Abb. 1: Gregor Strasser, 1928 |
Nach Aussage von Otto Strasser ist die Verbindung zwischen seinem Bruder und Hitler auf Vermittlung des Generals Ludendorff zustande gekommen, der den Apotheker (also Gregor Strasser) im Herbst 1920 persönlich in Begleitung von Hitler in Landshuth aufgesucht hat.Stand Ludendorff schon im Herbst 1920 in so enger Verbindung mit Hitler. Das darf freilich sehr bezweifelt werden. Das Gespräch, von dem hier berichtet wird, wird deutlich später stattgefunden haben, vermutlich frühestens im Herbst 1922, eher im Jahr 1923. Otto Strasser berichtete 1953 über dieses Gespräch in eigenen Worten (zit. n. 6, S. 387):
Gregor komplimentierte die Besucher ins Herrenzimmer, und dort begann die Unterhaltung tastend und unverbindlich. Ich atmete auf, als die Schwägerin zum Essen bat.
Nach dem Essen ging es weiter (zit. n. 6, S. 387):
Ludendorff schlug sofort den Nagel auf den Kopf. "Wir müssen die nationalen Kräfte zusammenfassen", sagte er mit einer Stimme, die sich fast leise angehört hätte, wenn nicht ein metallisch scharfer Ton darin geklungen hätte. "Die militärische Leitung der nationalen Verbände werde ich übernehmen. Die politische Schulung ist die Sache von Herrn Hitler." Er wandte sich an Gregor: "Wir haben die Hoffnung, daß Sie sich mit Ihrem Sturmbataillon Niederbayern mir militärisch unterstellen und sich politisch der Partei von Hitler anschließen." (...)Immer wieder war es der General, der die auftauchenden Schwierigkeiten meisterte, und jedesmal fügte sich Hitler. Ludendorff schien den fanatischen Mann völlig in der Hand zu haben. "Deshalb mache ich auch mit", sagte Gregor, als wir am Abend über unsere Eindrücke sprachen.
1924 - "Reichsführerschaft" der "Nationalsozialistischen Freiheitspartei"
Auch im Jahr 1924 während der Gefängnishaft von Adolf Hitler bildeten Erich Ludendorff und Gregor Strasser zusammen mit Albrecht von Graefe die dreiköpfige Reichsspitze der "Nationalsozialistischen Freiheitspartei", eine vorübergehende Vereinigung der norddeutschen "Deutschvölkischen Freiheitspartei" mit der süddeutschen NSDAP (4). Ludendorff und Strasser waren zu dieser Zeit auch Fraktionskollegen als Abgeordnete dieser Partei im Deutschen Reichstag in Berlin.
1932 - "Ministersessel oder Revolution?"Ob und welche Verbindungen es zwischen Erich Ludendorff und Gregor Strasser in der Zeit nach 1925 gegeben hat, muß einstweilen offen bleiben. 1932 zitiert Erich Ludendorff in seinen Artikeln aus der erregenden, Hitler-kritischen Schrift "Ministersessel oder Revolution?" des Bruders von Gregor Strasser, Otto Strasser, Worte Adolf Hitlers über die neue "Herrenschicht", die er zu bilden gedachte und anderes mehr.
