Mittwoch, 27. November 2019

Ehrenvorsitzender der Angestellten-Gewerkschaft - Erich Ludendorff?

Zwei neu bekannt gewordene Briefe
- und viele offene Fragen

Im Wiener Autographen-Handel sind im November 2019 zwei handschriftliche Briefe Erich Ludendorffs zum Verkauf angeboten worden (Doroth., Nov. 2019). Der dortige Bearbeiter, Andreas Löbbecke, meint, die beiden Briefe hätten den gleichen Empfänger.*)

Abb. 1: Zwei Briefe Erich Ludendorffs, verfaßt in München (Dorotheum, November 2019)
Der erste Brief (Abb. 1, links) stammt aus dem Zeitraum 1920 bis 1933, der Zeitraum, in dem Erich Ludendorff unter dem genannten Absender "München, Heilmannstraße" wohnhaft war. Unser Vorschlag der Lesart des in Teilen nicht gerade leicht zu enträtselnden Wortlauts soll bis auf weiteres der folgende sein (Verbesserungsvorschläge, Korrekturen willkommen!) (die uns zweifelhaftesten Lesarten sind unterstrichen): 
                                           München, Heilmannstr. 13/4
Sehr verehrter Herr Hauptmann!
Vorkommnisse an meinem Geburtstage haben
mich darauf hingewiesen, daß die Ortsgruppe
München des D. n. H. nicht mehr so ist, wie ich
es für angemessen halte. Eine Besprechung,
die ich heute mit dem jugendlichen Vorsitzenden
hatte, hat mich darin bestärkt. Ich bin Ehren-
mitglied der Gruppe München und Ehrenvorsitzender
des Vereins und erwarte, daß die Grundsätze 
befolgt werden, die von Berlin für den 
Bund ausgegeben werden. Andernfalls würde
ich meine Ehrenmitgliedschaft zurück geben (sic?).
Da ich festgestellt habe, daß Sie noch 1. Vorsitzender sind,
so teile ich Ihnen vorstehendes mit.
Der Brief ist vier Tage nach dem 9. April, also nach dem Geburtstag Erich Ludendorffs geschrieben worden. Er könnte gut in das Jahr 1925, passen, in dem sich Erich Ludendorff nach und nach von immer mehr nationalen und völkischen Verbänden und Vereinigungen trennte, mit denen er zuvor in einem engeren Einvernehmen gestanden hatte und die ihn mit Ehrenmitgliedschaften, Ehrenvorsitz und dergleichen überhäuft hatten. Eventuell käme auch das Jahr 1926 infrage.

Insbesondere in der - im Jahr 1924 verbotenen - Münchner NSDAP hat sich schon ab Sommer 1924 - noch während der Festungshaft von Adolf Hitler - eine große Respektlosigkeit gegenüber Erich Ludendorff breit gemacht, verkörpert unter anderem in dem damals jungen Hermann Esser (1900-1981) (Wiki) (1, 2). Daß diese schon im April 1924 zum Ausdruck gekommen sein könnte, also kurz nach dem Ende des Prozesses gegen Hitler und Ludendorff, dafür gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Deshalb ist mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß dieser Brief in das Jahr 1925, eventuell in ein späteres Jahr fällt (3, 4).

Denkbarer Adressat: Hans Bechly

Am naheliegendsten dürfte sein, daß es sich bei "D. n. H." um den - der DNVP und völkischen Kreisen nahestehenden - "Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband" (DHV) (Wiki) (11) handelte, um jene Gewerkschaft, die nach 1945 als "Deutsche Angestellten-Gewerkschaft" neu gegründet worden ist. Über Verbindungen zwischen Erich Ludendorff und diesem Verband ist in der Literatur (Google Bücher) zunächst nicht so leicht etwas in Erfahrung zu bringen.

Verbandsvorsteher des DHV war von 1911 bis 1933 Hans G. W. Bechly (1871-1954) (Wiki, engl). Dieser gehörte nicht zum deutschvölkischen Flügel des Verbandes, sondern zum sozialpolitischen Flügel desselben. Bechly war auch zweiter Vorsitzender des damaligen nicht-sozialistischen Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) (Wiki) und anderer Gewerkschaften (5). Auf Verbandstagen der 1920er Jahre hat sich Bechly in Vorträgen immer wieder mit dem "nationalen Gedanken" beschäftigt (7-9). Bechly war offenbar Mitglied der liberaleren Deutschen Volkspartei (DVP) (10). Aber ab 1930 begann sich der DHV mit dem Nationalsozialismus zu arrangieren. Nach 1945 hat Bechly erneut die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) mit aufgebaut (6).

Es ist denkbar, daß Erich Ludendorff schon 1917 oder 1918 zum Ehrenvorsitzenden des DHV gewählt worden sein kann. Er kann dazu aber auch in den Jahren zwischen 1920 und 1923 gewählt worden sein.

Um wen es sich bei dem "jugendlichen Vorsitzenden" der Ortsgruppe München des DHV gehandelt haben kann, muß einstweilen ebenso offen bleiben. Sicher ist, daß ein nicht geringer Teil der Mitglieder des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes schon früh der NSDAP nahe gestanden hat (11). Es kann sich also womöglich um einen Mann vom Schlage des späteren Gauleiters von Danzig und Westpreußen gehandelt haben, also um jemanden wie Albert Forster (1902-1952) (Wiki), jedenfalls ein Mann der Generation von Albert Forster. Forster war ebenfalls Mitglied im DHV und hielt sich ebenfalls im Jahr 1923 auch in München aufgehalten (5):
Der Bankkaufmann Albert Forster war seit 1923 Mitglied der NSDAP (...) und hatte sich schon am mißglückten Putsch in München beteiligt. Früh Mitglied im DHV, hatte man ihn 1932 allerdings wegen allzu extremistischer Neigungen ausgeschlossen.
Es hat also auch im Jahr 1932 noch kein bruchloses "Arrangieren" des DHV mit dem Nationalsozialismus gegeben. 1928 war Forster zeitweise Mitarbeiter des DHV in Fürth gewesen (Wiki).

Was sich aus diesem hier behandelten Brief nun für konkretere Folgen ergeben haben können, muß einstweilen ganz offen bleiben.

/Text stark erweitert:
18.3.2020/
_______________
  1. Bading, Ingo: Adalbert Volck gegen Erich Ludendorff (1924) Spaltungstendenzen in der Deutschvölkischen Freiheitspartei 1924, August 2014, https://studiengruppe.blogspot.com/2014/08/adalbert-volck-gegen-erich-ludendorff.html
  2. Bading, Ingo: "Ich bin der größte Revolutionär, den Deutschland heute hat." - Erich Ludendorff 1928 - Neue Briefe aus den Jahren 1924, 1928 und 1946, November 2010, https://studiengruppe.blogspot.com/2010/11/ich-bin-der-grote-revolutionar-den.html  
  3. Robert Probst, Völkischer Block in Bayern (VBl), 1924/25, publiziert am 02.08.2006; in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: <http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Völkischer_Block_in_Bayern_(VBl),_1924/25> (27.11.2019) 
  4. Mathias Rösch: Die Münchner NSDAP 1925-1933. Eine Untersuchung zur inneren Struktur der NSDAP in der Weimarer Republik. Walter de Gruyter 2014 (GB)
  5. Lange, Gunter: Die braune Gewerkschaft - Die machtvolle Angestelltengewerkschaft DHV. Die Zeit, 23. Mai 2013, Nr. 22/2013, https://www.zeit.de/2013/22/gewerkschaft-nationalsozialismus-dhv/komplettansicht.
  6. Erbschaft mit Saugnäpfchen. Der Spiegel, 23.04.1949, https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44436110.html.
  7. Bechly, Hans und Prof. Dr. August Messer: Volkstum und Weltbürgertum. Eine Aussprache in zwei Aufsätzen und vier Briefen. Alldeutscher Verband, Hamburg, um 1918
  8. Bechly, Hans: Der nationale Gedanke nach der Revolution. Vortrag gehalten am vierzehnten Deutschen Handlungsgehilfentag in Leipzig, vom 18. bis 20. Oktober 1919. Hamburg, Deutschnationale Verlagsanstalt, 1919
  9. Bechly, Hans: Die Führerfrage im neuen Deutschland. Vortrag, gehalten auf dem 18. Deutschen Kaufmannsgehilfentag am 10. Juni 1928 in Dresden. Hamburg, Deutschnationaler Handlungsgehilfen-Verband 1928
  10. Edmund, Rolf: Right-wing critics of Weimar. PowerPoint PPT Presentation, Slide 29, https://www.slideserve.com/rolf/right-wing-critics-of-weimar
  11. Pomplun, Jan-Philipp: Deutschnationaler Handlungsgehilfen-Verband. In: Handbuch des Antisemitismus, Bd. 5, hrsg. v. Wolfgang Benz u.a., München 2012 (GB)

1921 - "Lieber Obermayr!"


