"Am nächsten Baume aufgeknüpft und noch verbrannt" zu werden, das erwartete Erich Ludendorff (1865-1937) schon zu Weihnachten 1912 als sein Schicksal, wenn sein Name in Zusammenhängen genannt werden würde rund um die Wehrvorlage, die er zu jener Zeit als treibende Kraft im deutschen Generalstab vorbereitete (Wiki). War es so ein großes Verbrechen, eine Heeresverstärkung vorzubereiten und darüber zu sprechen?
Abb. 1: Erich Ludendorff und seine Mutter im Jahr 1914, kurz vor ihrem Tod am 6. März 1914 |
Offenbar ist das von bestimmten Leuten durchaus so gesehen worden. Die zitierten Worte stehen in einem Brief, den Erich Ludendorff zu Weihnachten 1912 in Berlin geschrieben hat, und der seit 2021 öffentlich zugänglich ist (1).
Gab es also schon zu Weihnachten 1912 eine so hochemotionale Situation rund um seine Person und sein Wirken innerhalb regierender Kreise in Berlin, rund um den Reichskanzler von Bethmann-Hollweg, rund um den Kriegsminister Josias von Heeringen (1850-1926) (Wiki)*), innerhalb des Generalstabes und bis in das Militärkabinett, das Personalamt des preußischen Heeres hinein? Grund war, daß der Oberst Ludendorff seit 1909 - verstärkt seit Anfang 1912 (Wiki) - in Denkschriften und persönlichen Aussprachen mit Nachdruck für eine Heeresverstärkung eintrat, und zwar für die größte Heeresverstärkung in der Geschichte des Deutschen Reiches. Daß dieses Wirken starke Gegenreaktionen hervorrief und starke Emotionen unter der Decke brodelten, konnte der wache Zeitgenossen auch der Presse jener Monate entnehmen (siehe gleich).
Das Wirken Ludendorff ging von jenem Ort aus, an dem sich heute das Bundeskanzleramt befindet. Es war also in Sichtweite vom Reichstagsgebäude entfernt. Das Dienstgebäude des deutschen Generalstabes, die sogenannte "rote Bude" (GAj2012), war 1945 bei Verteidigungskämpfen rund um das Reichstagsgebäude schwer beschädigt worden (GAj2012). 1947 war die Ruine abgerissen worden.
Ludendorff hat seinerseits den Haß erwiedert, der ihm entgegenschlug. Vier Monate später, nachdem er Ende Januar 1913 auf Betreiben seiner Gegner aus Berlin verbannt worden war, "strafversetzt" worden war, zum Regimentskommandeur in Düsseldorf ernannt worden war, wo man ihm, wie gesagt wurde, "Disziplin beibringen" sollte (2), schrieb er am 9. April 1913 (an seinem Geburtstag) an seine in Berlin verbliebene Mutter, und zwar just zu der Zeit, in der im Reichstag in Berlin die von ihm so energisch vorangebrachte Wehrvorlage erörtert wurde (Stgr2015):
Ich lese mit Spannung die Reden im Reichstage, der Reichskanzler war für seine Verhältnisse gut, empörend wieder dieser Kriegsminister. Warum ist man damals nicht meinem Rat gefolgt und hat ihn weggeschickt? Es ist ein Unglück unserer leitenden Kreise, daß sie die Unzulänglichkeit dieses Mannes nicht einsehen wollen. (...) Du glaubst nicht, wie ich die hasse.
Von welchen Unzulänglichkeiten hier die Rede ist, wird ein wenig deutlicher, wenn wir in die hier genannten Reden in der Reichstagssitzung vom 7. April 1913 zur Wehrvorlage hinein blicken. Sie sind auch heute noch gut zugänglich, besser als jemals. Als erster hat der Reichskanzler von Bethmann-Hollweg gesprochen (DigSam). Als zweiter sprach der von Ludendorff genannte Kriegsminister von Heeringen (DigSam). Ludendorff wird bei Sätzen wie den folgenden nur noch verständnislos den Kopf geschüttelt haben:
Die Ausdehnungsfähigkeit einer Armee im Frieden hat ihre Grenze, wenn sie nicht zeitweise zu einer Art von Miliz herabsinken soll. (...) Daher sollen den einzelnen Waffengattungen nur diejenigen Neubildungen gegeben werden, die unter den heute zu berücksichtigenden Verhältnissen unentbehrlich sind.
Hier drückt sich freilich eine "Unzulänglichkeit" aus, aus der damaligen militärpolitischen Lage Deutschlands und der Rüstungsverhältnisse innerhalb von Europa die richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen, die wahrlich grenzenlos anmutet.
