behandelt worden sind oder Erwähnung gefunden haben.

Die deutsche Schriftstellerin Gisela Heidenreich (geb. 1943) (Wiki) ist die uneheliche Tochter eines Familienvaters und SS-Offiziers, der nach dem Zweiten Weltkrieg aktiv mitgearbeitet hat bei dem "Deutschen Kulturwerk Europäischen Geistes" (Wiki) (1, 2). Dieses hat sich nachhaltig darum bemüht, das deutsche kulturelle Erbe und den dieses tragenden seelischen Gehalt auch über das Jahr 1945 hinweg zu retten. Wirkte und wirkt Gisela Heidenreich bei diesen Anliegen heute weiter mit? Ihre Mutter war nicht nur gut befreundet mit der langjährigen Sekretärin Adolf Hitlers, sondern Geliebte eines hochrangigen Diplomaten aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges, der sich aus Deutschland absetzte als ihm gerichtliche Verfolgung drohte (2). Mit diesen "Geheimnissen" ihrer Herkunft beschäftigte sich Gisela Heidenreich in mehreren Büchern gründlich. Fand sie dadurch ein weniger "ungebrochenes" Verhältnis zu dem Gehalt ihrer eigenen Familiengeschichte?

Der deutsche Schriftsteller Bernward Vesper (1938-1971) (Wiki), der langjährige Freund von Gudrun Ensslin, war Sohn des viel gelesenen nationalsozialistischen Schriftstellers Will Vesper (1882-1962) (Wiki). Noch als junger Erwachsener hat er sich Ende der 1950er Jahre - gemeinsam mit Gudrun Ensslin - im Umfeld des deutschen völkischen Schriftstellers Hans Grimm bewegt. Wie kam es - dennoch - zur Abkehr? Eine Abkehr, die im Selbstmord endete.

Der Schriftsteller des Absurden Walter Erich von Bebenburg-Richartz (1927-1980) (Wiki) war der älteste Enkelsohn von Mathilde Ludendorff, und zwar ein solcher, um den sich nach Meinung eines bekannteren Jesuitenschülers, der sich in der alternativen Öffentlichkeit bewegt, "streng gehütete Familiengeheimnisse" ranken, was dieser 2017 öffentlich äußerte, ohne diese Geheimnisse nun auch tatsächlich zu benennen (3). Aber womöglich aufgrund solcher "Geheimnisse" hat sich sich der Enkelsohn von der Weltanschauung und dem Lebensgehalt seiner Großmutter und Mutter abgewandt und wurde stattdessen - - - ein guter Freund von Günther Grass, eines ähnlich "Bekehrten". Eine Abkehr, die im Selbstmord endete.

Der Künstler Ingo Springenschmid (1942-2016) (Wiki) war ein Sohn des völkischen Schriftstellers Karl Springenschmid (1897-1981) (Wiki). Ingo Springenschmid hat lebenslang gerungen mit der Tatsache, daß er einen solchen Vater hatte wie er ihn hatte. Was bewirkte diese Abkehr von seinem Vater? Eine Abkehr, die ihn bis an sein eigenes Lebensende voll tiefen Zwiespaltes zurückließ, in der er keinen eigenen inneren Frieden fand (4). Und das bei einem Vater, der so viele mitreißende Bücher geschrieben hatte.

Dieter Henrich hat Mathilde Ludendorff gelesen

[Ergänzung 8.3.24] 2021 hat der namhafte deutsche Philosoph und Hölderlin-Forscher Dieter Henrich (1927-2022) (Wiki) Lebenserinnerungen heraus gebracht (12). 

Abb. 1: Die Lebenserinnerungen von Dieter Henrich (2021)

Im Klappentext zu ihnen heißt es (12):

Dieter Henrichs philosophische Autobiographie ist reich an prägnanten Erinnerungen an Personen und Begebenheiten in vielen Lebenssphären und Weltgegenden. Er wurde zu einem der einflußreichsten Philosophen seiner Zeit, mit einer ergebnisoffenen, undogmatischen Philosophie, in der die Freiheit des Subjekts als eine ermöglichte und nicht als eine aus Selbstmacht initiierte verstanden wird. In mit großer Offenheit geführten Gesprächen lernen wir einen eleganten, altersweisen Metaphysiker ohne System und ohne Lehrsätze kennen.

In dem Buch ist zu erfahren: Dieter Henrich wuchs in Kassel und Marburg als Einzelkind auf, nachdem zwei ältere Geschwister an der Spanischen Grippe gestorben waren. Als Kind eines Vaters, der in armen Verhältnissen aufgewachsen ist und deshalb Vermessungstechniker wurde, anstatt Jura studieren zu können, wie er es eigentlich gewollt hatte. Der Vater starb schon mit 57 Jahren im Jahr 1938 als Dieter Henrich erst 11 Jahre alt war. Dieser hatte ihm viel bedeutet. Henrich sagt über den Segen, den ihm sein Vater in der Sterbeminute gegeben hat (12):

Deshalb werde ich immer Gedanken fassen, in denen dieser Moment als eine letzte Bedeutungsquelle bewahrheitet bleibt.

Und etwas später allgemeiner über sein Philosophieren, das er dabei in Gegensatz stellt zu dem Philosophieren von Jürgen Habermas oder Niklas Luhmann (12):

Die Begründung muß aus sich selbst heraus überzeugen können. (...) Was ich theoretisch ausarbeite, muß aus dieser Begründung allein heraus überzeugen - und zugleich verfugt mit dem sein, was ich als meine eigene Erfahrung in Erinnerung halte und seitdem sprachlich und begrifflich zu durchdringen versuche. 

Das Buch ist als Gespräch verfaßt. Nachdem Henrich über seinen Vater gesprochen hat, fragen seine Gesprächspartner: "Kommen wir noch ein wenig genauer auf Ihre Mutter zu sprechen." Henrich antwortet (12):

Sie hatte eine ästhetisch-künstlerische Neigung. Meine Mutter sprach das an, was in der Religion das Geheimnisvolle ist. Sie hatte Freundinnen, die mit der Bewegung von Rudolf Steiner verbunden waren und die versuchten, mich ebenfalls zu gewinnen. Eine andere gute Bekannte meiner Mutter war Anhängerin der Sekte um Mathilde Ludendorff, der Frau des Generals. Sie verstand sich als völkische Theosophin, die mit ihren umfangreichen, meist in Versen verfaßten Werken eine Art militarisierter Mystik begründen wollte. Die mußte ich als Jugendlicher lesen, weil diese Tante mich dazu drängte. Meine Mutter selbst blieb immer protestantische Christin, zugleich offen gegenüber jeder Erfahrung des Heiligen, des Einbrechens einer numinosen Wirklichkeit, in die wir für sie auch im alltäglichen Leben bereits einbezogen waren.

Wenn man es recht versteht, handelte es sich bei dieser Tante also um eine Schwester seiner Mutter. Das dürfte etwa in den Jahren 1943 oder 1944 gewesen sein als er 16 und 17 Jahre alt war. Soweit man das diesem Buch entnehmen konnte, gehörte diese Lektüre zu seinen ersten Schritten in die Philosophie überhaupt. Mit 17 Jahren stellte er 1944 auch den Antrag auf Mitgliedschaft in der NSDAP und wurde aufgenommen. [Ende Ergänzung 2024]

Wolfgang Jacobeit

Abb. 2: W. Jacobeit - Erinnerungen
(2000)

Wolfgang Jacobeit (1921-2018) (Wiki) (WerwarwerinderDDR) wurde in Naumburg an der Saale geboren, wo sein Vater - vermutlich schon als Physiklehrer - wirkte. Seine Mutter war eine Konzertsängerin. Aufgewachsen ist Wolfgang Jacobeit aber in Lyck in Ostpreußen, wohin sein Vater offensichtlich versetzt worden war oder sich hatte versetzen lassen. Sein Vater (Herbert Jacobeit) war bis 1931 Mitglied der NSDAP, wandte sich von dieser aber ab und wurde ein überzeugter Anhänger der Philosophie von Mathilde Ludendorff (5). In einer Rezension der Lebenserinnerungen von Wolfgang Jacobeit wird über dessen Jugenderinnerungen folgendes berichtet (6):

Der Vater, Gymnasiallehrer, war zeit seines Lebens ein fanatischer Anhänger Ludendorffs und des besonders auch durch dessen Frau Mathilde verbreiteten völkischen Mystizismus - wütend zerriß er 1931, als Hitler sich mit Ludendorff überwarf, das Mitgliedsbuch der NSDAP, der er sich schon zu Beginn der zwanziger Jahre angeschlossen hatte. Der musisch interessierten Mutter, die ihre Karriere als Konzertsängerin aufgab, als sie heiratete, war diese Gedankenwelt ihres Mannes fremd. Der einzige Sohn stand ihr besonders ...

Das weitere kann - wie vieles des folgenden - aufgrund nur beschränkter Google-Bücher-Ausschnitte nicht vollständig zitiert. In seinen Lebenserinnerungen berichtet Jacobeit, daß sein Vater zwei Brüder hatte, Edmund Jacobeit und Horst Jacobeit, die ähnlich wie sein eigener Vater gesinnt gewesen seien (5, S. 15):

Herbert und Edmund studierten in Jena weiter, waren aber völkisch-nazistischen Kreisen verbunden und beide brüsteten sich noch später, vom Jenaer Rathaus einmal die schwarz-rot-goldene Fahne herunter geholt zu haben.

In seinen Erinnerungen heißt es wörtlich weiter über das schon erwähnte Mitgliedsbuch der NSDAP seines Vaters, soweit das bislang von Google Bücher her zitiert werden kann (5, S. 16):

.... aus der Brieftasche die kleine Mitgliedskarte der NSDAP, zerriß sie in kleine Stücke und warf sie in den Papierkorb. Was war der Grund? Hitler und Ludendorff, die beiden Rädelsführer des Novemberputschs von 1923, hatten sich irgendwie entzweit, und dies später mit gewissen Folgen für die Anhänger der Weltanschauung von Mathilde und Erich Ludendorff. Das war nicht nur für meinen Vater Anlaß, der Nazipartei den Rücken zu kehren und sich ausschließlich einer fast abgöttisch-unterwürfigen Verehrung der Ludendorffs und ihrer "Deutschen Gotterkenntnis" sowie der Propagierung ihrer zahlreichen Schriften vor allem gegen die Juden, die Freimaurer, Jesuiten und deren vermeintliche Verbrechen an deutschen Geistesgrößen der Vergangenheit, zu widmen.

Seine Familie lebte in der masurische Stadt Treuburg (Wiki), eine Stadt, die nur fünf Kilometer westlich der russischen Grenze vor 1914, bzw. der polnischen Grenze vor 1939 lag, und die bis 1928 Marggrabowa hieß, dann aber mit Zustimmung der Bevölkerung zu "Treuburg" umbenannt worden ist. Diese Stadt ist 1945 durch die Kriegshandlungen zu 80 Prozent zerstört worden. Sie lag 25 Kilometer entfernt von der Stadt Lyck (5, S. 16): 

... Wir zogen mit Sack und Pack in die masurische Stadt Marggrabowa, wo Vater tatsächlich als Studienrat für Mathematik und Physik, man kann sagen, endlich nach Herzenslust so agieren konnte, wie er es sich wohl immer gewünscht hatte. Er kannte keinen Feierabend, experimentierte in einem neu eingerichteten Physiklabor und bereitete dort den Unterricht für den nächsten Tag ... 
Wolfgang Jacobeit berichtet über die Haltung der Ludendorff-Anhänger während des Dritten Reiches (5, S. 17):
.... Da saßen sie dann wie schlecht getarnte Verschwörer bei uns zu Hause, suchten ohne Unterlaß, diskutierten lautstark und waren sich darüber einig, daß die Nazis bald abgewirtschaftet haben würden. Mit dem Tod Ludendorffs 1937 und dem angeordneten Staatsbegräbnis vor der Münchner Feldherrnhalle - mein Vater nahm voller Erschütterung daran teil - kam es zur Versöhnung zwischen Hitler und Mathilde Ludendorff.