Als Name im zweiten Brief (Abb. 1, rechts) ist ein "Obermayr" angesprochen. Die Jahreszahl des Briefes ist nicht leicht zu bestimmen. 1911 - wie vom Bearbeiter vermutet*) - ist mit Sicherheit auszuschließen. Denn da war Erich Ludendorff noch völlig unbekannt und er lebte in Berlin, nicht in München. Am ehesten käme wohl 1921 in Frage. Seit März 1920 - seit dem mißlungenen Kapp-Putsch - hat Erich Ludendorff mehr in Bayern als in München gelebt, zunächst dort an verschiedenen Orten. So lebte er mehrere Wochen auf Schloß Neubeuern, 34 Kilometer östlich von Schliersee. Im August 1920 ist er dann - mit seiner Frau Margarethe - endgültig nach München in die Heilmannstraße gezogen (1). Der Brieftext lautet jedenfalls soweit bislang entzifferbar:
München, 20. 2. 21 [?]

Lieber Obermayr!
Ich war lange verreist, daher die späte Antwort. Meine Frau und ich werden kommen und danken für die Einladung. Wir werden vorher gewiß noch daran erinnert, sonst kann sich alles mögliche ereignen.
Anliegend das Gewünschte [?].
Mit bestem Gruß
Ihr sehr ergebener
Ludendorff.
Abb. 2: Pfarrer A. Obermayr, Schliersee
Eine Möglichkeit ist, daß hier der katholische Pfarrer Adalbert Obermayr (1875-1949) (Schliersee) von Schliersee angeschrieben worden ist. Dieser war 1945 zum Ehrenbürger von Schliersee ernannt worden (Mag. Schliersee). Vermutlich hat er die kirchlichen Handlungen durchgeführt bei der Enthüllung des Oberland-Denkmals in Schliersee am 30. September 1923, an der Erich Ludendorff teilnahm (4). Obermayr stand offenbar bis zum Hitler-Ludendorff-Putsch im November 1923 in Verbindung mit der völkischen Bewegung in Bayern (2, S. 141, 237):
Obermayr (...) distanzierte sich von der NS-Bewegung nach dem Putsch, ist aber nicht unter den durch die Nazis verfolgten Priestern aufgeführt.
Original: Obermayr was born in 1875, was ordained in Munich in 1900, and began as a parish priest in Schliersee in 1916. (...) Obermayr also distanced himself from the Nazi movement after the putsch, but he is not listed among the priests persecuted by the Nazis.
Die von Pfarrer Obermayr 1938 - in Zusammenarbeit mit dem Münchner Kardinal Faulhaber - errichtete und eingerichtete Bergkirche am Spitzingsee atmet noch heute in der Inneneinrichtung einen dem völkischen Zeitgeist sehr nahestehenden Geist (Mag. Schliersee). Obermayr schrieb 1946 Berichte über die Kämpfe um Schliersee am Ende des Zweiten Weltkrieges an die Leitung seines Bistums München-Freising (3) (Merkur 2015).

Aber aufgrund welcher Umstände hätte nun dieser Adalbert Obermayr schon im Februar 1921 in einer solchen persönlichen Verbindung mit General Ludendorff stehen sollen wie diese aus dem Wortlaut des Briefes heraus klingt? Insgesamt entsteht doch der Eindruck, daß Ludendorff im Jahr 1921 einen katholischen Pfarrer im Brief förmlicher und vornehmer im Tonfall angesprochen haben sollte als das hier der Fall ist ("Lieber Obermayr"). Auch war Ludendorff im Februar 1921 noch keineswegs so völkisch eingestellt wie im September 1923. Der Brief wirkt schnell hingeschrieben. Fürs erste möchten wir es deshalb nicht für plausibel halten, daß dieser Brief an den genannten Adalbert Obermayr gerichtet gewesen ist. An wen er aber dann gerichtet gewesen ist, muß vorerst offen bleiben.

Vorerst würde eine Datierung auf das Jahr 1921 jedenfalls mit bekannten Daten nicht in Widerspruch stehen: Erich Ludendorff hatte am 18. Januar 1921 an Reichsgründungsfeiern in München teilgenommen und am 7. Februar 1921 einen Vortrag in Hamburg gehalten (1). Das gibt zunächst Anlaß zu der Vermutung, daß er am 20. Februar 1921 durchaus Grund gehabt haben konnte zu schreiben, daß er "lange verreist" war.

Somit kann bislang nur der erste der beiden hier behandelten Briefe etwas konkreter in historische und biographische Zusammenhänge eingeordnet werden, nämlich in den Weg Ludendorffs vom "Nationalen" (bis 1922) zum Völkischen (bis 1925) und schließlich zu seinem Stehen "allein auf weiter Flur" (ab 1926). 
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*) Erläuterung des Angebotes von Dorotheum: >>Zwei e. B. m. U., München 20. 11. 1911 bzw. o. D. (13. 4.), 1 und 1 1/4 S., gelocht, ein Schreiben mit Ausriß in der Lochung, das andere mit repariertem horizontalen Riß in der Faltung, 8vo. An Herrn Obermayer mit Dank für eine Einladung: "... Ich war lange verreist, daher die späte Antwort. Meine Frau und ich werden kommen und danken für die Einladung ..." (20. 2. 1911). Im zweiten Brief an einen Hauptmann (wohl ebenso Obermayer) weist Ludendorff darauf hin, daß die Ortsgruppe München der d. u. h. (?) nicht mehr im angemessenen Zustand befindlich sei.  Experte: Mag. Andreas Löbbecke<< (Dorotheum, November 2019)
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  1. Bading, Ingo: Erich Ludendorff in Fotografien des Jahres 1921 - Eine Chronologie in Bildern, 17. Januar 2016, https://studiengruppe.blogspot.com/2016/01/erich-ludendorff-im-jahr-1921.html
  2. Hastings, Derek: Catholicism and the Roots of Nazism: Religious Identity and National Socialism, Oxford University Press, 2011 (GB
  3. Reinhold Friedrich: Spuren des Nationalsozialismus im bayerischen Oberland. 2013 (GB)
  4. Bading, Ingo: Das Oberlanddenkmal in Schliersee - Seine Einweihung am 30. September 1923 eine politische Demonstration Die völkischen Wehrverbände Bayerns stehen zur Regierungsbeteiligung in Bayern und zum "Marsch auf Berlin" bereit , 20. Januar 2012, https://studiengruppe.blogspot.com/2012/01/das-oberlanddenkmal-in-schliersee-und.html
  5. Bading, Ingo: Erich Ludendorff auf Schloss Neubeuern in Oberbayern - Ein Aufenthalt von "ungeheurer Bedeutung" - "Nach schweren Tagen fand ich hier Frieden", April 1920, Januar 2016, https://studiengruppe.blogspot.com/2016/01/erich-ludendorff-auf-schloss-neubeuern.html

Samstag, 12. Oktober 2019

"Der Starke ist am mächtigsten allein." - Erich Ludendorff im Dritten Reich

Er war im November 1934 Ansprechpartner "stiller Opposition".
Ein vormals angesehener "Mainstream"-Journalist bat Ludendorff um Mitarbeit - und erhielt eine Absage.