1934 - Die Röhm-Morde aus der Sicht Erich Ludendorffs
Wenn man diese Vorgeschichte kennt, versteht man besser das Handeln Erich Ludendorffs nach den Röhm-Morden des 30. Juni 1934, denen auch Gregor Strasser zum Opfer gefallen war. Auf Wikipedia sind die Umstände und Nachwirkungen seiner Ermordung, sowie die Gerüchte um diese sehr genau geschildert. Allgemein schrieb Erich Ludendorff über diese Morde in seinen 1955 veröffentlichten Lebenserinnerungen, verfaßt 1936 oder 1937 (1, S. 89f):
Wann wir die Nachrichten von dem furchtbaren Geschehen in der Nacht vom 30. 6. zum 1. 7. erhielten, weiß ich nicht. Meiner Frau und mir graute es, voll Abscheu wandten wir uns von dem Geschehen. (...) Die Nationalsozialisten, die in jener Nacht und am 1. 7. ihr Leben verloren, hatten Herrn Hitler unbedingten Gehorsam geschworen. Glaubte dieser sich berechtigt, daraufhin allein derart vorzugehen, so meine ich, das Recht hatte zu sprechen; lag ein Komplott vor, woran ich nicht glaube, so hatte die Untersuchung dieses Komplott voll aufzudecken. (...) Ich sah nach Berlin auf das Reichsministerium, ich sah auf den Reichswehrminister und auf den Reichspräsidenten. Wie würden sich diese verhalten? Und ich erlebte, daß Reichspräsident und Reichswehrminister das Vorgehen des Herrn Hitler billigten und das Reichsministerium ein Gesetz beschloß, daß die Ereignisse in der Nacht vom 30. 6. zum 1. 7. und am 1. 7. "rechtens" gewesen seien. (...) Ich konnte mich nicht wundern, daß den Deutschen immer mehr das Gefühl für Recht verloren ging; das war für mich eine besonders ernste Erscheinung. Fehlt das Rechtsgefühl in einem Volke, so ist damit eine der wesentlichsten Grundlagen völkischen Lebens zerstört. Das Gefühl: "Was geht es mich an, wenn andere durch Rechtlosigkeit betroffen werden", bahnt den Weg einem Denken, das jede Geschlossenheit des Volkes verhindert. Meine Frau und mich hat das Ungeheuerliche, das andere betroffen hat, auf das tiefste bewegt.
Es handelt sich bei diesem letzten Band der Lebenserinnerungen Erich Ludendorffs nur um "Notizen zum dritten Bande", also nicht um ein fertig vom Autor überarbeitetes Buch. Wie unvollständig dieser Band ist, zeigen Quellen, auf die mit dem vorliegenden Beitrag hingewiesen werden soll.
April 1935 - Ludendorff antwortet der Witwe Else Strasser
2004 bis 2006 ist nämlich in der "Landshuter Zeitung" eine 40-teilige Serie über Gregor Strasser und seine Ehefrau Else Strasser erschienen (2). Diese Artikelserie beruhte auf einer "Sammlung zu Gregor und Else Strasser", die dem Institut für Zeitgeschichte in München übergeben worden ist (3). Im Findbuch zu dieser Sammlung finden sich Erwähnungen Erich Ludendorffs. In ihm wird der Inhalt des 22. Teils der genannten Serie folgendermaßen angegeben (3):
Teil 22. Seine Exzellenz als Mittagsgast in der Wohnung. Signal stiller Sympathie General Ludendorffs für Else nach Gregors Ermordung. - In: Landshuter Zeitung vom [02. April 2005]
Und der Inhalt des 39. Teiles der genannten Zeitungsserie von Heinrich Egner (3):
Teil 39. Abschied für immer: Gestapo-Männer führen Gregor Strasser aus dem Haus. Himmler übergibt eine Urne mit der Nummer 16. - In: Landshuter Zeitung vom [16. Februar 2006].
Die Dokumentensammlung enthält auch ein Telegramm Erich Ludendorffs an Else Strasser vom 12. April 1935 (2). Hierüber berichtet der Historiker Richardi (6, S. 388):
Ludendorff bleibt der Besuch bei Gregor Strasser (im Jahr 1920) in Erinnerung. Als Else Strasser, die Ehefrau Gregors, ihm zum 70. Geburtstag am 9. April 1935 gratuliert hat, antwortet ihr der General am 12. April in einem Brieftelegramm aus Tutzing, wohin er mittlerweile gezogen ist: "Ihr Gedenken erfreute mich. Ich denke jener Stunden, in denen ich einst vor langen Jahren in Ihrem Hause weilte. Ich drücke Ihnen die Hand."