Daß es zur Versöhnung zwischen beiden gekommen sei, ist nicht richtig. Schon vor dem Tod Erich Ludendorffs war es im März 1937 zu einer - rein äußerlichen - "Versöhnung" Erich Ludendorffs mit Hitler gekommen. Nach dem Tod Erich Ludendorffs hatte Mathilde Ludendorff aber sehr große Schwierigkeiten, die Selbständigkeit ihrer Bewegung gegenüber den Vereinnahmungs- und Überschluckungsversuchen durch die SS und die NSDAP zu bewahren. Gleich bei Kriegsbeginn 1939 wurde ihrem Verlag das Papier entzogen, so daß ihre Zeitschrift nicht weiter erscheinen konnte, Regime-treue Zeitschriften jedoch konnten weiterhin erscheinen. Es ist halt die persönliche Sicht Jacobeit's, beeinflußt offenbar durch die Jahrzehnte lange DDR-Geschichtsschreibung, wenn er weiter schreibt (5, S. 17):

Warum auch nicht? Denn ich vermag auch heute noch kaum gravierende Unterschiede zwischen beiden Ideologien zu erkennen. Der Antisemitismus der Ludendorffer gebärdete sich nicht anders als der des "Stürmer". Die Irrationalität in "Glaubensfragen" war bei beiden im Prinzip nicht zu unterscheiden usw., was Herbert Jacobeit und andere zu extremen Ludendorff-Anhängern und zu Verfechtern der Deutschen Gotterkenntnis (Ludendorff)" werden ließ, war in erster Linie die Gestalt des "Feldherrn", hinter der der Gefreite Hitler kaum einen Platz zu beanspruchen hatte. Ich habe mit meinem Vater nie über dieses Thema gesprochen. Er hätte mir wohl auch kaum Bescheid gegeben, denn, wer auch immer an der Ludendorffschen Doktrin zweifelte oder Bedenken äußerte, war ihm sofort suspekt, und das ließ er den die Betreffenden bis zur Beleidigung spüren. Wie schon erwähnt, war für Herbert Jacobeit die Welt 1918 stehen geblieben und Ludendorff war für ihn die charismatische Figur schlechthin. Als sich nach 1923 die Koalition zwischen den beiden Rädelsführern des Putsches nicht mehr fortsetzen ließ, war die Hoffnung auf eine Rückkehr zur einstigen Gemeinschaft und damit zu den Verhältnissen von vor 1918 zunächst vertan. Hitler rüstete sich zur Macht durch den Aufbau einer Massenpartei. Er schuf sich eine neue Elite, in der die alte kaiserliche Generalität von Hindenburg bis Mackensen, dem Hohenzollernclan und anderen als Staffage für die großen Gepränge, Aufmärsche, Empfänge u. a. m. herhielten. Ludendorff befand sich nicht unter diesen. Warum nicht, wäre berechtigterweise zu fragen. Ich muß es offen lassen, weil es mich auch als Historiker nicht interessiert. Er scheint ein recht eitler Mensch gewesen zu sein, dem seine Getreuen den deutschen Sieg bei Tannenberg 1914 und den Handstreich auf Lüttich zuschrieben. Aber erst später habe ich davon erfahren, daß er als einer der rücksichtslosesten Fortsetzer des Krieges nach 1918 eine Zeit lang ins schwedische Exil ausweichen mußte. Die Ludendorff-Bewegung blieb trotz des Zwiespalts mit den Nazis bestehen. Die Bücher beider wurden in einem eigenen Verlag herausgebracht, und jede Woche erschien die Zeitschrift "Am heiligen Quell deutscher Kraft", von meinem Vater mit Ungeduld erwartet, von meiner Mutter und mir negiert. Herbert Jacobeit war handwerklich sehr geschickt. - - Er erwarb sich als Hobby die Kenntnisse und Fertigkeiten eines ... 

Leider im Internet nicht vollständig einsehbar. Und (5, S. 18):

Herbert Jacobeit verhielt sich ausgesprochen extrem, wenn ich nur daran denke, daß meine Mutter und ich viele Abende damit zubrachten, seinen Lesungen aus dem neuesten Heft des "Heiligen Quell" nicht nur zuzuhören, sondern sogar den Inhalt einzelner Abschnitte mit eigenen Worten ...
Und (5, S. 18):
Handgewebtes trugen die Frauen und hatten immer Sprüche oder Sentenzen von Mathilde Ludendorff parat. Mein Vater trieb einen regelrechten Personenkult um den "Feldherrn" und seine Frau, der sich kaum von dem der Nazis unterschied und deren zumindest ideologischer Beitrag zum Holocaust nicht von der Hand zu weisen ... 
Diese Ausführungen zeigen, daß sich der Sohn Wolfgang Jacobeit mit der Moral der Philosophie von Mathilde Ludendorff nie beschäftigt haben kann. Man fragt sich, wie es um das Verhältnis des Sohnes zu seinen Eltern und zu seinen Onkeln nach 1945 bestellt gewesen ist. Darüber ist vorderhand nichts zu erfahren. Über die Jugendlektüre, die Jacobeit - vermutlich - über sein Elternhaus erhielt, wird berichtet (8, S. 23):
... oder Gustav Freitags "Germanentreue", die mit "Ingo und Ingraban" begann, rechnen würde. (...) Von der Ludendorffschen "Aufklärungsliteratur" etwa zur Marneschlacht 1914 habe ich kaum Notiz genommen. Der Kult um "den Feldherrn" hat mich zu sehr ....
Interessanterweise berichtet er (5, S. 32):
In Lyck gab es auch einen anderen, eher akademischen Kreis von Ludendorff-Anhängern, die sich regelmäßig trafen, dann aus den weltanschaulichen Schriften namentlich von Mathilde Ludendorff lasen, die sich in ihrer völkischen Haltung einig waren und die dennoch mit Nazis nichts zu tun haben wollten; sie hatten alle etwas Sektiererhaftes an sich. - - Die Zeit in Lyck war für mich insofern noch etwas Besonderes, als meine Eltern meinetwegen einen Mitschüler aus einem Dorf unweit der polnischen Grenze aufnahmen: Walter von Lojewski, in dessen Elternhaus das Masurische als Umgangssprache galt. Er lebte mit uns bis zum gemeinsamen Abitur in Gumbinnen, war auch kein besonders guter Schüler, wurde aber in seiner Art ebenfalls Ludendorffanhänger, besuchte Tagungen in Tutzing und sonstwo, korrespondierte wohl auch mit Mathilde Ludendorff. Er entschied sich für die Laufbahn eines Berufsoffiziers bei der Luftwaffe, überstand den Krieg unbeschadet und wirkte bis zu seinem Tod Anfang der 1980er Jahre als Dorfschullehrer im Thüringischen. Ein paar Mal haben wir uns da noch getroffen. Er erinnerte sich gern so mancher Annehmlichkeiten im Haus meiner Eltern und vertrat das Ludendorffsche Gedankengut kaum weniger vehement als mein Vater. In dieser Hinsicht gab es niemals einen Konsens, wenn die Gespräche darauf kamen, obwohl wir inzwischen beruflich ausgewiesene und erfahrene Familienväter geworden waren. - Die Jahre in Lyck nahmen mit dem Jahr 1937 ein fast unrühmliches Ende. Herbert Jacobeit wurde nach Gumbinnen im östlichsten Ostpreußen versetzt, und das kam einer behördlichen Strafversetzung gleich: Er war in Lyck mit einem jüngeren Kollegen, der wohl dem "Stahlhelm" angehörte, aber noch nicht das "Ritual" der Feuertaufe des Krieges erfahren hatte, über eine neue Marschordnung der Reichswehr in Streit geraten. - Daß die Soldaten nunmehr in Dreierreihe statt wie 32 …

Erwähnt sei hier noch, daß aus der masurischen Adelsfamilie von Lojewski im 20. Jahrhundert mindestens vier namhafte Journalisten hervor gegangen sind: Sohn des masurischen königlichen Försters Gottfried von Lojewski war der Journalist Erich von Lojewski (geb. 1909 in Masuchowken, Kreis Lyck, Masuren, gest. 1970) (Wiki). Dessen Sohn war der Journalist Wolf von Lojewski (geb. 1937) (Wiki). Der Journalist Werner von Lojewski (1907-1980) (DNB) hinwiederum war Vater des Journalisten Günther von Lojewski (1935-2023) (Wiki). Es könnte naheliegend sein, familiäre Zusammenhänge zwischen Günther, Wolf und Walter von Lojewski zu vermuten. Das ist aber - zumindest über schnelle Recherche - nicht gleich zu klären.

All diese Angaben bilden Puzzle-Teile für die Geschichte der Ludendorff-Bewegung allgemein, aber insbesondere auf für die Geschichte derselben in Ostpreußen, zumal zu ihrer Geschichte in Ostpreußen ansonsten nur vergleichsweise wenig bekannt ist, zumal aus den 1930er Jahren. Aus den hier gebrachten Auszügen geht hervor, daß es lohnend sein wird, diese Erinnerungen noch einmal vollständig und im Gesamtzusammenhang auszuwerten.

Wolfgang Jacobeit war dann von 1970 bis 1986 Professor für Volkskunde an der Humboldt-Universität in Berlin. Im Jahr 2000 hat er dann Erinnerungen veröffentlicht (5), die wir hier auswerten, und die auch breiter rezensiert worden sind (9, 10). Wolfgang Jacobeit hat von 1939 bis 1941 Geschichte und Volkskunde an den Universitäten Leipzig und Königsberg studiert. 1941 wurde er zum Wehrdienst eingezogen, kam aber bis 1945 nie zum Kriegseinsatz. 1943 heiratete er in Elbing (HU Berlin):

Er schrieb seine Abschlußarbeit durch die Einberufung erst nach dem Ende des zweiten Weltkrieges in Göttingen bei Will-Erich Peukert. 1956 wechselte er von Göttingen an die Akademie der Wissenschaften in Berlin, habilitierte sich 1961, war dann von 1970 bis 1980 Direktor des Museums für Volkskunde in Berlin sowie seit 1970 zugleich Honorarprofessor und ab 1980 berufen als Lehrstuhlinhaber für Volkskunde am Bereich Ethnographie der Humboldt-Universität zu Berlin.

Sah er in Göttingen und Westdeutschland in jenen Jahren in der Volkskunde für sich keine Zukunft? Und was war aus seinen Eltern 1945 und später geworden? Jacobeit lebte jedenfalls lange Jahre in Birkenwerder. Als seine zweite Ehefrau Sigrid Jacobeit zur Leiterin der Gedenkstätte des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück ernannt wurde, wechselte er seinen Wohnort nach Fürstenberg an der Havel, wo er auch begraben ist. 

Seine erste Frau und die Kinder wandten sich - offenbar noch während der DDR-Zeit - der anthroposophischen Bewegung zu, die Jacobeit ebenso heftig ablehnte wie zuvor die Ludendorff-Bewegung seines Vaters. 

Der Schriftsteller Peter Härtling und seine Schwiegereltern

Mit einer Tochter von Ludendorff-Anhängern aus Nürtlingen war der einstmalige elternlose Flüchtlings-Junge und deutsche Schriftsteller Peter Härtling (1933-2017) (Wiki) verheiratet. Auf Wikipedia ist über die schweren Jugenderlebnisse von Peter Härtling zu lesen (Wiki):

Peter Härtling verbrachte seine Kindheit zunächst in Hartmannsdorf bei Chemnitz, wo sein Vater eine Rechtsanwaltskanzlei unterhielt. Während des Zweiten Weltkriegs zog die Familie nach Olmütz in Mähren, gegen Ende des Kriegs floh sie vor der Roten Armee nach Zwettl in Niederösterreich. Im Juni 1945 starb der Vater in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Nach dem Krieg übersiedelte Härtling nach Nürtingen. (...) 1946 nahm sich seine Mutter das Leben. Deren Vergewaltigung durch russische Soldaten hatte Härtling 1945 mitansehen müssen. (...) 1959 heiratete er die Psychologin Mechthild Maier. Das Paar hat vier gemeinsame Kinder.

Über die Eltern von Mechthild Maier erzählt Peter Härtling in seinen Lebenserinnerungen. Und dies findet folgendermaßen Erwähnung im inhaltsreichen Anmerkungs-Teil zum einleitenden Kapitel von Manfred Nebelins Ludendorff-Biographie (S. 14, Anmerkung 82):

Ein seltenes Zeugnis von der Spätblüte des "Deutschen Gottglaubens" im Nachkriegsdeutschland geben die Lebenserinnerungen des Schriftstellers Peter Härtling. Darin beschreibt dieser mit großem Einfühlungsvermögen und feinem Humor, wie die Bekehrungsversuche seines Schwiegervaters, eines angesehenen Nürtinger Arztes und eifrigen Lesers der Schriften Mathilde Ludendorffs, an ihm abprallten: "Wotans himmlischer Zug rauschte an mir ohne Wirkung vorbei".

Nun, gar so kenntnisreich scheint Peter Härtling bei diesem "Vorbeirauschen" nicht geworden zu sein, sonst hätte er mitbekommen müssen, daß die Philosophie von Mathilde Ludendorff mit "Wotans himmlischem Zug" nichts zu tun hat. Immerhin wird aber über Mechthild Maier berichtet:

Eine besondere Rolle in Härtlings Leben nahm dessen Ehefrau Mechthild ein, die er schon im Alter von 13 Jahren kennenlernte und deren Liebe ihn durch eine schwierige Kindheit und Jugend brachte. "Ihrer Liebe verdankte Papa sein Kraft, ohne sie hätte sich sein Lebenswillen nicht so entwickelt. Das wissen wir Kinder."