Der einflußreiche deutsche Journalist Fritz Klein sr. (1895-1936) (Wiki) positionierte sich nach 1933 als zurückhaltender, konservativer Kritiker des Dritten Reiches. Bis 1933 war er gut vernetzt gewesen in jene konservativen Eliten der Weimarer Republik, die die Machtergreifung Hitlers wünschten und förderten. In diesem Rahmen hatte er das auch selbst getan. Fritz Klein war Mitglied des Deutschen Herrenclubs und des Rotary Clubs. Aufgrund seiner verhalten kritischen Einstellung verlor er seine Stelle als Chefredakteur der vielgelesenen "Deutschen Allgemeinen Zeitung" (Wiki):
Am 3. Oktober 1933 gründete Fritz Klein zusammen mit Paul Fechter (1880–1958) die Wochenzeitschrift "Deutsche Zukunft" (DZ), deren erste Nummer am 15. Oktober 1933 erschien. In wirtschaftlicher Hinsicht führte die berufliche Veränderung zu finanziellen Problemen. Obschon kaum mehr kritisch in ihren Artikeln, gelang es der Zeitschrift, von manchen Lesern als eine Art stille Opposition wahrgenommen zu werden.
Fritz Klein kam 1936 mit 41 Jahren bei einem Reitunfall ums Leben (4):
Kurz nach seiner Einberufung zu einer militärischen Übung starb Fritz Klein in Liegnitz nach einem Reitunfall, was Anlaß zu Spekulationen gegeben hat, er sei als Gegner des Nationalsozialismus ums Leben gebracht worden.
Abb. 1: 1936 veröffentlicht
Klein hinterließ vier minderjährige Kinder, von denen zwei in die Pflegefamilie eines Sozialdemokraten gegeben wurden. Der Sohn Fritz Klein jr. (1924-2011) (Wiki) wurde nach 1945 marxistischer Historiker und "Informeller Mitarbeiter" der Staatssicherheit in der DDR. Nach dem Tod des Sohnes im Jahr 2011 gab die Familie die Nachlässe beider an die "Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften", wo sie in einem von der "Deutschen Forschungsgemeinschaft" finanzierten Projekt ab 2013 digitalisiert worden sind. Unter den Digitalisaten findet sich ein Schreiben der "Deutschen Zukunft" vom 20. November 1934 an Erich Ludendorff (Archivesportaleurope):
Die Schriftleitung der "Deutschen Zukunft" erlaubt sich die ergebene Anfrage, ob Sie, sehr verehrter General, bereit wären, in unserm Blatte einmal das Wort zu ergreifen. Als Thema, dessen besondere Behandlung wir selbstverständlich ganz Ihrem Ermessen überlassen möchten, würden wir die Möglichkeiten eines künftigen europäischen Krieges in Vorschlag bringen. Wir halten es für unerläßlich, daß sich gerade in der heutigen Zeit, da das ganze Ausland von Kriegsgeschrei widerhallt, auch einer der berufenen deutschen Sachkenner dazu äußert. Da unser Leserkreis durchweg aus selbstständig denkenden Menschen besteht, glauben wir annehmen zu dürfen, daß Ihre Ausführungen auf der Tribüne der "Deutschen Zukunft" ein nachhaltigeres Echo finden würden als in der übrigen deutschen Presse.
Mit dem Schreiben wurden mehrere Nummern der "Deutschen Zukunft" übersandt. Es dürfte auch mit dem Abstand von 85 Jahren noch schwer sein zu entscheiden, ob dieses Schreiben mit irgendwelchen unausgesprochenen Hintergedanken verbunden gewesen ist - und wenn ja, mit welchen - oder ob es wirklich nur darum ging, daß ein Journalist, der an Einfluß verloren hatte, einen für die damalige Mainstream-Presse etwas ungewöhnlichen, womöglich provozierenden Autor hervor ziehen wollte. Bei Handlungen in Diktaturen wie jener, die seit 1933 bestand, bekommt auch der nachlebenden Historiker womöglich nicht besonders leicht jede Nuancierung mit, die man mitbekommen müßte, um ein Geschehen richtig einzurorden.

Erich Ludendorff behandelte Fragen der Außenpolitik und der Kriegsmöglichkeiten zu jener Zeit in seiner Zeitschrift "Der Quell" zwar gewohnt energisch, aber dennoch außerordentlich zurückhaltend. Er mußte jeder Zeit mit einem Verbot der Zeitschrift rechnen und stellte sich darauf ein. Unter solchen Umständen für ein Periodika zu schreiben, wo man die Auswirkungen des Geschriebenen noch weniger übersehen konnte als in seiner eigenen Zeitschrift, dürfte schon für sich ein zusätzliches Wagnis gewesen sein. Womöglich war es aber auch einfach nur die Absicht des Schreibens, Ludendorff, sozusagen aufs "Glatteis" zu führen, nämlich ihn dazu zu bringen, sich in den Augen der Machthaber deutlicher zu kompromittieren als er es in jener Zeit tat, wodurch der Vorwand zu noch entschiedenerem Vorgehen gegen die Öffentlichkeitsarbeit des Hauses Ludendorff gegeben wäre. Das ist aber nur Spekulation. Man darf festhalten: Auch andere sondierten ja gegenüber Erich Ludendorff in jener Zeit, etwa sein "Freund" Wilhelm Breucker (1) oder die Wehrmacht-Generalität (2).

Auf jeden Fall kann dieses Schreiben von Fritz Klein als ein weiteres Zeugnis dafür gelten, daß Erich Ludendorff während des Dritten Reiches von unterschiedlichen Kreisen als "Opposition" wahrgenommen wurde und werden konnte. Deutlich sichtbare oder subtil nuancierte Hinweise hierfür haben wir ja hier auf dem Blog schon viele zusammen getragen. Erinnert sei etwa auch an die Hoffnungen, die einige Anhänger der Freiwirtschaftsidee zeitweise auf Erich Ludendorff richteten (3). - Erich Ludendorff antwortete jedenfalls am 22. November 1934 von Tutzing aus:
Geehrter Herr Doktor!
Ich schreibe grundsätzlich für keine andere Zeitschrift, als die ich in "Ludendorffs Verlag" herausgeben lasse.
Mit Deutschem Gruß!
gez. Ludendorff
Diese Antwort könnte man als sehr kurz angebunden und wenig verbindlich empfinden. Vielleicht könnte man sie auch als einen "Schuß vor den Bug" bezeichnen, als ein Signal: "Bis hier und nicht weiter!" Erich Ludendorff - ebenso wie nach seinem Tod Mathilde Ludendorff - mußten während der Diktatur immer wieder äußerste Anstrengungen aufbieten, um sich ihren Handlungsspielraum zu erhalten und ihn bestmöglich zu erweitern, ohne sich dabei vor die Karren anderer Interessen spannen zu lassen und auch ohne sich dabei "überschlucken" zu lassen (was viele wollten) oder sich in Dinge zu "verheddern", sprich in Abhängigkeiten zu geraten, aus denen dann nur noch schwer heraus zu kommen war. Vielleicht glaubte Ludendorff sehr deutlich erkannt zu haben, daß er hier jemanden "auf den Leim" gehen sollte. Aber all das ist, solange es keine weiteren Anhaltspunkte gibt (denen man nachgehen könnte, wenn man sich ausführlicher mit dem Wirken und den Bestrebungen von Fritz Klein beschäftigen würde) Spekulation.

Immer wieder stößt man jedenfalls in unveröffentlichten Briefwechseln auf das Bemühen, die eigene Unabhängigkeit zu bewahren, sprich, "für sich zu stehen", wohl in etwa nach dem Motto von Schillers Wilhelm Tell: "Der Starke ist am mächstigsten allein."