Als Nachgeborener freilich werden die Zusammenhänge und Wahrnehmungen rund um die Erörterungen der Wehrvorlage viel plastischer, wenn man die Ausführungen des nachfolgenden Redners liest, der von Ludendorff gar nicht erwähnt worden ist in seinem Brief. Dabei handelte es sich um den Vertreter der damals größten Fraktion im deutschen Reichstag, um den Mitvorsitzenden der SPD, den Abgeordneten Hugo Haase (1863-12919) (Wiki). Hugo Haase gibt nämlich einen auffallend guten Überblick über die Vorgeschichte der neuen Wehrvorlage, zumindest soweit sie der Öffentlichkeit bekannt geworden war. Er stellt dar, daß der Kriegsminister es noch am 10. Januar 1913 hatte dementieren lassen, daß an einer neuen Wehrvorlage überhaupt gearbeitet würde. Was Haase dann - aus SPD-Sicht - als "Hetze" bezeichnet, hätte aus damaliger wie heutiger Sicht auch einfach nur als "Kritik" bezeichnet werden können. Dann wäre es neutraler formuliert. Haase führt also aus über das genannte Dementi des Kriegsministers aus (DigSam):
Als das Dementi (...) kam, da wurde die Hetze
sprich: Kritik
der "Post", der "Rheinisch-Westfälischen Zeitung", der "Täglichen Rundschau" gegen den Reichskanzler und gegen den Kriegsminister fortgesetzt. Es erschien damals in der "Post" die Nachricht, es sei seit längerer Zeit bekannt, daß zwischen den maßgebenden Stellen der Regierung gerade um die Fragen, von denen Deutschlands Schicksal unmittelbar abhänge, erbitterte Kämpfe geführt würden, daß dort ein Tohuwabohu herrsche, wie es größer kaum gedacht werden könnte. Es ständen sich zwei Weltanschauungen diametral gegenüber: auf der einen Seite jene Stellen, welche in erster Linie die Verantwortung für den Verlauf und Ausgang eines möglichen Feldzuges tragen, auf der anderen Seite diejenigen, die von einem unglaublichen Friedenswahn befangen sind, und die aus Furcht vor parlamentarischen und innerpolitischen Schwierigkeiten sowie aus Gründen bürokratischer Sparsamkeit blind und taub gegen die elementarsten Gebote militärischer Notwendigkeit seien.Kaum war der Artikel erschienen, da kam mit einem Male die "Norddeutsche Allgemeine" am 24. Januar, im Gegensatz zu ihrer früheren Haltung, mit der überraschenden Erklärung: "Ein hiesiges Blatt will erfahren haben, daß seit längerer Zeit zwischen den maßgebenden Stellen der Reichsregierung um eine neue Militärvorlage erbitterte Kämpfe geführt würden. Es handelt sich hier um aufgeregte Treibereien, mit denen der Sache, die in Frage steht, schlecht gedient ist. Die maßgebenden Stellen sind längst einig darin, daß eine Reihe von Mehrbedürfnissen unseres Heeres befriedigt werden müssen".Daraus, meine Herren, ist mit zwingender Notwendigkeit der Schluß zu ziehen, daß erst in diesen Tagen der Reichskanzler und der Kriegsminister vor dem Wehrverein und dem mit dem Wehrverein Hand in Hand gehenden Generalstab kapituliert haben. Es ist durch die "Norddeutsche Allgemeine" selbst verbreitet worden, daß im Januar von Allerhöchster Stelle die Entscheidung gefallen ist, und als diese Entscheidung zu Gunsten des Generalstabs fiel, da haben der Herr Reichskanzler und der Herr Kriegsminister einfach ihre Anschauungen geändert, da haben sie dem Generalstab nachgegeben, da haben sie mit einem Male erklärt, alles das sei notwendig, was sie selbst, wie wir annehmen müssen, in Übereinstimmung mit uns bis dahin bekämpft haben.Ist das aber richtig, dann fallen alle die Ausführungen des Herrn Reichskanzlers in nichts zusammen. Wie richtig das alles ist, konnte man aus psychologischen Erwägungen auch heute aus der Haltung des Kriegsministers schließen. Als der Herr Kriegsminister seine Rede schloß, da haben wir wohl alle angenommen, daß er nun erst recht die Gründe für die Vorlage vorbringen würde. Ist es denn schon in einem Parlament der Welt vorgekommen, daß bei einer Vorlage von dieser Tragweite der Kriegsminister nichts weiter tut, als daß er in der dürftigsten, unzulänglichsten Form den Inhalt der Begründung paraphrasiert, diesen Inhalt, der selbst so nichtssagend ist wie nur irgend etwas? (...)Meine Herren, der Herr Kriegsminister hat eben - das fühle ich ihm allerdings nach - von Herzen diese Vorlage nicht vertreten können.
Innerlich stehen Haase, von Bethmann-Hollweg und von Heeringen - das bringt Haase hier zum Ausdruck - auf der gleichen Seite. Haase wendet sich dann noch ausdrücklich an die Abgeordneten der Zentrums-Partei, weil er von diesen auch noch erwartet, daß sie - wie die SPD - gegen die Wehrvorlage stimmen würde (was sie dann nicht tat).
Haase bezieht sich dann als vorbildlich nicht nur auf das Schweizer Milizheer, sondern auch noch auf das preußische Volksheer des Jahres 1813, dem in den Jahren 1812/13 die konservativen Kreise skeptisch gegenüber gestanden seien, und das auch nicht gut (durch eine mehrjährige Wehrpflicht) auf den Krieg des Jahres 1813 vorbereitet gewesen sei, und das dennoch über Napoleon gesiegt habe. Daß dieser Vergleich auf vielen Ebenen mehr als hinkt, wird auch schon damals den meisten Zuhörern aufgegangen sein. Er übergeht dabei zum Beispiel ganz, daß Preußen damals mit Rußland und England verbündet war und diese Mächte nicht zusätzlich auch noch als Gegner hatte. Hätte Preußen im Jahr 1813 Rußland und England gemeinsam mit Frankreich als Gegner gehabt - hätte es dann jemals einen Krieg gewinnen können? Friedrich dem Großen war sogar das fünfzig Jahre früher gelungen (im Siebenjährigen Krieg). Aber das stand bekanntlich sehr oft "Spitz auf Knopf".
Abb. 3: Generalstabschef von Moltke - Der spiritueller Berater seiner Frau war Rudolf Steiner |
Man sieht jedenfalls an den Ausführungen von Hugo Haase, daß SPD, Kriegsminister und Reichskanzler innerlich schon 1913 miteinander auf einer Linie lagen - nämlich gegen den Generalstab, und daß Kriegsminister und Reichskanzler gegenüber dem Generalstab nur deshalb eingeknickt sind, weil schließlich auch der Kaiser selbst seine Meinung geändert hatte. Das arbeitet Hugo Haase deutlich heraus.