Er selbst wird mit den Worten zitiert (Deutschlandfunk 2016):

"Wir haben auch viel miteinander gemacht, die Mechthild und ich. Wir haben unglaublich viel, fehlt mir heute, wenn ich mit so 20- bis 22-Jährigen zusammen bin … die Diskutierwut, dieses der Sache auf den Grund gehen wollen. Ich weiß noch, die Mechthild hatte mit Kassner zu tun, mit der Physiognomie von ihm. Wir haben uns gefetzt und es war jedem wichtig, was er dachte. Das sind einfach Bausteine, die man aufeinandersetzt."
Und (Börsenblatt):
Seine Frau Mechthild Maier, mit der er seit 1959 verheiratet war und vier Kinder hatte, las als Erste seine Manuskripte, brachte die Schlußform in den Computer, denn Härtling bevorzugte das Schreiben auf einer alten mechanischen Schreibmaschine. Und er freute sich über Kritik von ihr, auch wenn sie seit Beginn des neuen Jahrtausends nicht mehr während des Lesens von einzelnen Kapiteln ihre Fragen und Anmerkungen einbrachte, sondern erst ganz am Schluß: "Sonst habe ich Angst, daß mich eine zu scharfe Kritik hemmt." Die Erfahrungen seiner Frau, die lange als Psychologin am Jugendamt gearbeitet hatte, brachte er auch bei seinen Kinderbüchern ein. In seiner ersten Erzählung in diesem Genre, "Das war der Hirbel" (1973), stellte er ein Kind in den Mittelpunkt, das nicht fähig ist, sich auszudrücken; es wurde ebenso Klassenlektüre in der Grundschule wie "Ben liebt Anna" (1979) über die zarte Liebe von Ben zum Aussiedlermädchen Anna. Mit diesen Büchern, mit "Oma" (1975), "Theo haut ab" (1977) oder "Paul, das Hauskind" (2010) setzte er Maßstäbe im Kinderbuch. Daß ein Autor für Erwachsene wie für Kinder schreiben kann, ist selten: Für sein kinderliterarisches Gesamtwerk wurde er 2001 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.

Man möchte meinen, daß Peter Härtling manchen Grund zu Dankbarkeit hätte haben können gegenüber seinen Schwiegereltern dafür, daß es ohne sie jene Frau nicht gegeben hätte, die so tiefgreifend Einfluß auf sein Leben genommen hat. - Auf Google Bücher kann man finden, daß der Name Ludendorff in den Texten von Peter Härtling immer einmal wieder fällt, aber selten in Zusammenhängen, bei denen man den Eindruck gewinnt, diese Erwähnungen hätten ihren Ursprung in Auseinandersetzung mit kundigeren Ludendorff-Anhängern gehabt. So bringt er an einer Stelle als Zitat gedichtete Worte der frühen 1920er Jahre, die da lauten (s. "Vergessene Bücher - Hinweise und Beispiele"):

"Der heilige Name Gneisenau ist auf unseren Lippen, wenn wir den Blick zu den geisterkühnen Zügen Ludendorffs erheben ..."

In "Lebensläufe von Zeitgenossen" fällt die Bemerkung:

... Zuerst habe er viel von Siegen gefaselt, der Unüberwindbarkeit der deutschen Truppen, habe Hindenburg und Ludendorff vergöttert, habe eine Litanei von Schlachtennamen heruntergebetet, als Refrain höre ...

Und in "Mein Lesebuch" finden sich die Bemerkungen:

... als Armeeführer, mit Ludendorff um die Weiterexistenz des Schlosses Coucy gerungen habe, das mit seinen romanischen Gewölben als architektonischer Edelstein zwischen die beiden Fronten geraten war. "Es war wirklich ...

Worauf sich diese Worte beziehen, kann man auf Wikipedia nachlesen (Wiki). Insbesondere der deutsche Heeresgruppenführer Kronprinz Rupprecht, der bayerische Thronfolger, hat sich offenbar für den Erhalt dieser Burg gegenüber Ludendorff eingesetzt, offenbar ohne Erfolg außer dem, daß dieser Vorgang später von Peter Härtling aufgegriffen wurde. Oder es finden sich die Ausführungen (s. "Ich war für all das zu müde" - Briefe aus dem Exil):

... Bolschewiken, jedenfalls aus verkehrten Nazis. Begreiflich. Aber damit begeben sie sich der Gnade, womit ihr einzigartiges Schicksal sie ausgezeichnet hatte. Sollen wir, die weder vor Ludendorff noch vor Hitler kuschten, uns nun vor der pfäffischen Unduldsamkeit von Leuten beugen, die teils auf ihre Rasse, teils auf eine gewiß nicht minder engstirnige und ...

Hier dürfte von kommunistischen Revolutionären die Rede sein. Um solche Google-Bücher-Schnippsel inhaltlich zu verstehen, müßten sie natürlich noch im Gesamtzusammenhang herausgesucht werden.

Jahrgang 1937 - Einar Schlereth, Journalist und Übersetzer

Überhaupt dürfte es allmählich Sinn machen, die Erinnerungen zahlreicher Kinder von Eltern, die insbesondere vor 1945 Ludendorff-Anhänger waren, und deren Kinder sich nach 1945 von dieser Weltanschauung abgewendet haben, im Überblick auszuwerten. Dazu wurden hier auf dem Blog auch schon die Erinnerungen des Westpreußen Einar Schlereth ausgewertet, des Dritte Welt-Experten, Journalisten und Übersetzers. Er hatte Ludendorff-Anhänger als Eltern. Er ist Jahrgang 1937 (Stud. Natur 2016). 

Jahrgang 1943 - Hans-Jürgen Krahl, Studentenführer und Lieblingsschüler Adornos

"Er war der Klügste von uns allen," hat Rudi Dutschke über ihn gesagt, über den früh verunfallten führenden Angehörigen der 68-Bewegung Hans-Jürgen Krahl (1943-1970) (Wiki). Dieser hat keine Familienangehörigen hinterlassen, die ihm heute noch das Grab pflegen können. Er schrieb in seinem Lebenslauf (Krahl-Seiten):

Gegen Ende des Krieges flohen meine Eltern mit mir vom damaligen Stettin in meine Geburtsstadt. Dort verbrachte ich meine Kindheit bis zum 15. Lebensjahre.

Auf Wikipedia heißt es über ihn (Wiki):

Krahl war nach eigenen Angaben Mitglied im Ludendorffbund, zu Beginn seines Studiums von Philosophie, Germanistik, Mathematik, Geschichte an der Universität Göttingen trat Krahl in die schlagende Verbindung Verdensia ein. 1961 wurde er Mitglied der CDU und war „ein eiferndes Gründungsmitglied der Jungen Union“ in Alfeld. Schon 1964 trat er dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) bei, und 1965 begann er bei Adorno seine Dissertation zum Thema Naturgesetz der kapitalistischen Bewegung bei Marx. Krahl war der einzige Student und Mitarbeiter, den Adorno als gleichwertigen Gesprächspartner akzeptierte.

Nun aus der Autobiographie des oben erwähnten Dieter Henrich geht hervor, daß Adorno auch Dieter Henrich sehr schätzte, allerdings blieb Henrich auf Distanz zu Adorno, da er selbst Adorno nur für mittelmäßig hielt. 

Krahl, der "Lieblings-Schüler Adornos", schrieb 1971 über seine Herkunft, über die sonst wenig bekannt zu sein scheint, die folgenden kruden Ausführungen. Sie scheinen doch zudem nicht gerade gutes Schriftdeutsch zu verraten (zit. n. Die Zeit 2002):

"In Niedersachsen, jedenfalls in den Teilen, aus denen ich komme, herrscht noch zum starken Teil das, was man als Ideologie der Erde bezeichnen kann, und so habe auch ich mich, als ich meinen politischen Bildungsprozeß durchmachte, zunächst nicht anders als im Bezugsrahmen der Deutschen Partei bis zur Welfenpartei bewegen können. Ich konnte mir nicht einmal die Ideologien erarbeiten, die Liberalität und Parlamentarismus bedeuten, - wenn man bedenkt, daß die Dörfer, in denen ich aufgewachsen bin, jene Nicht-Öffentlichkeit noch pflegen in ihren Zusammenkünften, die an die Rituale mittelalterlicher Hexenprozesse erinnern.
Das ist schon alles sehr verklausuliert formuliert. Was will er sagen mit "Rituale mittelalterlicher Hexenprozesse"? Spricht er von völkischen Okkultlogen? Will er andeuten, daß er sich im Umfeld satanistischer, völkischer Psychosekten bewegt hat? Weiter schreibt er (zit. n. Die Zeit 2002):
Wenn man davon ausgeht, daß heute noch in vielen Teilen der Bundesrepublik, vom Bayerischen Wald bis zur niedersächsischen Heide, finsterste Ideologien der Mystik stattfinden, so war es sehr verständlich, daß mich mein Bildungsprozeß zunächst einmal in den Ludendorffbund trieb." Begriffliches Denken habe er "aus der Mystik Meister Eckharts und Roswithas von Gandersheim erfahren". Und mit dialektischem Witz fügt er an: "Ideologien, die, wenn man sie marxistisch interpretieren will, sicherlich ausgelegt werden können im Sinne eines utopischen Denkens, wie es Ernst Bloch getan hat, die aber, wenn man sie aus dem Erfahrungszusammenhang der herrschenden Klasse rezipiert, finsterste Unmündigkeit reproduzieren." 
Das war so die Art zu reden und zu schreiben in den 1960er Jahren. Sperrig-intellektuell, ohne besonders viel zu sagen. Weiter heißt es (zit. n. Die Zeit 2002)
So sei es für ihn, fährt Krahl fort, schon "ein enormer Schritt an Aufklärung" gewesen, daß er 1961 der CDU beitrat und in Alfeld die Junge Union gründete. Hier habe "gewissermaßen eine Odyssee durch die Organisationsformen der herrschenden Klasse hindurch" begonnen, "und es gehört, das möchte ich mir ganz persönlich zugute halten, ein enormes Ausmaß auch an psychischer Konsistenz dazu, in dieser finsteren Provinz zwei Jahre kontinuierlich an CDU-Versammlungen von Kleinstadt-Honoratioren teilzunehmen ..."
Alles bleibt auf sehr merkwürdige, auffallende und nichtssagende Weise im Vagen (Krahl-Seiten):
Allerdings ist über die früheste Episode im Leben Krahls - den Ludendorffbund, einen von Mathilde Ludendorff gegründeten „Bund für Gotterkenntnis“, der das jüdisch kontaminierte Christentum durch einen „artgemäßen deutschen Glauben“ ersetzen wollte - kaum Genaues bekannt.
Insgesamt gesehen: Nachkriegsschicksale. Oft aufwühlender Art.

________________________________________________
  1. Heidenreich, Gisela: Das endlose Jahr. Die langsame Entdeckung der eigenen Biografie - ein Lebensbornschicksal, 2002
  2. Bading, Ingo: Gisela Heidenreich und die NS-Vergangenheit des Auswärtigen Amtes Das Leben der Mutter von Gisela Heidenreich im Dritten Reich und mit seinen Folgen. Auf: Gesellschaftlicher Aufbruch - jetzt!, 3. März 2012, http://studgenpol.blogspot.com/2012/03/gisela-heidenreich-und-die-ns.html
  3. Bading, Ingo: "Streng gehütete Familiengeheimnisse" - Rund um den ersten Schwiegersohn von Mathilde Ludendorff Welche Rolle spielten Jesuiten für das Lebensschicksal des ältesten Enkelsohnes von Mathilde Ludendorff, des Schriftstellers Walter Erich von Bebenburg/Richartz (1927-1980)? Studiengruppe Naturalismus, 3. April 2017, http://studiengruppe.blogspot.com/2017/04/streng-gehutete-familiengeheimnisse.html
  4. Ingo Springenschmid (1942-2016) spricht über seine Kindheit und seinen Vater Karl Springenschmid. In: "Im Porträt: Ingo Springenschmid", Vorarlberg-Museum, 2015, 1'54 bis 5'00, auf: https://youtu.be/1NdJGjClDtg?t=1m54s
  5. Wolfgang Jacobeit: Von West nach Ost und zurück. Autobiographisches eines Grenzgängers zwischen Tradition und Novation. Westfälisches Dampfboot 2000 (298 S.) (GB)
  6. Rezension von 5. in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (IWK), Band 37 (Friedrich-Ebert-Stiftung, Forschungsinstitut, Historische Kommission zu Berlin), Verlag Historische Kommission, 2001 (GB), S. 510
  7. Thomas Scholze: Rezension zu: Jacobeit, Wolfgang: Von West nach Ost - und zurück. Autobiographisches eines Grenzgaengers zwischen Tradition und Novation. Münster 2000 , in: H-Soz-Kult, 17.04.2001, <www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-1094>.
  8. Götz, Uschi: Fremd in der Fremde - Mit Peter Härtling durch seine schwäbische Heimat. In: https://www.deutschlandfunkkultur.de/fremd-in-der-fremde-mit-peter-haertling-durch-seine.1001.de.html?dram:article_id=360080
  9. Weihrauch, Christian: Abschied von dem Schriftsteller - Hunderte Trauergäste erweisen Peter Härtling die letzte Ehre. Frankfurter Neue Presse, 19.07.2017. http://sdp.fnp.de/lokales/kreise_of_gross-gerau/Hunderte-Trauergaeste-erweisen-Peter-Haertling-die-letzte-Ehre;art688,2714109
  10. Hauck, Stefan: Der freundliche Skeptiker. Nachruf auf Peter Härtling. Börsenblatt, 10. Juli 2017, https://www.boersenblatt.net/artikel-nachruf_auf_peter_haertling.1348795.html
  11. Wesel, Uwe: Der Krahl - Das kurze Leben des legendären Frankfurter Studentenführers und sein langer Weg aus Ludendorffbund und Junger Union in die Revolte des Jahres '68. In: Die Zeit, 12. September 2002, 38/2002, https://www.zeit.de/2002/38/Der_Krahl
  12. Henrich, Dieter: Ins Denken ziehen. Eine philosophische Autobiographie. C.H. Beck, München 2021 (GB)

Sonntag, 10. Juni 2018

Johannes Marquardt, ein Ludendorff-Anhänger seit 1925

Der folgende Beitrag ist zuletzt im Dezember 2013 bearbeitet worden und wird hier in der Fassung von vor fünf Jahren veröffentlicht. Er muß an den erkennbaren Lücken nach und nach noch inhaltlich ergänzt, erweitert und vervollständigt werden.

