Freitag, 31. August 2012

April 1935 - Erich Ludendorff als Gesprächspartner des militärischen Widerstandes gegen Hitler (I)

Aufsatz in zwei Teilen (dies ist Teil 1 - hier: Teil 2)

Nach dem Tod des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg am 2. August 1934 ist Erich Ludendorff vielfach von den Spitzen des deutschen Staates und der Wehrmacht umworben worden. Er stand aber zugleich in einem scharfen Spannungsverhältnis zu diesen. Das Ergebnis umfangreicher Verhandlungen Erich Ludendorffs mit der Wehrmachtspitze, insbesondere mit Ludwig Beck, lautete für Ludendorff: "Die Wehrmacht wird bald die abgelehnteste Einrichtung im ganzen Deutschen Reich sein." Nach mancherlei Beschönigungen der Wehrmacht in den Jahrzehnten nach der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland sollte Erich Ludendorff mit dieser Voraussage spätestens mit und seit der Wehrmacht-Ausstellung des Jahres 1995 recht behalten.

Über das Verhältnis Erich Ludendorffs zum Nationalsozialismus und zum Dritten Reich schreibt der Historiker Manfred Nebelin in einer Rezension in der FAZ im Juni 2014:
Leider bleibt es hier wieder bei spärlichen Hinweisen, etwa zur Rolle von Ludendorffs zweiter Ehefrau, der Nervenärztin und Religionsphilosophin Mathilde von Kemnitz („die wirre Mathilde“). So lassen sich die ungeklärten Fragen nach dem Verhältnis Ludendorffs zu Hitler, der NS-Ideologie und dem "Dritten Reich" nicht zufriedenstellend beantworten.
In der Tat: "Die ungeklärten Fragen nach dem Verhältnis Ludendorffs zu Hitler, der NS-Ideologie und dem 'Dritten Reich'". Ihnen ist auch der folgende Artikel gewidmet. Denn die sehr eigenartige Stellung, die Erich Ludendorff während des Dritten Reiches einnahm, ist bis heute überraschend wenig erforscht worden. 2008 ist in der neu aufgelegten "großen" Biographie des Generals Ludwig Beck von Seiten des Historikers Klaus-Jürgen Müller (1930-2011) in einem sehr ausführlichen Kapitel auch viel Licht geworfen worden auf die Rolle Ludendorffs während des Dritten Reiches (1).

Abb. 1: Erich Ludendorff - Internationales Pressefoto, Ende März/Anfang April 1935
Die Historiker Manfred Nebelin und Rainer A. Blasius haben dann 2012 in ihrem Gedenkartikel zum 75. Todestag Erich Ludendorffs (7) an inhaltlich zentraler Stelle ein zeitgenössisches Zitat von Ludwig Beck gebracht ("Alle Schuld auf Ludendorff"), das - wie genauere Recherche ergibt - dieser schon 1980 erschienenen geschichtlichen Studie über Ludwig Beck von Klaus-Jürgen Müller entnommen ist (8), die das Verhältnis Ludendorff-Beck inhaltlich schon fast vollständig deckungsgleich dargestellt hat zu dem neu aufgelegten Buch desselben Autors aus dem Jahr 2008. Auf all das sind wir selbst erst 2012 gestoßen.

Es handelte sich also 2008 gar nicht - wie zunächst gedacht - um Neuerkenntnisse dieses Jahres 2008, sondern um die Wiederveröffentlichung genau derselben Erkenntnisse, wie sie schon 1980 veröffentlicht worden waren, wie sie aber seither so gut wie gar nicht wahrgenommen und rezipiert worden waren. Und zwar weder von der Wissenschaft selbst, noch von einer etwaig interessierten Öffentlichkeit. Auf das Bild Ludendorffs und seines Verhältnisses zum Dritten Reich hatte die Studie von 1980 seither gar keinen Einfluss genommen, da sie kaum jemanden in ihrer Bedeutung bekannt war und von niemanden dahingehend ausgewertet worden ist bis heute.