Abb. 2: Ludendorff antwortet, November 1934

/ leicht überarbeitet;
neuer Titel und Schlußsatz:
16./17.12.2019 /
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  1. Bading, Ingo: Ein Ludendorff-"Freund" und seine Mitgefühle für Freimaurer, Hindenburg und Hitler Wilhelm Breucker und der Versuch der Gleichschaltung Erich Ludendorffs 1933/34, August 2013, https://studiengruppe.blogspot.com/2013/08/ein-ludendorff-freund-und-seine.html
  2. Bading, Ingo: April 1935 - Erich Ludendorff als Gesprächspartner des militärischen Widerstandes gegen Hitler (I), August 2012, https://studiengruppe.blogspot.com/2012/08/april-1935-erich-ludendorff-gefeiert.html
  3. Bading, Ingo: Erich Ludendorff - Er sollte sich für den Sturz von Hjalmar Schacht bei Hitler einsetzen (1937) An die Stelle von Schacht sollte Carl Friedrich Goerdeler treten, Juni 2013, https://studiengruppe.blogspot.com/2013/06/erich-ludendorff-sollte-sich-fur-den.html
  4. Gündisch, Konrad:  Nachruf auf den Historiker Fritz Klein, Siebenbürgische Zeitung, 2.7.2011, https://www.siebenbuerger.de/zeitung/artikel/kultur/11258-nachruf-auf-den-historiker-fritz-klein.html

Mittwoch, 15. Mai 2019

Erich Ludendorff wendet sich dem Rassegedanken zu (1920)

Anregungen dazu gaben zunächst Karl Ludwig Schemann und der Graf Gobineau (1920)

In seinen Lebenserinnerungen von 1940 beschreibt Erich Ludendorff (1865-1937) vergleichsweise genau, mit welchen Menschen, Büchern und Gedanken er sich nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg beschäftigt hat und wie er sich dabei von einem Politiker mit zunächst überkommener "nationaler" Ausrichtung zu einem solchen bewußt völkischer Ausrichtung wandelte. Es war damals noch ungewöhnlich, daß ein führender deutscher Militär sich dezidiert völkischen Gedanken zuwandte. Ludendorff erwähnt im Zusammenhang mit diesen Entwicklungen auch den den Freiburger Professor und völkischen Schriftsteller Karl Ludwig Schemann (1852-1938) (Wiki) (1). Dessen Werk habe gleich anfangs Einfluß genommen auf seine eigene geistige Entwicklung. 

Inzwischen kann diese Einflußnahme anhand des Briefnachlasses von Schemann genauer nachgezeichnet werden. Er liegt in der Universitätsbibliothek Freiburg vor (1).

Erstmals hat sich Ludwig Schemann brieflich am 30. September 1919 an Erich Ludendorff gewendet (2, S. 236). Er schrieb Ludendorff, um diesen auf seine Gedankenwelt und auf die Rassefrage aufmerksam zu machen. Ludendorff reagierte schnell positiv. Auch ließ er sich von Schemann anregen, den Grafen Gobineau über die Rassefrage zu lesen. 

Schemann und Ludendorff beziehen sich dann beide aufeinander in ihren Büchern zwischen den Jahren 1920 und 1925. Dazu werden in dem vorliegenden Beitrag erste Recherche-Ergebnisse gebracht. Sie sind künftig nach und nach noch auszubauen, insbesondere um das geistige Umfeld von Ludwig Schemann auszuloten (der Kreis um Richard Wagner), und um die Bedeutung des Austausches mit Ludwig Schemann für das weitere Denken Erich Ludendorffs nachzuvollziehen.

Abb. 1: Karl Ludwig Schemann

Als langjähriger Vorsitzender der Gobineau-Vereinigung hat sich Karl Ludwig Schemann die Aufgabe gestellt, seine Zeitgenossen auf das Lebenswerk des Grafen Gobineau aufmerksam zu machen und dessen Bekanntheit zu fördern. Wir lesen dazu (Handbuch des Antisemitismus, 2012, S. 288, GB):

Die Gobineau-Vereinigung wurde im Februar 1894 mit dem Ziel gegründet, die Werke des französischen Rassentheoretikers Arthur de Gobineau neu aufzulegen und ins Deutsche zu übersetzen. Dies war schon länger ein Wunsch Cosima Wagners, deren Mann mit Gobineau befreundet gewesen war und in seinen späten Schriften Gedanken des Franzosen rezipiert hatte. Vorsitzender der Vereinigung wurde Ludwig Schemann, der seine ungeliebte Anstellung als Bibliothekar in Göttingen aufgeben wollte und in der Vereinigung die Möglichkeit zu einem beruflichen Neuanfang als Privatgelehrter und Publizist sah. Wagner vermittelte ihm den Kontakt zu Gobineaus Nachlaßverwalterin Mathilde de La Tour. (...) Schemann emanzipierte sich in der Folge von Bayreuth und richtete sein Wirken auf den Alldeutschen Verband, den er als seine politische Heimat begriff, und andere völkische Gruppen aus. 

Der Nachlaß von Karl Ludwig Schemann steht der Forschung in der Universitätsbibliothek Freiburg zur Verfügung (1). Der Inhalt des Schemann-Nachlasses in Bezug auf Erich Ludendorff ist in der Literatur auch schon ausgewertet worden, nämlich von Bernhard Wien (2).

1920 - Erich Ludendorff gibt 25.000 Mark für die Druckkosten

Anhand seiner Ausführungen sei das folgende in einem ersten Durchgang rekapituliert. Am 2. Februar 1920 schickte Ludwig Schemann Erich Ludendorff das Manuskript seiner Schrift "Von deutscher Zukunft" (3) (Abb. 2) und schrieb dazu, daß er diese Schrift gerne Erich Ludendorff widmen wolle (2, S. 236). Erich Ludendorff hinwiederum zeigte sich vom Inhalt dieser Schrift sehr angetan, er sollte sich in seiner eigenen Buchveröffentlichung des Jahres 1921 sehr positiv auf sie beziehen.

Ende Februar, Anfang März 1920 besuchte Erich Ludendorff von Berlin aus Paul von Hindenburg in Hannover. Es geschah dies nur zwei Wochen vor dem Kapp-Putsch in Berlin. Damit in Zusammenhang stellt Bernhard Wien, daß Ludwig Schemann am 3. März 1920 sein Manuskript auch an Hindenburg schickte. Es ist also denkbar, daß Erich Ludendorff in persönlichem Gespräch Hindenburg auf den Autor Schemann hingewiesen hat. Hindenburg bedankte sich auch für die Zusendung schon am 10. März herzlich (2, S. 236f).

Erich Ludendorff hinwiederum antwortete auf die Zusendung der Schemann-Schrift am 23. Mai 1920 (2, S. 236).

In einem Brief vom 6. November (vermutlich 1920) sandte Erich Ludendorff Schemann dann sogar 25.000 Mark für die Druckkosten der Schrift "Von deutscher Zukunft" (2, S. 236). Ob Ludendorff über diese Summe aus privaten Mitteln verfügte und verfügen konnte (wie von B. Wien gemutmaßt) oder doch umfangreichere Gelder verwaltete, die ihm von Ludendorff-Verehrern zur Verfügung gestellt wurden, wird wohl noch zu klären sein. Wir erfahren (4, S. 49):

Seine Haltung zur Weimarer Republik hatte Schemann schon 1920 in seiner Schrift "Von deutscher Zukunft" dargelegt. "Was haben wir mit dem fluchbeladenen Geschlecht des 9. November gemein (...)?", so lautet die Fragestellung (S. 27). (...) Das ganze Werk ist "Seiner Exzellenz Herrn General der Infanterie Ludendorff in tiefer Verehrung gewidmet".

1921 - Erich Ludendorff in "Kriegführung und Politik"

Erich Ludendorff seinerseits berichtet in seinen Lebenserinnerungen über die Zeit nach seinem Umzug nach München im Sommer 1920 (1940, S. 182f):

In meinem Suchen nach Klarheit über die Rassen las ich auch, angeregt von Professor Ludwig Schemann, Freiburg i. Br., die Werke von Gobineau und beschäftigte mich mit den Mendelschen Gesetzen der Aufspaltung. Ich war um so mehr zur Rassenforschung angeregt, denn ich sah in Bayern einen Menschenschlag, den ich in Norddeutschland noch nicht angetroffen hatte. (...) Im Herbst 1921 beendete ich mein drittes Werk "Kriegführung und Politik".

Er schreibt (1940, S. 185):

Ich gebe nun noch ungekürzt meine Schlußbetrachtungen wieder, weil sie für mein Denken maßgebend sind und Zeugnis ablegen für die Anschauungen, die ich mir auf verschiedenen Gebieten herausgebildet hatte.

In diesen Schlußbetrachtungen zu "Kriegführung und Politik" hatte er unter anderem geschrieben (1940, S. 188):

Das Undeutsche in uns und um uns, von dem Ludwig Schemann spricht, liegt vornehmlich in dem Mangel an Rassegefühl, in der ungenügenden Berücksichtigung Deutscher Art in Schule und Recht, in der Überhebung der Geistesbildung über die Handfertigkeit, in der sich bei uns breit machenden, selbstsüchtigen Geisteshaltung, in der Bewertung des äußeren Wohllebens, im internationalen pazifistischen und defaitistischen Denken und schließlich in dem starken Hervortreten des jüdischen Volkes innerhalb unserer Grenzen begründet.