Johannes Marquardt (geb. 1885, gest. unbekannt) wurde in der Nähe von Dirschau bei Danzig geboren. Er stammte aus einer alten westpreußischen Familie (8, S. 2f). Mit 18 Jahren trat er 1903 in das Leibhusaren-Regiment in Danzig ein, wurde in diesem Unteroffizier, bis er nach einem Reitunfall 1908 in einen Zivilberuf wechseln mußte (8, S. 8-12). Er wurde Technischer Zeichner und Bauingenieur und heiratete im Jahr 1912 eine Frau aus dem Harz (8, S. 13f). 1914 bis 1920 war er Soldat. In dieser Zeit suchte er nach Orientierung und schloß sich 1924 in Halberstadt dem "Stahlhelm"-Bund" an. Nach dem Anhören eines Vortrages des damaligen Reichstagsabgeordneten Georg Ahlemann schloß sich Marquardt am 1. Mai 1925 zusammen mit der von ihm geleiteten Ortsgruppe Halberstadt dem "Frontkriegerbund" Erich Ludendorffs an. Auf die diesbezügliche Meldung an Erich Ludendorff antwortete dieser mit einem Dankesbrief, der mit den Worten begann, - wie Johannes Marquardt festhält - "Mein werter Kamerad Leutnant Marquardt!" (8, S. 21). Er berichtet weiter in seinen Lebenserinnerungen, die nur als Manuskript vorliegen (8): 
Auf des Feldherrn Vorschlag sollten wir uns dann geistig an den "Verlag für völkische Aufklärung" in Berlin wenden, dem die Herren Oberstleutnant Georg Ahlemann als Direktor und Major a. D. Weberstedt als Schriftleiter vorstanden. Ein weiterer Mitarbeiter war noch ein Major a. D. Holtzmann. Dieser Verlag gab damals die "Deutsche Wochenschau" heraus, in der der General seine ersten und ernsten völkischen Gedanken über seinen Freiheitskampf veröffentlichte. (...) Wir hatten ein Ziel und eine uns befriedigende Tätigkeit.
Nachdem sich die anderen genannten Personen Ahlemann, Weberstedt und Holtzmann schon Ende der 1920er Jahre, bzw. Mitte der 1930er Jahre von Ludendorff getrennt hatten, war Johannes Marquardt - und gerade in der Zeit nach 1945 - einer der ältesten "Mitkämpfer" Erich Ludendorffs. Er hatte sich Erich Ludendorff schon angeschlossen lange bevor viele spätere Anhänger sich diesem angeschlossen haben.

Über die Gründung des Tannenbergbundes 1925


Über den Zusammenschluß der völkischen Wehrverbände zum Tannenbergbund im Jahr 1925 berichtet Johannes Marquardt (offenbar von ihm chronologisch ganz falsch erst ins Jahr 1929 verlegt) (8, S. 24):
Als 3. Bundesführer des Frontkriegerbundes in München bekam ich den Auftrag, an der historischen Sitzung in Berlin teilzunehmen, der Zusammenkunft aller Führer der völkischen Wehrverbände im Hotel "Prinz Albrecht" in der Zimmerstraße gegenüber dem Preußischen Abgeordnetenhaus.
Marquardt berichtet von den Widerständen der einzelnen Formationen:
Ich bat den Feldherrn, mit einem Befehl die Auflösung der Wehrverbände und den Zusammenschluß zu einem großen Ganzen zu fordern. Da sagte Ludendorff lächelnd: "Ja, heute kann ich als Zivilperson keine Befehle mehr erteilen, solche Entschließungen müssen freiwillig und von unten heraus erfolgen." (...) So löste ich mich dann aus dem Verbande des Frontkriegerbundes, der sich schon innerlich mehr zu Hitler bekannt hatte, und trat mit einigen wenigen Verbandsführer und deren Mannen, darunter auch der Führer des aus den Kämpfen in Oberschlesien bekannt gewordenen Verbandes "Hindenburg", Major a. D. Hans-Georg von Waldow in Hannover, (...) zu Ludendorff und seinem Wollen. (...) So wurde ich also Mitbegründer des Tannenbergbundes als einem politischen Kampfbund ohne jede Uniformierung und Soldatenspielerei.
Auch Erich Ludendorff erwähnt Johannes Marquardt in seinen Lebenserinnerungen (zit. n. 8, S. 29):
Ich will hier auch Herrn Marquardt (...) gedenken, der die örtliche Gruppe des Frontkriegerbundes geführt hat und in klarer Erkenntnis der Notwendigkeit des Aufgehens der einzelnen Verbände in den Tannenbergbund das Aufgehen seiner Gruppe in diesem Bund gefördert hat.
Schon 1926 ging Johannes Marquardt in Brandenburg, Mecklenburg und Vorpommern auf Vortragsreise (8, S. 22) (Hervorhebung nicht im Original):
Im Herbst 1926 hatte ich dann Gelegenheit, Erich Ludendorff anläßlich seines ersten öffentlichen Auftretens nach seiner Halsoperation im "Landwehrkasino" in Berlin vorgestellt zu werden. Diese Stunde vergesse ich niemals, als ich diesem Großen Soldaten und Feldherrn, aber auch gütigen Menschen, in seine klaren hellen Augen schauen und persönliche Worte mitnehmen durfte. Er dankte mir noch einmal für den Übertritt meiner Kameradenschar zum Frontkriegerbund und für meine Erfolge während meiner ersten Vortragsreise. Seit dieser Begegnung wurde Ludendorff mein großes unumstößliches Vorbild in meinem ganzen späteren Leben. (...)

Anfang August 1927 (...) erschien die seit Wochen erwartete neueste Kampfschrift (...) "Vernichtung der Freimaurerei durch Enthüllung ihrer Geheimnisse". (...) Diese geistige "Atom-Bombe" schlug wie ein reinigendes Gewitter in Deutschland und in aller Welt ein. (...) Wer kann sich heute, außer uns wenigen alten damaligen Kämpfern eine Vorstellung machen von dieser Kampflage? Wer das nicht selber miterlebt hat, der hält diesen geistigen Durch- und Umbruch überhaupt nicht für möglich.

31. Januar 1929 - Morgenspaziergang mit Erich und Mathilde Ludendorff in Magdeburg an der Elbe


Marquardt berichtet (8, S. 26f):
Mitten in unsere erfolgreiche Kampfarbeit fiel auch eine lange Vortragsreise Erich und Mathilde Ludendorffs, die auf unseren besonderen Wunsch auch Halberstadt besuchen wollten. Nach bester Vorbereitung kam dann der große und für uns so denkwürdige Tag, der 31. 1. 1929! Zwei große Säle waren gemietet und für die Vorträge vorbereitet. Der größere Stadtparksaal faßte 2000 Personen, der kleine Elysiumsaal 1500, dieser brachte die Vorträge in Lautsprecherübertragung. Tags zuvor war ich nach Magdeburg beordert worden, wo ich das Ehepaar begrüßen konnte und den Verlauf des dortigen Vortragsarbends kritisch miterleben sollte. Er verlief gut. Mit Major v. Waldow bezog ich Hotelunterkunft, wo wir beide noch manches miteinander besprechen konnten. Am folgenden Morgen waren wir beide zum Quartier der hohen Gäste gebeten worden, wo noch einmal alle Dinge dieser wichtigen Vortragsreise, auch für Halberstadt und Hannover, besprochen wurden. Dann ging es zu einem unvergeßlichen Morgenspaziergang, bei dem wir Erich und Mathilde Ludendorff durch die Magdeburger Elbewiesen gingen. Die Witterung war (...) sehr milde. Die Unterhaltungen hatten bei uns dreien einen so nachhaltigen Eindruck hinterlassen, daß selbst das Ehepaar Ludendorff von dieser Morgenstunde hell begeistert war. Wir waren gebeten worden, uns auszusprechen, denn beide wollten wissen, wie es uns ums Herz war. Ich hatte eine gewisse Scheu, mit Frau Dr. Ludendorff umzugehen; aber diese einmalige große Frau machte mir die Antworten auf ihre Fragen sehr leicht.
Nach dem Vortrag waren Erich und Mathilde Ludendorff zum Abendessen bei der Familie Marquardt eingeladen (8, S. 28):
In meinem Hause zeigte sich der Feldherr als Mensch auf das herzlichste mit allen verbunden. Meiner sehr aufgeregten Frau wollte das Teewasser nicht schnell genug kochen. (...) Da nahm der Feldherr meine Frau neben sich und sagte zu ihr: "Aber Frau Marquardt, warum sind Sie denn so aufgeregt. Der Tee wird schon werden. Sehen Sie, dort in dem großen Saale, da sprach der General Ludendorff, aber hier bei Ihnen, da sitzt der Onkel Ludendorff vom Hause Marquardt!" (...) Beim Aufbruch sagte er zu uns: "Sollte ich wieder einmal nach Halberstadt kommen, dann bitte ich darum, nicht wieder in dem Gutshaus untergebracht zu werden. Dann möchte ich gerne bei Ihnen wohnen"! Diese Stunden mit allem Erleben hat meine Frau nie mehr vergessen können, ja, diese Stunde hat meiner Frau ihr seelisches Rückgrat für alle Zeiten gestärkt. Der "Onkel Ludendorff" kam ihr nie mehr aus dem Sinn!
Abends gab es noch eine Überraschung für Erich Ludendorff, wie Marquardt berichtet (8, S. 28f):
Ca. 40 alte Lüttichkämpfer vom August 1914 standen zur Begrüßung dem ehemaligen Führer der 14. Infanterie-Brigade gegenüber. Ludendorff war gerührt, das hatte er nicht erwartet. Er sprach mit jedem einzeln, drückte ihm die Hand und wünschte alles Gute für sein weiteres Leben. Mit den Kriegsverletzten unterhielt er sich besonders lange. Diese einstigen Kämpfer von Lüttich kamen größtenteils aus der Halberstädter Gegend. 
Marquardt schreibt (8, S. 29f):
Damals konnte man wohl sagen: "Es ist eine Lust, diesen Kampf mitzuerleben!"
Er berichtet auch (8, S. 30):
Als ich immer mehr als Landesredner eingesetzt werden mußte, übernahm mein Gauführeramt der Hauptmann a. D. B. Wentzel aus Blankenburg/Harz, Ehemann der regsamen Rednerin Frau Ilse Wentzel, von Beruf Lehrerin (...). - Herr Wentzel fiel als Major im 2. Weltkrieg, Frau Wentzel starb von eingen Jahren in ihrem Blankenburger Heim.
Marquardt berichtet auch von der Erzieher-Tagung in Hetendorf im Sommer 1930 (8, S. 30f). Marquardt machte Vortragsreisen fast durch ganz Deutschland, nach Ostpreußen ebenso wie nach Schleswig-Holstein, Sachsen und Thüringen. Seine Vortragsthemen lauteten "Ludendorffs Kampf gegen Priesterherrschaft und Diktatur" und "Weltkrieg droht auf deutschem Boden" (8, S. 32). Dabei erlebte Marquardt auch, wie die Abhaltung seiner Vorträge durch die Polizei gegen randalierende Nationalsozialisten geschützt werden mußte. In Ostfriesland will er die Leserzahl von "Ludendorffs Volkswarte" durch seine Vorträge von fünf auf 250 angehoben haben (8, S. 36f).


Abb. 1: Johannes Marquardt, Silberhochzeit (1937)

Aufgrund seiner beruflichen Schwierigkeiten arbeitete er ab 1935 in Küstrin wieder als ziviler Bauingenieur für die Wehrmacht und den Festungsbau (8, S. 38). Bei Kriegsausbruch 1939 war er 54 Jahre alt und mußte wieder Uniform anziehen (8, S. 44). Er arbeitete in Festungspionier- und Nachschub-Stäben in verschiedenen Teilen Deutschlands und Europas, unter anderem in Griechenland (8, S. 52) und ab Januar 1944 in Holland, wo Luftlandungen der Alliierten befürchtet wurden (8, S. 55). Im Dezember 1945 erlebte er auch noch das berüchtigte amerikanische Kriegsgefangenenlager Mainz-Bretzenheim (8, S. 57f). Am 28. Dezember 1945 konnte er zu seiner Familie nach Hause zurück kehren. Diese hatte inzwischen in Lörrach in Baden eine neue Heimat gefunden (8, S. 59).