Ein bedeutendes Versäumnis des Ludendorff-Forschers Franz Uhle-Wettler

Ein Grund von mehreren dafür, dass das bis heute nicht geschehen ist, liegt sicher darin, dass die Bedeutung dieser Studie von 1980 in der sonst sehr verdienstvollen Ludendorff-Biographie von Franz Uhle-Wettler aus dem Jahr 1995 überhaupt nicht herausgearbeitet worden ist (auch nicht in ihrer kürzlich erfolgten Neuauflage beim Ares-Verlag). Dass diese Bedeutung also von dem Ludendorff-Forscher Franz Uhle-Wettler völlig übersehen worden ist.

Obwohl doch gerade er zu jener "Neubewertung" Veranlassung geben wollte, die im Untertitel seines Buches angekündigt wurde. Statt dessen behandelte er die Inhalte der Beck-Studie aus dem Jahr 1980 nur auf zwei Seiten seines Buches. Und das geradezu beiläufig (S. 415 - 417). Jedenfalls so, dass dabei keineswegs eine Neubewertung der Rolle Ludendorffs im Dritten Reich herausgearbeitet worden wäre, wie es gerade - und vor allem - anhand dieser Studie zu leisten war und ist.

Das eben angedeutete zeitgenössische Zitat, das ebenfalls derselben entnommen ist ("Alle Schuld auf Ludendorff"), wirft inhaltlich eine solches Füllhorn von Fragen auf, dass es wirklich verwunderlich ist, dass diese Beck-Studie aus dem Jahr 1980 dreißig Jahre lang zu keinerlei Erörterungen über die Rolle Erich Ludendorffs im Dritten Reich Anlass gegeben hat. Erich Ludendorff als einen bedeutenden Faktor innerhalb der Handlungen des deutschen militärischen Widerstandes gegen Hitler anzusehen, lag offenbar in den vielen Jahrzehnten nicht auf der als "volkspädagogisch sinnvoll" angesehenen Linie der deutschen Historikerschaft. Das ist noch heute unangenehm. Denn man müsste sich ja dann, wie auch im Eingangs-Zitat anklingt, damit auseinandersetzen, warum Ludendorff so handelte wie er es tat. Aus welchem weltanschaulichen Hintergrund heraus er das tat. Das ist alles - sicherlich! - sehr unangenehm. (Auch auf dem Wikipedia-Artikel zu Erich Ludendorff war übrigens diese für die Biographie Ludendorffs wichtige Studie von Klaus-Jürgen Müller aus dem Jahr 1980 bis zur Intervention des Autors dieser Zielen nicht genannt.)

Die neuen Erkenntnisse der Jahre 1980 (bzw. 2008) werden im vorliegenden Beitrag kurz genannt unter Anführung einiger der wesentlichsten Sachverhalte aus dem Buch von Klaus-Jürgen Müller. Es wäre allerdings eine sehr viel ausführlichere Auswertung angebracht, als sie im folgenden gegeben werden kann. Dieser vorliegende Beitrag zielt seinem ursprünglichen Anliegen nach vor allem darauf, heute weniger bekannte damalige Zeitungsartikel, Photographien und Filmaufnahmen zusammenzutragen, die rund um den siebzigsten Geburtstag Erich Ludendorffs am 9. April 1935 entstanden sind, und die zu erläutern sind mit Hilfe von zeitgenössischen Berichten. Unter anderem auch zwei Photographien aus einem noch bis vor kurzem unbekannt gebliebenen Fotoalbum aus dem privaten Besitz des Generals Werner von Blomberg.

März 1935 - "Er hat für Jahre in Vergessenheit gelebt, jetzt könnte er in den Generalstab zurückkehren"