Auch an anderer Stelle seines Buches "Kriegführung und Politik" bezieht sich Erich Ludendorff auf Ludwig Schemann (6, S. 336) (dies und das folgende nur nach Google Bücher zitiert, deshalb unvollständig):

In unserer Einheitsfront haben wir, nach Ludwig Schemanns schönem Wort, "den Heldensinn, den Ordnungsgeist, die Disziplin und das Pflichtgefühl," - und ich setze hinzu: die stolze, selbstbewußte Einfachheit und Sparsamkeit, die ...

1925 - Schemanns "überschwengliche Verehrung" für Ludendorff

Im Jahr 1925 wird berichtet (Abwehrblätter - Verein zur Abwehr des Antisemitismus, 1925, GB):

Aus dem kürzlich erschienenen Buche des bekannten Antisemiten und Gobineau-Forschers Ludwig Schemann "Lebensfahrten eines Deutschen" druckt das "Dt. Tgb" einen Passus ab, in dem Ludendoff in überschwenglicher Weise verherrlicht wird. Schemann nennt Ludendorff ...

In dieser Schrift "Lebensfahrten eines Deutschen" schrieb Schemann über Erich Ludendorff (S. 365ff):

... Und Ludendorff? Er hat mir durch die Annahme der Widmung meiner vaterländischen Schrift "Von deutscher Zukunft. Gedanken eines, der auszog, das Hoffen zu lernen" eine hohe Gunst erwiesen, indem er es mir damit ermöglichte, meine tiefgehende Übereinstimmung in der Auffassung der deutschen Lebensfragen mit diesem größten unserer Führer öffentlich zu bekunden. Immer inniger habe ich mich ihm in der Folge verbunden gefühlt, immer in der stillen Hoffnung, daß, wenn doch noch einmal den guten Geistern unseres Volkes ihre Stunde schlagen sollte, er mit an erster Stelle berufen sein werde, in die Lenkung unseres Reichssteuers einzugreifen.

Vermutlich verlor sich aber in der Folgezeit diese engere Verbundenheit Schemann's mit Ludendorff. (Denn sonst müßte darüber ja doch noch etwas bekannt sein.) Ludendorff begann ab 1925, eigene Wege zu gehen. Schemann hingegen (Wiki)

wurde 1928 öffentlicher Förderer der Nationalsozialistischen Gesellschaft für deutsche Kultur. 1933 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt Freiburg ernannt. 1937 wurde er Ehrenmitglied des nationalsozialistischen Reichsinstituts für Geschichte des Neuen Deutschlands und von Adolf Hitler mit der Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet.

Ob es von Seiten Schemanns auch kritische Sichtweisen auf den Nationalsozialismus gab (wie spätestens ab 1925 bei Ludendorff), muß einstweilen dahin gestellt bleiben. - Den hier insgesamt aufscheinenden Zusammenhängen kann also noch nach vielen Richtungen hin genauer nachgegangen werden. So könnte etwa die Auseinandersetzung Ludendorffs mit Rassefragen noch einmal im größeren Zusammenhang erörtert werden. Auch könnte der Verbindung Ludwig Schemanns zum Kreis um Richard Wagner genauer nachgegangen werden. An den Austausch Erich Ludendorffs mit Ludwig Schemann schließt sich übrigens auch sein Austausch mit vielerlei anderen, unter anderem naturwissenschaftlich oder anthropologisch orientierten Denkern, Forschern und Autoren seiner Zeit an (8).

1933 - Mathilde Ludendorff bezieht sich auf Ludwig Schemann

Nachtrag 14.3.23: 1930 erschien der zweite Band von Ludwig Schemann's Buch "Die Rasse in den Geisteswissenchaften - Studien zur Geschichte des Rassegedankens" (10). Auf dieses Buch bezog sich Mathilde Ludendorff in ihrem Buch "Die Volksseele und ihre Machtgestalter - Eine Philosophie der Geschichte" aus dem Jahr 1933 (9). Im letzten Teil desselben Buches behandelt sie unter anderem die antik-griechische Philosophen-Schule Stoa als eine Art Vorläufer-Lehre des Christentums (9). Dabei stützt sie sich oft wörtlich auf Ausführungen von Ludwig Schemann.

Nachtrag 29.8.23: Inzwischen haben wir uns mit dem Einfluß Karl Ludwig Schemann's auf das Werk Mathilde Ludendorffs "Die Volksseele und ihre Machtgestalter" aus dem Jahr 1933 ausführlicher beschäftigt (Stgen2023). Man wird annehmen können, daß Schemann alle seine Neuerscheinungen an Erich Ludendorff gesandt hat, und daß so seine Bücher auch in die Hände von Mathilde Ludendorff gekommen sind. 

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  1. Universitätsbibliothek Freiburg, Nachlaß Ludwig Schemann, 10 Briefe, 5 Briefabschriften, http://kalliope.staatsbibliothek-berlin.de/de/ead?ead.id=DE-611-HS-616943
  2. Wien, Bernhard: Weichensteller und Totengräber. Ludendorff, von Hindenburg und Hitler 1914-1937. Books on Demand, Norderstedt 2014 (GB)
  3. Schemann, Ludwig: Von deutscher Zukunft. Gedanken eines, der auszog, das Hoffen zu lernen. Theodor Weicher, Leipzig 1920
  4. Nemitz, Kurt: Die Schatten der Vergangenheit. Beiträge zur Lage der intellektuellen deutschen Juden in den 20er und 30er Jahren. Bibliotheks- und Informationssystem der Universität Oldenburg, 2000 (156 S.) (GB)
  5. Ludendorff, Erich: Vom Feldherrn zum Weltrevolutionär. 1940 (GB)
  6. Ludendorff, Erich: Kriegführung und Politik. Mittler und Sohn, Berlin 1921
  7. Schemann, Ludwig: Lebensfahrten eines Deutschen. 1925 
  8. Bading, Ingo: Erich Ludendorff im Austausch mit Naturwissenschaftlern seiner Zeit Sowie mit völkischen und kirchenfreien Zeitgenossen seiner Generation. Studiengruppe Naturalismus, 20. August 2014, https://studiengruppe.blogspot.com/2014/08/erich-ludendorff-im-austausch-mit.html
  9. Ludendorff, Mathilde: Die Volksseele und ihre Machtgestalter. Eine Philosophie der Geschichte. Erstauflage 1933; Verlag Hohe Warte, Pähl 1955 (Archive)
  10. Schemann, Ludwig: Die Rasse in den Geisteswissenchaften. Studien zur Geschichte des Rassegedankens. Band 2, J. F. Lehmann's Verlag, München 1930 (GB

Montag, 29. April 2019

Juristen und Prozesse in der Geschichte der Ludendorff-Bewegung

1. Teil: Zugängliche Lebensdaten zu Rechtsanwalt und Kriegsgerichtsrat Dr. Wilhelm Heltge
- Ein wichtiger Rechtsanwalt Erich und Mathilde Ludendorffs 1928 bis 1935

Vorbemerkung

Juristen - Richter und Rechtsanwälte - haben in der Geschichte der Ludendorff-Bewegung eine ganz eigene, besondere Rolle gespielt. Denn Erich Ludendorff war schon spätestens ab 1924 in zahllose Prozesse verwickelt. Später war er dies gemeinsam mit seiner Frau Mathilde Ludendorff. Als nach 1945 der "Bund für Gotterkenntnis" neu gegründet wurde, wünschte sich Mathilde Ludendorff für den Vorstand desselben ausdrücklich Juristen, da immer wieder erneut zahlreiche juristische Fragen im Zusammenhang mit dieser Weltanschauungsgemeinschaft zu klären waren. Es ging darum, als Weltanschauungsgemeinschaft gleichberechtigt zu den großen christlichen Kirchen anerkannt zu werden und als solche anerkannt zu bleiben und nicht verboten zu werden. 1961 erfolgte dennoch ein Verbot. Die Aufhebung des Verbots konnte ab 1976 auf juristischem Wege erreicht werden aufgrund einer damals ganz neu von gerichtlicher Seite festgestellten besonderen "Existenzerhaltungsgarantie" von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die aus diesem Anlaß aus der Weimarer Verfassung und dem Grundgesetz abgeleitet wurde, und die seither - und bis heute - nicht nur den Fortbestand des "Bundes für Gotterkenntnis" gleichberechtigt mit monotheistischen Psychosekten garantiert, sondern zugleich auch die juristische Grundlage bildet für den Fortbestand von kriminellen Vereinigungen und Psychosekten wie: der Scientology-Kirche, der katholischen Kirche, dem Jesuitenorden und zahllosen "regulären", völkischen und satanistischen Freimaurer-Logen.