"Ich hatte ja auch im Generalstabe selbst Feinde"
Diese Rede von Hugo Haase läßt noch einmal doppelt fragen, wie das, war man als Zeitgenosse damals nur durch vage Presseberichte wahrnehmen konnte, von Erich Ludendorff selbst intern als der treibenden Kraft der Wehrvorlage wahrgenommen worden ist. Wir lesen über einen Bericht, den der bayrische Militärbevollmächtigte im Großen Generalstab in Berlin Karl Wenninger (1861-1917) (Wiki) nach München sandte (4, S. 129):
Am 25. 11. 1912 hatte Wenninger Unterredungen mit Ludendorff, Wachs und Bergmann vom Generalstab bzw. Kriegsministerium und berichtete wie folgt nach München:"1.) Greifbare diplomatische Nachrichten über eine unmittelbar drohende Kriegsgefahr liegen weder beim Kriegsministerium noch beim Großen Generalstab vor. Aus Rußland berichten Militärattache und Konsulate übereinstimmend, daß von irgendwelchen Mobilmachungsregeln dort z. Zt. nicht die Rede sei. (...) Frankreich habe ebenso wie Deutschland noch keinerlei Schritte in der Richtung "Verstärkung der Kadres" getan. Dagegen scheine Österreich unmittelbar vor entscheidenden Maßnahmen zu stehen. Eine partielle Mobilmachung sei bereits im Gange. Besonders alarmierend wirkte dort die verbürgte Nachricht, daß Serbien Transporte schwerer Artillerie, die gegen Skutari bestimmt waren, unterwegs anhielt und an die Donau zurückdirigierte. Ein Losschlagen Österreichs werde voraussichtlich Rußland aus seiner Lauerstellung herauslocken. Dann würde eine deutsche Mobilmachung gegen Rußland vielleicht notgedrungene Folge sein. [...]2.) Jedenfalls ist die Lage eine hochgespannte. Die Folgen sind verschiedene Beschleunigungen militärischer Maßnahmen. [...]"
Am 9. April 1913 kritisierte Wenninger in der Reichstagssitzung zur Wehrvorlage die Rede des bayerischen Zentrums-Abgeordneten Caspar Haeusler, der für diese nur Beifall von den Sozialdemokraten erhalten hatte (Wiki). Auf Wikipedia wird seine Kritik als "skandalös" bezeichnet, sie liest sich aber im Original harmloser als es dieser Charakterisierung entnommen werden könnte (s. DigSam, a, b).
Erich Ludendorff selbst schildert in seinen Erinnerungen seinen Einsatz und seine Eingaben in Hinsicht auf eine Heeresvermehrung seit dem Jahr 1909 über 26 Seiten hinweg (2, S. 130-156), geht darin aber in der Regel nicht auf einzelne Unterredungen ein wie die eben genannte.
Solange zwischen ihm und dem Generalstabschef noch sein Vorgesetzter von Stein gestanden hatte, hatte er sich noch nicht mit ausreichendem Nachdruck dafür einsetzen können. 1912 aber wurde Stein versetzt und Ludendorff hatte unmittelbar Zugang zum Generalstabschef. Nachdem Ludendorff detailliert all die schriftlichen Eingaben insbesondere an das Kriegsministerium (über seine Vorgesetzten, vor allem über von Moltke) geschildert hatte, schreibt er abschließend und zusammenfassend über den Generalstabschef von Moltke und seine Umgebung im Generalstab (2, S. 156):
In der Tat, den Kampf im Generalstabe mit einem so nachgiebigen, unter okkulten Einflüssen stehenden, innerlich immer mehr zusammenbrechenden Mann an der Spitze durchzuführen, war nicht leicht. Ich hatte ja auch im Generalstabe selbst Feinde. Meine deutliche Sprache und mein heftiges Drängen dem Kriegsministerium gegenüber waren namentlich der Zentralabteilung nicht recht. Sie befürchtete wohl, sie könne bei Etatsforderungen des Generalstabes, die ja schließlich auch das Kriegsministerium zu vertreten hatte, Schwierigkeiten haben, und auch das Militärkabinett, das mit dem Kriegsministerium in allen Fragen durch dick und dünn ging und auch auf die Personalien des Generalstabes Einfluß hatte, unangenehm berührt sein. Die Tatsache aber, daß der Bürochef der Zentralabteilung des Großen Generalstabes ein Freimaurer war und Freimaurer im Militärkabinett*) und im Kriegsministerium saßen, wird dabei die ausschlaggebende Rolle gespielt haben. Dem General v. Moltke wurde jedenfalls gesagt, ich könne nicht kommandierender General werden, wenn ich nicht jetzt ein Regiment bekäme, wozu ich allerdings auch heranstand. Ich habe solche Fürsorge für mich stets „warm“ empfunden. Das „Kommandierendergeneralwerden“ war nur ein Vorwand, man wollte mich los sein. Der weiche General v. Moltke durchschaute das alles nicht, vielleicht war ich ihm auch selbst zu scharf drängend. Wohl hielten auch von den überstaatlichen Mächten hörige Medien meine Versetzung für geboten, denn ich habe später erfahren, daß schon vor vor dem Weltkriege in Freimaurerkreisen gegen mich gearbeitet wurde, was ja auch von ihrem Standpunkt aus eine Selbstverständlichkeit war. Als mir General v. Moltke die Mitteilung von meiner bevorstehenden Versetzung machte, klang die Begründung bei ihm weiter nicht sehr überzeugend. Wie wenig er sie selbst für stichhaltig gehalten hat, geht daraus hervor, daß er mich schon nach wenigen Monaten, und zwar im Juni, dem Chef des Militärkabinetts zur Ernennung als Direktor des allgemeinen Kriegsdepartements im Kriegsministerium vorschlug. Ich konnte selbstverständlich dem General v. Moltke, als er mir von meiner bevorstehenden Versetzung sprach, nichts entgegenhalten. Dazu war ich zu stolz. Bei seinem Schwanken versprach ich mir durch mein Verbleiben im Generalstabe auch nicht mehr Entscheidendes für die Durchbringung der Heeresvorlage, so wie ich sie für nötig gehalten hatte. Was unter den traurigen Verhältnissen zu erreichen war, war schon festgestellt.Ich wurde also am 27. Januar 1913 aus dem Generalstabe als Regimentskommandeur nach Düsseldorf versetzt, der Chef des Militärkabinetts schrieb an meinen kommandierenden General v. Einem, wie dieser mir viele Jahre später mitgeteilt hat, "er müsse mir Disziplin beibringen".