Abb. 2: März 1935
Auch in der ausländischen Presse fand die Feier des 70. Geburtstages Erich Ludendorffs Aufmerksamkeit. Es wurden aus diesem Anlass viele Artikel über Ludendorff veröffentlicht. Eine Zusammenstellung derselben wäre von Wert. Im folgenden nur einige wenige erste Eindrücke mittel der rückseitigen Beschriftungen von zwei Pressefotos Ludendorffs, wie sie immer einmal wieder auf Ebay zum Verkauf angeboten werden. Auf einem britischen Pressefoto (Abb. 2), dessen Erläuterungstext auf der Rückseite (Abb. 3) offenbar schon am 25. März 1935 verfasst wurde, heißt es (eig. Übersetz.):
General Ludendorffs siebzigster Geburtstag könnte ihn als mächtigen deutschen Armeechef an den Tag bringen
Ein Porträt von General Ludendorff, das im Zusammenhang mit seinem siebzigsten Geburtstag am 9. April angefertigt wurde. General Ludendorff war einer von Deutschlands bedeutendsten Soldaten im Weltkrieg aber er hat für Jahre in Vergessenheit gelebt, besonders seit dem Machtantritt des Naziregimes. Nun wird es allerdings so verstanden, als ob er seinen Gegensatz mit Hitler ausgesöhnt hätte und mit der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht besteht große Wahrscheinlichkeit, dass er in den Generalstab zurückkehren wird. 25. März 1935
Abb. 3: Pressefoto, 25.3.1935 (Rückseite)
Woher wohl solche Erwartungen kamen? Ludendorff selbst kann zu solchen doch keinen Anlass gegeben haben? Wurden solche Erwartungen bewusst "lanciert"? Etwa von der deutschen Wehrmacht-Führung, um Ludendorff in diese Richtung zu drängen?

Ein weiteres internationales Pressefoto von Erich Ludendorff war das in Abbildung 1 gebrachte. Es war auf der Rückseite (s. Abb. 3a) wie folgt beschriftet (eig. Übersetz.):
Internationales Nachrichten-Foto. Ludendorff im 70. Lebensjahr. Einstmals als ein Nazi-Verräter bezeichnet, nun gefeiert.
Berlin, Deutschland. Ein Foto von Erich Ludendorff, das vor wenigen Tagen aufgenommen worden ist, der heute, am 9. April, seinen 70. Geburtstag feiert. Einstmals von den Nazis als "Verräter" bezeichnet, weil er seine Ernennung als Kriegsminister durch Adolf Hitler zurückwies, wird Ludendorff, Deutschlands Kriegsheld, heute vom ganzen Land gefeiert. Dem Vorabend seines Geburtstages gab er eine besondere Note durch die Zurückweisung des Angebotes der Regierung zur Beförderung vom Generalquartiermeister zum Generalfeldmarschall.
Abb. 3a: Rückseite von Abb. 1
Die hier erwähnte Zurückweisung seiner Ernennung zum Kriegsminister durch Adolf Hitler ist eine Presseente. Doch auch hier fragt sich, wie sie entstehen konnte. Zumindest zeigt auch sie, was in den Köpfen damals alles herumspukte aus diesem Anlass. Vielleicht auch in manchen nationalsozialistischen Kreisen und in Hitlers Kopf selbst, wie sich noch in Goebbels Tagebüchern anlässlich des Todes von Erich Ludendorff im Dezember 1937 andeutet. Aber auch sonst ist dies natürlich ein aufschlussreicher Text.

Schon am Vorabend brachte dann etwa eine Münchner Zeitung (Abb. 4a) schon auf der Titelseite groß die Ankündigung der Ereignisse des nächsten Tages: "Die Wehrmacht am 70. Geburtstag des großen Heerführers".

Abb. 4a: Zeitungsmeldung am Vorabend
April 1937: "Einstmals der militärische Genius der Mittelmächte, nun der Vertreter des Heidentums und der Erzfeind des römischen Katholizismus"

In dem britischen Wochenmagazin "The Sphere" (erschienen von 1900 bis 1964) erschien übrigens zwei Jahre später, 1937, nachdem man sich mit dem zuvor in der internationalen Presse "vergessenen" Erich Ludendorff inzwischen vielleicht ein wenig mehr befasst hatte, ein Artikel mit der Überschrift "Ludendorff ist wieder da" (s. Abb. 5a):

Abb. 5a: Artikel im britischen Wochenmagazin "The Sphere" (1937)
Und der Untertitel redete nicht lang um den heißen Brei herum: "Einstmals der militärische Genius der Mittelmächte, nun der Vertreter des Heidentums und der Erzfeind des römischen Katholizismus". Auch der Inhalt dieses Aufsatzes wäre sicherlich von Interesse für eine allgemeinere Beruteilung der damaligen in Deutschland und international vorherrschenden Sichtweisen auf Ludendorff.