Abb. 1: Die Herren Prothmann, Marquardt, Reinhard, Sand und Panthel am Seitentor des Friedhofs in Tutzing, 10.10.1958 (aus: 11)

Auf Abbildung 1 stehen einige führende Persönlichkeiten des "Bundes für Gotterkenntnis" der 1950er Jahre vor dem damaligen Eingangstor zum Grab Erich Ludendorffs in Tutzing, und zwar von links: Der Berliner Kammergerichtsrat Wilhelm Prothmann (1895-1968), der vormalige Leipziger Landesgerichtsrat Dr. jur. Edmund Reinhard (1893-1975) und der Amtsgerichtsrat Dr. jur. Rudolf Sand (1896-1992). Alles drei waren Juristen, die damals dem Vorstand des "Bundes für Gotterkenntnis" angehörten (11). Auch der Nürnberger Rechtsanwalt Eberhard Engelhardt (1905-1991) spielte schon damals und nachmals eine wichtige Rolle, zunächst als Anwalt, später auch als Autor der Ludendorff-Bewegung. Ein weiterer Anhänger war der Berliner Rechtsanwalt Jürgen Harms, der wiederum Sohn des Berliner Professors Bruno Harms war. Zu allen diesen Personen liegen von Seiten des Verfassers dieser Zeilen mal umfangreichere, mal weniger umfangreiche biographische Vorarbeiten vor. Diese können früher oder später hier auf dem Blog (oder anderwärts) veröffentlicht werden. Mit recherchierende weitere Autoren sind dafür übrigens - wie immer - sehr willkommen. Denn bei solchen Arbeiten kann man in einer Welt von Details ertrinken.

So hat sich etwa die einzige Tochter des genannten Wilhelm Prothmann, Ingrid Prothmann (geb. 1933), nach dem Zweiten Weltkrieg für die Schauspielerei entschieden. Sie war ab den frühen 1950er Jahren mit dem damals nicht ganz unbekannten Schauspieler Rolf von Goth (1906-1981) (Wiki, IMDb) verheiratet. Dieser war ab dem Jahr 1927 in Rollen als Herzensbrecher auf der Filmleinwand zu sehen (Virtual History, Rolf von Goth), zumeist in Nebenrollen, mitunter aber auch in der Hauptrolle. Und aus der Ehe dieser Tochter ging wiederum ein heute noch lebender Berliner Jurist hervor. Außerdem hatten viele der genannten Juristen auch im Zweiten Weltkrieg Funktionen, die heute nicht als unumstritten gelten. So viel aber hier nur als allgemeinere Vorbemerkung.

Nun zum Thema dieses ersten Teiles: Der Rechtsanwalt Dr. Walter Luetgebrune (1879-1949) (Wiki) war von Januar bis März 1924 der Verteidiger Erich Ludendorffs in dem bekannten Hitler-Ludendorff-Prozeß in München gewesen (9) und wurde auch in nachfolgenden Jahren von Erich Ludendorff in juristischen Auseinandersetzungen oft in Anspruch genommen.

An seine Stelle trat ab 1928 der Berliner Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Heltge (1887-1966) (1-3). Er wurde für die Jahre zwischen 1928 und 1935 der wichtigste Rechtsvertreter von Erich und Mathilde Ludendorff. Wilhelm Heltge ist 1887 in Wittstock an der Dosse geboren worden. Er hat in Greifswald und Berlin studiert und er promovierte im Jahr 1910 (4). Sicherlich hat er danach am Ersten Weltkrieg teilgenommen. 1920 hat er dann mit 33 Jahren Henriette Lisette Anna Heise (1889-1970) geheiratet. Sie war in Bad Salzuflen geboren worden. 1928 war Heltge schließlich 41 Jahre alt, hatte sich sicherlich auch weltanschaulich der damals entstehenden Ludendorff-Bewegung angenähert und arbeitete als Rechtsanwalt und Notar in Berlin.

1928 - Große Prozesse gegen die deutsche Freimaurerei

Im März 1928 führten zwei Freimaurer, darunter der Landesgroßmeister der "Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland", Graf Dohna-Schlodien, Beleidigungsprozesse gegen Erich Ludendorff. Erich Ludendorff berichtet darüber in seinen Lebenserinnerungen (3, S. 162):

Beide Prozesse ließ ich zuerst durch Dr. Luetgebrune führen. Da sie indes diesem nicht lagen, bat ich später Herrn Rechtsanwalt Dr. Heltge in Berlin, die Führung zu übernehmen. Dieser widmete sich mit größter Gewissenhaftigkeit und ungeheurem Fleiß der ihm übertragenen Aufgabe. Auch mir machte die Vorbereitung der Prozesse viel Arbeit. Aber ich gab insofern dem Schicksal die richtige Antwort, worauf es ja im Leben so oft ankommt, daß ich die Studien, die ich nun zu betreiben hatte, benutzte, um meine bisherigen Kenntnisse über das geschichtliche Wirken der Freimaurer immer mehr zu vertiefen, so daß aus diesem Studium wie von selbst das Werk "Kriegshetze und Völkermorden in den letzten 150 Jahren" entstand.

Ab April 1929 begannen dann die Auseinandersetzungen Erich Ludendorffs mit seinem vormaligen Mitarbeiter Georg Ahlemann (10). Über diese schreibt Erich Ludendorff unter anderem (3, S. 223):

Schon im April (...) kamen Schreiben des Rechtsbeistandes der "Deutschen Wochenschau" mit den unmöglichsten Beschuldigungen eines Wirkens gegen sie. Ich ließ sie durch Dr. Heltge beantworten.

Der Rechtsanwalt Heltge wird auch erwähnt in einer diesbezüglichen Schrift von Kurt Zemke im Jahr 1931 (GB). - Über den Juni 1930 schreibt Mathilde Ludendorff in ihren Lebenserinnerungen (S. 107; zit. n. 12):

Noch immer schwebten damals über meiner Tochter die Schrecken des (Scheidungs-)Prozesses; aber sie war von uns so viel Prozeßführung (zeitweise waren es deren 9) gewohnt, war so unser täglicher Kamerad in all den schweren Zwischenfällen des Kampfes geworden, daß sie ruhiger daran trug als andere, die solchen Vergleich nicht haben.

Am 25. November 1930 schrieb Mathilde Ludendorff an ihre Mutter (zit. n. 12):

Ich weiß nicht, ob ich es Euch schon schrieb, dass unterdessen zwei Prozesse von den 9, die augenblicklich (einschließlich Ingeborgs) schweben, erledigt sind.

An vielen dieser Prozesse wird Heltge beteiligt gewesen sein. Um welche es sich im einzelnen handelt, wäre noch einmal herauszusuchen. - Aus den Jahren 1932 und 1933 gibt es dann eine Korrespondenz zwischen dem Rechtsanwalt Dr. Heltge in Berlin und dem Tannenbergbund-Landesführer von Berlin Robert Holtzmann (siehe Holtzmann-Nachlaß).

1933 - Gründung eines Ahnenstätten-Vereins in Berlin

In dieser Zeit gründete die Ludendorff-Bewegung eigene Friedhöfe, da nicht garantiert war, daß man als Nichtchrist auf christlichen Friedhöfen begraben werden konnte. Die erste solcher "Ahnenstätten" wurde 1931 in Hude bei Oldenburg gegründet. Zwei Jahre nach der Gründung dort bemühte man sich auch in Berlin um die Anlage einer solchen Ahnenstätte und um die Gründung eines diesbezüglichen Vereins. Die Akten zu diesem Ahnenstätten-Verein befinden sich im Landesarchiv Berlin unter dem Aktenzeichen Az. 95 VR 7581 + 55. Der Verein nannte sich - laut eines Schreibens vom 18. August 1933 - zunächst "Deutscher Bestattungsverein". Sein amtlicher Vertreter war wiederum der Rechtsanwalt Dr. Heltge, Berlin SW 61, Tempelhofer Ufer 1.