Im Online-Archiv der "Landshuter Zeitung" findet sich ein Nachtrag zu der Zeitungsserie. In diesem heißt es zu Anfang (5):
Nach Gregors Tod zogen sich wohl manche Bekannte von Else Straßer zurück. Nur wenige Freunde ohne Vorbehalte lassen sich nennen.
Die knappe Inhaltsangabe von Teil 22 hatte uns bislang (bis zum 29.2.24) zu dem Irrtum verführt, Ludendorff habe Else Strasser nach der Ermordung ihres Ehemannes besucht. Daß das nicht der Fall war, geht aber eigentlich klar aus seinem Telegramm vom 12. April 1935 hervor, deshalb ist das nun umgeschrieben worden.
"Ich habe keinerlei Verbindung zu Hitler, auch nach dem 9.4.1935 nicht"
[Ergänzung 29.2.2024] Denn auffälligerweise erfahren wir neuerdings noch von einer weiteren Witwe eines in den Röhm-Morden Ermordeten, die sich nach dem 9. April 1935 an Erich Ludendorff wandte. Und zwar die Witwe jenes Reichswehroffiziers Fritz von Kraußer (1888-1934) (Wiki), der am 9. November 1923 in München zwischen den Putschisten und der Reichswehr vermitteln wollte und der 1934 als enger Mitarbeiter Röhms ermordet worden war. Zunächst zu ersterem Ereignis (7):
Als Hauptmann wurde Friedrich Ritter von Kraußer im März 1923 zum Wehrkreiskommando VII nach München versetzt. Er war dort Offizier des Stabes, der seinen Sitz im ehemaligen Bayerischen Kriegsministerium in der Schönfeldstraße hatte. (...) Kraußer erhielt Kenntnis von dem Putsch, als er am 9. November zum Dienst erschien und das Wehrkreiskommando VII besetzt vorfand. Vor dem Gebäude in der Schönfeldstraße 15 standen sowohl Reichswehrsoldaten als auch Angehörige nationalsozialistischer Verbände beisammen. Kraußer erfuhr, daß der Landeskommandant Otto von Lossow (1868-1938) gegen Adolf Hitler und Erich Ludendorff (1865-1937) vorgehen wollte, und begab sich deshalb gemeinsam mit Major Friedrich Haselmayr (1879-1965) in den Bürgerbräukeller. Nach einem Gespräch mit Ludendorff fuhren die beiden mit einem Wagen, den sie im Hauptquartier der Putschisten erhalten hatten, zur Infanteriekaserne. Dort versuchten sie, mit General von Lossow zu sprechen. Dieser antwortete Major Haselmayr jedoch, daß er „mit diesen Lumpen“ nicht verhandle und man „gegen dieses Gesindel […] nur mit Gewalt vorgehen“ könne. Der Berufsoffizier Kraußer war über die verweigerte Unterstützung für den Hitler-Putsch so erbost, daß er sein Abschiedsgesuch bei der Reichswehr einreichte.
Weiter erfahren wir (7):
1926 trat Kraußer in den völkischen Tannenbergbund ein, in dem er als Geschäftsführer der Landesgruppe Süd agierte. Er verließ diesen im Juni 1928 wieder, da er nicht mehr mit dem vom Schirmherrn General Ludendorff eingeschlagenen Kurs übereinstimmte.
Zu jenem Zeitpunkt hatte der "Freimaurerkampf" Erich Ludendorffs begonnen. Im Dezember 1928 trat Kraußer in die NSDAP ein und machte ab 1931 im Stab von Ernst Röhm Karriere. Im Zuge der Röhm-Morde wurde auch Fritz von Kraußer - nach einigem Zögern von Seiten Hitlers - in Berlin-Lichterfelde erschossen, und zwar am 2. Juli 1934 (7):
Nach dem Tode Friedrich Ritter von Kraußers versuchte seine Witwe Gertrud von Kraußer mehr über die Hintergründe seiner Hinrichtung in Erfahrung zu bringen. Sie wollte ihren Mann vom Vorwurf der Verschwörung gegen Hitler befreien und ihn rehabilitieren. Dazu schrieb sie zahlreiche Briefe an Personen, wie etwa den Reichsbischof der deutschen evangelischen Kirche, Friedrich von Bodelschwingh, den Reichskriegsminister Werner von Blomberg und den General a.D. Erich Ludendorff. Ihre Versuche, über einflußreiche Personen oder Behörden an Informationen zu kommen und eine Audienz bei Hitler zu erhalten, scheiterten jedoch. Oft erhielt sie keine oder nur knappe Antworten.