Abb. 4: Aus Blombergs privatem Fotoalbum: Ludendorff empfängt Brigadeführer der SA, 9.4.1935 
Dass Ludendorff 1935 die Ernennung zum Generalfeldmarschall durch Adolf Hitler ausgeschlagen hat, war keine Presseente. Dieser Umstand wird ja immer einmal wieder auch sonst in der Literatur erwähnt. Denn das war etwas Ungewöhnliches in damaligen Zeiten. Und dass Ludendorff bis weit über das Jahr 1933 hinaus in scharfer, öffentlicher Gegnerschaft zum Nationalsozialismus gestanden ist, war ebenso keine Presseente.

Abb. 5: Ludendorff empfängt Brigadeführer der SA, 9.4.1935 (Postkarte)
In erster, ganz vorläufiger Weise lässt sich die These aufzustellen, daß es sich bei Erich Ludendorff um eine "innervölkische Opposition gegen Hitler" gehandelt hat, gegen das durch Hitler repräsentierte "Hijacking" der völkischen Bewegung, und damit gegen wesentliche Teile der NSDAP und der Gestapo, gegen die dort vorherrschende Mord- und Kriegsmoral, natürlich auch gegen die okkulten und männerbündlerischen Hintergründe der NS-Bewegung und des Dritten Reiches. Um eine Opposition, von der führende Angehörige der ganz traditionell-christlichen Wehrmacht-Opposition glaubten, sie könnten sie vor ihren eigenen Karren spannen, bzw. sie könnten sich hinter Ludendorffs breitem Rücken verstecken und ihm die Verantwortung überlassen, die sie selbst schon dadurch übernommen hatten, dass sie Hitler überhaupt zum Reichskanzler hatten ernennen lassen und dass sie den Röhm-Morden seelenruhig zugesehen hatten.

Abb. 6: Ludendorff und Blomberg, 9.4.1935
Klar ist, daß Ludendorffs "Tannenbergbund" und die NSDAP sich seit etwa 1928 in scharfer Ablehnung gegenübergestanden und einander zum Teil scharf bekämpft hatten. Schon in seiner warnenden Schrift "Weltkrieg droht auf deutschem Boden" aus dem Jahr 1930, die in viele Weltsprachen übersetzt und in hohen Auflagen verbreitet worden war, hatte Erich Ludendorff der NSDAP und ihrer "hirnverbrannten Außenpolitik" ebenso wie der rechtskonservativen Frontkämpfervereinigung "Stahlhelm" ein gefährliches Spielen mit dem Gedanken unterstellt, durch die deutsche Beteilung an einem europäischen Krieg etwas Gutes für Deutschland bewirken zu können. Viele europäische Militärmächte erwarteten tatsächlich für das Jahr 1932 einen neuen Krieg - wovon auch schon Ludendorff 1930 ausging, und den er durch seine Veröffentlichungen zu "zerreden" versuchte. Dass 1932 kein Weltkrieg ausbrach, rechneten Erich Ludendorff und viele seiner Anhänger dem fanatisch geführten Aufklärungskampf gegen diesen Krieg durch den Tannenbergbund in jener Zeit zu.

Ludendorff hatte in jener Schrift sehr entschieden die Meinung geäußert, dass Deutschland in einem solchen Krieg nur Schlachtfeld würde. Er beschrieb die Folgen eines solchen Krieges schon 1930 in ziemlich deutlicher Weise so, wie sie sich dann auch 1945 für Deutschland einstellen sollten: Ostdeutschland und Osteuropa von der Ostsee bis zur Adria überrannt von der Roten Armee. In Westdeutschland westalliierte Truppen stehend, die Städte durch Bombenflugzeuge zerstört, die Menschen hungernd und aus ihrer Heimat vertrieben.