1932 bis 1936 - Prozeß Johannes Hertel gegen Ludendorff wegen "Beleidigung eines Staatsbeamten"

Abb. 2: Johannes Hertel (aus: Enz. Iran.)

In einer wissenschaftlichen Untersuchung, die im Jahr 2009 verfaßt worden ist und im Jahr 2012 erschienen ist, heißt es über Mitarbeiter Erich Ludendorffs Anfang der 1930er Jahre, nämlich Erich Schulz, Karl von Unruh, Hermann Rehwald, Erich Biermann (1898-1983) und Walter Löhde (8):

Biographische Angaben über diese Personen zu finden, ist nicht einfach.

Im Februar 2012 war schon eine lange Ausarbeitung über den hier genannten Hermann Rehwald erschienen (13). In der Zeit danach stießen wir auch auf einen Sohn des genannten Erich Biermann und standen 2013 mit ihm Verbindung. Er machte uns Mitteilungen über das Leben seines Vaters und seines Großvaters, die die Grundlage eines noch unveröffentlichten Artikels hier auf dem Blog bilden. Auch Vorarbeiten zu biographischen Skizzen zu Franz von Unruh und Walter Löhde gibt es. So viel nur zu diesem Satz.

In dieser wissenschaftlichen Untersuchung wird ein wenig unsauber gearbeitet, wenn unterstellt wird, daß Mathilde Ludendorff schon 1919 in ihrem Werk "Triumph des Unsterblichkeitwillen" die Behauptung aufgestellt hätte, daß die Bibel Plagiate indischer Schriften enthalten würde (8, S. 53). Diese Behauptung bezieht sich auf eine Ausgabe dieses Werkes aus dem Jahr 2008 und berücksichtigt nicht, daß spätere Auflagen gegenüber der Erstauflage umgearbeitet worden sein könnten.

Das Buch von Mathilde Ludendorff  "Erlösung von Jesu Christo", das im Jahr 1931 erschienen ist (14), hat in damaligen christlichen Kreisen hohe Wellen geschlagen. Viele Gegenschriften aus der Feder von protestantischen und katholischen Theologen erschienen. Der Ton insgesamt war in den meisten Fällen "kämpferisch" bis die Gegenseite "herabsetzend". Die Pfarrer Heinrich Roth und Johannes Leipold wandten sich in diesem Zusammenhang an den Leipziger Indologen Johannes Hertel (1872-1955)(Wiki). Sie baten um eine Begutachtung der Ausführungen zu unterstellten indischen Entlehnungen in der Bibel von Seiten Mathilde Ludendorffs in ihrem geannten Buch (8, S. 54).

Hertel verfaßte dazu eine eigene Schrift, die in protestantischen Kreisen weite Verbreitung fand (15). Diese Schrift rief auf Seiten der Ludendorff-Bewegung wiederum Antworten hervor (16, 17).

Im Februar 1933 reichte der schon aus früheren Jahren prozeßerfahrene Johannes Hertel Klage bei Gericht ein wegen Beleidigung eines Staatsbeamten. Er wollte dabei nicht nur die Beleidigungen selbst geahndet wissen, sondern vom Gericht auch den wissenschaftlichen Tatbestand durch indologische Gutachten festgestellt wissen (8, S. 55f). Erich Ludendorff schreibt in seinen Lebenserinnerungen zu dieser Klage (3, S. 371, s. GB):

Die Erwiderung brachte mir viel Arbeit. Ich hatte wieder Herrn Rechtsanwalt Dr. Heltge gebeten, die Verteidigung zu übernehmen. Mit größter Umsicht und eisernem Fleiß arbeitete er sich in dieses ihm fremde Gebiet ein. Im übrigen sahen wir dem Prozeß mit größter Ruhe entgegen.

Auf die bei Gericht eingereichte Stellungnahme antwortete Hertel im August 1933 mit einer neuen Stellungnahme (8, S. 58). 

Amnestie-Gesetzgebungen bewirkten zwischenzeitlich, daß die zuvor ebenfalls erhobenen Anklagen gegen Erich Ludendorff, Erich Biermann, Karl von Unruh und Walter Löhde wieder aufgehoben worden sind (8, S. 58). 

1934 blieben nur noch Ernst Schulz und Mathilde Ludendorff als Beklagte in diesem Beleidigungs-Prozeß übrig. Zunächst hatte das Gericht auch hier die Klage einstellen wollen, entschloß sich dann aber zur Weiterführung des Prozesses.

Außergerichtliche Einigung - 1935/36

Im Mai oder Juni 1935 - also nach dem öffentlich groß gefeierten 70. Geburtstag Erich Ludendorffs in Tutzing - waren beide Seiten zu einer außergerichtlichen Einigung bereit, wohl sogar zu einem persönlichen Treffen in Tutzing (8, S. 59) (wozu es aber wohl nicht gekommen ist - ?).

Nach zähen Verhandlungen wurde 1936 der Vergleich geschlossen. Erich Ludendorff erklärte sich bereit, die Prozeßkosten und die Auslagen für den Anwalt von Hertel zu tragen.

Über Suchmaschinen zu Archivalien in Deutschland kann man übrigens auf zahlreiche bislang unbekannte Archivalien zum Leben Erich und Mathilde Ludendorffs aufmerksam werden (Kalliope). Dabei finden sich derzeit gerade besonders viele Briefe aus dem Nachlaß dieses Leipziger Indologen Johannes Hertel in Sachen seines Prozesses gegen das Ehepaar Ludendorff.

So enthält der Briefnachlaß etwa auch Briefe eines Moritz Spieß, eines Verwandten des Vaters von Mathilde Ludendorff, der Erinnerungen an die Sanskrit-Kenntnisse des Vaters von Mathilde Ludendorff enthält.

1935 - Prozeß gegen Professor Elze

Rechtsanwalt Heltge wurde auch aktiv in dem Prozeß Erich Ludendorffs gegen den Berliner Geschichtsprofessor Elze im Jahr 1935 (GB). Dieser Prozeß spielte auch eine Rolle im Verhältnis Erich Ludendorffs zu den führenden Generalen der damaligen Wehrmacht und zur Hitler-Regierung. Deshalb wird dieser auch in den Ludendorff-Biographien von Franz Uhle-Wettler und Nebelin erwähnt. 

1935 wurde dem Rechtsanwalt Heltge der Sohn Ekkehard geboren (7). 1936 wird Heltge auch in einer Schrift des Karlsruher Rechtsanwalts Robert Schneider über seine Prozesse gegen die Freimaurerei erwähnt mit den Worten:

Herrn Rechtsanwalt Dr. Heltge in Berlin spreche ich meinen Dank aus für seine ausgezeichnete Mitarbeit in dem oben genannten Prozeß.
1939 wurde Wilhelm Heltge Justizrat (6). So auch laut der Zeitschrift "Deutsche Justiz" S. 226, außerdem war er Mitglied, bzw. Mitarbeiter des "Erbrechtsausschusses".

Im Anzeigenteil von "Ludendorffs Halbmonatsschrift" "Am Heiligen Quell Deutscher Kraft" erschien in der Folge vom 21. April 1939 die folgende Anzeige:
Abb. 3: Anzeige vom 21. April und 25. August 1939

Diese Anzeige wird nochmals geschaltet am 25. August 1939. Der mit Hilfe von Heltge 1933 gegründete Verein hatte 1939 169 Einzelmitglieder und 97 "Sippenmitglieder" (also wohl Familienangehörige). Allerdings wurde er 1955 "als tatsächlich nicht mehr bestehend von Amts wegen gelöscht". Denn das von dem Verein vor dem Krieg erworbene Grundstück in Blumenberg lag nun auf dem Gebiet der DDR.

1939 bis 1945 - Todesurteile als Kriegsgerichtsrat

Über die weiteren beruflichen Stationen Heltges ist zu erfahren (6):

1939 bis 1945 war er Kriegsgerichtsrat, später Flottenrichter, danach Richter zu Bielefeld und Landgerichtsdirektor zu Essen a. d. Ruhr.

Die Tätigkeit der Kriegsgerichtsräte während des Zweiten Weltkrieges ist heute hochgradig umstritten. Wir wollen an dieser Stelle nicht versuchen, zu einer Bewertung derselben zu kommen. Das ist eine eigene Thematik, in die man sich erst einarbeiten muß. Es soll hier nur verzeichnet werden, was beim derzeitigen Stand zusammengetragen werden kann dazu.