Von den Auseinandersetzungen, die Ludendorff in seinen Erinnerungen aus interner Sicht schildert, ist also doch allerhand nach außen an die Presse gedrungen - zwar immer nur gerüchteweise, aber fast noch "aufwühlender" als Ludendorff selbst es schildert. In der von Ludendorff gegebenen Anmerkung zu den Freimauren im Generalstab schrieb er (2, S. 156):
Im Militärkabinett waren die Freimaurer damals durch Major v. Marschall vertreten, auf dessen Drängen im Jahre 1918, nach meinem Abgang, General Groener im Einverständnis mit General v. Hindenburg mein Nachfolger wurde.
Der Leiter des Militärkabinetts war im übrigen Moriz von Lyncker (1853-1932) (Wiki) (zu ihm s.a. Stgr2011). Dieser war es, der dem künftigen Vorgesetzten Ludendorffs, dem General von Einem, schrieb, er solle Ludendorff "Disziplin beibringen". Ludendorff hatte wahrlich nicht zwischen diese ganze Freimaurerhörigkeit gepaßt. Aber immerhin! Fünf Monate konnte sich sogar der "unzulängliche" Kriegsminister von Heeringen nicht mehr im Amt halten (Wiki):
Vom 19. August 1909 bis zum 4. Juli 1913 amtierte Heeringen als Kriegsminister. Er widersetzte sich den Plänen von Generalstabschef von Moltke und Oberst Erich Ludendorff, damals Leiter der Aufmarschabteilung des Generalstabs, die Heeresstärke in Friedenszeiten von 670.000 auf 970.000 Mann aufzustocken. Nur durch einen Immediatvortrag bei Kaiser Wilhelm II. konnte der Kriegsminister es erreichen, daß in der Heeresvorlage 1913 die Heeresvergrößerung auf 117.000 (statt der geplanten 300.000) Mann begrenzt blieb. Doch die Kritik, durch seinen Einsatz gegen eine forcierte Aufrüstung habe Heeringen die Aufstellung dreier zusätzlicher Armeekorps vereitelt, riß nicht ab. Die Beziehungen zwischen dem Kriegsministerium und dem Generalstab blieben derart angespannt, daß der Kriegsminister den Kaiser um seine Amtsentpflichtung bat.
Offensichtlich hat man sich also von der "Unzulänglichkeit dieses Mannes" schließlich doch noch überzeugt. Seinem Gesuch wurde zum 4. Juli 1913 stattgegeben.
von Moltke schlägt Ludendorff als Mitarbeiter des Kriegsministers vor (Juni 1913)
War womöglich das Rücktrittsgesuch des von Heeringen beschleunigt worden durch den Umstand, daß Generalstabschef von Moltke den Obersten Ludendorff schon im Juni 1913 dem Chef des Militärkabinettes zur Ernennung als Direktor des allgemeinen Kriegsdepartements im Kriegsministerium vorgeschlagen hat? Damit wollte er Ludendorff im Kriegsministerium selbst als Untergebenen des Kriegsministers platzieren. Sicherlich ein unerwartetes Vorgehen. Als Begründung schrieb er aber (2, S. 156f):
Euer Exzellenz ist die vorzügliche Beurteilung dieses Offiziers in allen seinen bisherigen Dienststellen bekannt. Er stand, bevor er Regimentskommandeur wurde, fünf 5 Jahre lang an der Spitze der 2. Abteilung des Großen Generalstabes, ist also mit allen Fragen der Organisation des Heeres, der Mobilmachung und des Aufmarsches auf das Genaueste vertraut. Er ist ein Mann mit weitem Blick, von festem Charakter, von schneller Auffassung und eisernem Fleiß, der mir während dieser 5 Jahre gemeinsamer Tätigkeit ein ganz besonders zuverlässiger, nie versagender Gehilfe war.
Da der Kriegsminister auch weiterhin einen schweren Stand im Reichstag haben würde, würde Ludendorff ihm eine gute Hilfe sein (2, S. 156f):
Gerade hierin würde ihm der Oberst Ludendorff in seiner Bestimmtheit, seiner altpreußischen Auffassung und seiner unbedingten Zuverlässigkeit eine hervorragende Stütze sein.
Weiter schrieb er (2, S. 156f):
Wie Euer Exzellenz bekannt, sind während der anstrengenden Tätigkeit des letzten Winters einige Differenzen zwischen ihm und dem Kriegsministerium entstanden, die aber lediglich darauf zurückzuführen sind, daß Oberst Ludendorff nur das eine Ziel im Auge hatte: der Sache zu dienen und die von mir als erforderlich bezeichneten Vorschläge allen fiskalischen Bedenken gegenüber durchzusetzen. ... Daß es mir bei meinem Vorschlage lediglich um die Sache zu tun ist, mögen Euer Exzellenz daraus erkennen, daß ich, so sehr ich das für den Generalstab bedauere, gerade auf die Ernennung des Oberst Ludendorff als Oberquartiermeister verzichte, weil ich seine Verwendung als Direktor des allgemeinen Kriegsdepartement zum Besten des Heeres für noch wertvoller halte.
Es wäre noch einmal genauer auszuloten, was sich der Generalfeldmarschall von Moltke bei diesem Schreiben gedacht hat. Aus ihm geht in jedem Fall die große Wertschätzung hervor, die er für Ludendorff hatte.
Abb. 4: "Der Kaiser und Prinz Heinrich zum Tee mit General von Heeringen" (zeitgenössische Postkarte, ohne Ort, ohne Datum) |
Die Argumente, die Josias von Heeringen zuvor gegenüber dem Kaiser scheint vorgebracht zu haben, waren gewiß nicht von energischem Vorwärtsdrängen geprägt. Das geht unter anderem aus einem Aufsatz in der Wochenzeitung "Die Zeit" aus dem Jahr 2013 hervor. Die Inhalte desselben werden folgendermaßen wiedergegeben (Dossier2013):
So hatten konservative Kreise im Militär durchaus Vorbehalte gegen die neue Heeresvorlage. Denn eine massive Vergrößerung der Armee würde zwangsläufig dafür sorgen, daß zunehmend bürgerliche Offiziere requiriert werden müßten und damit das Offizierskorps als Domäne der Adligen infrage stellen würden. Zugleich bedeutete das für die Mannschaften, weitaus stärker als bisher städtische Arbeiter einzuberufen. Das sorgte bei manchem Offizier für schlaflose Nächte und malte das Gespenst der Revolution an die Wand. Übrigens nicht ganz zu Unrecht, wie es sich im November 1918 dann zeigen sollte.