Neuanfang in Lörrach 1952


Und dort fand Marquardt schließlich 1947 für die nächsten neun Jahre Arbeit als Bauingenieur für die französische Militärregierung des Kreises Lörrach (8, S. 60). Er berichtet (8, S. 61):
Ausgang des Winters 1951 zu 1952 schrieb ich an Frau Dr. Ludendorff nach Tutzing, meldete ihr meine neue Lage und meinen Verlust der alten Heimat, und bat um Auskunft, ob man wieder von vorne anfangen sollte. Ich schilderte ihr meine hiesigen Eindrücke und glaubte, es einmal versuchen zu können. Dazu brauchte ich aber Anschriften alter Leser von Volkswarte und Quell. Sie war recht erfreut über meine Meldung und ließ mir durch den Generalvertreter des neu eingerichteten Verlages "Hohe Warte", Herrn Franz August Stötzer aus Lemgo, schreiben, daß es ihr recht sei, wenn ich hier die Bewegung wieder vorantreiben würde. Herr Stötzer schickte mir ganze 12 Anschriften aus einem Gebiet von ca 50 km im Umkreis und bat mich, diese einmal zu einer Aussprache in Lörrach einzuladen. Nun, das tat ich, und so kam es denn Anfang Mai 1952 zu einer ersten zwanglosen Zusammenkunft von acht Personen im alten Hotel "Zur Krone" in Lörrach.
Im Spätherbst 1954 reichte Johannes Marquardt bei Mathilde Ludendorff ein Buchmanuskript ein, ein Aufklärungsbuch, wie er schreibt, über Erich Ludendorff, auch ein Gedenkbuch. Mathilde Ludendorff antwortete (zit. n. 8, S. 67):
Sehr geehrter Herr Marquardt! Mit großer Freude habe ich Ihre Schrift über den Feldherrn durchgelesen und sende sie an Herrn v. Bebenburg ... Ich habe ihm geschrieben, daß ich mich sehr freuen würde, wenn es möglich ist, daß die Schrift in den Ostertagen (1955) hier in Tutzing schon verkauft wird.
Und wohl einige Zeit später:
Der Druck Ihres Buches wird nach Angabe meines Schwiegersohnes bis zur Tagung unmöglich fertig gestellt werden können. Ich glaube aber, daß es uns gelingen wird, ihm Verbreitung zu verschaffen.

Mit freundlichen Grüßen und dem Rufe
Es lebe die Freiheit
gez. Dr. Mathilde Ludendorff
Der Verleger Franz von Bebenburg aber schrieb Marquardt nach mehreren Nachfragen am 7. August 1956 (8):
Sehr geehrter Herr Marquardt!

Bei meiner Arbeitslast ist es mir fast unmöglich, mich mit der schriftlichen Arbeit von Autoren zu befasen, darum habe ich mich - seither - außer dem einen Brief an Sie - in Schweigen hüllen müssen .... Ludendorff ist doch heute ein verfemter Mann ... Ich konnte mich aus Zeitmangel nicht näher mit der Sache befassen, so gern ich es tun würde.

Mit den besten Grüßen
Ihr
gez. v. Bebenburg
von Bebenburg wollte die Ludendorff-Biographie also offensichtlich nicht herausbringen. So recht klar wird zunächst nicht, warum er das nicht wollte.


Abb. 2: Johannes Marquardt (?) spricht am Grab Erich Ludendorffs, 4. Oktober 1957
Marquardt's Ludendorff-Biographie erschien dann 1965 im Pfeiffer-Verlag (6). Da dieses Buch allerdings gegen einige Urheberrechte verstieß, die sich im Besitz des Verlages Hohe Warte befanden, ging Franz von Bebenburg gerichtlich gegen dieses Buch vor.


Abb. 2: Prothmann, Marquardt, Reinhard, Sand, Panthel am Seitentor des Friedhofs in Tutzing, 10. 10. 1958
Die Einzelheiten rund um diese Auseinandersetzung müssen in diesem Beitrag noch nachgetragen werden. Hier werden nun nur noch einige historische Fotografien eingestellt, die sich in dem Manuskript der Lebenserinnerungen von Johannes Marquardt finden (Abb. 1 bis 6).


Abb. 3: Johannes Marquardt als Vortragsredner gegen Atomkernspaltung in Husum (1958/59)
Diese biographische Skizze ist künftig noch zu ergänzen.


Abb. 4: Johannes Marquardt mit südbadischen Freunden am Grab Erich Ludendorffs, 1961



Abb. 5: Mathilde Ludendorff spricht zu Freunden aus Südbaden, Tutzing, Ostern 1961




Abb. 6: Mathilde Ludendorff im Gespräch mit Johannes Marquardt, Tutzing, Ostern 1961




/Aufsatz veröffentlicht 
entsprechend des letzten 
Standes der Bearbeitung 
vom 24.12.2013/

_______________________________________________________________________
  1. Privates Ludendorff-Archiv des Verfassers
  2. Marquardt, Johannes: Jesuiten in der Schweiz? In: Der Quell, Bd. 8, 1956
  3. Marquardt, Johannes: Jämmerliche Versuche. In: Der Quell, Bd. 8, 1956, S. 990ff
  4. Marquardt, Johannes: 500 Jahre Universität Freiburg. In: Der Quell, Bd. 9, 1957
  5. Marquardt, Johannes: Atom das ernsteste Problem unserer Zeit. Lebenselement oder Lebenszerstörung; Unsere Welt im Alarmzustand drohender und vorsätzlicher Vernichtung (Die Gefahren der Atomkernspaltung vom Standpunkt der Gotterkenntnis "Ludendorff"). Vortrag, Selbstverlag, Lörrach/Baden 1958 (46 S.), 1970
  6. Mahlberg, Hartmuth (d.i. Johannes Marquardt): Erich Ludendorff. Zum Gedenken an seinem 100. Geburtstag. Leben und Wirken des bedeutenden Feldherrn und Politikers. Mit zahlr. Abb. a. Taf. u. Ktn.-Skizz. (Überarbeitung in militärischer Hinsicht durch Franz Biese.) Hans Pfeiffer Verlag, Hannover 1965 (334 S.)
  7. Marquardt, Johannes: Walter Löhde. Schriftsteller und Kulturhistoriker - ein Kämpfer für die Geistesfreiheit - Sein Leben und sein Werk. Zum 75. Geburtstag am 20.7.1965. Privatdruck 1965 (46 S.) (zit. in "Mensch & Maß", Jg. 2000) (Anitquariat Arzt, Hofheim)
  8. Marquardt, Johannes: Meine Lebens- und Kampfjahre. Erinnerungen 1885 - 1965. Selbstverlag, Manuskriptdruck o.J. [1969] (90 S.) (Versandbuchhandlung Bärwinkel)
  9. von Bebenburg, Franz Freiherr: Besprechung des Buches von Hartmuth Mahlberg (d.i. Johannes Marquardt) "Erich Ludendorff - Zum Gedenken seines 100. Geburtstag". In: Mensch & Maß, Folge 3, 9.2.1966, S. 138 - 143
  10. Aretz, Emil: Hexen-Einmal-Eins einer Lüge. Hohe Warte, Pähl 1970 (392 S.) (2 Auflagen), 1973, 1976, 1984 (5. Auflage)
  11. Aretz, Emil: Du und Dein Volk. Besinnung und Mahnung. Selbstverlag, Grainbach/Obb. 1972, 1973 (95 S.)

Sonntag, 29. April 2018

Erich Ludendorff - In zentralen Punkten rehabilitiert durch die etablierte Geschichtsschreibung?

Erich Ludendorff und der totale Krieg - Gibt es Neubewertungen?
Ein Vortrag des britischen Historikers Alexander Watson an der britischen Offiziers-Akademie vor drei Jahren

Ich hatte schon in einem meiner neueren Videovorträge kurz darauf hingewiesen, daß es gegenüber bislang tabuisierten Themen wie "Rasse" oder "Erich Ludendorff", sprich gegenüber dem bisher tabuisierten völkischen Gedanken und seiner vornehmlichen Vertreter eine neue Argumentationsstrategie zu geben scheint. Der Humangenetiker David Reich behandelt das Thema "Rasse" neuerdings genauso wie der britische Historiker Alexander Watson (geb. 1979) (Wiki) schon im Mai 2015 die geschichtliche Bedeutung Erich Ludendorff behandelt hat. Nämlich einerseits wird rhetorisch und in Adjektiven so wie bisher auf dem völkischen Gedanken als das Schlimmste und Schrecklichste hingewiesen, während zugleich in der Sache derselbe in wesentlichen Punkten rehabilitiert wird.

Hier soll auf Alexander Watson hingewiesen werden. Dieser hat vor Offizieren der britischen Streitkräfte im Rahmen der "Joint Services Command and Staff College (JSCSC)" (Wiki) einen Vortrag gehalten, der eine völlige Neubewertung der geschichtlichen Bedeutung Erich Ludendorffs (1864-1937) (Wiki) enthält (1). Diese Neubewertung geht - im positiven Sinne - weit über das hinaus, was in der etablierten deutschen Historikerschaft gegenüber Erich Ludendorff seit 1945 an Sichtweisen hervorgebracht worden war. Er tat dies im Rahmen der dortigen "Forschungsgruppe Erster Weltkrieg". Dieser Vortrag ist - zumindest nach Datumangabe - schon seit 2015 auf Youtube zugänglich (1).




Alexander Watson sagt in diesem gut halbstündigen Vortrag einleitend (im folgenden alles eigene Transkription und Übersetzung) (1):
Erich Ludendorff ist keiner, der von den Historiker besonders liebevoll behandelt wird. Man erinnert sich nicht gern an ihn. Schon viele Zeitgenossen mochten ihn nicht, besonders in Österreich, wo man sich an ihn als an den "abscheulichen Preußen" erinnerte. (...) Er war Soldat, er war Militarist, er verkörperte die mörderischen Werte und Tugenden, die Nachteile und Probleme der preußischen militärischen Elite im frühen Zwanzigsten Jahrhundert. Und in mancher Hinsicht in übertriebener Weise. ... Und im weiteren Verlauf seines Lebens wurde er nicht nur ein Nationalist, ein Antisemit, ein Rassist, er war die meiste Zeit seines Lebens auch Sozialdarwinist, ein Mann, der glaubte, daß Krieg, Kampf zwischen Nationen unvermeidlich war. Er sah den Ersten Weltkrieg nicht als einen Krieg an wie wir ihn erinnern, nämlich einen "Krieg, um alle Kriege zu beenden", sondern mehr als einen Krieg, dessen Ergebnis in weitere Kriege münden würde, um Deutschland in eine Position zu bringen, so günstig wie nur immer möglich für alles, was die Zukunft bringen würde.
Natürlich sind diese Zeilen noch durchwirkt von hanebüchenen Fehlurteilen. Aber lassen wir sie erst einmal so im Raume stehen. Sie sind ja nichts Ungewöhnliches. Viel eher "alltäglich".

Man kann aber auch hinzufügen, daß hier deutlich wird, daß Watson sich mit Erich Ludendorff als Kritiker von Hintergrundpolitik, als Kritiker von überstaatlichen Mächten noch nicht besonders beschäftigt zu haben scheint, auch nicht mit den Motiven, die hinter dieser Hintergrundpolitikkritik stehen. Aber schon aus Buchtiteln Erich Ludendorffs wie "Kriegshetze und Völkermorden in den letzten 150 Jahren" (1928) oder "Weltkrieg droht auf Deutschem Boden" (1930) sollte doch deutlich werden, daß Erich Ludendorff gerade nicht wollte, daß menschliche Geschichte sich als eine Geschichte ununterbrochener Kriegshetze und ununterbrochenen Völkermordens vollzog. Schon seine Wehrvorlage aus dem Jahr 1912 hat Erich Ludendorff doch immer charakterisiert von ihm gedacht als ein Mittel zur Kriegsvermeidung. Aber wer wollte solche "unwesentlichen Details" gar so wichtig nehmen .... Es ist "nur" Ludendorff, der "Schlimme", der "Schrecklichste" der Schrecklichen.