Abb. 7: Abschreiten der Ehrenkompanie - v. Fritsch, Ludendorff, v. Blomberg (dahinter wohl Karl Eberth und Wilhelm Adam, s.u.) Tutzing, 9.4.1935
Hingegen wusste Adolf Hitler noch 1944 einen innerparteilichen Ludendorff-Gegner, bzw. -Hetzer großzügig zu belohnen, weil ihm auch noch 1944 deutlich bewusst gewesen sein muss, wie wesentlich der Kampf der NSDAP gegen den Tannenbergbund um 1930 herum für seinen eigenen politischen Erfolg gewesen ist.

Abb. 8:  Abschreiten der Ehrenkompagnie - Ludendorff, v. Blomberg, v. Fritsch - Tutzing, 9.4.1935 (Postkarte)
Am 2. August 1934 war nun der Reichspräsident Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, der Adolf Hitler am 30. Januar 1933 - für viele so überraschend - zum Reichskanzler ernannt hatte, gestorben. In der Wehrmachtspitze ebenso wie innerhalb der NSDAP erinnerten sich nun viele Erich Ludendorffs. Als den bedeutendsten lebenden Repräsentanten des "alten Heeres", ja, als "Mitkämpfer vom 9. November 1923" suchte man ihn für den neuen Staat zu gewinnen. In der Wehrmachtführung suchte man ihn als Gegengewicht gegen die Alleinherrschaft Hitlers und seiner Kriegspläne zu gewinnen. Hitler hat ebenfalls versucht, Ludendorff (neben Rosenberg) als Gegengewicht gegen die starken Einflüsse des Vatikans auf die deutsche Politik in Stellung zu bringen. Darin war er allerdings außerordentlich schwankend. Ludendorffs Gegnerschaft gegen die imperialistischen Bestrebungen der NSDAP waren ebenso bekannt wie seine Gegnerschaft gegen die katholische Kirche.

Abb. 9: Fliegerstaffel zur Ehrung Ludendorffs an dessen 70. Geburtstag, 9.4.1934, Tutzing (Postkarte)
Ludendorff ließ sich aber weder "vor den Karren" der NSDAP, noch "vor den Karren" der Wehrmacht spannen. Auffallenderweise fand dann kurz nach seinem Tod im Dezember 1937 die Blomberg-Fritsch-Krise statt und das Ersetzen der kriegsunwilligen Generäle und des kriegsunwilligen Außenministers durch Hitler willfährigerere Personen.

Abb. 10: Die Generäle von Fritsch, von Blomberg und Erich Ludendorff
Übrigens ein Geschehen, das der astrologiegläubige Geopolitiker Karl Haushofer damals im deutschen Rundfunk rundum positiv bewertete als ein "Sturmfest-Machen" des deutschen Staatsschiffes angesichts der schweren Krisen, die Haushofer für die nächsten Monate und Jahre zuversichtlich erwartete ... (In seinen öffentlichen Rundfunk-Kommentaren betätigte sich Haushofer als ein Kriegshetzer, wie man es von Hitler selbst in jenen Jahren öffentlich so gut wie nie hörte.)

Abb. 11: Die Generäle von Fritsch, von Blomberg und Erich Ludendorff, rechts hinter Ludendorff Adjutant von Treuenfeld
Abb. 12: Die Kapelle spielt
Die Feier des 70. Geburtstages Erich Ludendorffs

Zurück ins Jahr 1935: Die Versuche von Partei und Wehrmacht, Ludendorff vor ihren Karren zu spannen, begannen im Wesentlichen im Umfeld des 70. Geburtstages von Erich Ludendorff am 9. April 1935 (Abb. 4 - 20). Noch am Vorabend hatte Hitler - zur Überraschung für viele - für ganz Deutschland die Beflaggung aller Staatsgebäude angeordnet.

Auch beispielsweise der Oberbürgermeister der Stadt München beeilte sich, Erich Ludendorff zum Geburtstag zu gratulieren (wofür sich Ludendorff brieflich am 10. April bedankte).