Daß der Sozialdemokrat Haase ebenfalls solche Dinge im Hinterkopf hatte, wird unterschwellig in seiner Rede deutlich. Angesichts der hochgerüsteten Militärmächte Europas, von denen sich Deutschland in den Jahren 1912 und 1913 umgeben sah, waren solche Argumente aber wirklich verquastet. Ein interessanter Aspekt ergibt sich aus den weiteren Ausführungen (Dossier2013):
Aber noch ein anderer Punkt verdient Beachtung: Die Finanzierung des Rüstungsprogramms erfolgte über Vermögenssteuern. Das versetzte die Sozialdemokratie in eine Zwickmühle. Zwar lehnte sie die Aufrüstung traditionell ab, zugleich plädierte sie ebenso anhaltend für eine Besteuerung des Besitzes. In dieser Situation bewilligte sie als größte Fraktion im Reichstag die Steuererhöhungen, lehnte die Heeresvorlage selbst aber ab. Leider behandelt Fesser nicht die Frage, inwiefern diese partielle Einbindung der SPD eine Vorstufe für die spätere Zustimmung zu den Kriegskrediten und generell die Integration der Arbeiterbewegung war.
Es handelt sich also schon um vergleichsweise vielschichtige Vorgänge rund um die Wehrvorlagen der Jahre 1912 und 1913. Im übrigen durch diese durch Vorträge und Zeitungsartikel in der Öffentlichkeit unterstützt von Seiten des eigens hierfür gegründeten "Deutschen Wehrvereins" (Wiki), den auch Haase erwähnte. Der "Deutsche Wehrverein" war der letztgegründete von mehreren, bedeutenden sogenannten "vaterländischen Verbände" des Deutschen Kaiserreiches.
"Deutscher Wehrverein" und Generalstab - Ab wann gab es Verbindungen?
In einer historischen Untersuchung aus dem Jahr 1979 (3) wurde die These vertreten, daß es keine unmittelbaren persönlichen Verbindungen gegeben habe zwischen den maßgebenden Persönlichkeiten des "Deutschen Wehrvereins" und Erich Ludendorff im Generalstab als der dortigen treibenden Kraft für die Wehrvorlage (3, S. 22):
Die genaue Rolle des DWV in diesem Ressortstreit ist schwer auszumachen. Es läßt sich nicht bezweifeln, daß Ludendorff die Agitation des DWV insofern billigte, als diese seine Forderungen dem Kriegsministerium gegenüber nur verstärken konnte. Sehr wahrscheinlich gab es überdies gelegentliche Kontakte zwischen Vertretern des DWV und des Generalstabes, und der DWV spiegelte zweifelsohne die Ansichten des Generalstabes wider. Das alles aber als ein aktives Zusammenwirken zu bezeichnen, ist wohl etwas übertrieben
In der diesen Worten beigegeben Anmerkung werden vage Angaben zu einem solchen Zusammenwirken erörtert, die aber insgesamt als zu vage eingeschätzt werden. Diese Fragestellung erhält nun durch einen seit 2021 zugänglichen Brief Erich Ludendorffs aus dem Dezember 1912 (1) gewiß eine neue Beleuchtung. Seinen Wortlaut bringen wir weiter unten. Zwar deutet sich an keiner Stelle in diesem neu bekannt gewordenen Brief an, daß es schon frühere Verbindungen zwischen Ludendorff und dem "Deutschen Wehrverein" gegeben hätte. Ausdrücklich schreibt Ludendorff sogar, daß ein Mitarbeiter des "Deutschen Wehrvereines", von Wrochem, "aus sich heraus" zu den seiner Meinung nach richtigen Gedanken gefunden hätte. Die genannte historische Untersuchung aus dem Jahr 1979 faßte die Vorgänge rund um Ludendorff folgendermaßen zusammen (3):
Am 1. Oktober 1912 wurde Ludendorffs unmittelbarer Vorgesetzter in der Operationsabteilung des Generalstabes versetzt, woraus sich eine Situation ergab, in der sich Ludendorff nunmehr direkten Zugang zum Chef des Generalstabes, Helmuth v. Moltke, verschaffen konnte. Zugleich hatte die Kombination von verschlechterter militärischer Lage auf dem Balkan und dem Druck der in erster Linie vom Deutschen Wehrverein mobilisierten öffentlichen Meinung schon angefangen, den Widerstand der Regierung gegen die Idee einer neuen Heeresvorlage zu untergraben.
