Montag, 28. August 2017

Ein unbändiger Wille zum Sieg und zum Überleben des deutschen Volkes

Ein kraftvolles Lied Otto Reutters, des Berliner "Charly Chaplin's", aus dem Oktober 1915

Einer sehenswerten Fernsehdokumentation des Jahres 2011 (1) kann man entnehmen, daß dem Berliner Kabarettisten, Blänkel- und Couplet-Sänger Otto Reutter (1870-1931) (Wiki) als Humorist die gleiche Weltbedeutung zugesprochen wird wie dem zeitgleich in München wirkenden Karl Valentin und dem zeitgleich in New York wirkenden Charly Chaplin. 

Leider können die Lieder dieses Otto Reutter leicht zu Ohrwürmer werden. Und diese Eigenschaft kann man dann doch als ein Merkmal für nicht besonders hohes musikalisches Niveau erachten. Dennoch kann mancher Liedtext als ein außerordentlich eindrucksvolles Zeitzeugnis dienen (Otto-Reutter). So insbesondere sein Lied "Nur Geduld" aus dem Oktober 1915 (Yt). In ihm spiegelt sich die damalige Kriegslage und die Stimmung im deutschen Volk sicherlich sehr gut wieder. Der Text dieses Liedes lautet:
Nur Geduld, nur Geduld, nur Geduld,
Wenn mal 'ne Pause kommt, die Deutschen sind nicht schuld.
Nur Geduld, wenn mal 'ne Kugel nicht gleich knallen will,
Nur Geduld, wenn mal 'ne Festung nicht gleich fallen will,
Nur Geduld, wenn sie sich etwas länger hält,
Weil 'se später doch auf alle Fälle fällt.
Nur Geduld, wenn nicht sofort ein Sieg zu haben ist,
Nur Geduld, wenn unser Heer im Schützengraben ist,
Nur Geduld, wenn uns're tapfere Armee
Schwingt zur rechten Zeit sich in die Höh, juchhe!
Nur Geduld, nur Geduld, nur Geduld,
Wenn mal 'ne Pause kommt, die Deutschen sind nicht schuld.
Solang ein Kämpfer noch wohlauf ist,
Solang ein Degen noch am Knauf ist,
Solange noch ein Schuss im Lauf ist,
Solang geht Deutschland nicht zu Grund!
Nur Geduld, wenn uns der Sturmwind um die Ohren weht,
Nur Geduld, wenn mal 'ne Kolonie verloren geht,
Nur Geduld, wenn der Japaner höhnisch grinst,
Denn wir holen alles wieder gut verzinst.
Nur Geduld, wenn mal der Brite was erreichen will,
Nur Geduld, wenn der Franzose nicht gleich weichen will,
Nur Geduld, kommt auf uns zu ein Russentrupp,
Schließlich krieg'n se doch 'n schönen Jruss von Krupp.
Nur Geduld, nur Geduld, nur Geduld,
Wenn mal ne Pause kommt, die Deutschen sind nicht schuld.
Solang ein Luftschiff im Verkehr ist,
Solang noch ein Soldat im Heer ist,
Solang ein Kreuzer noch im Meer ist,
Solang geht Deutschland nicht zu Grund!
Nur Geduld, wenn auch die Deutschen mal zurücke geh'n,
Nur Geduld, wenn sie nicht gleich durch Dünn und Dicke geh'n,
Nur Geduld, zur rechten Zeit, da kehr'n se um,
Geh'n energisch vor, dann weiß der Feind, warum.
Nur Geduld und nicht gleich sagen, "Nein, so geht das nicht",
Nur Geduld, wer nicht dabei ist, der versteht das nicht,
Nur Geduld, wer täglich lauert auf'nen Sieg,
So ein Schaf hat keene Ahnung von 'nem Krieg.
Nur Geduld, nur Geduld, nur Geduld,
Wenn mal ne Pause kommt, die Deutschen sind nicht schuld.
Solange noch die Erde rund ist,
Solang ein Gott mit uns im Bund ist,
Solang ein deutscher Arm gesund ist,
Solang geht Deutschland nicht zu Grund!
                                                             Otto Reutter
Otto Reutter
Aus diesem Liedtext spricht ein ungebärdiger und unbändiger, unverwüstlicher, kraftvoller Wille zum militärischen Sieg und zum politischen und militärischen Überleben Deutschlands als Großmacht. Man spürt deutlich: Für den Sänger würde die Weltgeschichte ihren Sinn verlieren, wenn Deutschland aus diesem Krieg mit einer entscheidenden Niederlage hervor ginge. Und das sind in der Tat sehr, sehr ungewohnte Töne für heutige deutsche Ohren. Und gerade deshalb wurde diesem Lied dieser Blogbeitrag gewidmet. Dieser unbändige Wille zum Leben und zum Überleben als Volk und als Kultur, auch als politische Großmacht und die Selbstverständlichkeit, mit der sie zum Ausdruck gebracht werden - sie muten erschütternd an aus dem Erlebnis heutiger Zeitläufte heraus. Aber darf ein Volk eine andere innere Haltung haben als jene, die hier zum Ausdruck gebracht wird? Und: Wenn es eine solche Haltung aufgibt, kann es dann langfristig als Volk überleben, zumal wenn kraftvolle Mächte am Werk sind, Völker als solche zu zerstören und zu vernichten?