Abb. 13: Mathilde Ludendorff, Blomberg, Fritsch und Erich Ludendorff auf der Gartenterrasse Ludendorffs in Tutzing kurz vor den Ansprachen Blombergs und Ludendorffs, 9.4.1935 (Weitze.net)
Die Wehrmachtführung unter dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht, Generaloberst Werner von Blomberg, besuchte Ludendorff in seinem Haus in Tutzing und überbrachte die Glückwünsche des "Führers und Reichskanzlers". Die Wochenschau brachte Filmaufnahmen von dieser Geburtstagsfeier und einen kurzen Ausschnitt aus Ludendorffs Ansprache (Criticalpast). Bei dieser Aufnahme fällt auf, dass Erich Ludendorff nach seiner Rede keineswegs mit Hitler-Gruß "Sieg Heil!" ruft, wie es die Menge zuvor zum Teil getan hatte, sondern dass er drei mal den Arm schwenkt mit seitlich geöffneter Hand und dabei nur "Heil!" ruft. Interessanterweise folgte ihm die Menge dabei sehr einheitlich. Außerdem konnte man schon zuvor während der "Sieg Heil!"-Rufe der großen Menge in der Nähe der Filmkamera jemanden sehr deutlich "Heiho, Heiho!" rufen hören.

Abb. 14: Mathilde Ludendorff, Bronsart von Schellendorf, Werner von Blomberg, von Fritsch und Erich Ludendorff auf der Gartenterrasse in Tutzing (Weitze.net
Ob und in welcher Weise diese "Heiho"-Rufe eine Form der "Nonkonformität", ein unterschwelliger Protest gegen das Massenverhalten der damaligen Zeit darstellte, müsste noch einmal gesondert untersucht werden. Erich Ludendorff schreibt in seinen Lebenserinnerungen zu einer Vortragsveranstaltung am 4. Dezember 1932 in der "Neuen Welt" in Berlin zum Beispiel (1951, S. 375):
Wir hatten schon längst den Wunsch ausgesprochen, nicht mit Heilrufen oder sonstigen Rufen, wie Heil Ludendorff, begrüßt zu werden. Lieber sollte ein alter Armeemarsch bei unserem Eintreffen gespielt werden. Ich bevorzugte den Hohenfriedberger, jenen Marsch, den ich bei Eintreffen der ersten Truppen des XI. Armeekorps aus dem Westen nach der seelischen Anspannung der Schlacht von Tannenberg in tiefer Bewegung gehört hatte. Wir wünschten auch nicht Beifall während des Vortrages oder am Schluß.
"Heiho!" war im übrigen der Titel einer der Ludendorff-Bewegung nahe stehenden Jugendzeitschrift, die von einem vormaligen Angehörigen der Jugendbewegung, von Fritz Hugo Hoffmann, herausgegeben wurde (ZVAB). (Der langjährige Ludendorff-Anhänger Fritz Hugo Hoffmann ist 1939 sehr überraschend in das okkulte Lager gewechselt und hat Vorträge am Sanatorium des einflussreichen Okkultisten und Buddhisten Karl Stunckmann  [Pseudonym "Kurt van Emsen"] gehalten. Über sein etwaiges Nachkriegsschicksal ist einstweilen nichts bekannt.)

Abb. 15: Ludendorffs spricht - die Filmaufnahme dazu auf: "Criticalpast"
Mit "Heiho!" fing damals auch ein unter Neuheiden und Ludendorff-Anhängern populäres antichristliches, antipäpstliches Lied an: "Heiho, die Heidenfahnen weh'n, sie grüßen unsere Schar ...". Es enthält unter anderem die Strophe: "St. Peters Felsen wanket schon, bestürmt ihn, bis er bricht / wenn fällt der letzte Priesterthron, dann wird's in Deutschland licht." Zeitweise waren auch diese Worte als gegen den Nationalsozialismus gerichtet empfunden worden, der mit dem Reichskonkordat und anderem von Kirchenkritikern bis 1935 als "romhörig" empfunden worden ist.