Wie böswillig war es aber auch, die Friedensliebe der damaligen deutschen Regierung durch die Idee einer solchen Heeresvorlage zu - - - "untergraben". Das will der Historiker wohl mit diesem Wort "untergraben" zum Ausdruck bringen. Angesichts der gleichzeitigen Rüstungen der anderen europäischen Militärmächte und angesichts des Verlaufes des dann folgenden Krieges ist eine solche Einordnung allerdings ein wenig gar zu lächerlich. Weiter heißt es (3):
Am 13. Oktober 1912 hob der Kaiser selbst diese Idee hervor, doch noch setzten sich Bethmann Hollweg, Heeringen und auch Moltke dagegen durch. Ohne die Ansichten des Kaisers zu kennen, fing Ludendorff aber gleichzeitig an, Moltke unter intensiven Druck zu setzen, was dazu führte, daß Moltke endlich Ende Oktober für eine neue Heeresvorlage gewonnen werden konnte. Es begann nun ein neuer Ressortstreit, diesmal zwischen Generalstab, Kriegsministerium und Reichskanzler über die Ratsamkeit bzw. die Höhe einer eventuellen weiteren Heeresvermehrung. Immer noch von Ludendorff vorangetrieben, wurde Moltke nun der Befürworter "entscheidender" Erhöhungen, indes Heeringen, der seinerseits immer die sozialen Nachwirkungen einer Vergrößerung des Offizierkorps im Auge hatte, solche Erhöhungen irgendwie einzuschränken trachtete, wobei er die Unterstützung Bethmann Hollwegs fand, der immer noch eine grundlegende Finanzreform wegen der zu erwartenden Opposition der Konservativen vermeiden wollte. Der Höhepunkt der Kontroverse wurde am 21. Dezember 1912 erreicht, als Moltke dem Kriegsminister und dem Reichskanzler eine verblüffende, von Ludendorff verfaßte Denkschrift einreichte, in der die Forderungen des Generalstabes, die weit über das von Heeringen und Bethmann Hollweg erwartete Maß hinausgingen, formuliert wurden: u.a. die volle Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, die nach Ludendorffs Berechnungen jährlich 150.000 zusätzliche Rekruten und eine Zunahme von 300.000 Mann in der Friedensstärke des Heeres ergeben würde, die man wiederum zur Einrichtung der dritten Bataillone in allen Regimentern sowie zur Aufstellung von drei neuen Armeekorps verwenden wollte. Diese Denkschrift wurde nun die Grundlage der weiteren Verhandlungen, als die eigentliche Frage auftauchte, ob oder inwieweit es Bethmann Hollweg und Heeringen gelingen würde, den Forderungen Ludendorffs maßvollere Schranken zu setzen. Der Ressortstreit dauerte noch zwei Monate an, bis man einen Kompromiß erreichen konnte. Moltke stimmte zu, als man die Idee der drei neuen Armeekorps fallen ließ und die Zahl der neuen Rekruten etwas herabsetzte. Dennoch waren die neuen vorgesehenen Erhöhungen enorm: die Stärke aller bestehenden Einheiten sollte durch Aushebung von 106.000 Mann zusätzlicher Truppen im Jahre sowie die Einstellung von knapp 4000 neuen Offizieren bzw. 13.400 neuen Unteroffizieren vermehrt werden. (...)Berichte über die Möglichkeit einer neuen Heeresvorlage waren schon einige Monate vor Bekanntgabe der Einzelheiten am 28. März 1913 in der Presse durchgesickert.
Weiter wird interessanterweise ausgeführt (3):
Als die Reichstagsverhandlungen über die Heeresvorlage in die letzte Phase eintraten, gab der Reichskanzler in einem Brief an einen Freund seiner Erleichterung Ausdruck, er erwarte, daß das Gerede "von Krieg und Kriegsgeschrei und von den ewigen Rüstungen" nun bald ein Ende nehmen würde. Er konnte auch nicht die Bemerkung unterlassen, was für "eine merkwürdige Sache" es sei, daß ein "so demokratischer Reichstag eine solche Riesenmilitärvorlage annimmt".
Er war also überhaupt nicht einverstanden mit jener Heeresvorlage, die er selbst dem Reichstag vorgelegt und begründet hatte. Es gab schon sonderbare Gestalten damals an der Spitze der deutschen Regierung. Sie haben vieles vorweggenommen von dem, was sich seither dann immer weiter bis heute an Irrsinn, Wahnwitz und Böswilligkeit gegenüber dem deutschen Volk regierungsseitig gesteigert hat.
Der Adressat nun des neu bekannt gewordenen Briefes von Erich Ludendorff, der Offizier Bernhard Tepelmann (1862-1919), war - soweit übersehbar - Mitglied und Mitarbeiter des "Deutschen Wehrvereins". Er hatte Ludendorff im Dezember 1912 unter anderem einen Artikel aus der "Täglichen Rundschau" (Wiki) aus demselben Jahr gesandt von Seiten des Vorstandsmitgliedes des Deutschen Wehrvereines, nämlich von Seiten des Generalleutnants Alfred von Wrochem (1857-1915) (Wiki)***). Das Erscheinen dieses Artikels war offenbar dadurch ermöglicht oder erleichtert worden, daß auch der damalige Herausgeber der "Täglichen Rundschau" (die auch von Haase erwähnt worden ist, s.o.), der Journalist Heinrich Rippler (1866-1934) (Wiki), Mitglied des "Deutschen Wehrvereins" war (3), zugleich auch Mitglied der liberalen "Deutschen Volkspartei". Aus der Antwort Ludendorffs geht hervor, daß Ludendorff diesen Artikel bislang gar nicht gekannt hatte und offenbar auch sonst bislang wenig von den Aktivitäten des Deutschen Wehrvereins zur Kenntnis genommen hatte. Dem Wortlaut könnte man entnehmen, daß er zuvor schon bei irgendeinem gesellschaftlichen Anlaß mündlich ins Gespräch mit Tepelmann gekommen war und dieser sich dann im Nachgang auch noch einmal schriftlich an ihn gewandt hatte. Ludendorff antwortete also (1):
Lieber Tepelmann!
Vielen Dank für Ihre Zeilen. Die Ziele und Anträge des Generalstabes kann ich Ihnen nicht nennen. Ich würde am nächsten Baume aufgeknüpft und noch verbrannt werden. Also darüber schweige ich.
Ich halte mich aber wohl für berechtigt, mit Ihnen in einen Gedankenaustausch darüber einzutreten, was mir am Herzen liegt. Ich habe da den Artikel der Täglichen Rundschau von 18/12 mit sehr vielem Interesse gelesen. Was da über die Festigung der Verbände der Reserveformationen und über die Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht gesagt ist, unterschreibe auch ich. Ebenfalls
[Seite 2] ist mir das aus dem Herzen geschrieben, was über die Übungen der Kavallerie gesagt ist. An 10 Wochen im Jahr dürfen wir aber wohl nicht denken, dazu reichen unsere Übungsplätze nicht aus, und die Übungen als solche ... in das Gelände zu legen, würde Flurschäden verursachen, die niemand bezahlen kann.