Abb. 1: Der britische Historiker Alexander Watson, 2015

Watson sitzt hier also allzu klar noch Sichtweisen über "Militarismus" auf, die propagandistische Elemente enthalten. Denn sonderbarer Weise werden ja die westlichen Demokratien, die nicht erst seit 1945 die Welt mit einem Meer von Krieg überzogen haben, nicht als "militaristisch" gekennzeichnet. Solche Dinge sind zu lächerlich, um ihnen überhaupt noch weiter Beachtung zu schenken. Man wird einfach nur die Hoffnung aussprechen dürfen, daß irgendwann auch einmal diesbezüglich die Realität unter Fach- und Militärhistorikern - wie jenen rund um Alexander Watson - ankommen wird. Das neu erschienene Buch von Niall Ferguson "The Square and the Tower - Networks and Power, from the Freemasons to Facebook" läßt ja auch diesbezüglich manche Hoffnungen aufkeimen. Doch zurück zu Alexander Watson. Dieser ist in seinen weiteren Ausführungen 2015 schon so viel mehr in der historischen Realität angekommen, daß es sich wirklich lohnt, sie zur Kenntnis zu nehmen. Und deshalb macht es Sinn und ist es wertvoll, fast seinen gesamten Vortrag weitgehend vollständig zu übersetzen. Er sagt nämlich weiter:
Es ist viel über Erich Ludendorff geschrieben worden. Aber interessanterweise fokussiert man dabei meistens auf Ludendorff als einen politischen Soldaten, man schaut auf sein politisches Handeln, seine Kriegsziele, seine expansiven Kriegsziele während des Krieges und was er in Deutschland innenpolitisch tat, mehr als auf alles andere. Die beiden wichtigsten Bücher über Ludendorff, Martin Kitchen's "The Silent Dictatorship" (1976) und Manfred Nebelin's "Diktator im Ersten Weltkrieg" (2010) behandeln Ludendorff als einen politisch Handelnden, als einen Herrscher - wie die Titel sagen - als einen Diktator oder als den Leiter einer Diktatur. Und dies ist ein Umstand, dem gegenüber meiner Meinung nach wirklich eine Neubewertung ansteht.
Ludendorff ist - natürlich - ein Soldat. Und um Ludendorf zu verstehen, muß man seine militärische Identität in den Vordergrund stellen. ... 1913 Kriegsakademie ...  Militärische Probleme, militärische Prioritäten sind es, mit denen er vornehmlich beschäftigt ist. Ich möchte im folgenden darauf hinaus, daß diese militärischen Probleme und Prioritäten im Zentrum dessen standen, was er tat, um zu erklären, was er in Deutschland während des Ersten Weltkrieges tat. Im August 1916 stieg er zur Leitung des deutschen Heeres auf, direkt unter Paul von Hindenburg. Er hatte den Titel Generalquartiermeister. Und er war de facto der Leiter der deutschen Armee vom August 1916 bis zu Ende Oktober 1918. Darüber hinaus war die sogenannte dritte Oberste Heeresleitung politisch und diplomatisch sehr aktiv. 1916 griff Ludendorff in die Innenpolitik ein, um die moralischen Grundlagen der deutschen Kriegsanstrengungen zu verbessern - ich werde später noch genauer erläutern, was ich damit meine. Er griff in die Wirtschaft ein, legte das Hindenburg-Programm auf, ein massives Programm, um Deutschland in Sachen Bewaffnung und Rüstung wieder auf gleich zu bringen mit den Alliierten an der Westfront, mit der Material-Ausstattung, auf die die Alliierten in Frankreich und Flandern zurück greifen konnten. Und er griff ebenso kraftvoll in die Diplomatie ein, indem er die Kriegsziele formulierte, für die Deutschland tatsächlich kämpfte. Eine Reihe von Arbeiten, die sich anschauen, was Ludendorff militärisch tat, verwerfen ihn im allgemeinen.
Im weiteren bezieht sich Watson auf die US-amerikanische Professorin für Deutsche Geschichte Isabel Victoria Hull (geb. 1949) (Wiki, engl). Sie sieht - laut dem englischen Wikipedia - Deutschland immer noch als hauptverantwortlich für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges und sie wird dafür kritisiert, daß sie die Folgen der britischen Hungerblockade gegenüber Deutschland verharmlosen würde, die 400.000 zivile Todesfälle in Deutschland zur Folge hatte. Vermutlich bezieht sich Watson im folgenden vor allem auf ihr diesbezügliches Buch "Absolute Destruction - Military Culture and the Practices of War in Imperial Germany" (2005) (Amazon). Watson:
Isabel Hull hat argumentiert, daß seine (Ludendorffs) Mentalität ihn dazu verleitete, auf Taktik zu fokussieren, zurückzuführen auf seine Ausbildung als ein preußischer Offizier, und was typisch sei unter preußischen Offizieren, und was letztlich Deutschland in die Katastrophe geführt hätte, das Fehlen seines Willens, die Komplexität moderner Politik zu verstehen, sich realistisch mit der Wahrscheinlichkeit eines Verhandlungsfriedens zu befassen. Sie argumentiert, daß die Mentalität innerhalb des preußischen Offizierskorps fokussiert sei auf die Schaffung und die Perfektion von Gewalt. Ich werde argumentieren, daß es Probleme mit dieser Argumentation gibt. Denn Ludendorff war mit Diplomatie befaßt und mit Innenpolitik. Ich glaube, daß wir ihn umfassender zu verstehen haben als das hier geschieht. Ebenso militärisch. Denn Ludendorff hat sich niemals wieder von seiner Niederlage im Jahr 1918 erholt, verwirrt darüber, daß der Angriff im Frühjahr 1918, der den Krieg beenden sollte, nicht gelang, was dann zur Niederlage Deutschlands an der Westfront führte.
Niederlage wird man in diesem Zusammenhang als zu starkes Wort charakterisieren können. "Im Felde unbesiegt," lautete ja damals die Parole in weiten Teilen des deutschen Volkes. Und auch Ludendorff selbst sah sich an der Westfront nicht per se als "besiegt" an. Er sah die Völker Englands und Frankreichs als ebenso kriegsmüde und erschöpft an wie das deutsche und meinte, daß durch hinhaltenden Widerstand noch ein hinlänglich angemessenerer Ausgleichs-Friede hätte geschlossen werden können als er dann tatsächlich geschlossen worden ist. Und deshalb war er ja vom Kaiser entlassen worden Ende Oktober 1918. Watson weiter (1):
Holger Herwig meint in seinem Buch "Erster Weltkrieg", daß Ludendorff niemals über das intellektuelle Niveau eines Regimentskommandeurs hinausgekommen sei, der Infanterietruppen befehligt. Er glaubt, daß es ihm ihm darum gegangen sei, die feindlichen Linien irgendwo zu durchbrechen, die alliierten Armeen zu zerschlagen und sie dann zur Übergabe zu zwingen. Ich möchte darauf hinaus aufzuzeigen, daß hier ein massives Unterschätzen vorliegt. Natürlich ist es sehr schwierig, Ludendorff zu verteidigen. Denn er war eine außerordentlich unangenehme Person. Wer also sagen will, daß man ihn neu bewerten und ernster nehmen muß, ist wirklich in einer ziemlich peinlichen Lage. Aber wenn man ihn erstens nicht von seiner militärischen Seite her betrachtet und wenn man zweitens nicht die Herausforderungen berücksichtigt, mit denen man es bei dieser neuen Art von Kriegführung damals während des Ersten Weltkrieges zu tun hatte, mit diesem "totalen Krieg", dem er gegenüber stand, wenn man nicht von diesen Dingen ausgeht, wird man sein Handeln unmöglich verstehen können. Wenn man diese Sichtweise aber einnimmt, wird er zu einem viel interessanteren, innovativeren militärischen Denker als ihm das bislang zugesprochen worden ist. 
Nun, das sind doch ungewöhnliche Worte, so möchte man meinen. Watson will in seinem halbstündigen Vortrag dann kurz auf folgende Themen Schlaglichter werfen: Wie entwickelten sich Ludendorffs Kriegsziele? Wo kommen sie her? Worum ging es Ludendorff innenpolitisch? Und was tat er verteidigungsmäßig 1918? Waton (1):
Er war ein "active combat soldier", ein Frontsoldat (also gemeint: kein bloßer Stabsoffizier), der als solcher an der Ostfront geformt worden ist. Die Ostfront ist zu wenig erforscht, was den Ersten Weltkrieg betrifft. Aber es ist zugleich die interessanteste Front des Ersten Weltkrieges. Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen gab es viel mehr Bewegung, es geschah viel mehr. Der Krieg war dort - viel mehr als an der Westfront - so, wie das preußische Militär erwartet hatte, daß ein Krieg aussehen würde. Der zweite Punkt ist, daß die Zivilbevölkerung der heutigen baltischen Staaten, Polens und der Ukraine viel mehr in den Krieg mit einbezogen war. In diesem Sinne war der Krieg seit 1914 viel mehr ein totaler Krieg.
Hier ist der Begriff totaler Krieg nicht im Sinne benutzt wie ihn Erich Ludendorff verstand. Denn gehungert haben die Menschen in Deutschland, nicht in den besetzten Gebieten. Aber auch das wieder nur am Rande. Watson weiter (1):
Es gab eine Verwaltung, es gab große Flüchtlingsbewegungen und es gab ebenso eine ausnutzende Besatzung, in einem viel größeren Umfang als im Westen zwischen 1914 und 1918. Das, was die Menschen wissen über Erich Ludendorff, ist natürlich der Sieg, den er mit Paul von Hindenburg erfochten hat bei Tannenberg, die Zerschlagung russischer Armeen, die in Ostpreußen eingedrungen waren, der nordöstlichsten Provinz von Deutschland Ende August 1914. (...) Um zu verstehen, wo Ludendorff herkommt und was er wollte angesichts der militärischen Situation des Krieges, um seine Politik und Kriegsziele zu verstehen, muß man auf dieses Eindringen (der russischen Truppen) auf eine andere Weise schauen, nicht auf seinen Erfolg Ende August 1914, sondern auf die acht Monate, in denen Deutschland unter fortdauernder Gefahr stand, von Seiten der russischen Kräfte. Es gab nicht einfach nur ein Eindringen in Deutschland, das in Tannenberg endete. Tatsächlich gab es drei russische Einmärsche in Deutschland. Zuerst im August und September 1914, dann der zweite nach Tannenberg, als die Russen im November 1914 zurück kamen, was zu einer kurzen Besetzung von Teilen Deutschlands bis Februar 1915 führte und schließlich ein kurzes Eindringen im März 1915. Deshalb war während dieses ganzen ersten Teiles des Krieges die vornehmlichste Erfahrung des deutschen Volkes und insbesondere Ludendorffs, der an dieser Front kämpfte, das fortdauernde Gefühl der Gefahr, das von diesen russischen Armeen ausging.
Auch dies ungewöhnliche Worte. Dabei sind diese Ausführungen so einfach und so klar wie ein Kindergesicht, so simpel und so schlicht, wie Wahrheit immer nur sein kann. Man muß ihnen nichts hinzusetzen. Und man kann immer nur sagen: Was für eine Schande, was für eine riesen große Schande für die gesamte Zeitgeschichtsforschung, daß so simple Dinge erst im Jahr 2015 - und ausgerechnet von einem britischen Historiker - gesagt werden müssen, daß man bislang kaum bereit war, diese Dinge wahrzunehmen und zu bewerten. Es sei weiter Watson gefolgt (1):
Das wirkte sich auf Ludendorffs, bzw. auf die deutschen Kriegsziele in zweierlei Weise aus: Zunächst verstärkte es das Gefühl, das schon vor dem Krieg vorhanden war von einer tiefen, tiefen Verunsicherung. Bei den ersten Kriegszielen, die bezüglich des Ostens formuliert worden sind, handelte es sich um den sogenannten polnischen Grenzstreifen, ein Streifen, der einfach östlich von Polen (? - gemeint ist sicher: von Deutschland) entlang lief, dazu erdacht, Deutschlands Grenzen zu verbessern, so daß es viel mehr Schwierigkeiten geben würde für ein erneuertes Rußland, ein weiteres mal in Deutschland einzumarschieren.
So simpel und schlicht kann manchmal Wissenschaft sein, sogar Geschichtswissenschaft. Einfach und klar wie ein Kindergesicht. Einfach das feststellen, was während des Ersten Weltkrieges jeder Schuljunge und jedes Schulmädchen in wußte Deutschland. Und was auch jedes Schulmädchen und jeder Schuljunge in England oder Frankreich hätte wissen können - wenn denn eben dort nicht eine unglaublich verlogene Hetzpresse die Deutschen mit Haß und Verleumdung überschüttete in einer Art, daß diese Verhetzung bis heute nachwirkt, sowohl in Deutschland wie in weiten Teilen der Welt. Die Wahrheit führt dieses Kriterium mit sich, daß sie einfach ist, daß sie schlicht ist, daß sie geradezu unschuldig ist. Auf solche Kriterien jedenfalls stoßen wir hier.

Im "stählernen Ring" der Einkreisung, des Zwei-Frontenkrieges und der britischen Seeblockade


Watson in der gleichen Weise weiter (1):
Große Kriegsziele von der Art, die Hitler nach 1941 hatte, vielmehr auch schon vor 1941, Ideen großer Annexionen waren tatsächlich nicht Teil von Ludendorffs Plänen oder Wünschen in der ersten Phase des Krieges. Aus dem Frühjahr 1915 haben wir von ihm geschriebene Briefe, in denen er sich beklagte über die übertriebenen Forderungen, die die "Annektionisten" in der Heimat aufstellten, und in denen er sich selbst nur für untergeordnete Grenzkorrekturen aussprach. In anderen Worten: Was er wollte, waren einfach besser zu verteidigende Grenzen entlang von Flußlinien. Zu dieser Zeit sind seine Gedanken über Krieg recht altmodisch. Wofür er sich interessierte, das waren Feldzüge zu Lande, Verteidigungsfähigkeit des Landes. Im Oktober 1915, sechs Monate später, hat sich das geändert und er beginnt, über viel größere Annektionen nachzudenken, insbesondere hinsichtlich von Litauen und das heutige Lettland, das damals Kurland genannt wurde, im wesentlichen die heutigen baltischen Staaten. Und es gibt zwei Gründe für diese Änderung. Und ich glaube, daß 1915 entscheidend ist für Ludendorff darin, die totale Natur der modernen Kriegsführung zu verstehen.
Eine Nebenbemerkung sei schon hier gestattet: Was bei allen Ausführungen von Watson auffällt, ist, daß der Begriff totaler Krieg gar nicht mehr als ein abscheulicher Begriff verwendet wird im (geschichts-)wissenschaftlichen Diskurs, sondern im wesentlichen als ein Begriff, der einfach vorhandene Sachverhalte beschreibt. Er wird also so verwendet und verstanden wie ihn Erich Ludendorff auch immer verwendet und verstanden hat. Nämlich nicht als eine Forderung, Krieg solle so oder so sein, sondern aus der Beschreibung des Sachverhalts, daß moderne Kriege so oder so sind, nämlich so, daß sie als totale beschrieben werden können, und daß aus dem Erkennen dieses Sachverhalts dann Schlußfolgerungen zu ziehen sind. Das falsche Verständnis ging von der Goebbels-Rede aus, in der er so bombastisch fragte "Wollt ihr den totalen Krieg?" zu einer Zeit, als der Krieg schon lange total geworden war und als es gar keine Frage mehr war, ob man es so haben wolle oder nicht. Zumal diese Frage in Zeiten von Konzentrationslager und Todesstrafe sowieso nur eine rein rhetorische war, eine moralisch also unglaublich flache. Aber das wiederum nur nebenbei.