Abb. 16: Mathilde und Erich Ludendorff auf ihrer Gartenterrasse, 9.4.1935 (Weitze.net
Noch im Jahr 1966 wird eine Werbeanzeige für Ferienaufenthalte auf einem Bauernhof in Schleswig-Holstein (in der Zeitschrift "Mensch & Maß", 9.4.1966) geschlossen mit den Worten: "Mit unserem vertrauten Gruß Heiho!" Woraus wohl auf eine allgemeinere Verbreitung dieser Grußform unter Ludendorff-Anhängern geschlossen werden kann.

Abb. 17: Mathilde und Erich Ludendorff auf ihrer Gartenterrasse, 9.4.1935 (Postkarte)
Ludendorff selbst hatte in den Vorgesprächen zu diesem Besuch klar gemacht, dass ihm ein Besuch Hitlers selbst unerwünscht sei. Ebenso wollte er sich von Hitler nicht zum Generalfeldmarschall ernennen lassen.

Abb.: Ehepaar Ludendorff auf der Terrasse ihres Hauses in Tutzing, 9. April 1935 (Herkunft: Ebay, Oktober 2014)
Ein privates Fotoalbum von Werner von Blomberg

Vor einiger Zeit ist ein privates Fotoalbum des Generalobersten Werner von Blomberg versteigert worden (bei Ebay). In ihm finden sich neben Manöverfotos und Fotos von zahlreichen gesellschaftlichen Anlässen,  Besprechungen und Dienstfahrten auf einer Seite auch zwei Fotos mit der handschriftlichen Erläuterung: "Ludendorffs 70. Geburtstag in Tutzing".  (Leider waren die Fotos bei Ebay nur in schlechter Qualität eingestellt worden, siehe Abb. 4 und 18.)

Abb. 18: Aus Blombergs privatem Fotoalbum: Blomberg und Fritsch bei Ludendorff in Tutzing, 9.4.1935
Oben auf der genannten Album-Seite befand sich zunächst das hier als Abbildung 4 wiedergegebene Foto. In einem sehr ausführlichen und reich bebilderten Bericht dieses Tages - wohl aus der Feder von Mathilde Ludendorff (2) - ist ein diesem sehr ähnliches Foto veröffentlicht worden. Es entstand während eines Besuches, der schon sehr früh am Morgen des 9.4.1935 stattfand, noch bevor die Wehrmacht-Generalität eintraf (2, S. 57):
... Danach meldeten sich, geführt von Herrn Lohbeck, Brigadeführer der S.A., die gerade in München zu einem Kursus versammelt waren und zuvor um den Empfang gebeten hatten. Der Feldherr sprach mit ihnen in eindringlichen Worten über die Notwendigkeit der seelischen Geschlossenheit des Volkes ...
Warum gerade auch dieses Foto, das noch vor der Ankunft von Blomberg's und von Fritsch's bei Ludendorff an diesem Tag entstanden ist, von so vielen anderen möglichen seinen Weg in das Album von Blomberg gefunden hat, darüber kann derzeit nur spekuliert werden. Ludendorff hatte sich geweigert, an diesem Tag Hitler zu empfangen. Vielleicht wurde das Zugeständnis Ludendorffs, dennoch diese Partei-, bzw. SA-Führer zu empfangen, von Blomberg als Zeichen grundsätzlicher Gesprächsbereitschaft auch mit Kräften der NSDAP empfunden?

Oder war es umgekehrt ein weiteres Signal des Mitgefühls mit den Ermordeten des 30. Juni 1934, zu denen zahlreiche enge frühere Mitkämpfer Ludendorffs gehörten (z.B. Röhm selbst, ebenso Gregor Strasser), und wie er es schon unmittelbar danach durch einen Privatbesuch bei der Witwe von Gregor Strasser zum Ausdruck gebracht hatte?