Das ist wohl kaum möglich. Die Haltung von Otto Reutter aus dem Oktober 1915 ist für ein Volk wie das deutsche in der Lage, in der es sich damals befand, schlichtweg alternativlos. Und jeder, der etwas länger darüber nachdenkt, weiß das.

Für Otto Reutter selbst sollten das alles nicht nur Worte bleiben. Im Mai 1916 verlor er seinen eigenen Sohn in der Schlacht von Verdun. Ganz richtig wird über die Lieder von Otto Reutter vermerkt (Hans-Werner Kühl, 2006):
Chronologisch geordnet, vermitteln Reutters Couplets aufschlußreiche Einblicke in das gesellschaftliche Leben der Zeit wilhelminischer Hochkonjunktur. Im Unterschied zu Kabarettisten wie Rudolf Nelson u. a., die überwiegend für das Amüsement der mondänen Welt schrieben, wandte sich Otto Reutter mehr den alltäglichen Ereignissen und dem Leben der werktätigen Schichten zu.
Es gibt auch viele Lieder von ihm, die die Zeitstimmung nach dem Ende des Ersten Weltkrieges einfangen. Im August 1919 sang er über die "Kriegsgewinnler" (Yt). Im Oktober 1920 sang er ein nachdenkliches Lied über die "gute, alte Zeit" vor 1914, die damals noch ganz nah war: "Ich möcht erwachen beim Sonnenschein" (Yt). Im gleichen Monat sang er das ironische "Seh'n Sie, darum ist es schade, daß der Krieg zu Ende ist". Nach Einführung der Rentenmark 1924 sang er "Man wird ja so bescheiden" (Yt). Bis an sein Lebensende im Jahr 1931 hielt "Reutters schöpferische Unruhe" an, wie es heißt:
Reutters Monatsgagen erreichten bald Caruso'sche Höhen. Sein Fleiß blieb indes der gleiche.

Hintergrundmächte brauchen lange, die Völker entnervende  und "ermattende" Kriege


Der oben angeführte Liedtext, der in ihm zum Ausdruck gebrachte ungebärdige Siegeswille, aber auch viele andere Inhalte machen nachdenklich und lassen auch noch eine etwas grundlegendere geschichtlich Einordnung zu. Heute ist ja erahnbar und erkennbar, daß der Erste Weltkrieg - ebenso wie der Zweite - von den Hintergrundmächten, die bis heute die Kriege weltweit schüren, nicht nur zum Ausbruch gebracht worden ist, sondern auch am "Laufen" gehalten worden ist über vier Jahre hinweg dadurch daß man die beiderseitigen Kräfte jeweils gut im Gleichgewicht zueinander gehalten hat (Beispiel: 2).

So schlug man den Deutschen durch das "Wunder an der Marne" im Herbst 1914 den Sieg aus den Händen. Dadurch, daß man Ludendorff Ende August 1914 den Oberbefehl in Ostpreußen gab, schlug man auch den Russen den dortigen sicheren Sieg aus den Händen. 