Daß nun diese neuartige Verwendung des Begriffs totaler Krieg durch Alexander Watson aus einer breiteren, länderübergreifenden Denkbewegung unter politischen und strategischen Planern im Hintergrund ganz allgemein hervor gegangen ist, bzw. von solchen Ermutigung erfahren haben könnte, dafür werden weiter unten noch Anzeichen geben. Auf diesen Umstand sei aber schon an dieser Stelle hingewiesen. Watson weiter (1):
Zunächst, das ist einfach opportunistisch, im Sommer 1915 haben die Deutschen und Österreich-Ungarn die Russen bei Gorlitz und Tarnow geschlagen und haben die Russen aus dem vertrieben, was damals als Russisch-Polen galt. Es gab also einen riesigen Vormarsch Richtung Osten. Und deshalb war die Versuchung, das Land, das man besetzt hatte zu annektieren, nahe liegend. Zum zweiten aber zeigen Ludendorffs Briefe ernste Sorgen über das, was in der Heimat vor sich ging, insbesondere rund um die Nahrungsmittelversorgung. Deutschland hat als Folge der militärischen Maßnahmen und der Umnutzung des Transportsystems unter Nahrungsmittelknappheit gelitten seit August 1914. Das brachte Probleme der Nahrungsmittelversorgung der Städte mit sich infolge der massiven Mobilisation von Truppen, die die Eisenbahnwaggons nutzten.
Und im Verlauf des Herbst 1914 und 1915 wurde die britische Seeblockade zu einem wesentlichen Faktor. Die Briten stoppten die Lieferung von Kriegsmaterial nach Deutschland. Aber im November 1914 erklärten sie sogar die gesamte Nordsee zum Kriegsgebiet. Und sie stoppten auch andere Lieferungen, insbesondere Nahrungsmittellieferungen nach Deutschland. Und das führte zu schrecklicher Not während des Krieges. Es gibt viel Streit um die Zahlen. Aber wahrscheinlich starben in Deutschland fast eine halbe Million Menschen an Unterversorgung - zu großen Teilen aufgrund der Seeblockade. Es gab noch andere Gründe, aber die Seeblockade ist dafür sehr wichtig. Und Ludendorffs Briefe während des Frühjahrs und Sommers 1915 sind schlicht und einfach mit der Situation der Nahrungsmittelversorgung an der Heimatfront beschäftigt. Er schreibt an den Verantwortlichen der Heimatarmee, daß seine Männer Kartoffeln anbauen, um sie mit nach Deutschland zu bringen. Und der Grund, weshalb er zu dem Schluß kommt, daß Litauen und Kurland annektiert werden sollten, ist, daß sie eine Möglichkeit der landwirtschaftlichen Versorgung für Deutschland bieten. Es sollten dies landwirtschaftliche Provinzen werden, die Deutschland autark machen würden gegenüber der Seeblockade.

Er erhielt die Möglichkeit, mit wirtschaftlicher Kriegsführung zu experimentieren in diesem (auf der Karte gezeigten) dunkleren Gebiet, genannt Oberost. Das war der Name für das deutsche Oberkommando im Osten und Ludendorff war der Chef des Stabes. Und er beherrschte im wesentlichen dieses Gebiet, im dem sich heute die baltischen Staaten befinden, als seinen eigenen persönlichen militärischen Machtbereich. [16'10] Und während seiner Amtszeit gibt es eine große Ausnutzung von Ressourcen. Die grundlegende Regel, nach der das Militär, bzw. Ludendorff dieses Gebiet regierten, sagt 1916, daß das Interesse Deutschlands und der deutschen Armee nur untergeordnete Bedeutung ... (?) /unklar/. Es gibt da einige Entwicklung, Aufbau von Infrastruktur, denn die Armee benötigte Infrastruktur an der Ostfront. Deshalb wurden Straßen, Bahnen, Brücken über das gesamte Gebiet hinweg gebaut. Aber viel mehr wurde aus dem Land heraus geholt. Güter etwa im Wert von 77 Millionen Mark wurden in die Provinz investiert, in das besetzte Gebiet und Güter im Wert von etwa 338 Million Mark wurden der Provinz entnommen während der Kriegszeit.
Pferde, Rinder, Schweine und vor allem auch Holz. Litauen und Lettland haben große Wälder. Aber es ist nicht nur Oberost, das zu den deutschen Kriegsanstrengungen beiträgt. Und das ist ein entscheidender Punkt und eine Änderung in Ludendorffs Verständnis darüber, worum es in diesem Krieg geht. Ausgehend von seinem eingeschränkten Verständnis von Feldzügen und Grenzen, die verteidigt werden können, hin zur Erkenntnis: Das ist ein Wirtschaftskrieg, der sowohl das Militär wie auch die Bevölkerung in der Heimat betrifft. Und deshalb sind Ressourcen, materielle Ressourcen entscheidend. ... Die deutsche Kriegswirtschaft geht durch den Konflikt durch das Plündern dieser besetzten Gebiete. Die deutsche Armee besetzte Gebiete, in denen insgesamt 20 Millionen Menschen lebten, also etwa ein Drittel der Bevölkerung von Deutschland in jener Zeit. Und diese Ressourcen in Polen, Belgien, Nordfrankreich und in den heutigen baltischen Staaten erfahren massive wirtschaftliche Ausbeutung.
Und das ist es, was bei Ludendorff eine Änderung bewirkt. Sein Erkennen, daß es bei Sicherheit nicht allein um Grenzen geht, die man verteidigen kann, sondern daß es tatsächlich darum geht, materielle Ressourcen und insbesondere landwirtschaftliche Ressourcen zu bekommen und zu behaupten. Darauf wurde er gestoßen durch die britische Blockade und die wachsende ... in der Heimat. Daher kommen seine Forderungen nach Annektionen. Und das zieht sich hin bis 1917 und erreicht seinen Höhepunkt im Frieden von Brest-Litowsk im März 1918, der Frieden, durch den Rußland für immer aus dem Krieg ausscheidet. Noch einige Zitate von Ludendorff aus dem September 1917: "Ich bin der Meinung, daß es zu wünschen wäre, daß wir einen Frieden bekommen, bevor der Winter einsetzt, solange er uns ... eine wirtschaftliche und militärische Position gibt, die es uns erlaubt, einem weiteren Verteidigungskrieg ohne Furcht entgegen zu sehen." Typisch und bemerkenswert in diesem Zitat ist zunächst, daß Ludendorff auf diesem Verteidigungskrieg besteht. Und das ist zurückzuführen auf diese Erfahrung des Vormarsches der Russen in Ostpreußen, in Deutschland im Jahr 1914.
Ich will auch noch sagen, warum das so traumatisch ist. Es gab Greueltaten gegen die Deutschen, 1.500 deutsche Zivilpersonen sind durch die russische Armee ermordet worden, 13.000 sind gewaltsam nach Rußland deportiert worden, von denen etwa ein Drittel während des Krieges in der Internierung ums Leben kamen. 900.000 Gebäude sind absichtlich zerstört worden durch die russische Armee als Racheakte, Bestrafungen oder während des Kampfes. Und der Einmarsch brachte eine massive Flüchtlingskrise mit sich. 800.000 Flüchtlinge waren in Ostpreußen unterwegs oder sogar weiter nach Westen ins Herz Deutschlands im August 1914. Und während des zweiten Einmarsches im November 1914 waren es noch einmal 350.000, die hoffnungslos in anderen Teilen Deutschlands Zuflucht suchten. Es waren dies große Krisen, die die Deutschen und Ludendorff sehr beeinflußten. Und Ludendorff war ja im Herbst 1914 direkt involviert in die Bemühungen, insbesondere Männer von der Ostgrenze hinweg zu evakuieren in sicherere Regionen Deutschlands. Das ist also die eine Angelegenheit: der Verteidigungskrieg. Wir müssen nicht seiner Meinung sein, aber es ist wichtig zu wissen, wie er es sah.
Und zum zweiten betont er eine wirtschaftliche und militärische Position. Grenzen, die verteidigt werden können, sind nicht mehr genug. Und das wird durch ein weiteres Zitat illustriert, er sagt weiter unten: "Getreide und Kartoffeln sind Macht - genauso wie Kohle und Eisen." Und das ist ebenso eine Folge der Wirtschaftsblockade.
Über alle diese Ausführungen hinweg gilt wieder und wieder, das ist alles so wahr und so einfach, daß es sich schlichtweg immer nur um "Erkenntnisse" handelt, die damals jedes Schulkind in Deutschland hatte, ja, an seinem eigenen Bauch spürte. Nur eine zutiefst verhetzte und ideologisch verdrehte Zeitgeschichtsforschung braucht Zeit bis 2015 und länger, um solche allzu simplen Erkenntnisse ebenfalls zu gewinnen. Watson über Ludendorff (1):
Daher sehen wir bei ihm, daß seine Forderungen nach Annektionen wachsen.
Watson vertritt die These (1):
Ludendorffs Interventionen in der Innenpolitik und hinsichtlich der Kriegsziele, sowie seine militärische Strategie können abgeleitet werden von seinem innovativen Engagement hinsichtlich des Themas "totaler Krieg".
Es sei an dieser Stelle zunächst einmal abgebrochen mit der Übersetzung des Video-Vortrages von Watson aus dem Jahr 2015. Diese Übersetzung ist (zumindest für den Autor dieser Zeilen) sehr Zeit-intensiv. Es wäre sehr erfreulich, wenn sich jemand aus der Leserschaft fände, der uns den Rest auch noch übersetzt.

Abb. 2: A. Watson - Ring of Steel, 2014
Natürlich macht dieser Vortrag neugierig auf das Buch von Alexander Watson, das - auch - diesem Vortrag zugrunde liegt. Es erschien 2014 unter dem Titel "Ring of Steel - Germany and Austria-Hungary at War, 1914-1918" und hat 800 Seiten. Schaut man in dieses Buch hinein, wird einem klar, daß der hier behandelte Video im Grunde schon in komprimierter Form den Inhalt dieses Buches selbst enthält. Das Buch dient in ausgesprochenem Maße den deutschen Interessen und es ist dringend erforderlich, daß es - endlich - ins Deutsche übersetzt wird. Im Grunde enthält es über weite Strecken nur genau jenes Wissen, das damals - wie schon mehrmals gesagt - jedes deutsche Schulkind hatte. Da man dieses Wissen aber an anderen Orten und in derart "seriöser" Form nicht findet, ist dieses Buch ungeheuer bedeutsam. Alexander Watson ist richtiggehend ein "Deutschland-Versteher" in diesem Buch.

Sein Titel ist ins Deutsche etwa zu übersetzen mit "Die Stählerne Einkreisung - Deutschland und Österreich-Ungarn im Krieg 1914 bis 1918". Er soll vermutlich auch erinnern an das damalige Sprichwort in Deutschland "Gold gab ich für Eisen", als die opferwilligen Deutschen ihren Goldschmuck, ja, ihre goldenen Eheringe hingaben und dafür Eisenringe erhielten, die sie mit Stolz trugen - damit Deutschland diesen unglaublich schweren Krieg um seine schiere Existenz durchhält.