Vom August 1940 bis zum September 1941 war der Marineoberkriegsgerichtsrat Dr. jur. Wilhelm Heltge zusammen mit vier anderen Kollegen Dienstaufsichtsrichter und Rechtsberater des Kommandierenden Admirals der norwegischen Westküste (Axishistory 2012). Auf einem "Forum Marinearchiv" wird berichtet (17. Januar 2014):

Dr. Heltge verurteilte sechs Norweger zum Tode. Sie wurden auf der Insel Håøya (Oslofjord, Oscarsborg Festung) am 2. November 1941 hingerichtet. Sowohl die norwegischen wie die deutschen Archive scheinen keine Informationen über diese Tragödie zu enthalten.
Original: Dr. Heltge sentenced six Norwgians to death. They were executed on the island Håøya (Oslofjord, Oscarsborg festung) on 2. November 1941. Both Norwgian and German archives seem to (be) empty on information on this tragedy.

1944 war er als Marineoberkriegsgerichtsrat mit dem Fall eines schon zuvor mehrfach verurteilten, als "schwachsinnig" beurteilten Zivilmatrosen Friedrich Thomas befaßt, einem einstigen "Stricherjungen", der wegen Einbruchsdiebstahl und 2-monatigem unerlaubtem Fernbleiben von der Truppe zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, während sein Kamerad zum Tode verurteilt worden war (4):

Das Oberkommando der Kriegsmarine Berlin beauftragte den Marineoberkriegsgerichtsrat Wilhelm Heltge mit der Erstellung eines Rechtsgutachtens über die Urteile. Dieser schlug vor, das Urteil gegen Hans Köllner zu bestätigen und das gegen Friedrich Thomas "zur nochmaligen Prüfung der Sach- und Rechtslage und des Strafmaßes" aufzuheben. Das Oberkommando folgte seinem Vorschlag und ordnete die Vollstreckung von Hans Köllners Todesurteil an. Am 2. Mai 1944 wurde dieser am Schießstand in Hamburg-Rahlstedt, Höltigbaum, um 7.30 Uhr erschossen.

Über die erneute Gerichtsverhandlung heißt es:

Das Feldgericht folgte dem Gutachten, das auf Fahnenflucht statt unerlaubter Entfernung erkannte, und das frühere Teil-Strafmaß von "nur drei Jahren Gefängnis" mit der Begründung kritisierte, es sei erforderlich, "bei so lange Zeit (2 Monate) dauernden unerlaubten Entfernungen auch gegen das Gefolge mit schärfsten Strafen einzuschreiten. Es geht nicht an, dass junge, wehrfähige Männer glauben, ihre den Wehrdienst ersetzende Dienstverpflichtung weniger genau nehmen zu müssen. … Dabei kann der Schwachsinn des Angeklagten nicht zu einer milderen Beurteilung führen. Wer eine Strafverbüßung als so unangenehm empfindet, daß er sich seiner Dienststelle fernhält, ist auch fähig, das Unrecht neuer Straftaten zu erkennen und danach zu handeln. … Die Kriegsnotwendigkeiten erfordern hier rücksichtsloses Einschreiten gegen Schwächlinge, Minderwertige, Psychopathen und ähnlich Veranlagte." Es folgte auch der Erwägung, daß die Todesstrafe angebracht sei.

1956 bestand auf der Humboldt-Schule in Essen ein Ekkehard Heltge das Abitur und begann ein Jurastudium. Es wird ein Sohn von Wilhelm Heltge sein.

Wilhelm Heltge starb drei Monate nach Mathilde Ludendorff am 10. August 1966 in Bad Salzuflen. Auffallenderweise ist in der Zeitschrift "Mensch & Maß" im Jahr 1966 scheinbar keine Todesanzeige und kein Nachruf auf ihn erschienen. Es könnte von Interesse sein zu fragen, ob es in Bad Salzuflen oder anderwärts noch einen Nachlaß von Wilhelm Heltge gibt. Seine Frau starb 1970 in Essen und wurde ebenfalls in Bad Salzuflen begraben.

Erster Entwurf:
20.8.2014
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  1. Deutsches Geschlechterbuch (Genealogisches Handbuch Bürgerlicher Familien), Band 177, 1978, S. 243 (GB)
  2. Holler, Wolfgang (Berlin): Wilhelm und Henriette Heltge. Einträge auf http://gedbas.genealogy.net/person/show/1149102765 [29.4.19] (Verein für Computergenealogie)
  3. Ludendorff, Erich: Vom Feldherrn zum Weltrevolutionär und Wegbereiter deutscher Volksschöpfung. Bd. 2: Meine Lebenserinnerungen von 1926 bis 1933. Verlag Hohe Warte, Pähl 1951
  4. Heltge, Wilhelm: Die Rechtsverhältnisse aus Paragraph 651 BGB. Inaugural-Dissertation. Druck von J. Abel 1910 (91 S.)
  5. Schneider, RA Robert: Die Freimaurerei vor Gericht. Neue Tatsachen über Weltfreimaurerei, deutsch-christliche Orden und geheime Hochgrade. Dritte, ergänzte und neubearbeit. Aufl., Karlsruhe 1936 (Archiv.org)
  6. Hildegard Thevs; Ulf Bollmann: Friedrich Thomas, geboren 1919, hingerichtet am 28.8.1944. Auf: Stolpersteine Hamburg, http://www.stolpersteine-hamburg.de/?&MAIN_ID=7&BIO_ID=3753 [26.6.14]
  7. Pukowski, Christian; Wuttke, Hans: Abitur 1956 - Humboldtschule Essen - 50 Jahre danach. 2006, S. 3; auf: https://www.yumpu.com/de/document/view/8909460/pdf-datei/45 [26.6.14]
  8. Neubert, Frank: Johannes Hertel vs. Mathilde Ludendorff: Prozesse und Diskurse. In: 200 Jahre Indienforschung – Geschichte(n), Netzwerke, Diskurse. Hrsg. von Heidrun Brückner und Karin Steiner. Harrassowitz Verlag · Wiesbaden 2012, https://germanindia.files.wordpress.com/2012/05/2023725.pdf
  9. Bading, Ingo: Erich Ludendorff im Jahr 1924. Studiengruppe Naturalismus, 30. Januar 2018, http://studiengruppe.blogspot.com/2018/01/erich-ludendorff-im-jahr-1924_30.html  
  10. Bading, Ingo: Um "seiner Verdienste um die Bewegung" willen ... Ein nationalsozialistischer Ludendorff-Gegner erhielt noch 1944 seinen Judaslohn von Adolf Hitler. Stud.gr. Nat., 17. Dezember 2011, https://studiengruppe.blogspot.com/2011/12/um-seiner-verdienste-um-die-bewegung.html
  11. Bading, Ingo: Vorarbeiten für ein "Who is who" der Geschichte der Ludendorff-Bewegung, Studgr. Nat., 1. September 2012, https://studiengruppe.blogspot.com/2012/09/vorarbeiten-fur-ein-who-is-who-in-der.html  
  12. Bading, Ingo: "Streng gehütete Familiengeheimnisse" - Rund um den ersten Schwiegersohn von Mathilde Ludendorff, Stgr. Natur., 3.4.2017, http://studiengruppe.blogspot.com/2017/04/streng-gehutete-familiengeheimnisse.html 
  13. Bading, Ingo: Der Schriftsteller Hermann Rehwaldt, der Mitarbeiter Erich und Mathilde Ludendorffs. Im mehreren Teilen, 2012, https://studiengruppe.blogspot.com/2012/02/der-schriftsteller-hermann-rehwaldt-als.html
  14. Ludendorff, Mathilde: Erlösung von Jesu Christo. Ludendorffs Verlag, München 1931
  15. Hertel, Johannes: Von neuem Trug zur Rettung des alten oder Louis Jacolliot und Mathilde Ludendorff. Verlag des Evangelischen Bundes, 1932
  16. Ludendorff, Mathilde: Statt Heiligenschein und Hexenzeichen - Mein Leben. Band 2, Ludendorffs Verlag, München 1932
  17. Schulz, Ernst: Amtliche Wissenschaft im Zeichen des Kreuzes. Eine Abrechnung mit Herrn Prof. Hertel und Genossen. Ludendorffs Verlag, München 1933