Weiterhin verlängerte man den Krieg dadurch, daß man nun auf deutscher Seite erst im Herbst 1916 Erich Ludendorff den Oberbefehl über die deutsche Gesamtkriegsführung gab. Hätte er ihn früher erhalten, wäre der Krieg wesentlich früher - durch einen deutschen Sieg über Rußland - zu Ende gewesen. Wäre er nur wenig später ernannt worden, wäre der Krieg wahrscheinlich ebenfalls - und zwar durch einen alliierten Sieg - zu Ende gewesen. Dann hätte es aber hinwiederum nicht zur Oktoberrevolution in Rußland kommen können. Auch das Ringen zwischen der "Ermattungsstrategie" von Falkenhayns und der "Vernichtungsstrategie" Ludendorffs gehört in diese Zusammenhänge und kann dem Liedtext zugeordnet werden. Der Liedtext reagiert auf die diffusen Stimmen, daß doch mit entscheidenden Schlägen der Krieg zügig zu Ende gebracht werden müsse - was in der Tat Ludendorffs Vernichtungsstrategie entsprach. Und der Liedtext versucht die Zuhörer darauf einzustimmen, daß die Ermattungsstrategie von Falkenhayns eben auch Rückschläge mit sich bringen müsse.

Man brauchte und braucht lange und die Völker schwächende und entnervende - "ermattende" - Kriege. Man braucht auch emotionale patriotische Höhenflüge (1933 bis 1938), die man dann in noch viel emotionaleren Tiefschlägen im tiefsten Kern "zusammen schlagen" muß (1945). Und nach so vielen emotionalen Extremsituationen wird man den ungebärdigen Lebenswillen eines Volkes, der im Oktober 1915 in dem Lied Otto Reutters noch zum Ausdruck gekommen war, restlos zerschlagen haben. Natürlich inklusive Vergewaltigung des Volkes, Zerteilung des Volkes, vierzigjähriger Besatzungsherrschaft mit einhergehenden Indoktrinierungen und Umerziehungen. Welches große Volk der Weltgeschichte hat ein solches Schicksal hinter sich wie das deutsche Volk seit 1914? Sein Lebenswille ist zerschlagen mit Stumpf und Stiel. Es befindet sich - wie alle Völker - in der Eisenklammer mehrerer haßvoller Hintergrundmächte. Und ihre Herrschaftsmethoden sind die ausgefeiltesten der Weltgeschichte.

Woher in dieser Situation noch den ungebärdigen Lebenswillen eines Otto Reutter hernehmen? Wenn sich unter den Deutschen selbst nicht eine Sehnsucht ausbreitet nach einem besseren Deutschland, nach einer besseren Welt - wo dann? Eine Sehnsucht, die sich nicht zerschlagen und zersetzen läßt, von keiner noch so ausgefeilten Herrschaftstechnik der Hintergrundmächte. Damit sich eine solche Sehnucht ausbreiten kann, und damit ausreichend Kenntnisse vorhanden wären, um alle Zersetzungsversuche zu durchschauen, wäre es wichtig, daß sich jene Kräfte, die das Volk erhalten wollen, auf eine Losung einigen. Es muß eine Losung sein, die - wenn sie einmal gewonnen ist - nur noch schwer manipulierbar ist. Es kann sich dabei nur um eine Losung handeln, die auf den ersten Blick ähnlich merkwürdig schief im heutigen deutschen Gefühlsraum steht wie das heute von Otto Reutters Lied aus dem Oktober 1915 gesagt werden muß.



/zuerst veröffentlicht 26.12.2016;
hinsichtlich der Lieddeutung 
stark erweitert:
28.8.2017/

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  1. Lebensläufe - Otto Reuter. Ein Film von Hans-Jürgen Teske und Heike Stejskal. 30 Min., MDR 2011, https://youtu.be/UxIFWXcKHfQ.
  2. Bading, Ingo: Höllenfeuer und Verruchtheiten Der Geheimdienst-Experte und Fleming-Freund Donald McCormick, 7. Dezember 2014, https://studgenpol.blogspot.com/2014/12/hollenfeuer-und-verruchtheiten.html

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