Bundesverteidigungsministerium fordert Resilienz-Aufbau in der deutschen Bevölkerung 2017

Oben wurde schon danach gefragt, wo die Umbewertung des Begriffes "totaler Krieg" herstammen könnte. Das "linkskritische" Internetportal "German Foreign Policy - Informationen zur deutschen Außenpolitik" (von einem Horst Teubert [Wiki]) hat im Juni 2017 folgendes berichtet:
Berlin (Eigener Bericht - german-foreign-policy)
Die aktuelle deutsche Diskussion über die Widerstandsfähigkeit ("Resilienz") der einheimischen Bevölkerung gegen Angriffe feindlicher Kombattanten geht auf Überlegungen aus dem Ersten Weltkrieg und der NS-Zeit zurück. General Erich Ludendorff, der 1916 in die Oberste Heeresleitung der kaiserlichen Armee berufen wurde, äußerte 1935, die "seelische Geschlossenheit des deutschen Volkes" sei die Voraussetzung für den Sieg im kommenden "totalen Krieg". Laut Ludendorff geht es darum, Bevölkerung, Militärführung und Politik zu einer "gewaltigen Einheit" zu "verschweißen", die sich als "Schicksalsgemeinschaft" versteht und ihre gesamte Energie in den Dienst der Kriegsführung stellt. Um dies zu gewährleisten, forderte der General unter anderem die Einführung einer "allgemeinen Dienstpflicht" für Männer und Frauen sowie die Lancierung entsprechender Propagandakampagnen - "schon im Frieden".
Initiativen der amtierenden Bundesregierung weisen Parallelen dazu auf. In der "Konzeption Zivile Verteidigung" des deutschen Innenministeriums etwa ist die Rede von einer Verfassungsänderung, durch die Frauen zu Tätigkeiten in "verteidigungswichtigen Bereichen" gezwungen werden können. Mittels eines "gesellschaftlichen Diskurses" soll die Bevölkerung außerdem dazu gebracht werden, "Risiken zu tragen" und Schadensereignisse zu "erdulden". ....
Soweit die Einleitung zu einem Volltext, der gegen eine Gebühr von 7 Euro lesbar wäre. Aber die Stoßrichtung ist schon in diesen einleitenden Worten erkennbar. Tatsächlich fällt der Begriff "Resilienz" auf den 143 Seiten des diesbezüglichen frei zugänglichen "Weißbuches zur Sicherheitspolitik" des Jahres 2016 aus dem Bundesministerium für Verteidigung, das sich mit Vorworten von Angela Merkel und Ursula von der Leyen, schmückt, gleich 27 mal (8). Da heißt es zum Beispiel (8, S. 56):
Staat, Wirtschaft und Gesellschaft müssen ihre Widerstands- und Resilienzfähigkeit erhöhen, um Deutschlands Handlungsfreiheit zu erhalten und sich robust gegen Gefährdungen zur Wehr zu setzen.
Oder (8, S. 59):
Sicherheitsvorsorge ist nicht nur eine staatliche, sondern wird immer mehr zu einer gemeinsamen Aufgabe von Staat, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft.
Es wird auch eine Definition des Begriffes Resilienz gegeben (8, S. 49):
Neben einem wirkungsvollen Beitrag zur Abschreckung strebt Resilienz auch den Ausbau der Widerstands- und Adaptionsfähigkeit von Staat und Gesellschaft gegenüber Störungen, etwa durch Umweltkatastrophen, schwerwiegende Systemfehler und gezielte Angriffe, an. Ziel ist es, Schadensereignisse absorbieren zu können, ohne daß die Funktionsfähigkeit von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig beeinträchtigt wird. Der Ausbau der Gesamtresilienz ist dabei das Produkt der fortschreitenden Resilienzbildung in den genannten Bereichen.
Was heißt denn hier "schwerwiegende Systemfehler"? Muß man bei einem solchen Begriff nicht an die satanistische, geheimgesellschaftlich organisierte Pädokriminalität denken, die laut der ARD-Fernsehdokumentation "Operation Zucker - Jagdgesellschaft" des Jahres 2016 die bundesdeutsche Führungsschicht so sehr durchzieht, daß eine wirksame Bekämpfung derselben nicht statt hat, ebenso wie dies von der elitären Pädokriminalität unter Margaret Thatcher vor wenigen Jahren bekannt geworden ist? Was sonst sollen "schwerwiegende Systemfehler" sein? Es wird auch der Begriff "Resilienzaufbau" erläutert (8, S. 60):
Die materielle Infrastruktur von Staat und Wirtschaft ist ebenso Angriffsziel wie die öffentliche Meinung, die vielfach Versuche externer Einflußnahme ausgesetzt ist. Nachhaltige Resilienzbildung in unserem offenen und demokratischen System ist daher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Worauf das Weißbuch mit diesen Ausführungen nun eigentlich konkret hinaus will oder was die Hintergedanken bei diesen Ausführungen sind, müßte noch einmal gesondert überprüft werden (Krieg oder Cyber-Krieg mit Rußland). Jedenfalls werden hier Konzepte vom "totalen Krieg" und von seelischer Widerstandsfähigkeit neu überdacht, die insbesondere von Erich Ludendorff spätestens 1935 in die Debatte gebracht worden waren.

Erich Ludendorff forderte 1935 "Machet des Volkes Seele stark!"


Der britische Historiker Alexander Watson ist bislang in der deutschsprachigen Öffentlichkeit noch so gut wie gar nicht wahrgenommen worden, und zwar weder in der etablierten, noch in der alternativen Öffentlichkeit. Aber auf Youtube findet man inzwischen nicht nur den oben zitierten bemerkenswerten Vortrag von ihm aus dem Jahr 2015 (1), sondern auch ein ganz aktuelles Interview vom 18. März 2018 (4).

Oh, bevor ich zum Veröffentlichen des vorliegenden Aufsatzes komme, ist es schon wieder aus Youtube verschwunden - schade. Ich hatte vor einigen Wochen dazu notiert: Watson wird gefragt, worin sich die Kriegserfahrung der Bevölkerung der Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn unterschied gegenüber der Kriegserfahrung der Bevölkerung Englands. Und Watson antwortete (4):
Ich glaube, der Hauptunterschied war vor allem eine viel stärkere Erfahrung des Gefühls von Bedrohung, eine viel, viel größere Erfahrung des Gefühls von Bedrohung. Denn man hat das Russische Reich an seiner östlichen Grenze, das gilt sowohl für das Deutsche Reich wie Österreich-Ungarn, das an Russisch-Polen und an die Ukraine grenzte. Und natürlich drangen in Deutschland im Jahr 1914 ebenfalls feindliche Truppen ein, ebenso in Österreich-Ungarn. Aus diesem Grund gab es ein viel stärkeres Gefühl für die große Hauptgefahr des Eindringens feindlicher Truppen, das man zur gleichen Zeit in Großbritannien gar nicht hat. Das ist das eine. Der andere große Unterschied sind die Entbehrungen, die Not des Krieges. Großbritannien führt Rationierung (von Lebensmitteln und Gebrauchsgütern) nicht vor dem Februar 1918 ein. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Deutschland und Österreich-Ungarn Rationierung schon seit vollen drei Jahren. Und die Menschen befanden sich in einem Gefühl der Verzweiflung hinsichtlich ihrer Ernährung. Dieses Leiden - ebenso wie das Eindringen feindlicher Truppen - gehört nicht zur britischen Erfahrung während des Ersten Weltkrieges.
Wie bei allen Feststellungen von Watson sind auch diese fast allzu simpel. Bei allen solchen Feststellungen fragt man sich immer: Warum wurde das nicht schon viel, viel früher so simpel und einfach gesehen und gesagt? Nun, dann wäre ja plötzlich klar, daß es sich beim Ersten Weltkrieg für die Deutschen gar nicht um einen "Griff nach der Weltmacht" handelte (Wiki), sondern um einen Verteidigungskrieg auf Leben und Tod, so wie es die zeitgenössischen Deutschen alle sahen.

In Betreff der Kriegsschuld meint Watson, daß Österreich-Ungarn am meisten Schuld tragen würde, Rußland am zweit meisten und erst an dritte Stelle stünde Deutschland. Nun, womöglich wird man diese "Schuldspielchen" auch als einigermaßen "old-fashioned" empfinden dürfen, wenn man einfach feststellt, daß es international agierende Eliten waren, die den Nationalismus benutzten, um die am Krieg völlig unschuldigen Völker in diesen Krieg hinein zu hetzen und zu ziehen.

Watson mag aber insofern recht haben, als die österreichisch-ungarische Regierung - insbesondere angefeuert und ermutigt durch den Vatikan - eine herausforderndere Haltung einnahm als sie es angesichts der Brisanz des damaligen Pulverfasses Europas hätte tun dürfen. Er hat insofern überhaupt nicht recht, als es das völlig legitime Recht Österreich-Ungarns war zu fordern, daß aus dem Mord an seinem Thronfolger die entsprechenden Konsequenzen in Serbien gezogen werden. Er hat hinwiederum insofern recht, als Rußland der serbischen Regierung viel zu viel Rückhalt gegeben hat. Und er mag auch insofern recht haben, als die starre, bedingungslose "Nibelungentreue" des deutschen Reichskanzlers Bethmann-Hollwegs gegenüber Österreich-Ungarn ebenfalls - so wie die russische Haltung - auf elitäre, sprich freimaurerische, jesuitische und östlich-esoterische - Hintergrundpolitik zurück geführt werden mag als daß sie im Interesse der Völker Europas und des deutschen Volkes lag.

Ein wenig auffallend lächerlich ist, daß Watson England und Frankreich als so viel weniger schuldig am Krieg erklärt als die anderen genannten Nationen. Das zeigt, wie lächerlich all solche "Schuld-Portionierungen" nach Nationen hinsichtlich des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges sind.

Immerhin gibt er auch er nicht mehr Deutschland die "Allein-" oder "Hauptkriegsschuld", was man ja doch schon einmal als einen wichtigeren Fortschritt wird bezeichnen dürfen. Es liegt das also so ungefähr auf der differenzierteren Linie seines Fachkollegen, des australischen Historikers Christopher Clark (geb. 1960) (Wiki).

Der Historiker Christopher Clark


Dabei repräsentiert Christopher Clark weiterhin eine Geschichtsschreibung, die den bekannten, geschichtegestaltenden Lobbygruppen und Hintergrundmächten keine besondere Rolle in der Geschichtegestaltung zuschreibt. Schon deshalb wird sich die britische Königin beeilt haben, ihn zum Ritter zu schlagen. In Zeiten, wo noch ganz andere Veröffentlichungen als die von Christopher Clark Aufmerksamkeit erhalten.

Um so weniger die Deutschen als jenes Volk im politischen und kulturellen Geschehen unserer Zeit wahrnehmbar und spürbar werden, als das sie tausend Jahre lang spürbar und wahrnehmbar waren, nämlich als ein Volk kämpferischer kultureller, religiöser, politischer, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Selbstbehauptung, Selbständigkeit und Freiheit, um so "normaler" und "entspannter" wird in Teilen der Geschichteswissenschaft die Sichtweise auf die deutsche Geschichte. Damit wird erkennbar, daß mit Geschichte und Geschichtswissenschaft seit hundert Jahren "Politik" gegen das Deutsche Volk und seine Selbstbehauptung betrieben wurde und betrieben wird ("Geschichtspolitik"). Diese Politik kann aber immer dann sofort abgebaut werden und in dem Maße, in dem das deutsche Volk sich nicht mehr für seine eigene Selbstbehauptung, Selbständigkeit und Freiheit interessiert.
_________________________________________________________
  1. Watson, Alexander: Erich Ludendorff in "Total War", 1914-1918 - A Reassessment. Speaking to the First World War Research Group at the Joint Services Command and Staff College, Shrivenham, 19 May 2015, https://youtu.be/iFe9orAVMXw
  2. Watson, Alexander: Enduring the Great War. Combat, Morale and Collapse in the German and British Armies, 1914–1918 (= Cambridge Military History Series). Cambridge University Press, Cambridge 2008
  3. Watson, Alexander: Ring of Steel. Germany and Austria-Hungary at War, 1914-1918. Penguin Books, London 2014 (Amazon)
  4. Watson, Alexander: The German view on the First World War. History Extra Podcast, 18.1.2018, https://www.youtube.com/watch?v=IqzWbtvKpAs (leider inzwischen wieder aus dem Internet genommen worden!)
  5. Kellerhoff, Sven Felix: Streiks deutscher Truppen erzwangen 1918 das Ende. In: Die Welt, 24. März 2014, http://la-loupe.over-blog.net/2014/03/streiks-deutscher-truppen-erzwangen-1918-das-ende.html
  6. Scianna, Bastian Matteo: Tagungsbericht: German Atrocities 1914 - Revisited, 27.10.2017 Potsdam, in: H-Soz-Kult, 24.11.2017, <www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-7409>.
  7. Kellerhoff, Sven Felix: Gab es „Franktireure“ in Belgien 1914? In: Die Welt, 19.12.2017, https://www.welt.de/geschichte/article171725774/Historikerstreit-Die-Belgier-nicht-ein-Haar-besser-als-die-Kosaken.html
  8. https://m.bundesregierung.de/Content/Infomaterial/BMVg/Weissbuch_zur_Sicherheitspolitik_2016.pdf;jsessionid=798FB8BBB148AC7DB51AA14BD0395E2F.s4t1?__blob=publicationFile&v=2 
  9. https://giskoesgedanken.wordpress.com/2017/06/29/ludendorff-und-die-gegenwart/ 
  10. https://archive.org/details/Ludendorff-Erich-Der-totale-Krieg, https://archive.org/details/LudendorffErichDerTotaleKrieg1935130S.ScanFraktur 
  11. Teubert, Horst: Bürgerbeteiligung (II). Auf: German Foreign Policy (Aachen), 29.6.2017. Auf: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59628, auch: http://www.pflaster-info-agentur.de/index.php?p=news&area=1&newsid=48392
  12. Watson, Peter: Der deutsche Genius. Eine Geistes- und Kulturgeschichte von Bach bis ... 
  13. Clark, Christopher: Iron Kingdom. The Rise and Downfall of Prussia 1600-1947. Allen Lane, London u. a. 2006 (Deutsch: "Preußen - Aufstieg und Niedergang" 2007)
  14. Clark, Christopher: The Sleepwalkers. How Europe Went to War in 1914. Allen Lane, London u. a. 2012 (Deutsch: "Die Schlafwandler" 2013)
  15. Bading, Ingo: Eine "Verleumdungsschrift" gegen Erich Ludendorff "von noch nie da gewesener Wildheit"? Neuerscheinungen zu Erich Ludendorff. Studium generale, 23. März 2017, http://studiengruppe.blogspot.de/2014/01/neuerscheinung-uber-erich-ludendorff.html

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