Ihren Brief an Ludendorff leitete sie am 11. April 1935 mit den Worten ein (7):
Ew. Exzellenz!Anläßlich Ihres Geburtstages kann ich nicht umhin, Ihnen zu sagen, wie unendlich ich mich freue, daß Sie dem deutschen Volke wiedergeschenkt sind und ich schicke Ihnen meine aufrichtigsten Glückwünsche!Noch jemand hätte sich von ganzem Herzen über Ihr ... gefreut, wenn er es ...
Ludendorff antwortete (7):
Geehrte Frau v. Kraußer!
Es tut mir unendlich leid, daß ich Ihnen nicht behilflich sein kann. Ich habe keinerlei Verbindung mit Herrn Hitler, auch nach dem 9.4. nicht. Ich habe von dem tiefen Unglück, das Sie betroffen hat, mit ebensolchem Bedauern gehört. Sie werden aber verstehen, daß ich nichts veranlassen kann.
Mit Deutschem Gruße
Ludendorff
Briefe, geschrieben in Zeiten der Diktatur und Willkürherrschaft.
- Ludendorff, Erich: Vom Feldherrn zum Weltrevolutionär und Wegbereiter Deutscher Volksschöpfung. 3. Band: Meine Lebenserinnerungen von 1933 bis 1937. Verlag Hohe Warte, Pähl 1955
- Egner, Heinrich: Else Straßer, die Frau des NS-Reichsorganisationsleiters. In: Landshuter Zeitung vom 28. August 2004 bis 3. März 2006. (vierzigteilige biographische Artikelserie zu Strasser und seiner Frau)
- Bestand Egner, Heinrich. Institut für Zeitgeschichte. Archiv. Findmittel Online. Bestand ED 911. http://www.ifz-muenchen.de/archiv/ed_0911.pdf [2.12.2012]
- Bading, Ingo: "Ich bin der größte Revolutionär, den Deutschland heute hat." - Erich Ludendorff 1928. Auf: Studiengruppe Naturalismus, 28.11.2010
- Egner, Heinrich: Nachtrag zur LZ-Serie: Ein langes Leben mit schmerzlichen Erinnerungen - Else Straßer, die Frau des NS-Reichsorganisationsleiters. Landshuter Zeitung, 10.3.2006
- Richardi, Hans-Günther: Hitler und seine Hintermänner. Neue Fakten zur Frühgeschichte der NSDAP. Süddeutscher Verlag, München 1991
- Anna Fuchs (Bearb.): Friedrich Ritter von Kraußer (1888-1934). Vom bayerischen Kadetten zum SA-Obergruppenführer. Diss. an der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern 2023 (pdf)
1 Kommentar:
Nachdem noch eine zweite Witwe eines 1934 Ermordeten bekannt geworden ist, die sich nach dem 9. April 1935 an Erich Ludendorff gewandt hat, ist dieser Blogartikel ergänzt und korrigiert worden. Der Witwe des ermordeten Fritz von Kraußer schrieb Ludendorff am 12.4.1935:
"Geehrte Frau v. Kraußer!
Es tut mir unendlich leid, daß ich Ihnen nicht behilflich sein kann. Ich habe keinerlei Verbindung mit Herrn Hitler, auch nach dem 9.4. nicht. Ich habe von dem tiefen Unglück, das Sie betroffen hat, mit ebensolchem Bedauern gehört. Sie werden aber verstehen, daß ich nichts veranlassen kann.
Mit Deutschem Gruße
Ludendorff"
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