Abb. 19: Ludendorff begrüßt Anhänger
Links steht der "SA-Oberführer" Hermann Lohbeck, ein vielfach ausgezeichneter Offizier des Ersten Weltkrieges. Er stammte aus Düsseldorf (1892-1945, gest. in Frankfurt/Oder) und war 1933 Führer der dortigen SA-Brigade 75. Als solcher hatte er 1934, also nur ein Jahr vor diesem Besuch, offenbar in Opposition zum dortigen Gauleiter Karl Florian gestanden und auch schwere Auseinandersetzungen, zum Teil gewalttätiger Art sowohl mit anderen SA-Führern und -Kameraden, als auch mit diesem Gauleiter gehabt. Wobei auch Trunkenheit eine Rolle gespielt haben und auch eine Reitpeitsche benutzt worden sein soll (3, 4). Auf den ersten Blick drängt sich auf: Typischstes SA-Rabaukentum. Davon muss freilich Ludendorff, was diesen Einzelfall betrifft, nichts gewusst haben. 1935 ist Lohbeck deshalb ja auch rehabilitiert worden. Auch scheint es Berichte von Misshandlungen Gefangener durch Lohbeck zu geben (3). Durch derartige biographischen Angaben stellt sich die Frage natürlich noch einmal verschärft, warum Ludendorff an seinem Geburtstag, ein Dreivierteljahr nach den Röhmputsch-Morden, ausgerechnet SA-Führer empfing und warum von Blomberg ausgerechnet ein Foto davon in sein privates Album klebte.


Abb. 20: Ludendorff begrüßt Anhänger
Vielleicht deutet sich eine Antwort auf diese Frage an in Geschehnissen zwei Jahre später, im Sommer 1937, als Adolf Hitler und andere in seinem Umfeld im Zusammenhang mit der sogenannten "Landesverrats-Affäre" Mordpläne gegen Erich Ludendorff hegten (Stud. Nat. 01/2013). Da erhielt Erich Ludendorff eine sehr konkrete Warnung über diese Mordpläne Anfang Juli 1937, stammend von einem namentlich nicht genannten Sturmbannführer der SA, der von einem namentlich nicht genannten Brigadeführer der SA über jene Äußerungen gehört hatte, die Adolf Hitler am 5. Juni 1937 in einer Ansprache vor einer Gauleiter-Versammlung gemacht hatte. Und am 13. Juli 1937 erhielt Erich Ludendorff einen:
Brief aus Berlin, Feldherr möchte sich durch Leute der SA schützen lassen.

Aufsatz in zwei Teilen --> hier folgt: Teil 2


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  1. Müller, Klaus-Jürgen: Generaloberst Ludwig Beck. Eine Biographie. Hrsg. mit Unterstützung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, Potsdam. Ferdinand Schöningh, Paderborn u.a. 2008, 2. durchgesehene Auflage 2009
  2. o. N. (wohl Mathilde Ludendorff): Des Feldherrn 70. Geburttag. Der Verlauf der Feier. In: Quell, 6. Jg. Folge 2, 20.4.1935, S. 52 - 74 (Scribd)
  3. Katta, Peter: SA Düsseldorf (Brigade 75). Auf: AxisHistory-Forum, 11.4.2007
  4. Wallraff, Horst: Friedrich Karl Florian (1894-1975), Gauleiter der NSDAP. Auf: Rheinische-Geschichte [8.1.12]
  5. historicimages-store: 1935 Press Photo Picture Erich Ludendorff April Day Few. Ebay-Angebot für 8 US-Dollar, Ablauf am 15. August 2012
  6. Tuohy, Ferdinand: Ludendorff Re-Emerges. In: The Sphere (UK weekly news magazine). A 1937 issue. Ebay-Angebot für 8,99 britische Pfund von "devonian35", [18. Juli 2012]
  7. Nebelin, Manfred; Blasius, Rainer A.: Stratege in eigener Sache. In: FAZ, 20.12.2012
  8. Müller, Klaus-Jürgen: General Ludwig Beck. Studien und Dokumente zur politisch-militäri­schen Vorstellungswelt und Tätigkeit des Generalstabschefs des deutschen Heeres 1933- 1938, Boppard a. Rhein 1980 (= Schriften des Bundesarchivs Bd. 30) 
  9. Brief von Erich Ludendorff an Oberbürgermeister Karl Fiehler . In: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia  Signatur: Ludendorff, Erich A III/2 (Kalliope)

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