Auch das über die Feldartillerie gesagte trifft voll zu.
Sie sehen also, daß Herr v. Wrochem aus sich heraus das gefunden hat, das der Armee m. E. not tut. Wenn aber nach Ihrem Schreiben nur Kavallerie Ballonabwehrkanonen (?) erhalten sollen, das weiß ich nicht. Die feindl.
LuftFlugzeuge werden uns weit überfliegen, deutsche Zeitungen halten schon die Rheinbrücken für bedroht.Noch eines, lieber Tepelmann, ich fürchte, wir machen uns nicht klar, was solche
[Seite 3] Etatserhöhungen bei allen Waffen an Mannschaften und Pferde, die Aufstellung ... Bataillone u.s.w. kosten wird. Das sind ganz gewaltige Summen, aber die das Volk auf sich nehmen wird, wenn es den nach meiner Ansicht so hohen Ernst der Stunde verstehen wird. Gott weiß es! Es fehlt nur an Verständnis, daß dies Erstarken der Südslaven uns trifft, daß wir Deutschen als solche in Mitleidenschaft gezogen werden müssen, wenn Österreich sich duckt. Hier fehlt es an der richtigen Aufklärung. Gewiß gibt es Blätter, die das schreiben, aber die liberalen Zeitungen bringen das wohl nicht und in allen Kreisen muß diese Erkenntnis da sein. Ohne eine gründliche politische Aufklärung erreicht der Wehrverein nicht sein Ziel!
[Seite 4] In Verbindung mit den Slaven rückt die Bedeutung Rußlands schärfer hervor, wir sehen nur nach Westen, denken wenig an den Osten, wohl an die engl. Flotte nicht aber an das vortreffliche, etwa 3 Armeekorps starke engl. ... korps. Nur wenn wir alle Feinde sehen, kommen wir zu einer richtigen Einschätzung dessen, was uns not tut. Allerdings muß auch Österreich ran, aber das wird mehr zu tun haben, um eine Kräfteverteilung (?) gegen das Erstarken der Balkanstaaten zu schaffen. Ich bin kein Politiker, aber das sieht jeder ein!
Die Angaben über Frankreich in der Anlage. Ich bitte Sie herzlich, sorgen Sie dafür, daß nie der Generalstab genannt wird, nie meine Person! Wenn ich hier auch rein persönlich gesprochen habe, so werden meine lieben Feinde, denen ich sehr unbequem bin, meine amtliche - persönliche Eigenschaft nicht auseinanderhalten und mir einen Strick drehen. Was ich ihnen i. S. m. Feindes nicht verdenken kann. Verzeihen Sie die Eile.
Gute Feiertage
Ihr Ludendorff
Woher taucht dieser, bislang unbekannte Brief auf? Im Jahr 2021 erfaßte die Landesbibliothek Niedersachsen in Hannover - die "Gottfried Wilhelm Leibnitz-Bibliothek" - das ihr überlassene "Reimar Hartge Archiv" (Kall), und zwar, wie es heute schon häufiger üblich und vorbildlich ist, auch gleich in digitaler Form für das Internet. In diesem vormaligen Privatarchiv fand sich nun der hier zitierte vierseitige, handschriftliche Brief Erich Ludendorffs an Bernhard Tepelmann. Zwar hat der Schreiber auf dem Brief weder Ort noch Datum verzeichnet. Das machte Erich Ludendorff sein ganzes Leben lang sehr häufig so. Deshalb muß auch gefragt werden, ob der Brief von Seiten der Landesbibliothek Niedersachsen richtig datiert worden ist in das Jahr 1913, und zwar in den Dezember 1913. Könnte er seinem Inhalt nach nicht eigentlich viel paßgenauer in das Jahr 1912 datiert werden? Zumal es doch sehr ungewöhnlich wäre, wenn man am Ende des Jahres 1913 noch auf einen Zeitungsartikel des Jahres 1912 hinweist!?! Und zumal Ludendorff am Ende seines Briefes doch recht deutlich macht, daß er sich zu jenem Zeitpunkt noch im Amt, als im Großen Generalstab in Berlin befand. Als Regimentskommandeur in Düsseldorf hätte er diese Phrase über das Auseinanderhalten von "amtlich" und "persönlich" gar nicht sinnvoll benutzen können.
Der Empfänger verzeichnete ebenfalls nur, daß er den Brief am 27.12. beantwortet hat. Der Schlußwendung des Briefes nach konnte er durchaus kurz vor Weihnachten verfaßt worden sein (1).**) Und mit weitaus größerer Wahrscheinlichkeit im Jahr 1912 als im Jahr 1913.
In jedem Fall ordnet sich dieser Brief nahtlos ein in die bislang schon bekannte zeitgeschichtliche Zusammenhänge, die oben schon geschildert worden sind. Er korrigiert den Aufsatz von 1979 (3) dahingehend, daß er eine direkte Verbindungen zwischen Generalstab und Wehrverein schon im Dezember 1912 sehr deutlich macht. Zum Wehrverein sei noch zitiert (Wiki):
Der Deutsche Wehrverein (DWV) wurde 1912 gegründet, um die deutsche Bevölkerung von der Notwendigkeit einer wesentlich stärkeren Heeresrüstung zu überzeugen. (...) Die Gründung des Vereins erfolgte am 28. Januar 1912 in Berlin. Gleich nach seiner Gründung begann der Verein mit einer regen publizistischen Arbeit. Vorstandsmitglied des Wehrvereins (war) Generalleutnant Alfred Wrochem. (...) Der Kronprinz bekannte sich offen zum Wehrverein. Ein anderer Grund für seinen Erfolg war, daß er durch seine Vorstandsmitglieder direkten Zugang zu mehreren großen Zeitungen besaß.
Aber schon aus dem ersten Satz des Briefes von Ludendorff geht hervor, daß dieser Deutsche Wehrverein bis zu dieser Kontaktaufnahme nicht über sehr gute Verbindungen in den Generalstab verfügte.
Abb. 5: General Josias von Heeringen - Sein Sohn war 1933 leitender Freimaurer in Deutschland |
Der vormalige Kriegsminister von Heeringen ist dann bis August 1916 Oberbefehlshaber der 7. deutschen Armee im Elsaß gewesen. Diesen Posten mußte er - auffälliger Weise - abgeben einen Tag bevor Erich Ludendorff 1916 in die Oberste Heeresleitung eintrat.
Mindestens zweimal ist Erich Ludendorff dem von Heeringen noch in späteren Jahren persönlich begegnet, nämlich beim Trauerzug für Kaiserin Augusta am 19. April 1921 (Stgr2012), sowie bei der Enthüllung des wieder errichteten Moltke-Denkmals in Halle, auf dem sogenannten "Deutschen Tag" in Halle am 11. Mai 1924. In der Erinnerung an letztere Begegnung schrieb Erich Ludendorff (Stgr2011):
Generaloberst v. Heeringen, als ältester General, hielt die Ansprache, die die Bedeutung des Heeres und die Arbeit der Generale für das Heer hervorhob, er vergaß aber völlig, den Obersten Kriegsherrn zu erwähnen, der sich für die Ausbildung des Heeres doch wahrlich eingesetzt und sie gefördert hatte. Daß er seinen Willen dem Kriegsminister, eben diesem Generaloberst von Heeringen gegenüber leider nicht durchgesetzt hatte, lag in einem Handeln, das dieser dem Kaiser wohl kaum hat verargen können. Bekanntlich hat Generaloberst v. Heeringen dem Streben des Kaisers nach einer Heeresverstärkung und auch meinem Streben vor dem Weltkriege, die allgemeine Wehrpflicht durchzuführen, entschiedenen Widerstand gegenübergestellt.
Das war alles, was er zu diesem Zeitpunkt noch über von Heeringen zu sagen wußte. Die Geschichte war über diese Vorkriegsauseinandersetzungen hinweg gegangen. Auf den Verlauf des Ersten Weltkrieges sollten sie sich vor allem dahingehend auswirken, daß Erich Ludendorff bei Kriegsbeginn nicht mehr die rechte Hand des Generalstabschefs von Moltke war. Wenn der Mord von Sarajewo ein Freimaurermord war (was längst klar ist) und wenn der Erste Weltkrieg ein Freimaurerkrieg war (was mehr als naheliegend ist), dann wird - zumindest für die Freimaurerei - die eigentliche Bedeutung der Vorgänge rund um die Wehrvorlage darin bestanden haben, daß Ludendorff noch vor Kriegsausbruch von der Seite des Generals von Moltke entfernt worden war.
"Die Luft der Freimaurerei, die von Grund auf böse war"
Der Sohn des Kriegsministers von Heeringen, der Freimaurer Kurt von Heeringen*), war 1914 schon 36 Jahre alt. Vielleicht hat er in den Logen in der Zeit vor 1914 dasselbe erlebt wie der Freimaurer Ernst Jünger. Ernst Jünger schrieb über die Monate und Jahre vor dem August 1914 (Stgr2016):
Bei den Mauretaniern (Freimaurern) aber herrschte unberührte Stille wie im Zentrum des Zyklons. Wenn man in den Abgrund stürzt, soll man die Dinge in dem letzten Grad der Klarheit wie durch überschärfte Gläser sehen. Diesen Blick, doch ohne Furcht, gewann man in der Luft der Mauretania, die von Grund auf böse war.
Die Luft der Logen war also von Grund auf böse. Ähnlich hat es Thomas Mann wahrgenommen, als er seinen Bruder, den Freimaurer Heinrich Mann während der ersten Jahre des Ersten Weltkrieges erlebte (siehe seine "Betrachtungen eines Unpolitischen" aus dem Jahr 1918). Eine der Folgen solcher böser Luftzüge wird die Versetzung Ludendorffs Ende Januar 1913 gewesen sein. Nicht der erste und nicht der letzte böse Luftzug, der aus der "unberührten Stille im Zentrum des Zyklons" entwich ....
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- Brief von Erich von Ludendorff an Bernhard Tepelmann, Dezember 1913. In: Reimar Hartge Archiv in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek - Niedersächsische Landesbibliothek; Signatur: Noviss. 450:A 360 (DigSam)
- Ludendorff, Erich: Mein militärischer Werdegang. Blätter der Erinnerung an unser stolzes Heer. Ludendorffs Verlag, München 1934 (Archive) (GB)
- Chickering, Roger: Der "Deutsche Wehrverein" und die Reform der deutschen Armee 1912-1914. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen 1/1979, S. 7ff (freies pdf)
- Wenninger an den Bayerischen Kriegsminister Otto Freiherr Kress v. Kressenstein, 25. 11. 1912, Bayer. HStA München, Abt. IV (Kriegsarchiv), Μ Kr 41 zit. in: Röhl, John C.: An der Schwelle zum Weltkrieg. Eine Dokumentation über den "Kriegsrat" vom 8. Dezember 1912. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen 1/1977, S. 77ff (freies pdf)
- Erich Schwinn: Die Arbeit des deutschen Wehrvereins und die Wehrlage Deutschlands vor dem Weltkriege. Druckerei wissenschaftlicher Werke K. Triltsch, 1940 (87 S.) (GB)
- Alfred von Wrochem: Die Bosch-Lüge. Vortrag, gehalten am 4. März 1925 vor einem geladenen Kreise. Verlag Wirtschaftspolitische Korrespondenz S. v. Lüttwitz, Berlin 1925 (über die französische Kriegspropaganda gegen den "Boche"]
- Alfred von Wrochem: Kampf. Auslieferung durch Reimann, Berlin 1926 (150 Seiten)
- Alfred von Wrochem: Das neue deutsche Führertum. 1927 (GB2011)
- Alfred von Wrochem: Planmäßige Zersetzung des deutschen Volkes. Heft 69 der Reihe "Der völkische Sprechabend" (Herausgeber: Hans Weberstedt-Lichterfelde). Theodor Weicher Verlag, Leipzig um 1929